Guérot-Prozess – „Die politische Dimension ist fast überall und zunehmend erdrückend zu spüren“

Guérot-Prozess – „Die politische Dimension ist fast überall und zunehmend erdrückend zu spüren“

Guérot-Prozess – „Die politische Dimension ist fast überall und zunehmend erdrückend zu spüren“

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Der Anwalt von Ulrike Guérot äußert sich im NachDenkSeiten-Interview zu dem Ausgang des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht zwischen der Professorin und ihrem Arbeitgeber, der Universität Bonn. Tobias Gall, der rund 30 Jahre als Arbeitsrechtler tätig ist, erhebt schwere Vorwürfe gegenüber dem Gericht und der Universität Bonn. Die Universität habe, so Gall, „derart maßlos Vorwürfe zusammengetragen und bewertet, dass sie nicht mehr zum Boden der Tatsachen zurückkehren konnte“. Und das Gericht? Die Rechtslage sei dort ins Gegenteil verkehrt worden. Das Gericht hatte die Kündigung gegen Guérot als rechtmäßig eingestuft. Gall hat Berufung angekündigt. Der Anwalt sagt im Interview, er sei von einer „hohen interessengeleiteten Aufladung“ des Falls ausgegangen. Die Entscheidung des Gerichts habe ihn dennoch erstaunt. Von Marcus Klöckner.

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Herr Gall, Sie vertreten Ulrike Guérot im Hinblick auf die Kündigung der Uni Bonn. Das Gericht hat entschieden, die Kündigung sei rechtens. Haben Sie mit diesem Ausgang gerechnet?

Nein, das war ausnahmsweise mal wirklich überraschend für mich, wenn ich auch während der letzten vier Jahre in der Rechtsstaatskrise unglaubliche Erfahrungen gemacht und mir eine hohe Frustrationstoleranz angeeignet habe. Als Rechtsanwalt ist man ohnehin immer gut beraten, sich weder eine allzu eindeutige Prognose der gerichtlichen Entscheidung zu eigen zu machen noch den Mandanten in Siegesgewissheit oder Pessimismus zu wiegen. Das folgt allein schon aus dem Umstand, dass man ja selbst eine rechtliche Position formuliert hat und dementsprechend auch anstrebt. Man muss darum wiederholt gegen den Strich denken und auch alle möglichen Gegenpositionen immer wieder auf ihr Potential abklopfen. Dennoch bleibt stets eine Restgefahr, dass man gegenläufige Betrachtungswinkel unterbewertet.

Hier war es aber anders: Vor mir haben schon zwei sehr fähige Rechtsanwälte die Rechtsauffassungen mitformuliert und auch auf hohem Niveau durchdacht. Und die waren alle zur Überzeugung gelangt, dass die Rechtslage völlig eindeutig ist. Auf gleich mehreren Argumentationsebenen sprach alles für eine unwirksame Kündigung. Auch wenn ich von einer hohen interessengeleiteten Aufladung des Falles ausging, kam ich zu dem Schluss, es könne hier nicht gelingen die Rechtslage in ihr Gegenteil zu verkehren. Vom Urteil war ich daher erstaunt und komme immer noch nicht aus dem Kopfschütteln heraus.

Bitte erläutern Sie doch einmal näher, was bei dieser Gerichtsentscheidung aus Ihrer Sicht nicht stimmt?

Die Universität Bonn hat das Arbeitsverhältnis von Prof. Guérot gekündigt. Ab zehn Beschäftigten ist eine Kündigung nur wirksam, wenn Kündigungsgründe vorliegen, die es dem Arbeitgeber unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis in Zukunft fortzusetzen. Zu diesen Gründen gehört eine sogenannte verhaltensbedingte Kündigung, auf die sich die Universität auch nur berufen hat. Dabei muss es im Arbeitsverhältnis zu Pflichtverletzungen gekommen sein, die die Prognose weiterer Pflichtverletzungen in der Zukunft rechtfertigen.

Als Pflichtverletzungen hat die Universität Zitationsfehler in drei Büchern von Prof. Guérot angesehen, die so schwerwiegend seien, dass sie ein vorsätzliches (oder zumindest grob fahrlässiges) Sich-zu-eigen-Machen fremder wissenschaftlicher Leistung darstellten, was nach den Regeln der Universität arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnte, wenn in diesem Sinne „wissenschaftliches Fehlverhalten“ nachgewiesen wurde.

Waren denn die von der Universität beanstandeten Stellen so schwerwiegend?

Alle Zitationsfehler in den drei Büchern zusammengenommen würden selbst in einer Dissertation keinen Plagiatsverdacht begründen. Zudem handelt es sich bei allen drei Büchern nicht um wissenschaftliche Werke, sondern sicher um essayistische Texte, die nach den Regeln der Universität gerade keinen Verdacht eines wissenschaftlichen Fehlverhaltens begründen.

Zu alldem kommt aber noch hinzu, dass nur eines der drei Bücher während des Vertrages mit der Universität entstanden ist (‚Wer schweigt, stimmt zu – Über den Zustand unserer Zeit. Und darüber, wie wir leben wollen‘).

Der Titel klingt nicht nach einem wissenschaftlichen Buch.

Im Gegenteil. Der Titel macht unmissverständlich deutlich, dass es sich nicht um eine wissenschaftliche Untersuchung handelt, sondern um ein sozialphilosophisches Essay. Dieses Buch war einerseits eine private Publikation und andererseits enthielt es nur ganz wenige kleinere Fehler, die sicher keine Plagiate darstellten. Das hat auch das Arbeitsgericht so gesehen und entsprechend früh im Kammertermin ausgeschlossen, dass dieses Buch zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogen werden könne.

Was blieb dann noch übrig?

Das einzige Buch, in dem zweimal der Autor einer zitierten Textpassage versehentlich unerwähnt blieb, war aber nun ein Buch, das 2016, also lange vor der Berufung von Prof. Guérot, geschrieben und veröffentlicht wurde – eines ihrer wirkmächtigsten und erfolgreichsten Werke: ‚Warum Europa eine Republik werden muss. Eine politische Utopie‘ (wiederum mit einem nicht gerade wissenschaftlich anmutenden Titel). Wie konnte also ein Jahre zuvor veröffentlichtes Buch eine Verletzung der Vertragspflichten zur Universität Bonn darstellen, die erst ab September 2021 bestanden? Weshalb glaubt sich die Universität Bonn Anfang 2023 als Richter über Zitationsfehler eines sieben Jahre alten Buches aufschwingen zu dürfen und dabei auch noch ihre internen wissenschaftlichen Regeln zugrunde zu legen? Der Gipfel des Befremdlichen kommt aber noch.

Nämlich?

Der Richter am Arbeitsgericht Dr. Krämer sieht offenbar die zur Kündigung berechtigende Pflichtverletzung in einer Täuschung begründet – so jedenfalls seine bisher nur kurz mündlich vorgetragene Urteilsbegründung, die inhaltlich für mich schlicht nicht nachvollziehbar war. Prof. Guérot habe nämlich mit der Auflistung auch dieses Werkes vorgetäuscht, dass es nach wissenschaftlichen Regeln formuliert und eine „habilitationsgleiche Leistung“ darstelle sowie keinerlei Plagiate enthalte. Da darf man gespannt sein, wie der Richter das genau begründet.

Nachvollziehen kann ich das aber definitiv nicht: Prof. Guérot hatte nämlich nur in einer E-Mail berichtet, ihr „in populärwissenschaftlicher Sprache“ formuliertes Buch sei von der Donau-Universität Krems als habilitationsgleich anerkannt worden. Vor allem aber hat die Universität Bonn das Buch anschließend selbst genauestens durch ihre Berufungskommission und drei externe Fachgutachter auf die sogenannte Habilitationsäquivalenz geprüft und entsprechend bewertet. Sie hat sich also offenbar zumindest nicht täuschen lassen. Weder eine Vertragspflichtverletzung ist insofern erkennbar noch gar eine Täuschung durch die kurz darauf mittels eines sorgfältigen Berufungsverfahrens berufene Prof. Guérot.

Sehen Sie weitere Schwachstellen?

Ehrlich gesagt, sehe ich noch viele weitere Fehler der Universität vor der Kündigung, die jeder für sich allein zur Unwirksamkeit der Kündigung geführt haben dürften. Ein Fehler überragt die anderen aber deutlich: Ich hatte ja schon erläutert, dass zur Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung eine negative Prognose für weitere Pflichtverletzungen erforderlich ist. Keine Pflichtverletzung kann eine Kündigung als Strafe rechtfertigen, sondern allenfalls einen Anhaltspunkt dafür bilden, dass mit zukünftigen vergleichbaren Pflichtverletzungen zu rechnen ist.

Selbst wenn wir eine Pflichtverletzung einmal unterstellen, warum sollte mit einer Wiederholung zu rechnen sein? Während der Vertragslaufzeit war ja keine Pflichtverletzung vorgekommen. Eine negative Prognose könnte nur begründet werden, wenn die Arbeitnehmerin schon einmal abgemahnt worden war und anschließend wieder eine Pflichtverletzung vorgekommen ist. Dann könnte der Arbeitgeber argumentieren, seht her, liebes Arbeitsgericht, wir haben mit einer Kündigungsandrohung versucht, auf die Klägerin einzuwirken, sie möge ihr Verhalten ändern. Aber das hat nichts bewirkt, sie hat es wieder getan. Ohne Abmahnung sind nach der Rechtsprechung nur schwerste Pflichtverletzungen geeignet, das Vertrauen in eine vertragsgerechte Fortsetzung derart zu beseitigen, dass eine sofortige Kündigung wirksam sein kann. Prof. Guérot ist aber weder abgemahnt noch auch nur ermahnt worden. Allein deswegen muss die Kündigung unwirksam sein.

Wie war denn die Situation im Gerichtssaal? Wie hat sich das Gericht verhalten?

Am kleinen Arbeitsgericht Bonn herrschte große Aufregung wegen des „prominenten“ Kündigungsschutzprozesses, der Saal war voll mit am Ausgang des skandalösen Prozesses interessierten Zuschauern und Pressevertretern/Fotografen, und auch dem Richter Dr. Krämer war eine gewisse Nervosität anzusehen. Dennoch war er erfahren genug, um gefasst durch die Verhandlung zu führen. Zumindest mir fiel jedoch auf, dass er einen klaren argumentativen Fahrplan für den Fall, dass sich die Parteien nicht einigen würden, vor Augen hatte. Er hat zur Einführung in den Sach- und Streitstand vor allem auch der ehrenamtlichen Richter relativ strukturiert einige der von mir schon genannten Kernprobleme angesprochen – verhaltensbedingte Kündigung, Pflichtenmaßstab, vorvertragliche Bücher, behauptete Täuschung und fehlende Abmahnung – wobei es zur „Kunst“ der Verhandlungsführung im Kammertermin eines Kündigungsschutzprozesses gehört, beide Prozessparteien im Unsicheren darüber zu lassen, wie ein mögliches Urteil ausfällt. Den Parteien soll eine Einigung, ein Kompromiss weiter attraktiv erscheinen, weil sie ja beide auch noch verlieren könnten.

Entsprechend hat sich der Richter bis zuletzt bemüht, neutral und noch unentschieden zu wirken, was er vor einer abschließenden Beratung mit den ehrenamtlichen Richtern auch zu tun verpflichtet ist. Nachdem sich die Parteien mit ihren Anwälten zweimal zu Beratungen zurückgezogen hatten und dennoch keine Einigung erzielt werden konnte, ging es aber dann ganz schnell. Die mündliche Begründung des klageabweisenden Urteils fiel dann aber so entschieden und auch einseitig aus, dass schon sehr der Eindruck entstehen musste, das Gericht bzw. vor allem natürlich der Berufsrichter Dr. Krämer war nur auf diesen Prozessausgang nach über einjähriger Verfahrensdauer vorbereitet.

Können Sie sich erklären, wie das Gericht zu seiner Entscheidung gekommen ist? Was sind die juristischen Grundlagen?

Für die ehrenamtlichen Richter kann man sich durchaus vorstellen, weshalb sie gegen Prof. Guérot eingenommen waren: Meine Mandantin ist eine prominente Professorin und erfolgreiche Buchautorin. Sie ist aus vielen Fernsehauftritten bekannt.

Mit einem Mal gilt diese Frau als „umstritten“. Plötzlich listet die örtliche Universität auf hunderten von Seiten Prozessvortrag schwerste Vorwürfe wegen Plagiaten auf. Von Politikern wissen wir: Wenn solche Vorwürfe im Raum stehen, gilt das direkt als schwer verwerflich. Konnten die ehrenamtlichen Richter von einer derart aufgeladenen Situation unbefangen mit dem Fall umgehen? Die Gerichtshöfe der Moral kennen jedenfalls keine Prozessordnung.

Aber Vorverurteilungen dürfen beim Arbeitsgericht keine Rolle spielen. Und sie spielen es in der Regel schon deshalb nicht, weil dort ganz normale Leute über Vorgänge miteinander streiten, die einem nicht fremd sind und bezüglich derer man die immer erforderlichen Wertungen aus eigener Anschauung vornehmen kann.

Es gibt aber doch auch den Berufsrichter. Der verfügt doch über das notwendige juristische Wissen.

Und der Berufsrichter muss in der Beratung nicht nur informieren, sondern auch die juristischen Grundlagen letztlich auch allein daraufhin beurteilen, ob sie das Ergebnis tragen können.

Und wie war das hier?

Das ist hier nach meiner Auffassung in besonders hohem Maße nicht der Fall gewesen. Meine knapp dreißigjährige Erfahrung als Arbeitsrechtler sagt mir ganz eindeutig, die Voraussetzungen einer verhaltensbedingten Kündigung von Prof. Guérot lagen sicher nicht vor. Ihr wurden wissenschaftliche Pflichtverletzungen von hohem Ausmaß mit einer Begründung vorgeworfen, die die dadurch veranlasste Rufschädigung nicht im Entferntesten tragen konnten. Die Universität hat derart maßlos Vorwürfe zusammengetragen und bewertet, dass sie nicht mehr zum Boden der Tatsachen zurückkehren konnte.

Die Rufschädigung von Prof. Guérot ist gewissermaßen Geschichte, aber durch ein Urteil zu Lasten der Universität wäre vor allem auch der wissenschaftliche Ruf der Universität schwer beschädigt worden. Dass der Richter am Arbeitsgericht Dr. Krämer nicht die Kraft, Souveränität und Unabhängigkeit gefunden hat, die offenkundige Rechtslage zu Lasten der örtlichen Universität festzustellen, ist alles andere als ein Ruhmesblatt. Aber es verrät viel über die Lage an den Universitäten und den Gerichten.

Wie hätte Ihrer Ansicht nach das Verfahren ausgehen müssen?

Zur Wiederherstellung der Reputation meiner Mandantin wäre eigentlich nur eine gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung und damit ihre Rückkehr an die Universität angemessen gewesen. Das hätte übrigens nicht einmal durch ein Urteil erfolgen müssen.

Sondern?

Die Parteien hätten sich auch darauf einigen können, die Einschätzungen und Bewertungen von damals nach einer ausführlichen prozessualen Erörterung so nicht mehr teilen zu wollen. Dann hätten die beiden Parteien zum Ausdruck bringen können, dass im Interesse aller Beteiligten und vor allem auch im Sinne der gesellschaftlichen Bedeutung von Wissenschaft in unserer Zeit eine Fortsetzung des Wirkens von Prof. Guérot an der Universität Bonn einvernehmlich gewünscht wird.

Wir haben jedoch auch andere, in gewissem Maße nachvollziehbare Interessen der Universitätsleitung an einer Gesichtswahrung eindringlich in Erwägung gezogen. Hätte dies auch für die Gegenseite in dem Sinne gegolten, dass man alles Notwendige zur Beseitigung der Rufschädigung meiner Mandantin tun wolle, so wäre auch beim Kammertermin im April 2024 eine Einigung von uns ermöglicht worden, weil wir in den wirtschaftlichen Fragen nicht so weit voneinander entfernt waren. Jedenfalls wäre eine einvernehmliche Regelung gerade in diesem Fall für alle Beteiligten interessengerechter gewesen, als den Entscheidungsprozess durch dieses – ich nenne es ganz bewusst so – Fehlurteil ebenso in die Länge zu ziehen, wie das Ausmaß der beiderseitigen Rufschädigung noch auszuweiten.

Was bedeutet der Ausgang? Sie geben sich mit dem Ausgang nicht zufrieden, oder?

Wie gesagt, der Ausgang durch dieses Urteil verstärkt vor allem die Rufschädigung der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Anstatt mit einer vielleicht auch schmerzhaften Einigung den Blick nach vorn zu richten und im Übrigen auch zu erkennen, dass ihr zur Berufung von Prof. Guérot geführt habender guter Ruf einer wirkmächtigen und europaweit wahrgenommenen überaus klugen Stimme sicher als Schmuck der wissenschaftlichen Reputation der Fakultät wirken würde, will man sich lieber noch ein paar Jahre streiten und es riskieren, dass ein höheres Gericht die Kündigung für rechtswidrig und unwirksam erklärt. Für mich ist das nicht nachvollziehbar.

Zu unserem Vorgehen: Wir haben schon mit der Klageerhebung bekundet, dass diese Kündigung aus vielerlei Gründen inakzeptabel und die damit einhergehende (und auch beabsichtigte) Rufschädigung nicht hinnehmbar ist. Wenn die Gegenseite auf einem streitigen Urteil besteht und das Gericht mit nicht überzeugenden Gründen die Rufschädigung meiner Mandantin noch zu vertiefen in Kauf nimmt, so können wir nur dagegen in Berufung gehen. Wir bleiben jedoch weiter offen für Gespräche, die auf eine beiderseitige bessere Lösung gerichtet sind.

Für wie realistisch halten Sie in der höheren Instanz eine Entscheidung zu Gunsten von Frau Guérot?

Da komme ich wieder auf mein Ausgangsstatement zurück: Betrachtet man den sogenannten Streitstoff aus allen denkbaren Perspektiven und berücksichtigt man sowohl die unendlich sorgfältig ausdifferenzierten Strukturprinzipien des Kündigungsschutzes als auch die jahrzehntelange Fortentwicklung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, so vermag ich mir nicht vorzustellen, dass das Landesarbeitsgericht Köln zu einer anderen Beurteilung kommt als die Arbeitsrechtsexperten, die die Rechtslage für die Klägerin eingeschätzt haben – und das waren wirklich einige! Zumal dabei eben ein hoher Sorgfaltsmaßstab zur Anwendung kam, weil alle Beteiligten Prof. Guérot vor einer weiteren Beeinträchtigung ihres eigentlich glänzenden Rufs bewahren wollten.

Ich will es im Übrigen mal so sagen: Mein Vertrauen in eine unabhängige Rechtsprechung, die gerade auch im Bereich der Arbeitsgerichtsbarkeit von einer hohen fachlichen Qualität geprägt war, hat durch die teilweise befremdliche Corona-Rechtsprechung noch nicht in so hohem Ausmaße gelitten, dass ich mir ein weiteres Fehlurteil im Berufungsverfahren vorzustellen vermag. Ich halte deshalb eine Entscheidung zu Gunsten meiner Mandantin für ausgesprochen realistisch. Jedenfalls vor Gericht sind wir eben immer noch nicht nur in Gottes Hand, sondern können uns hoffentlich noch immer vertrauensvoll in die dortigen Hände der kritischen Rationalität begeben.

Wie bewerten Sie das Verhalten der Uni Bonn als Arbeitgeber von Frau Guérot?

Das Vertragsgefüge eines Arbeitsverhältnisses geht von wechselseitigen Rücksichtnahmepflichten aus, die beim Arbeitgeber auch Fürsorgepflichten genannt werden, was allerdings bei einer Universität etwas paternalistisch klingt. Diese Pflichten wurden ganz sicher nicht in ausreichendem Maße von der Universität Bonn beachtet. Selbst wenn man den Auftakt des Streits ausblendet, wo sich die Universität veranlasst sah, eine von Friedensbemühen gezeichnete politische Äußerung meiner Mandantin zum Ukraine-Krieg scharf zu verurteilen: Ich vermisse auf die von außen an die Universität herangetragenen sogenannten Plagiatsvorwürfe eine von Rücksichtnahme und Fürsorge geprägte Reaktion.

Wie hat die Uni stattdessen gehandelt?

Die Universität ist den scharfen öffentlichen Vorverurteilungen in keiner Weise entgegengetreten, sie hat sich ihnen in nicht sachgerechter Weise angeschlossen und sich dann zu einer völlig unangemessenen Kündigung entschlossen. Wer auch immer dort die wesentlichen Entscheidungen letztlich getroffen hat, sie waren zumindest kündigungsschutzrechtlich wenig informiert. Es blieb vor allem ein ganz wesentlicher Aspekt nach meinem Dafürhalten völlig unterbelichtet.

Welcher?

Es sind nicht etwa in erster Linie die Universitäten die Grundrechtsträger der Wissenschaftsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG. Es sind vielmehr die Personen, die wissenschaftlich tätig werden oder werden wollen.

Was meinen Sie damit?

Die Universitäten sind demnach Horte der Wissenschaftsfreiheit und nicht staatliche Einrichtungen zur Sanktionierung einer formalen wissenschaftlichen Methodenlehre. Die Wissenschaftsfreiheit ist schrankenlos gewährleistet, d.h. nur gleichwertig grundrechtlich geschützte Interessen können mit ihr in Ausgleich gebracht werden. Derartige Rechtsverletzungen stehen hier aber nicht im Streit. Vielmehr verstärkt sich der Eindruck, dass vor allem Missverständnisse vom Schutz der Grundrechte von Prof. Guérot und von der verfassungsrechtlichen Bedeutung der staatlichen Neutralitätspflicht Leitlinie für die (mangelnde) Erfüllung von Rücksichtnahmepflichten geworden sind, die weit über diesen Fall hinausgehend den Ruf der Universitäten zunehmend beschädigen.

Sehen Sie im Hinblick auf das Verfahren auch eine politische Dimension, die da reinspielt? Sprich: Halten Sie einen politischen Einfluss für möglich?

Eine ähnlich komplexe Frage stellte Gretchen einst dem Faust, hätte ich fast gesagt, wenn ich Sie, lieber Herr Klöckner, nicht für so ziemlich das Gegenteil vom Gretchen in Sachen weltanschaulicher Naivität halten würde.

Einen politischen Einfluss erkenne ich immer weniger in dieser Zeit, eine politische Dimension ist jedoch fast überall und zunehmend erdrückend zu spüren. Es muss aber kein Einfluss mehr ausgeübt werden, sondern die politische Dimension wirkt zunehmend und in einem unterschiedlichen Ausmaß des Bewussten in allen öffentlich wirksam handelnden Beteiligten. Und erdrückend oder häufig schon fast erstickend wirkt das Politische deshalb, weil es meist nicht mehr sachliche oder fachliche Interessen von Beteiligten an den öffentlichen Angelegenheiten zum Gegenstand der Erörterungen hat, sondern nur noch in pseudomoralischen wechselseitigen Bestätigungen gefangen ist.

Zuerst erfolgt eine Einsortierung der Person in ein Gut-Böse-Raster, um das eigentliche Thema erörtern zu können. Dieser Diskurs fällt dann aber meist aus, weil die inhaltlichen Positionen der schon aussortierten Personen nicht mehr moralkonform gehört werden können. Der Diskurs braucht deshalb nur noch eine logische Sekunde meist in irgendeiner Redaktionsstube, in der das Urteil über die Gesinnung der Diskursteilnehmer festgelegt wird. Statt über das Thema wird dann nur noch von dem moralischen Urteil berichtet. Die älteste Vokabel, die die Verurteilung signalisiert, lautet „umstritten“, und wer sich der Verurteilung nicht sogleich anschließt, den ereilt die gleiche Beurteilung zumindest dann, wenn er nicht selbst zu den Gesalbten gehört, die selbst moralische Urteile fällen können. Wer sich aber anschließt, dem bleibt vorerst eine Gesinnungsprüfung erspart und: er gehört weiter dazu.

Von manchen werden diese Diskursregeln als erdrückend empfunden. Viele oder vielleicht sogar die meisten haben Instinkte entwickelt, wie sie die richtige Haltung intuitiv erkennen und sogleich als ihre eigene Auffassung entdecken. Es werden zwar immer mehr, die diese dem postmodernen Denken entstammenden geistigen Mechanismen als Tribalismus empfinden, aber diese Dimension des Politischen wird uns wohl noch eine Zeit lang lähmen.

Warum haben Sie den Fall angenommen?

Wie könnte ich ihn nicht angenommen haben? Als ich Professorin Guérot fachlich empfohlen und bei mir vorgefühlt wurde, ob ich das übernehmen könne, habe ich keine Sekunde gezögert. Sie ist für mich eine Art Säulenheilige der offenen Gesellschaft und einer erfrischenden Streitkultur, die – so habe ich das zumindest bisher empfunden – niemals paradigmatische Werturteile ad hominem treffen würde.

Ich habe gelegentlich das Gefühl, dass ich aus metapolitisch anderen Richtungen komme, aber sie unbedingt daran interessiert ist, sich auch mit diesen Ansichten auseinanderzusetzen. Man spürt stets ihr Bedürfnis an der Fortentwicklung ihrer eigenen Position, gleich ob im Sinne einer Schärfung oder Veränderung. Wenn der öffentliche Diskurs von solchen Denkern etwas mehr geprägt wäre, dann könnten die Gesalbten des politischen Moralismus einpacken. Und wir kämen wieder voran. Wie also könnte ich die Möglichkeit, zur Entfesselung dieser Entwicklung eine Kleinigkeit beizutragen, nicht annehmen?

Titelbild: Gorodenkoff / Shutterstock

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