Die GDL streikt schon wieder. Muss das sein? Ja, das muss sein

Die GDL streikt schon wieder. Muss das sein? Ja, das muss sein

Die GDL streikt schon wieder. Muss das sein? Ja, das muss sein

Ein Artikel von Rainer Balcerowiak

Das ging schnell. Zwei Stunden nachdem das Ultimatum, welches die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) dem Vorstand Bahn AG gestellt hatte, am Sonntag um 18 Uhr abgelaufen war, kündigte die Gewerkschaft ihren nächsten Streik an. Er begann bereits am Montag um 18 Uhr im Güterverkehr und seit Dienstagmorgen um zwei Uhr stehen auch die Räder im Personenverkehr still. Zunächst soll der nunmehr sechste Streik in der laufenden Tarifrunde 24 Stunden dauern, doch die GDL hat keinen Zweifel daran gelassen, dass es sehr schnell zu weiteren Arbeitsniederlegungen kommen würde, wenn sich der bundeseigene Konzern nicht endlich substanziell bewegt. Quasi in letzter Minute wollte das Unternehmen den Streik am Montagmittag noch mit einem Eilantrag beim Arbeitsgericht Frankfurt unterbinden lassen. Doch das Gericht wies die Klage am späten Abend ab. Von Rainer Balcerowiak.

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Dass nicht nur der Bahn-Vorstand, sondern auch die Bundesminister für Verkehr und Wirtschaft, Volker Wissing (FDP) und Robert Habeck (Grüne), „empört“ sind und „kein Verständnis“ mehr haben, ist wenig überraschend. Ihre Forderung, die GDL möge doch gefälligst an den Verhandlungstisch zurückkehren, um einen „Kompromiss“ zu erreichen, ist weder neu noch sonderlich zielführend. Auch die Kommentare der meisten Mainstream-Medien klingen mittlerweile seltsam abgestanden und transportieren stets die Klischees vom „egomanischen“ bzw. „narzisstischen“ Gewerkschaftsführer Claus Weselsky und seiner „Mini-Gewerkschaft“, die die „Fahrgäste in Geiselhaft“ für die Durchsetzung ihrer „maßlos überzogenen Forderungen“ nehmen sowie den „Wirtschaftsstandort“ oder gar die Sicherheit gefährden. Die Rede ist ferner von einem „Missbrauch des Streikrechts“ und es hagelt Aufforderungen an die Bundesregierung, endlich einzugreifen.

Nichts wäre leichter als das. Schließlich ist der Bund Eigentümer der Deutschen Bahn AG und hätte daher Mittel und Wege, den Bahn-Vorstand dazu zu bewegen, seine starrsinnige Haltung aufzugeben. Doch das ist damit nicht gemeint, vielmehr soll das Streikrecht in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Infrastruktur deutlich eingeschränkt werden, etwa durch verpflichtende Schlichtungsverfahren, zeitliche Begrenzungen von Arbeitsniederlegungen und gesetzlich geregelte Vorankündigungsfristen.

Wer verweigert hier eigentlich einen Kompromiss?

Das ist allerdings nicht so einfach, denn weder das Grundgesetz noch die fortlaufende höchstrichterliche Rechtsprechung lassen derartige Eingriffe derzeit zu. Das weiß natürlich auch Weselsky, der in seiner Erklärung zum erneuten Streik am Sonntag darauf verweist: „Da der DB-Vorstand seit dem 19. Januar 2024 bis einschließlich heute kein neues Angebot unterbreitet hat, führt dies unweigerlich in den Arbeitskampf. Dies ist für die GDL das letzte Mittel, denn „Tarifautonomie ohne Streikrecht ist nichts Anderes als kollektives Betteln“ wie es das Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr 1980 zutreffend gesagt hat.“

Bei der Betrachtung dieser für deutsche Verhältnisse außergewöhnlich erbitterten und zähen Tarifauseinandersetzung gilt es zwei Ebenen zu unterschieden. Zum einen geht es um die Inhalte eines neuen Tarifvertrages bei der Bahn AG. Die GDL verweist darauf, dass sie in den laufenden Tarifrunden mit fast allen privaten Konkurrenten der Bahn AG für rund 15.000 Eisenbahner Abschlüsse erzielt hat, die auch Abstriche bei ihren Ausgangsforderungen beinhalten, also Kompromisse seien. Und sie sei keinesfalls bereit, ausgerechnet dem bundeseigenen Marktführer im Schienenverkehr einen Dumping-Bonus in Sachen Bezahlung und Arbeitszeitregelungen für Schichtdienstbeschäftigte einzuräumen, zumal dann auch eine Art Revisionsklausel für die 28 Abschlüsse bei der Konkurrenz greifen würde.

Die Abschlüsse beinhalten als Kernelemente:

  • Stufenweise Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtdienstleistende von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich
  • Maximal 5 Schichten am Stück und dann eine mindestens 48-stündige Ruhezeit, was auf eine 5-Tage-Woche hinausläuft.
  • Für alle Beschäftigten eine zweistufige Lohnerhöhung von 410 Euro pro Monat bei einer Laufzeit von 24-25 Monaten.

Doch weder das vorliegende Angebot der Bahn vom Januar noch der „Moderatorenvorschlag“ im Rahmen der Anfang März gescheiterten erneuten Tarifverhandlungen orientieren sich an diesen, von der GDL als „Marktreferenz“ bezeichneten Abschlüssen. Demnach soll die Laufzeit 30 Monate betragen, und die monatliche Erhöhung beliefe sich aufgrund einer anderen Berechnungsweise nur auf 383 Euro. Zwar signalisierte die Bahn, einer stufenweisen Arbeitszeitverkürzung für das Fahrpersonal von 38 auf 36 (statt 35) Stunden mit vollem Lohnausgleich zustimmen zu wollen, weigert sich aber, dies auch auf Schichtdienstbeschäftigte im Netzbetrieb und in der Instandhaltung zu übertragen.

Vor diesem Hintergrund ist kaum zu erwarten, dass die GDL bereit sein könnte, bei der Bahn wesentliche Abstriche im Vergleich zu den bereits erzielten Tarifkompromissen bei anderen Schienenverkehrsunternehmen zu machen. Warum sollte sie auch? Schließlich hat sie in den vergangenen 15 Jahren seit dem ersten großen Lokführerstreik im Winter 2007/2008 kontinuierlich belegt, dass sie über eine große Durchsetzungsmacht verfügt. Und das nicht nur bei der Bahn AG, denn in über zehn Jahre andauernden „Häuserkämpfen“ hat sie bei allen relevanten Konkurrenten auf dem liberalisierten Märkten für den Regional- und Güterverkehr ein weitgehend einheitliches Lohnniveau auf dem Niveau der Deutschen Bahn durchgesetzt, um die „Schmuddelkonkurrenz“ durch Lohndumping bei Ausschreibungen zu unterbinden. Dafür müsste die Deutsche Bahn ihr eigentlich dankbar sein, ist sie aber offensichtlich nicht.

Es geht um das Streikrecht

Doch es gibt bei diesem Tarifkonflikt noch eine andere Ebene, die wohl maßgeblich für die ausufernden Wut- und Hasstiraden gegen die GDL ist. Denn die hält sich nicht immer an die ungeschriebenen „Spielregeln“ der deutschen Tarifpolitik. Also jenes „bewährte“ Ritual mit markigen Forderungen der Gewerkschaften nebst Warnstreiks und „kämpferischen“ Demonstrationen, über „zähe“ Verhandlungen, die „fast vor dem Scheitern“ standen, bis hin zu einem – vorzugsweise mitten in der Nacht am Ende einer Marathonsitzung – erzielten „fairen Kompromiss“.

In dieser Tarifrunde bei der Bahn AG hat die GDL sehr schnell klargestellt, dass sie keinesfalls für derartige Spielchen zu haben ist. Sie hat nach ersten Warnstreiks außergewöhnlich schnell eine Urabstimmung eingeleitet und dabei im Dezember die Zustimmung von rund 97 Prozent der Mitglieder für reguläre, im Extremfall auch unbefristete Streiks erhalten. Sie hat alsbald die Forderung nach einem Schlichtungsverfahren kategorisch abgelehnt, da es beim Beharren „auf gewerkschaftliche Grundrechte nichts zu schlichten gibt“, so Weselsky. Sie hat Tarifverhandlungen mehrmals abgebrochen, wenn ersichtlich wurde, dass die Bahn AG nicht bereit ist, über ihre Kernforderungen ernsthaft zu verhandeln. Und aktuell hat sie angekündigt, ihre Streiktaktik erheblich zu verschärfen, um den Druck auf den Konzern maximal zu verstärken. Dazu gehören nur noch kurzfristig angekündigte Arbeitsniederlegungen und bei fortwährender Eskalation auch kurz hintereinander erfolgende „Wellenstreiks“ mit zunächst unbestimmtem Ende.

Das alles ist nach geltender Rechtslage nicht verboten, aber ziemlich ungewöhnlich. Und es tangiert das korporatistische Modell der „Sozialpartnerschaft“, in dem Tarifautonomie stets als Rahmen für möglichst schnelle, gütliche Einigungen verstanden wurde. Zumal – anders als etwa in Frankreich – politische Streiks, deren Ziele über unmittelbare, branchen- oder betriebsbezogene tarifliche Forderungen hinausgehen, in Deutschland verboten sind. Weitere Einschränkungen gibt es durch die „Friedenspflicht“, also ein Streikverbot während der vereinbarten Laufzeit eines Tarifvertrags.

Die GDL nutzt also lediglich die Spielräume aus, die das Streikrecht (noch) bietet, und betont stets, fest auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Es ist davon auszugehen, dass Pläne zur Verschärfung des Streikrechts unterhalb der Ebene einer Grundgesetzänderung derzeit in interessierten Kreisen heiß diskutiert werden. Zumal das Vorgehen der GDL – und das nicht erst seit heute – durchaus eine gewisse Strahlkraft auf andere Branchen hat, zumindestens an der Basis anderer Gewerkschaften. So manch Boden- oder Sicherheitsdienstmitarbeiter an den Flughäfen oder direkt bei der Lufthansa und so manch Busfahrer im öffentlichen Personennahverkehr dürfte die Geschehnisse bei der Bahn derzeit mit großem Interesse und einem gewissen Wohlwollen betrachten. Und die dort agierende DGB-Gewerkschaft ver.di lässt in diesen Bereichen – in denen ja gerade bundesweit Tarifverhandlungen laufen – eine gewisse Bereitschaft zu einer etwas härteren Gangart erkennen.

Das könnte man ein bisschen altmodisch auch Klassenkampf nennen. Auf der einen Seite abhängig Beschäftigte und ihre Gewerkschaften im Verkehrssektor, die das Zeitfenster einer (noch) relativ stabilen Arbeitsmarktlage nutzen wollen, um wenigstens Reallohnverluste der vergangenen Jahre auszugleichen, bestenfalls noch einen kleinen Zusatzschluck aus der Lohnpulle zu bekommen und vor allem auch ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Auf der anderen Seite Unternehmen, Politiker und Verbände, die plötzlich ihr Herz für die „einfachen Bürger“ entdecken und diese vor machtgeilen und maßlosen Gewerkschaften „schützen“ wollen, die ihre Mobilität einschränken. Das alles klingt jedenfalls ziemlich spannend. Und sollte den verständlichen Ärger über tageweise ausfallende Bahnen, Busse oder Flugzeuge doch mehr als nur aufwiegen.

Titelbild: Jiaye Liu/shutterstock.com

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