Heillos ausgenutzt. Schuften für Onkel Doktor lohnt sich nicht.

Heillos ausgenutzt. Schuften für Onkel Doktor lohnt sich nicht.

Heillos ausgenutzt. Schuften für Onkel Doktor lohnt sich nicht.

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Sie leisten extrem viel und erhalten extrem wenig. Mit ihrem historisch ersten Streik haben Arzthelferinnen und Arzthelfer auf ihre prekären Arbeits- und Lohnbedingungen aufmerksam gemacht. Mit dem prompt erzielten Tarifabschluss winken ihnen fürs Erste lediglich kleine Verbesserungen. Ob im nächsten Jahr ein größerer Wurf folgt, bleibt abzuwarten und hängt auch von einer politischen Richtungsentscheidung für oder wider die ambulante Versorgung ab. So viel steht fest: Gegen das Praxissterben helfen nur mehr Geld und gut bezahltes Personal. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Haben Sie sich bei der Blutabnahme beim Hausarzt schon einmal mit der Arzthelferin über deren Arbeit unterhalten und darüber, was sie dafür bekommt? Wohl kaum, denn die gute Frau hätte allerhand zu erzählen und Zeit ist bekanntlich Geld, und ziemlich sicher hat sie von beidem nicht allzu viel. Wer als Medizinische Fachangestellte (MFA) – so lautet die korrekte Berufsbezeichnung – in den Job einsteigt, erhält aktuell einen Stundenlohn von 13,22 Euro. Das liegt nur knapp über dem Mindestlohnniveau von derzeit 12,41 Euro und deutlich unter dem, was eine Pflegehilfskraft im Krankenhaus verdient. Diese wird ab 1. Mai immerhin mit 16,50 Euro bezahlt, nach einem Jahr Ausbildungszeit, wogegen MFA eine dreijährige Ausbildung absolviert haben müssen. Man erinnert sich an den Applaus vom Balkon für die tapferen Krankenschwestern zu Beginn der Pandemie. Für das Klinikpersonal schüttete die Politik später eine Corona-Prämie aus. Die MFA, die zum Teil heute noch mit Maske Dienst tun, gingen leer aus.

Das passt in Bild. MFA sind vielleicht die am geringsten geschätzte Berufsgruppe im deutschen Gesundheitswesen. Sie leisten viel mehr, als gemeinhin bekannt ist, und werden dafür mit skandalös wenig honoriert. Zu ihren Arbeitsbereichen gehören neben Anmeldung und Terminvergabe die Assistenz bei Untersuchungen, Behandlungen und chirurgischen Eingriffen. Außerdem sind sie für Dokumentation, Hygienemaßnahmen, Praxismanagement und Abrechnungen zuständig. Im Gefolge von Corona hat sich ihr Aufgabenspektrum noch einmal vergrößert, weil seither noch mehr medizinische Maßnahmen ambulant durchgeführt werden. Während der Notstandsjahre haben sich nicht wenige MFA bis zur Arbeitsunfähigkeit aufgerieben, wodurch die Personalnot noch zugenommen hat. Das allgemeine Praxissterben hat auch damit zu tun, dass immer mehr Fachkräfte das Weite suchen und kaum Nachwuchs nachrückt. Warum auch? Im Schnitt gehen MFA mit monatlich 2.500 Euro brutto nach Hause.

Nullrunde für Altgediente

Immerhin: Demnächst gibt es mehr Geld. In der Vorwoche haben sich der Verband medizinischer Fachberufe (VmF) und die Vertreter der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte auf den Abschluss eines neuen Tarifvertrags geeinigt. Wie viel für die Betroffenen herausspringt, ist noch offen. Die Ergebnisse werden erst nach Ablauf der sogenannten Erklärungsfrist am morgigen Freitag publik gemacht. So viel ist sicher: Zur Erfüllung ihrer Maximalforderungen hat es für die Gewerkschaft nicht gereicht. „Es ist ein Kompromiss, keine Vereinbarung von Dauer, damit geht es also bald weiter“, äußerte sich VmF-Sprecherin Heike Rösch gegenüber den NachDenkSeiten. Tatsächlich wird der Kontrakt mit einer Laufzeit von zehn Monaten ab 1. März lediglich bis Jahresende Gültigkeit haben, danach muss von Neuem verhandelt werden. Die Interimslösung dürfte allenfalls eine geringe Annäherung der Positionen gebracht haben, die in den drei davor gescheiterten Verhandlungsrunden noch gewaltig auseinanderlagen.

Zuletzt hatte der VmF Lohnsteigerungen von durchschnittlich 14,6 Prozent gefordert, während sich das Angebot der bei der Bundesärztekammer angesiedelten Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen/Medizinischen Fachangestellten (AAA) unterhalb von sechs Prozent bewegte. Eine zweistellige Steigerung sah die Offerte allein für Berufsneulinge vor, allerdings noch weit weg von den Vorstellungen der Beschäftigtenvertreter. Der VmF will ein Startentgelt von 17 Euro durchsetzen, was einem Zuschlag von knapp 30 Prozent entspräche. „Zehn Prozent mehr bei einem Ausgangswert von 13,22 Euro wäre immer noch viel zu wenig, um damit mehr junge Menschen für den Job zu gewinnen“, sagte Rösch. Ohnehin wollte die AAA die Zugeständnisse in den unteren Gehaltsgruppen mit einer quasi Nullrunde für altgediente Kräfte kompensieren. Nach einer VmF-Mitteilung „hätten Kolleginnen und Kollegen mit 17 Jahren Berufserfahrung und anerkannten Aufstiegsfortbildungen nur 0,1 Prozent plus erhalten“.

Erster Arbeitskampf in 60 Jahren

Davon sind die Ärztevertreter offenbar abgerückt, wohl auch unter dem Eindruck der neu entdeckten Kampfeslust der Gewerkschaft. Nach zuvor drei gescheiterten Verhandlungsrunden hatte der VmF für den zurückliegenden Donnerstag zum ersten Mal in seiner 60-jährigen Geschichte zu einem eintägigen Warnstreik aufgerufen. Daran beteiligten sich bundesweit über 2.000 Beschäftigte, wovon sich rund 1.000 zu sechs größeren Kundgebungen in Dortmund, Hamburg, Marburg, Nürnberg, Stuttgart sowie vor der Bundesärztekammer in Berlin einfanden. Nach Verbandsangaben kam es stellenweise zu Einschränkungen im Praxisbetrieb, Patienten hätten längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, in Einzelfällen seien Praxen ganz geschlossen geblieben.

Die Proteste waren durchaus beachtlich, denn die Schlagkraft des VmF ist arg limitiert. Von den republikweit rund 330.000 Beschäftigten in Arztpraxen sind lediglich 20.000 gewerkschaftlich organisiert. Von diesen wiederum genießen die allerwenigsten Kündigungsschutz, weil der erst ab Betriebsgrößen von zehn Mitarbeitern aufwärts greift. „Dem Chef zu sagen, ich streike heute, weil Du mir zu wenig zahlst, ist ein großes Risiko und kann damit enden, dass man den Job los ist“, bemerkte Rösch. Andererseits können sich die Ärzte das eigentlich gar nicht leisten, wegen des Fachkräftemangels. VmF-Präsidentin Hannelore König schilderte im Gespräch mit den NachDenkSeiten, dass immer mehr Personal aus den Praxen in die Kliniken oder andere Bereiche abwandere, „weil dort einfach besser vergütet wird“. Ihre Warnung: „Ohne deutliche Verbesserungen für die MFA ist die ambulante Versorgung der Patientinnen und Patienten gefährdet.“

Kein Budget für gute Löhne

Zumal nicht wenige bei der Entlohnung nicht einmal den Standard erreichen. Gemäß einer VmF-Erhebung von 2023 werden 23 Prozent der MFA mit individuellen Arbeitsverträgen unter Tarif bezahlt, zwei Prozent liegen gar auf oder unter dem Niveau des Mindestlohns. Dagegen haben nur 15 Prozent das Glück, über Tarif honoriert zu werden. Ferner offenbart die Statistik, dass bloß knapp über die Hälfte der Praxen überhaupt der Tarifbindung unterliegt. Das alles wirkt nicht gerade motivierend. Nach einer weiteren Erhebung des Verbands sind beinahe 40 Prozent der Befragten inzwischen so frustriert, dass sie mehrere Male im Monat daran denken, die Arbeitsstelle zu wechseln oder ganz aus dem Beruf auszuscheiden.

Dafür einseitig die Arbeitgeber, also die Ärzte, verantwortlich zu machen, griffe zu kurz. Klar, die meisten verdienen gutes Geld, aber eben nicht so viel, um damit ihren Mitarbeiterstab über die Maßen besserzustellen. Den Löwenanteil ihrer Einnahmen, über 70 Prozent, generiert die niedergelassene Ärzteschaft über die Abrechnungen mit den öffentlichen Krankenkassen. Daraus werden auch die Personalkosten bestritten, die in der Regel der größte Kostenfaktor sind. Die Zuweisungen durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sind äußerst knapp bemessen und Ausdruck eines Mangelsystems im Zeichen einer unzureichenden Einnahmebasis – eine echte Bürgerversicherung ist politisch nicht gewollt –, von Kommerzialisierung und Budgetierung.

Praxissterben leicht gemacht

Bekanntlich gibt es ab einem gewissen Leistungsumfang einfach keine Vergütung mehr, und der Arzt bleibt auf den Ausgaben sitzen. Insbesondere Allgemeinmediziner, die nicht von teuren gerätemedizinischen Eingriffen profitieren, stoßen unter dem Kostendruck an Grenzen, die auch ihre Mitarbeiter spüren. Gerade für „einfache“ Hausärzte wird es immer schwieriger, Entgelte zu zahlen, die mit denen außerhalb der Arztpraxis mithalten können. Ergo steigt die Unzufriedenheit in der Belegschaft, was es wiederum anderen Akteuren auf dem Gesundheitsmarkt – Pflegeeinrichtungen, Kliniken und selbst den Krankenkassen – leichter macht, Personal zu besseren Konditionen abzuwerben. Das führt letztlich dazu, dass immer mehr Praxen dichtmachen müssen oder von Renditejägern der Sorte Private-Equity-Fonds aufgekauft und zu Profitmaschinen umgewandelt werden.

2023 hatte sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) mit dem GKV-Spitzenverband auf einen Mittelaufwuchs für das Jahr 2024 von 3,85 Prozent für die ambulante Versorgung verständigt. Das ist äußert knapp bemessen angesichts der anhaltend hohen Inflation und erheblich höherer Anforderungen im Praxisbetrieb im Nachgang von Corona. AAA-Leiter Erik Bodendieck hatte vor einer Woche im ZDF angemerkt, dass höhere Personalkosten an anderer Stelle wieder eingespart werden müssten. Zitat: „Ich kann das Tischtuch nicht verlängern, ich habe das Tischtuch nur in einer Größe.“ Man müsse „die Praxen auskömmlicher finanzieren“, um mehr Personal zu gewinnen, befand auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Tino Sorge (CDU). Insofern habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) „seine Hausaufgaben nicht gemacht“.

Ampel auf einem Auge blind

Dazu kommt eine Unwucht mehr im System. Tariferhöhungen werden bis dato immer erst zwei Jahre zeitversetzt in die Zuwendungen der GKV eingepreist. Die Arbeitgeber in Arztpraxen und Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) müssen höhere Gehälter entsprechend vorfinanzieren. Das befördert natürlich die „Knausrigkeit“ der Ärztevertreter noch zusätzlich, schwächt das Standing der Beschäftigten noch mehr und treibt diese aus dem Job beziehungsweise zur Konkurrenz. Zumal Tarifzuschläge in der Pflege umgehend und vollumfänglich per Gegenfinanzierung gesichert werden. Bedürfte es noch Anschauungsunterricht, wie man zwei Beschäftigtengruppen gegeneinander ausspielt – voilà!

Einen Lichtblick gibt es indes: Im vergangenen Sommer konnte die KBV gegenüber der GKV durchsetzen, dass gestiegene MVA-Löhne ab 2025 direkt in den Finanzierungsverhandlungen berücksichtigt werden. Was daraus wird, steht allerdings in den Sternen. Skeptisch zeigte sich VmF-Chefin König: „Das Verfahren ist noch völlig offen, und aktuell glaubt die Ärzteschaft nur bedingt Versprechen, die vom GKV-Spitzenverband oder unserer Bundesregierung in der Gesundheitspolitik gemacht werden.“ Es könne nicht sein, dass die Ampel immer wieder betone, dass faire und höhere Gehälter die engagierte Arbeit in der Pflege belohnten und diese gegen den Fachkräftemangel wirkten. „Aber gleichzeitig vergisst die Koalition die Bedürfnisse der Beschäftigten in Arztpraxen, obwohl dort 80 bis 90 Prozent aller Versicherten versorgt werden.“

Titelbild: Rob Hyrons/shutterstock.com