Jonas Tögel: Die Manipulationswaffen der Kognitiven Kriegsführung erkennen, verstehen und neutralisieren

Jonas Tögel: Die Manipulationswaffen der Kognitiven Kriegsführung erkennen, verstehen und neutralisieren

Jonas Tögel: Die Manipulationswaffen der Kognitiven Kriegsführung erkennen, verstehen und neutralisieren

Jonas Tögel
Ein Artikel von Jonas Tögel

Für viele von uns ist Krieg immer noch etwas sehr Physisches, eine Auseinandersetzung auf dem Schlachtfeld. Bei den politisch Verantwortlichen rückt jedoch eine weitere Komponente immer stärker in den Fokus: die Psychologie. So treibt auch die NATO seit dem Jahr 2020 eine neue Form der psychologischen Kriegsführung voran: die sogenannte „Kognitive Kriegsführung“. Diese nimmt die Psyche jedes Menschen direkt ins Visier, mit einem ganz bestimmten Ziel: unseren Verstand wie einen Computer zu „hacken“. Der Propagandaforscher Jonas Tögel erläutert in seinem Buch „Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO“ die Hintergründe und Entstehungsgeschichte der Kognitiven Kriegsführung und zeigt, dass der Gedankenkrieg über sogenannte „Soft-Power-Techniken“ bereits heute meist unbemerkt stattfindet. Wir dokumentieren eine Übersicht der Manipulationswaffen aus dem Buch.

Die Manipulationswaffen der Kognitiven Kriegsführung der NATO werden im Buch an unterschiedlichen Stellen erklärt. Zur besseren Übersichtlichkeit finden Sie an dieser Stelle eine Liste der im Buch ausführlich erläuterten Soft-Power-Techniken. Sie soll dabei helfen, die Kognitive Kriegsführung leichter zu erkennen, um sich besser vor ihr schützen zu können und sie somit ein Stück weit zu neutralisieren.

  • Die Tiefenpsychologie dient als Fundament der wohl wichtigsten Manipulationswaffe: die gezielte Beeinflussung des Unbewussten der menschlichen Psyche. Wie bei einem Eisberg liegt ein großer Teil unserer Gedanken und Gefühle „unter der Wasseroberfläche”, und hier können wir so beeinflusst werden, dass wir die Steuerung selbst oft nicht bemerken. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte „Gräuelpropaganda”, welche dem Feind im Krieg die schlimmsten Untaten nachsagt, während die eigenen Soldaten niemals solche Verbrechen begehen.
  • Damit eng verwandt ist die Idee der Massenpsychologie, die besagt, dass gerade große Gruppen von Menschen oder eine Bevölkerung durch das gezielte Ansprechen ihrer tiefen Gefühle besonders leicht steuerbar sind.
  • Vom Behaviorismus wissen wir, dass Menschen durch Wiederholung etwas lernen sowie verschiedene Dinge miteinander verknüpfen, die immer wieder zusammen präsentiert werden. In der Propaganda wird daher zum Beispiel ständig und auf allen Kanälen wiederholt, dass der Feind das personifizierte Böse ist, während man selbst für eine gute Sache kämpft.
  • Menschen lernen auch durch Belohnung und Bestrafung, und wer gesellschaftliche Ablehnung oder Ächtung erfährt, weil er sich gegen Kriege und Gewalt ausspricht, der wird durch diese negativen Folgen eher dazu bewegt werden, sich nicht zu äußern – gerade das ist jedoch in Kriegszeiten besonders wichtig.
  • Die Macht der Sprache und Worte ist eine weitere Manipulationswaffe: Durch den gezielten Einsatz von positiven oder negativen Wörtern lassen sich die Gedanken und Gefühle der Menschen lenken. Friedfertige Menschen wurden beispielsweise früher „Spione des Kaisers” (im Ersten Weltkrieg in den USA) oder als „Kommunisten” (im Kalten Krieg) bezeichnet, heute sind Wörter wie „Verschwörungstheoretiker” oder „Schlächter” zur Abwertung von Kriegskritikern oder gegnerischen Präsidenten ein beliebtes Mittel.
  • Durch den präventiven Gebrauch solcher Begriffe kann man Menschen vor unliebsamen Informationen schützen oder sie dagegen „impfen”, das heißt „Inokulation“. So gibt es Bildungsprogramme an Schulen, in denen Lernenden beigebracht wird, „Verschwörungstheorien” zu erkennen und abzulehnen, noch bevor sie mit den entsprechenden Inhalten in Berührung kommen.
  • Man kann die menschliche Psyche auf ähnliche Art und Weise lenken, wie eine Schafherde gelenkt werden kann: Menschen folgen Personen mit Autorität oder großer Bekanntheit, so wie die Schafherde dem Schäfer folgt. Außerdem folgen Menschen der Gruppe, das nennt man auch in der Forschung den Herdentrieb. Dafür braucht es eine möglichst einheitliche Berichterstattung in den Medien, denn bei widersprüchlichen Meldungen verpufft der Effekt des Herdentriebs. Und so, wie Schafe vor dem Hütehund Angst haben, kann man auch Menschen durch Angst und Bedrohungsszenarien in die gewünschte Richtung lenken.
  • Wie eine Schafherde sind Menschen auch von Natur aus träge, und diese Status-quo-Neigung kann man gezielt fördern. Damit einher geht auch, dass wir gerne an unseren Glaubenssätzen festhalten und nur schwer durch Informationen zu überzeugen sind, die wir einmal glauben – darauf baut auch die Inokulation.
  • Wie Neo in dem Film „Matrix” weiß man auch in der Kognitiven Kriegsführung um die Macht unserer Umgebung und, wie Menschen dadurch gelenkt werden können, dass man ihr Umfeld und die Informationen, welche sie erhalten (oder nicht erhalten), beeinflusst. Daher ist die gezielte Steuerung des Informationsflusses eine zentrale Technik der Kognitiven Kriegsführung. Sie funktioniert unabhängig davon, ob die präsentierten Informationen selbst wahr oder falsch sind oder ob das Gesamtbild, das sie zeigen, wahr oder falsch ist.
  • Neben der Kontrolle der Informationen ist die Lenkung der Aufmerksamkeit ebenfalls eine wichtige Manipulationswaffe. So wird man im Krieg feindliche Kriegsverbrechen besonders herausstellen, eigene Verbrechen jedoch möglichst unerwähnt lassen. Ein aktuelles Beispiel ist die Tatsache, dass der illegale Angriffskrieg Russlands zwar zu Recht heftig kritisiert wird, gleichzeitig meist unerwähnt bleibt, dass auch die NATO-Länder in den letzten 20 Jahren viele Angriffskriege geführt haben.
  • Propaganda kann kurzfristig wirken, es gibt jedoch in der Kognitiven Kriegsführung auch sehr langfristige Manipulationsbemühungen, die auf die gesamte Weltsicht einer Person der Bevölkerung zielen. Eine solche Weltsicht wäre, dass man beispielsweise die NATO als Verteidiger der westlichen Werte ansieht – aus Sicht der NATO ist eine solche Weltsicht wünschenswert und sie kann direkten Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg von Militäroperationen haben.
  • Damit einher geht die Kontrolle der Narrative. Narrative sind Geschichten, welche bestimmte Geschehnisse auf der Welt erklären und interpretieren. Ein solches Narrativ ist, wie schon erwähnt, dass die NATO westliche Werte verteidigt, dass die Ukraine für die Demokratie kämpft oder dass Russland sich nur gegen westliche Expansion und eine Bedrohung durch die NATO-Osterweiterung zur Wehr setzt. An diesen Beispielen sieht man, dass es ganz widersprüchliche Narrative und damit Sichtweisen auf die Welt gibt. Ein weiteres Beispiel ist das Narrativ, dass die USA die Pipelines Nord Stream 1 und 2 gesprengt haben.[1] In Konkurrenz dazu stehen das Narrativ, dass Russland an der Sprengung der Pipelines beteiligt sein könnte[2] oder dass es die Beteiligung einer pro-ukrainischen Gruppe gebe[3]. An diesem Beispiel sieht man, dass sich unterschiedliche Narrative gegenseitig ausschließen können. In der Kognitiven Kriegsführung wird daher um die Deutungshoheit und das „richtige” Narrativ erbittert gekämpft.
  • Das Internet hat ganz neue Möglichkeiten für digitale Manipulation geschaffen: Menschen geben im Internet unbemerkt sehr viel über sich preis, und diese Informationen kann man für gezielte psychologische Manipulation nutzen, das sogenannte Mikro-Targeting. Eine weitere Technik der digitalen Propaganda sind „Troll-Armeen” oder Cybersoldaten, also Spezialisten, welche den ganzen Tag im Internet verbringen und z. B. in sozialen Netzwerken Kriegspropaganda verbreiten.
  • Die derzeit modernsten Manipulationswaffen der Kognitiven Kriegsführungen kreisen um den Bereich der NBIC-Wissenschaften: Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationswissenschaft (also Computer und Internet) sowie die Kognitions- oder Neurowissenschaften. Diese möchte man für neuartige Möglichkeiten der Gedankenkontrolle und -steuerung nutzen sowie zum Doping oder zur Schädigung von eigenen oder fremden Soldaten oder der Bevölkerung mittels Drogen, Giften oder Nanotechnologie. Auch Biowaffen oder die Verbindung von Menschen mit Computern fällt in diesen Bereich. Einige dieser Manipulationswaffen gibt es heute schon, an anderen wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet.

Titelbild: Alexandros Michailidis/shutterstock.com

Buchtipp: Jonas Tögel, „Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO“, 250 Seiten, Westend Verlag 2023


[«1] Hersh, Seymour (8. Februar 2023). How America Took Out The Nord Stream Pipeline. Substack.com.

[«2] AFP (25. März 2023). Neue Spur zu Nord Stream: Steuerten russische Schiffe den Tatort an? zdf heute.

[«3] al (26. März 2023). Russland, Ukraine, USA. Neue Spur liefert dritten möglichen Täter für Nord-Stream-Sabotage. Focus Online.

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