Michael Andrick: „Der Pluralismus ist tot in Deutschland, es ist eine Demokratie-Farce, die hier aufgeführt wird“

Michael Andrick: „Der Pluralismus ist tot in Deutschland, es ist eine Demokratie-Farce, die hier aufgeführt wird“

Michael Andrick: „Der Pluralismus ist tot in Deutschland, es ist eine Demokratie-Farce, die hier aufgeführt wird“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

In Deutschland werden die „Interaktionen der Menschen mit Skepsis, Misstrauen und Angst verseucht“. Das sagt der Philosoph Michael Andrick im Interview mit den NachDenkSeiten. In seinem neuen Buch „Im Moralgefängnis: Spaltung verstehen und überwinden“ analysiert er Spaltung als „eine Infektion der Kommunikationswege mit dem Virus der Moralisierung“. Was genau er damit meint, erklärt er im Interview. Von Marcus Klöckner.

Marcus Klöckner: Herr Andrick, wie sieht es mit der Meinungsvielfalt in unserer Gesellschaft aus? Was ist los mit dem Pluralismus?

Michael Andrick: Der Pluralismus ist tot in Deutschland und kann nur durch freimütige Diskussion wiederbelebt werden. Es gibt Meinungsvielfalt wie immer unter Menschen, aber sie wird von einer allgegenwärtigen Äußerungsangst unter dem Deckel gehalten. Die Transatlantische Einheitspartei Deutschlands aus SPD, Union, Grünen und FDP nutzt eine staatliche und halbstaatliche Propagandamaschinerie, um die Menschen hinters Licht zu führen: Sie sollen massenweise für die Regierung demonstrieren und Opposition gegen die neue Einheitspartei pauschal als rechtsradikal betrachten lernen. Es ist eine Demokratie-Farce, die hier gerade aufgeführt wird, während der deutsche Wirtschaftsstandort unter dem Regiment inkompetenter Ideologen immer tiefer in die Strukturkrise gedrückt wird.

Sie haben gerade ein Buch veröffentlicht, dass sich mit der Spaltung in unserer Gesellschaft auseinandersetzt. Das Buch trägt den Titel „Im Moralgefängnis“. Was haben Moral und Gefängnis in diesem Zusammenhang miteinander zu tun?

Ich erkläre in dem Buch, wie Moralisierung und Demagogie dazu führen, dass die Interaktionen der Menschen mit Skepsis, Misstrauen und Angst verseucht werden. Das endet in dem Zustand, den wir jetzt beobachten: Sachpolitische Diskussion findet fast nicht mehr statt, es werden meist nur noch primitive Karikaturen politischer Standpunkte in den Raum gestellt, und die Gegenseite wird als moralisch minderwertig abqualifiziert. Diesen Zustand schmerzlicher Sprachlosigkeit und gegenseitiger Entfremdung bezeichne ich als „Moralgefängnis“. Wir müssen uns daraus befreien.

„Spaltung ist eine Infektion der Kommunikationswege mit dem Virus der Moralisierung“ – so lautet Ihre Kernthese. Was genau meinen Sie damit?

Moralisiere ich die Diskussion einer politischen Frage, also einer Gemeinwohlfrage, dann „infiziert“ diese Moralisierung sehr leicht meine Gesprächspartner – in dem Sinne, dass sie jetzt dazu verführt werden, sich zu verteidigen und klarzustellen, dass sie gar keine schlechten Menschen sind. Dabei kommt es dann leicht ebenfalls zu moralischen Verurteilungen des anderen. Die politische Diskussion wird durch peinliche Zankereien ersetzt, und es bilden sich Gesinnungsfraktionen. Diese Dynamik kann bis zum Untergang einer Gesellschaft führen. Viele merken gar nicht mehr, wie sie laufend moralisieren, anstatt respektvoll die Sachfragen zu bereden. Sie sind an Moralitis erkrankt und wissen nichts davon.

Dem Amt des Bundespräsidenten wird von je her eine Art vereinende Wirkung zugeschrieben. Der Bundespräsident soll überparteilich sein und dafür sorgen, dass Gräben überbrückt und Brücken zwischen den Bürgern gebaut werden. Nun denken wir an Frank-Walter Steinmeier. Es ist noch nicht lange her, da sagte der Bundespräsident im Hinblick auf die Proteste der Bürger, die sich für die Werte des Grundgesetzes während der Coronazeit auf der Straße eingesetzt haben: „Der Spaziergang hat seine Unschuld verloren.“ Verweist das Agieren von Steinmeier auf eines der zentralen Grundprobleme, nämlich, dass die Spaltung in der Gesellschaft nicht von unten, sondern von oben kommt?

Herr Steinmeier sollte dringend mein Buch lesen. Es ist eindeutig für mich, dass er das Problem von Moralisierung und Demagogie entweder gar nicht sieht oder aber die Begriffe nicht versteht. Ansonsten könnte er nicht allen Ernstes alle Deutschen, die sich nicht mit experimentellen Gentherapeutika „impfen“ lassen wollten, pauschal als „unvernünftig“ bezeichnen. Das hat er aber getan, als er von der „vernünftigen Mehrheit“ sprach, die den teils menschenrechtswidrigen Corona-Maßnahmen folgte. Er scheint tatsächlich nicht zu sehen, dass er selbst als Spalter agiert. Über seine hochnotpeinlichen Ausführungen zu „Rattenfängern” schweige ich freundlich. Sie wiederholen dasselbe spalterische Muster und können von keinem noch so großzügig milliardärs- und regierungsfinanzierten „Faktenchecker” mehr „geradegeschwurbelt” werden.

Wie bewerten Sie das Verhalten der politischen und gesellschaftlichen Eliten in dieser Zeit? Was fällt Ihnen im Zusammenhang mit Ihrem Thema auf?

Ich finde das Verhalten von Parteifunktionären, die sich in einem eng gestrickten Kartell den Staat zur Beute und seine Institutionen zu Karrierespielplätzen gemacht haben, nicht überraschend und auch nicht aufregend zu beobachten. Sie verteidigen ihre Macht, indem sie die von ihren Loyalisten besetzten Geheimdienste und andere Behörden dazu kommandieren, die Opposition zu diskreditieren, es neuen Parteien schwer zu machen und ihre Gegner einzuschüchtern. Das ist nicht neu in der Geschichte und kann nicht überraschen. Die zugrunde liegenden Mechanismen kann man in vielen Büchern, z.B. von Hans-Herbert von Arnim, Noam Chomsky oder Michael Meyen, schon lange detailliert nachlesen.

Mein neues Buch „Im Moralgefängnis” richtet sich an die breite Bevölkerung. Ich möchte darüber aufklären, wie moralisierende Einschüchterung uns die Freiheit kosten muss, wenn wir nicht aufhören, vor ihr zu kuschen und endlich wieder mutig und frei unsere Meinung äußern.

Was schlagen Sie vor? Was ist der Ausweg aus dem „Moralgefängnis“?

Mit dem Buch möchte ich erstmal Aufklärungsarbeit über das recht komplexe Regime des Moralismus leisten, das wir heute in Deutschland und anderswo schon haben. Dieses Regime des Moralismus besteht aus Kulturtechniken, die wir alle kennen: Abkanzeln, Umstrittenmachen, Vorabmarkieren von Gesprächspartnern als verdächtig durch verächtliche Wortwahl, usw. usf.

Diese Verhaltensweisen schaffen eine feindselige, paranoische Atmosphäre. Und auf diesem Nährboden sind eine ganze Reihe von Praktiken und sogar Institutionen aufgewachsen, die viele als fast normal empfinden mittlerweile, die aber alle eindeutig Teil einer repressiven politischen Architektur sind – zum Beispiel „Faktenchecker“-Agenturen, Demokratieförderinitiativen, die schlicht Alimentierungsprogramme für regierungstreue Bürgerinitiativen sind, ein Hassredegesetz, usw. Ich möchte diese undemokratischen und antiliberalen Auswüchse auf klare Begriffe bringen und einige Mitbürger aufrütteln, gewisse Spielchen nicht mehr mitzuspielen. Das ist mein Beitrag als Philosoph zur Verteidigung der Freiheit.

Spielen die Medien eine Rolle beim Bau des Moralgefängnisses? Wenn ja: Welche?

Ja, natürlich. In modernen Massengesellschaften wissen wir das, was wir über die Welt wissen, aus den Medien, wie Luhmann so treffend sagt. Wer die Medienoberfläche kontrolliert, der herrscht. Deswegen erleben wir jetzt ja auch, wie die Transatlantische Einheitspartei von ihr selbst mitfinanzierte Agenturen darauf ansetzt, um Horrorstories über massenweise Demokratiefeindlichkeit in die Welt zu setzen und medial aufzubauschen, um die Bevölkerung vom offenkundigen Niedergang der Bundesrepublik abzulenken. Sie sieht ihre Herrschaft in Gefahr und will ihre Bürger durch moralisierende Verdammung aller Oppositionskräfte als „rechts“, „Querfront“, „russlandfreundlich“ oder was-auch-immer einschüchtern.

Wagen Sie doch bitte mal einen Ausblick. Wie geht es weiter? Werden mehr Bürger die „Moralitis-Epidemie“, wie Sie es bezeichnen, durchschauen?

Die beste Nachricht unserer Tage sind die massiv gesunkenen Vertrauenswerte in die etablierten Parteien und die offiziellen Stellen. Die Menschen bemerken zunehmend, dass man ihnen moralisch die Welt erklären will und dass ihre Lebensumstände ökonomisch real schlechter werden. Bald wird es für das regierende Parteienkartell notwendig werden, 30 bis 40 Prozent der Wähler für irgendwie „extremistisch“ zu erklären, um ihr Machtmonopol halten zu können. Ich hoffe, dass es hier zu einem Einlenken kommt und wir uns endlich wieder an ein ganz normales demokratisches Meinungsspektrum von links bis rechts im grundgesetzlichen Rahmen gewöhnen und wieder angstfrei diskutieren lernen. Dazu will ich mit dem Buch möglichst viele ermutigen. Die Sanierung der offenen Gesellschaft beginnt mit offenen Diskussionen.

Demokratie ist friedliche Streitverwaltung in einem breiten Meinungsspektrum. Das müssen die Bürger wieder für sich beanspruchen und die volkspädagogischen Anmaßungen der Parteipolitiker schlicht und deutlich zurückweisen.

Lesetipp: Michael Andrick: Im Moralgefängnis: Spaltung verstehen und überwinden. Westend. 12. Februar 2024. 160 Seiten, 18 Euro.