Habecks energiepolitische „Lösung aller Probleme“ … was redet der Mann da?

Habecks energiepolitische „Lösung aller Probleme“ … was redet der Mann da?

Habecks energiepolitische „Lösung aller Probleme“ … was redet der Mann da?

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Nachdem wir Robert Habecks Krönungsmesse bereits gestern feuilletonistisch gewürdigt haben, möchten wir doch noch einmal einen inhaltlichen Punkt seiner Parteitagsrede aufgreifen. Es geht um Gaslieferungen. Genauer gesagt die Pipeline „Baltic Pipe“, die von Habeck nun im Nachhinein als „Lösung aller Probleme“ angepriesen wird. Dass die Große Koalition auf einen Anschluss an diese Leitung verzichtet hat, sei – so Habeck – „die Ursache der Wirtschaftskrise der letzten Jahre“. Das ist derartiger Blödsinn, dass man es wirklich nicht unkommentiert stehenlassen kann. Und dieser Mann will tatsächlich Kanzler werden? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Als ich folgende Passage (ab 18:30 im Video) hörte, fiel mir tatsächlich die Kinnlade herunter. Aber hören und sehen Sie selbst …

„Im Spätsommer 22 wurde in Polen eine Gasleitung angeschlossen. Baltic Pipe heißt die. Sie kommt aus Norwegen, geht durch Dänemark durch quer durch die Ostsee. Es sind nur wenige Kilometer zwischen Polen und Deutschland, wo die Gaspipeline nach Polen kommt, und nach Deutschland kommt. [Im Publikum nickt Annalena Baerbock wissend] Es wäre ein Klacks gewesen, eine Leitung zu bauen, die vielleicht 20, 30, 40 Kilometer überbrückt, um die drohende Gasmangellage abzuwenden. Und als ich davon hörte, dachte ich, dass ist die Lösung all unserer Probleme! Wir brauchen weniger LNG-Terminals. Ich ruf da mal an und frag, ob die das nicht machen. Und was habe ich zu hören bekommen? Robert, Du bist zu spät. Wir haben Euch angefleht, dass Deutschland sich anschließt, dass Deutschland sich diversifiziert an diese Pipelines. Dass ihr nicht abhängig seid von Russland. Wir haben das vorgetragen noch und nöcher. Ihr wolltet es nicht. Die Große Koalition wollte es nicht. Nun ist die Pipeline zu klein auch noch für Deutschland. Was ich sagen will: Wie viele Unternehmen hätten günstige Gaspreise bekommen, hätten wir diese Pipeline gehabt? Wie viele Verbraucherinnen und Verbraucher hätten keine schlaflosen Nächte gehabt, hätten wir diese Pipeline gehabt? [lächelnder Applaus von Annalena Baerbock] Diese Pipeline ist nicht gebaut worden, weil Union und SPD sie nicht bauen wollten! Das ist die Ursache der Wirtschaftskrise der letzten Jahre! Die Große Koalition hat uns wissentlich und willentlich in diese Abhängigkeit getrieben!“

Zugegeben; wenn man – wie vielleicht Annalena Baerbock – sich in seinem Leben wirklich noch nie mit dem Thema „Deutschlands Energieversorgung“ beschäftigt hat und ein Fan der Grünen ist, könnte man ein paar Sekunden versucht sein, Habecks Geschichte zu glauben. Das wäre jedoch ein Fehler, wie bereits ein kleiner Faktencheck zeigt.

Eigentlich reicht bereits ein Blick auf die Pipelinekarte des europäischen Gasversorgernetzwerks ENTSOG, um Habecks Aussagen ad absurdum zu führen.

Anmerkung: Die relevanten Pipelines Baltic Pipe und Europipe II sind in diesem Bild zum besseren Verständnis rot markiert

Man sieht sofort, Baltic Pipe beginnt nicht – wie von Robert Habeck behauptet – in Norwegen, sondern ist eine Abzweigung der bereits seit 1999 bestehenden Pipeline Europipe II, die wiederum Teil des noch älteren Transportsystems zusammen mit Europipe I und Norpipe ist, die Deutschland seit den 1990ern mit Erdgas vom norwegischen Kontinentalshelf versorgen, auf dem alleine der Marktführer Equinor 80 Förderplattformen betreibt. Das Pipelinesystem endet in Niedersachsen im gigantischen Cluster aus Übergabestationen bei Dornum und Emden, die mit fast 2.200 GWh zusammen eine Kapazität haben, die noch über die von Nord Stream I und II und die des über ukrainisches Gebiet verlaufende Transgas-Pipelinesystems hinausgeht. Baltic Pipe zweigt einen kleinen Teil dieser Kapazität mitten in der Nordsee von der Europipe II ab und transportiert sie über dänisches Gebiet und eine kürzere Ostseepipeline nach Polen.

Oder um es noch einfacher zu sagen: Gas, das normalerweise über Europipe II direkt von Norwegen nach Deutschland transportiert wird, wird nun über dänisches Staatsgebiet nach Polen transportiert. Würde Deutschland, wie Habeck dies laut andenkt, „vielleicht 20, 30, 40 Kilometer überbrück[en]“, würde es dadurch kein Jota mehr Gas bekommen. Was sich ändern würde: Für jede noch so kleine Menge, die nun nicht direkt über Europipe II, sondern über den Umweg Baltic Pipe geliefert würde, würden happige Transitgebühren anfallen. Das ist ja auch der Grund, warum Dänemark die Baltic Pipe gegen alle ökologischen Bedenken und Proteste im Eiltempo gebaut hat.

Das Motiv der Dänen ist also klar. Es geht um Geld, viel Geld. Dänemark hat mit Polen einen Rahmenvertrag aufgesetzt, der die Polen (Take-or-Pay-Vertrag) bis 2037 verpflichtet, mehr als 80 Prozent der technisch maximalen Liefermenge abzunehmen. Polen verspricht sich dadurch übrigens selbst ein lukratives Geschäft, da es sich als Gashub für Südosteuropa – vor allem für die Ukraine – positionieren will. Das Kalkül: Wenn Russland diese Länder durch die vor allem von Polen vorangetriebenen Sanktionen nicht mehr beliefern darf, kann Polen einspringen und sowohl das teure LNG-Gas, das über das neugebaute gigantische Terminal Swinemünde importiert wird, als auch über norwegisches Gas, das man über Baltic Pipe importiert, anbieten. Bei dem ganzen Geschäft geht es nicht um Freiheit oder Unabhängigkeit von russischen Lieferungen, sondern um ein angestrebtes Liefermonopol Polens, das übrigens auch zulasten Deutschlands geht, das die über Baltic Pipe nun abgezweigten norwegischen Kapazitäten sonst auch direkt über das etablierte Verbundnetz im Rückwärtsbetrieb nach Südosteuropa verkaufen könnte.

Dass unser Wirtschaftsminister, in dessen Fachgebiet die Energieversorgung fällt, das nicht versteht, ist wirklich dramatisch. Dass er fernab jeder Realität nun auch noch dumme Geschichten über „die Lösung all unserer Probleme“ erzählt, die in einem Anschluss Deutschlands an das Baltic-Pipe-System bestehen soll, lässt den Beobachter wirklich fassungslos zurück und man ringt mit rechtssicheren Formulierungen, die man dann aber doch wieder verwirft, da wir ja spendenfinanziert sind und mit unserem knappen Budget Besseres zu tun haben, als Anwälte zu bezahlen.

Beinahe noch fassungsloser ist man, wenn man hört, dass Robert Habeck angeblich bei den Baltic-Pipe-Betreibern in Dänemark oder Polen angerufen haben will und ein „Robert, Du bist zu spät“ als Antwort bekommen haben will. Dazu muss man wissen, dass das alles vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine noch ganz anders klang. Von einer deutschen Beteiligung an Baltic Pipe war damals selbstverständlich nie die Rede gewesen. Es war schließlich kein Geheimnis, dass diese Pipeline eine ökonomische Narretei ist. Die Grünen waren damals übrigens auch klar gegen diese Pipeline – jedoch nicht aus ökonomischen, sondern aus ökologischen Gründen, wollte man damals doch komplett weg von fossilen Energieträgern.

Wenn Robert Habeck nun also poltert, „Wie viele Unternehmen hätten günstige Gaspreise bekommen, hätten wir diese Pipeline gehabt? Wie viele Verbraucherinnen und Verbraucher hätten keine schlaflosen Nächte gehabt, hätten wir diese Pipeline gehabt?“, ist dies nicht nur sachlich kompletter Unsinn, da diese (sic!) Pipeline die Preise – wenn überhaupt – nur in die Höhe getrieben hätte, sondern auch unehrlich, gehörten die Grünen doch zu den treibenden Gegnern sämtlicher Pipelineprojekte.

Und wenn er sagt, „Diese Pipeline ist nicht gebaut worden, weil Union und SPD sie nicht bauen wollten! Das ist die Ursache der Wirtschaftskrise der letzten Jahre!“, so ist dies einfach nur schäbig und zudem inhaltlich vollkommen hanebüchen. Warum sollte Deutschland die Europipe-Lieferungen über eine neue, für Deutschland völlig unnötige Pipeline über Dänemark an die deutsche Ostseeküste umlenken? Deutschland verfügt schon lange über ein Verbundnetz, mit dem es die norwegischen Importe auch so überallhin transportieren kann. Weiß der Mann es nicht besser? Dann wäre er wohl der inkompetenteste Wirtschaftsminister, den die Welt je gesehen hätte. Oder weiß er es besser und macht billigen Wahlkampf? Dann wäre er ein gnadenloser Populist, der mit politischen Lügen arbeitet. Suchen Sie es sich aus. Tertium non datur.

Zum Abschluss könnte man aber durchaus noch zwei Aspekte aufgreifen, die sich an das Thema tatsächlich inhaltlich anschließen. Zum einen ist die Frage, ob man die norwegischen Gaslieferungen in der jüngeren Vergangenheit hätte steigern und damit den Markt sättigen können, ja durchaus legitim. Die Antwort darauf lautet: Im Prinzip wäre dies möglich, der Flaschenhals ist dabei aber nicht das Pipelinesystem, sondern die norwegische Förderung. Investitionen wurden aus verschiedenen Gründen, die von Klimaschutz bis hin zum Preisdruck durch preiswerte russische Lieferungen reichten, in den letzten Jahren vernachlässigt. In den nächsten Jahren soll sie jedoch um jährlich 7,5 Prozent steigen. Mittelfristig haben die vorhandenen Pipelines noch genügend freie Kapazitäten, um die Lieferungen zu steigern. Während des Höhepunkts der deutschen Gaskrise sah dies ganz anders aus, da sorgten vor allem Streiks der norwegischen Gas- und Ölarbeiter für eine Drosselung der Exporte – so viel zu Habecks „Lösung aller Probleme“.

Und wie sieht es mit den „teuren Preisen“ für die Industrie und den „schlaflosen Nächten der Verbraucher“ aus, die Robert Habeck heute so beschäftigen? Nun, auch da spielt die oben genannte norwegische Equinor durchaus eine Rolle; wenn auch ganz anders als von Habeck insinuiert. Dazu ein kurzer Auszug aus meinem in diesem Sommer erschienenen neuen Buch „Wem gehört Deutschland? Die Bilanz der letzten zehn Jahre“. Vielleicht wäre das ja mal ein schönes Weihnachtsgeschenk für Robert Habeck?

Equinor konnte 2022 einen märchenhaften Überschuss von 70 Milliarden Euro erzielen und zahlte Sonderdividenden aus. Das Unternehmen gehört übrigens zu gut zwei Dritteln dem norwegischen Staat, der die Dividenden in seinen Staatsfonds umleitet. Sie erinnern sich, das ist der Staatsfonds, der mittlerweile zu größten Besitzern der deutschen Großkonzerne gehört. So bekommt der Begriff „Ausverkauf“ eine ganz neue Bedeutung. Die wesentlich kleinere niederländische Gasunie konnte ihre Einnahmen in 2022 um 872 Millionen Euro auf 2,25 Milliarden Euro steigern. Der Gewinn betrug 555 Millionen Euro, das ist ein Viertel des Umsatzes, und fiel auch nur deshalb „so gering“ aus, weil man im gleichen Geschäftsjahr fix die Anteile der Niederländer an der gesprengten Nordstream-Pipeline abgeschrieben hatte. Und auch die deutschen Gasverteiler machten trotz oder besser wegen der Krise blendende Geschäfte. So konnte RWE einen Reingewinn von 6,3 Milliarden Euro erzielen.

Derartige Rekordgewinne waren 2022 bei den Energiekonzernen keine Seltenheit. Exxon meldete 56 Milliarden US-Dollar Gewinn, Shell 41,6 Milliarden US-Dollar. Der französische Energiekonzern Total kam auf 36,2 Milliarden US-Dollar, Chevron aus den USA auf 35,5 Milliarden US-Dollar und BP auf 28 Milliarden Euro Gewinn. Bürger und Unternehmen ächzten unter den hohen Preisen, bei den Energiekonzernen und ihren Aktionären knallten die Champagnerkorken. Vor der eilends in Deutschland und Brüssel beschlossenen Übergewinnsteuer brauchten sie übrigens keine Angst zu haben. Internationale Konzerne lassen ihre Gewinne durch Buchhaltungstricks traditionell dort entstehen, wo die niedrigsten Steuern anfallen – und das ist nicht Deutschland und nur selten ein EU-Staat.

Rekordverluste machten hingegen die vom Staat beauftragten Gaseinkäufer. Sie kauften das Gas, mit dem die Speicher gefüllt wurden im Sommer und Herbst 2022 zu einem Durchschnittseinkaufspreis von 175 Euro je Megawattstunde ein. Im Winter sank der Gaspreis an den Börsen jedoch rapide – klar, nun gab es ja auch keinen Monopoleinkäufer mehr, der jeden aufgerufenen Preis zahlte. Zu Beginn des Winters waren es rund 75 Euro, im Frühjahr 2023 sogar nur rund 40 Euro je Megawattstunde. Mit jeder Megawattstunde aus den Speichern, die währen der Heizperiode 2022/2023 vom Staat an die Versorger oder die Industrie verkauft wurden, macht der Staat also zwischen 100 und 135 Euro Verlust. Diese Verluste, die zur Zeit noch in den „Sondervermögen“ versteckt sind, wird der Steuerzahler übernehmen müssen. Wie heißt es so schön? Verluste werden sozialisiert, Gewinne privatisiert.

P.s.: Danke an unsere Leserin F.P., die mich noch einmal in einer Mail auf diesen Punkt aufmerksam gemacht hat.

Titelbild: Screenshot Phoenix