„Impfgeschädigte haben da den Schwarzen Peter“

„Impfgeschädigte haben da den Schwarzen Peter“

„Impfgeschädigte haben da den Schwarzen Peter“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Den sozialen Druck hätte ich vielleicht noch weiter ausgehalten, aber den existenziellen nicht“ – das sagt die Kabarettistin Christine Prayon im Interview mit den NachDenkSeiten. Sie bezieht sich dabei auf die Frage, warum sie sich der Corona-Impfung unterzogen hat. Anlass für das Interview ist ihr aktuelles Buch Abwesenheitsnotiz: Long Covid, Short Story. Im NachDenkSeiten-Interview spricht Prayon, die viele Jahre für die ZDF heute show gearbeitet hat, über den Journalismus unserer Zeit, das Thema Aufarbeitung der Corona-Politik und ihre eigene Situation als mutmaßlich Impfgeschädigte. Deutlich wird: Ökonomischer Druck führte bei Prayon dazu, sich impfen zu lassen. „Es ging einfach nicht anders, wenn ich meine laufenden Rechnungen bezahlen wollte.“ Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Marcus Klöckner: Frau Prayon, Sie haben bestimmt schon von dem von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein geprägten Spruch gehört: „Sagen, was ist.“ Das soll eine der Kernaufgaben sein von Journalisten. Sie sind keine Journalistin, dafür Kabarettistin. In einem guten Stück politischen Kabaretts: Hört dort das Publikum, „was ist“?

Christine Prayon: Ja, aber nicht in Form eines Faktenchecks. Auf der Bühne wird es meiner Meinung nach dann interessant, wenn es um gesellschaftlich relevante Wahrheiten und nicht um bloße Tatsachen geht. Oder anders gesagt: Gutes Kabarett ist für mich eher eine Kunstform, als dass es eine Art, sagen wir mal, reiner Volkshochschulvortrag wäre. Seriös recherchierte Tatsachen sind dabei von Vorteil, eine Hilfe, aber nicht Sinn oder letzter Zweck.

Natürlich ist es durch das insgesamt großartige Versagen des Journalismus als sogenannter Vierter Gewalt bisweilen auch so, dass das Kabarett diese Aufgabe quasi en passant mit übernehmen muss, wenn das notwendig sein sollte für das Verständnis von künstlerischen Inhalten auf der Bühne. Seine originäre Aufgabe aber ist es nicht. Es wäre Aufgabe eines kritischen Journalismus, die allen zugänglichen informationellen Grundlagen zu schaffen.

Das war ja übrigens in der DDR ähnlich. Auch dort übernahmen diese Funktion aufgrund des dysfunktionalen Journalismus teilweise andere Institutionen wie etwa die Theater, die Rockmusikszene oder die evangelische Kirche. Die DDR war diesbezüglich ein El Dorado der fortschrittlichen künstlerisch-politischen Subversivität – sehr interessant, und man kann eine Menge davon lernen.

Bisweilen lässt sich über den Journalismus unserer Zeit sagen: Viele Journalisten sagen nicht, „was ist“, sondern sie „sagen, was sein soll.“ Sprich: Der Journalismus scheitert oft schon an der wenigstens halbwegs sauberen Erfassung der Realität. Um mal ein Beispiel anzuführen: Gerade hat der Spiegel eine größere Geschichte zum Thema Corona-Aufarbeitung veröffentlicht. Überschrift: „Der Spaltvirus“. Was sind Ihre Gedanken, wenn Sie so eine Überschrift lesen? Hat tatsächlich das Virus die Gesellschaft „gespalten“?

Mein erster Gedanke ist: Der oder das Virus? Und mein zweiter: Divide et impera. Nicht das Virus hat die Gesellschaft gespalten, sondern es gibt aus machttechnischer Sicht ein großes Interesse daran, mittels Angst und Spaltung einen Status Quo aufrechtzuerhalten. Es soll – wieder einmal – vergessen gemacht werden, dass die eigentliche, die grundlegende gesellschaftliche Spaltung zwischen oben und unten verläuft.

Daran beteiligen sich die großen etablierten Medien – und leider auch die Öffentlich-Rechtlichen – als Teile des politisch-medialen Komplexes selbstverständlich, denn diese künstlich erzeugten Spaltungen liegen auch in ihrem Interesse – es ist sozusagen normal, „konstruktionsbedingt“. Wir leben im Kapitalismus. Der Kapitalismus benötigt im Zweifelsfall keine Demokratie, um existieren zu können. Eine herrschaftsfreie, gerechte, egalitäre, solidarische und friedfertige Gesellschaft dagegen sicherlich schon …

Eigentlich wollte ich mit Ihnen nicht über Journalismus und die Medien sprechen. Vielmehr würde ich gerne etwas von Ihnen über Ihre Rolle als Kabarettistin hören. Aber es sind eigenartige Zeiten, oder? Hängt Ihr Buch, das Sie gerade veröffentlicht haben, nicht auch irgendwie damit zusammen, auf welche Weise viele Medien heutzutage berichten?

Ja, wobei ich das so explizit nicht sage. Ich zeige auf satirische Weise, was das mit jemandem machen kann, wenn man ein bisschen zu lange ein bisschen zu viel von dem gelesen, gehört und gesehen und dann geglaubt hat, was in den letzten Jahren in den etablierten Medien vor allem zu den Themen Corona und Krieg in der Ukraine zu lesen/hören/sehen war. Ich wollte zwei Figuren aufeinandertreffen lassen: Die eine hat seit der Corona-Impfung eine Krankheit, die es offiziell nicht geben soll, die andere glaubt an die Richtigkeit und Wichtigkeit der Impfung. Die eine hat viele Fragen, die andere hält an den Antworten fest, die Spiegel, Süddeutsche und die Öffentlich-Rechtlichen ihr geben.

Ihr Buch ist auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich – und ehrlich gesagt auch auf den zweiten Blick immer noch. Meine Wahrnehmung ist: Sie haben den Erwartungshorizont, den viele Leser beim Lesen eines Buches haben dürften, „aufgebrochen“. Das ist nicht einfach mal so ein Buch, in dem man etwas blättern kann, mal ein bisschen vorne, ein bisschen in der Mitte und dann noch etwas hinten lesen kann. Wobei: Können kann man natürlich schon, aber dann entgeht einem viel. Bitte erzählen Sie uns von dem Konzept des Buches. Form und Inhalt, Inhalt und Form. Da sind E-Mails zwischen Ihnen und der Lektorin abgedruckt, da gibt es ein Vorwort, das mit handschriftlichen Vermerken und Unterstreichungen versehen ist, da sind ganze Passagen durchgestrichen und nicht zuletzt: zwei Mal ein Kapitel 1.

Ertappt. Wenn Sie zwei Mal ein Kapitel 1 gefunden haben, haben Sie das Buch auch nicht wirklich gelesen. Kapitel 1 gibt es genau zehn Mal in meinem Buch. Eigentlich gibt es NUR Kapitel 1. Weiter kommt die Kabarettistin Christine in meinem Buch nicht, da ihre Lektorin Gabi immer schon so viel an dem neuen Entwurf eines ersten Kapitels auszusetzen hat, dass ihr Vorhaben, ein Buch zu schreiben, zum Scheitern verurteilt ist.

Die Figur Christine versucht, den Vermarktungswünschen des Verlags entgegenzukommen, ohne ihren künstlerischen Anspruch zu verraten, und die Figur Gabi übt den Spagat zwischen Autorinnenpflege und Verlagsinteressen. Christine ist die mit dem Impfschaden (oder Long Covid, das weiß sie nicht so genau zu diesem Zeitpunkt). Gabi ist die am längeren Hebel. Der Rote Faden ist der E-Mail-Verkehr zwischen den beiden. Dann gibt es immer wieder Textentwürfe der Autorin, die die Lektorin handschriftlich kommentiert. Naja, und dann gibt es noch tausend andere Dinge, Telefonate, Skizzen, Suchbilder. Was so ein Buch halt ausmachen sollte, wenn es unterhaltsam sein soll.

Ist dieses „Nichtvorankommen“ im Buch ein Abbild Ihrer realen Lebenssituation im Hinblick auf die Situation mit der „Impfung“? Von Impfgeschädigten hört man immer wieder, wie sie um Anerkennung des Impfschadens kämpfen müssen, dass ihnen nicht geglaubt wird, dass es bürokratische, aber auch mentale Hürden in ihrem Umfeld gibt.

Ja, das kann man gerne so lesen. Meine Erfahrung als Impfgeschädigte ist, dass man nicht nur den gesundheitlichen Schaden hat, sowohl physisch als auch psychisch, sondern auch ständig gegen das gesellschaftliche Tabu, das mit dem Thema verbunden ist, ankämpfen muss. In seltenen Fällen trifft man auf Ärzte, die einem ganz konkret medizinisch weiterhelfen können, und in ebenso seltenen Fällen trifft man auf Menschen, die einem glauben und einen ernst nehmen.

Die „andere Seite“ hat es da auch leichter: Sie kann sich auf das berufen, was oft genug von Politik und Medien propagiert wurde, unter anderem zum Beispiel „Die Impfung ist nebenwirkungsfrei.“ Impfgeschädigte haben da den Schwarzen Peter; sie müssen sich sehr genau erklären, sie müssen sehr genau Bescheid wissen über ihre Krankheit – dabei wissen sie meist mehr als die Ärzte, denen sie gegenübersitzen –, und sie müssen bei all dem immer geduldig und verständnisvoll mit ihrem Gegenüber bleiben, damit sie nicht als Hypochonder, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker oder „Covidioten“ wahrgenommen werden.

Das „Nichtvorankommen“ im Buch könnte aber ebenso in einem anderen Kontext gelesen werden, nämlich im Zusammenhang mit der sich auch daraus ergebenden, zunehmenden Schwierigkeit, miteinander offen und ehrlich zu reden und gut zu streiten: unterschiedliche Meinungen auszuhalten; nicht in Lager einzuteilen; für möglich zu halten, dass man selbst auch falsch liegen könnte; und keine Angst haben zu müssen, für die eigenen Ansichten ausgegrenzt zu werden.

Wenn Sie mir die Frage gestatten: Aus welchen Gründen haben Sie sich der Corona-Impfung unterzogen?

Ganz einfach: Ich hätte sonst kaum weiterarbeiten können. Die Veranstalter hätten vielleicht trotz 2G noch ein Auge zugedrückt, aber die Hotels auf Tour hätten mich auf keinen Fall mehr reingelassen. Den sozialen Druck hätte ich vielleicht noch weiter ausgehalten, aber den existenziellen nicht. Die Miete war ja leider nicht im Lockdown. Ich war weder überzeugt von der Richtigkeit der Impfung noch vom damit für mein Dafürhalten fälschlich verknüpften und somit sogar pervertierten „Solidaritäts“-Gedanken. Es ging einfach nicht anders, wenn ich meine laufenden Rechnungen bezahlen wollte.

Was ist dann passiert? (Nach der Impfung …)

Wenige Tage nach der ersten Impfung hatte ich verschiedene kardiologische Probleme. Palpitationen, Herzschmerzen, Dauerunruhe, extreme Schwächegefühle – das Ganze ziemlich genau fünf Wochen lang. Dennoch ließ ich mich in dieser Zeit auch das zweite Mal impfen. Mir wurde von ärztlicher Seite aus explizit dazu geraten, und ich konnte und wollte die Symptome auch nicht ursächlich auf die Impfung zurückführen. Abgesehen davon hätte ich ja auch den für mich so wichtigen, erforderlichen Eintrag im Impfausweis nicht bekommen. Im weiteren Verlauf flackerten die Symptome dann nur hin und wieder auf.

Nachdem ich vier Monate später an Corona erkrankte, kamen sie wieder – mit neuer Heftigkeit: ein Perikarderguss wurde diagnostiziert, dazu zahlreiche wechselnde neurologische Beschwerden. Ich habe das Ganze lange für Long Covid gehalten, aber nicht ausgeschlossen, dass es auch mit der Impfung zu tun haben könnte. Nach allem, was ich jetzt weiß, was ich an Befunden habe und was mir ein Arzt – einer von diesen oben erwähnten Seltenen, der mich eingehend darauf untersuchte und testete – in einem medizinischen Gutachten dazu schrieb, ist aber mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es Post Vac, also ein Impfschaden, ist.

Was sagen Sie denjenigen, die meinen, eine Aufarbeitung der Maßnahmenpolitik sei unangebracht?

Ich denke, diesen Standpunkt vertreten vor allem die Leute, die ein großes Interesse daran haben, dass nicht mehr darüber geredet wird, was in den Pandemiejahren schiefgelaufen ist. Das sind Politiker, Wissenschaftler, Medien, Ärzte, Pharmakonzerne, die sich jetzt aus ihrer Verantwortung stehlen wollen. Vor allem, was die Berufspolitik, die Regierenden betrifft, ist das insofern nachvollziehbar, als dass jene, die den Mund seinerzeit sehr voll nahmen und heute immer noch in politischer Verantwortung stehen, zu Recht befürchten müssen, dass sie durch eine ehrliche Aufarbeitung vollkommen desavouiert werden könnten. Auch könnte dasselbe Personal dann möglicherweise nicht mehr so einfach dieselben Prinzipien einer Propaganda und Taktiken der Diffamierung bei anderen Themen wie z.B. dem Krieg in der Ukraine anwenden.

Davon abgesehen geht es aber meines Erachtens nicht darum, jetzt Schuld zu verteilen oder sich an irgendjemandem zu rächen. Ich halte es jedoch für sehr wichtig, sich all diese Fehler, Irrtümer und auch Vergehen anzuschauen, sie zu benennen und anzuerkennen. Das wäre zum einen wichtig, um daraus zu lernen und dieselben Fehler beim nächsten Mal nicht zu wiederholen. Zum anderen wäre es wichtig, um den Menschen, die die Leidtragenden dieser Zeit waren – und dazu zähle ich nicht nur die Impfgeschädigten, sondern auch die, die diffamiert und ausgegrenzt wurden, nicht geimpfte Menschen zum Beispiel, aber eigentlich fast alle –, etwas zurückzugeben, etwas wiedergutzumachen. Da muss etwas wiederhergestellt werden, nicht zuletzt um diese künstliche, mutmaßlich gewollte Spaltung, die auch in diesem Bereich stattgefunden hat, wenigstens teilweise zu reparieren.

Und wenn ich mir noch etwas wünschen dürfte, wäre ich sehr froh, wenn es endlich einmal eine deutlich vernehmbare, konsequent linke, antikapitalistische und antifaschistische Kritik an der Corona-Politik geben würde und die entsprechenden politischen Kräfte, die ja zum Teil auch in den Parlamenten sitzen, dies nicht immer alles hauptsächlich der AfD und der FDP überließen.

Titelbild: © Wilhelm Betz

Christine Prayon: Abwesenheitsnotiz: Long Covid, Short Story. Westend. 12. Februar 2024. 129 Seiten. 18 Euro.