70 Jahre „Asiatisch-Afrikanische Konferenz“: Der Geist von Bandung

70 Jahre „Asiatisch-Afrikanische Konferenz“: Der Geist von Bandung

70 Jahre „Asiatisch-Afrikanische Konferenz“: Der Geist von Bandung

Ein Artikel von amerika21

70 Jahre nach der Konferenz von Bandung lohnt es sich zu fragen, ob ihr Geist noch intakt ist, wenn auch nur als ätherischer Nebel im Globalen Süden. Im Jahr 1955 trafen sich führende Politiker der ehemaligen Kolonien des Globalen Südens im indonesischen Bandung, um sich gemeinsam für nationale Befreiung und Zusammenarbeit einzusetzen. Gibt es 70 Jahre später noch irgendeine Spur davon? Von Tricontinental: Institute for Social Research.

Vor sieben Jahrzehnten, im Jahr 1955, trafen sich die Regierungschefs von 29 afrikanischen und asiatischen Ländern sowie Vertreter von Kolonien, die ihre Unabhängigkeit noch nicht erlangt hatten, in Bandung (Indonesien) zur „Asiatisch-Afrikanischen Konferenz”. Dieses Treffen gilt als einer der Höhepunkte im Prozess der Entkolonialisierung.

Es war ein historischer Moment, denn zum ersten Mal kamen Vertreter von Hunderten von Millionen Menschen aus der Dritten Welt zusammen, um über den gewaltigen sozialen Prozess der Entkolonialisierung zu diskutieren und seine Auswirkungen zu bewerten.

Sukarno (1901-1970), der an der Spitze der indonesischen Regierung stand und Gastgeber der Konferenz war, eröffnete sie mit einer Rede, die zeigte, welche Ambitionen damit verbunden waren. Er sagte, er wolle, dass die Konferenz „der Menschheit eine Orientierung gibt” und dass diese „der Menschheit den Weg aufzeigt, den sie gehen muss, um Sicherheit und Frieden zu erlangen”.

Die Teilnehmer der Konferenz trafen sich nicht nur, um die Unabhängigkeit Indiens (1947), die chinesische Revolution (1949) und die Dezentralisierung der Macht an der Goldküste (1951) zu feiern, die schließlich zu einem freien Ghana (1957) führen sollte. Sie wollten auch „den Beweis antreten, dass ein neues Asien und ein neues Afrika am Entstehen ist”.[1]

Sukarnos Mitarbeiter Roeslan Abdulgani (1914-2005) war der Generalsekretär der Bandung-Konferenz. Während und nach der Konferenz prägte er den Begriff des „Geistes von Bandung” als „den Geist der Liebe zum Frieden, der Absage an Gewalt und Diskriminierung und der Entwicklungschancen für alle, ein Geist, der getragen ist von gegenseitigem Respekt und ohne den anderen ins Unrecht zu setzen”.[2]

Dieser „Geist von Bandung” war nicht idealistisch, sondern hatte eine materielle Grundlage, die in den Befreiungskämpfen der Völker in der kolonisierten Welt verwurzelt war.

In der Generalversammlung der Vereinten Nationen fünf Jahre später wurde dies in der „Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit für koloniale Länder und Völker” als „ein Prozess der Befreiung” beschrieben, der „unaufhaltsam und unumkehrbar” sei.[3]

Dieser Geist entstand in den Massenkämpfen gegen den Kolonialismus und wurde dann von antikolonialen Aktivisten auf Treffen wie dem „Sechsten Internationalen Demokratischen Friedenskongress” in Bierville/Frankreich (1926) und dem „Ersten Internationalen Kongress gegen Kolonialismus und Imperialismus” in Brüssel/Belgien (1927) gebündelt. Abdulgani stellte später fest, dass die Teilnehmer dieser Konferenzen „vom gleichen leidenschaftlichen Geist geprägt waren und alle mit einer Stimme sprachen: Das ist der Geist und die Stimme ihrer Völker, die kolonisiert, unterdrückt und gedemütigt wurden.”[4]

Der Geist von Bandung war die Stimme von Hunderten von Millionen Menschen, die unter kolonialer Herrschaft gelebt hatten und die sich gegen die Grausamkeiten des Kolonialismus aussprachen. Er stand gleichzeitig für die Hoffnung dieser Menschen auf eine neue Welt.

Aus einer Reihe von Gründen, die größtenteils auf den Druck der neokolonialen Struktur zurückzuführen sind, die trotz des Endes der formellen Kolonialherrschaft fortbestand, verflüchtigte sich der Geist von Bandung. Nur die Sehnsucht nach ihm blieb.

Die Generationen, die nach der Kolonialherrschaft geboren wurden, trugen die Erfahrungen der langen und schwierigen antikolonialen Kämpfe nicht mehr in sich. Die nationale Befreiungsagenda zersetzte sich innerhalb dieser neokolonialen Strukturen. Die Bauern und Arbeiter der postkolonialen Ära sahen ihre eigenen herrschenden Klassen als das Problem an und betrachteten die ererbten Probleme der schwer zu überwindenden Kolonialstrukturen nicht als ihren Feind.

70 Jahre nach der Konferenz von Bandung lohnt es sich zu fragen, ob der Geist von Bandung noch intakt ist, wenn auch nur als ätherischer Nebel im Globalen Süden. Das ist das Ziel dieses Dossiers, das eher ein erweiterter Essay mit einigen Provokationen ist als die Frucht eines langfristigen Forschungsprogramms.[5]

Wir hoffen, durch diese Provokationen Diskussionen und Debatten anzuregen.

Teil I: Was war der Geist von Bandung?

Eindringlinge in einer fremden Welt

Vom 5. Oktober bis zum 14. Dezember 1953 unternahm US-Vizepräsident Richard Nixon eine ausgedehnte Asienreise, auf der er 14 Länder der Region (von Japan bis zum Iran) und zwei Länder an deren Rand (Australien und Neuseeland) besuchte.

Nixon reiste mit einigen wichtigen Zielen nach Asien: Er wollte die Verbündeten der USA hinsichtlich des im Juli unterzeichneten Waffenstillstands auf der koreanischen Halbinsel beruhigen; er wollte die Position der USA in Indochina beurteilen, wo diese bereits den Großteil der militärischen Finanzierung von Frankreich übernommen hatten und später, nach der französischen Niederlage bei Dien Bien Phu im Mai 1954, dessen militärische Rolle übernehmen sollten; und er wollte die neue Rolle der chinesischen Revolution in Asien verstehen.

In seinen Memoiren, die er zwei Jahrzehnte später verfasste, reflektierte Nixon über diesen Besuch und sagte, dass er, „als in Washington und anderen westlichen Hauptstädten das Wunschdenken vorherrschte, dass das kommunistische China keine Bedrohung in Asien darstellen würde, weil es so rückständig und unterentwickelt sei”, „aus erster Hand sah, dass sich der chinesische Einfluss bereits in der gesamten Region ausbreitete”.

Im Gegensatz zu den Sowjets, schrieb Nixon, die „wie wir immer noch Eindringlinge in einer fremden Welt” waren, „hatten die chinesischen Kommunisten Studentenaustauschprogramme eingerichtet, und eine große Zahl von Studenten wurde zur kostenlosen Hochschulausbildung nach Rotchina geschickt”.[6]

Die USA, so berichtete Nixon seiner Regierung, mussten entschieden auf die neuen Entwicklungen in Asien reagieren, die durch die chinesische Revolution angestoßen worden waren.

Im September 1954 gründeten acht Länder die „Südostasiatische Vertragsorganisation” (Seato), nachdem sie einen Vertrag zur kollektiven Verteidigung, den sogenannten „Manila-Pakt”, unterzeichnet hatten. Nur drei der Länder befanden sich in Asien (Pakistan, die Philippinen und Thailand), zwei in Europa (Frankreich und Großbritannien). Die drei anderen Mitglieder der Seato hatten bereits 1951 einen Militärpakt mit dem Namen „Australia, New Zealand, and the United States Security (Anzus) Treaty” unterzeichnet. Dieser Vertrag und die Seato standen neben drei anderen wichtigen Verträgen für die pazifische Flanke Asiens: dem „Friedensvertrag von San Francisco” 1951 zwischen Japan und den alliierten Mächten, dem „Vertrag über gegenseitige Verteidigung” 1953 zwischen Südkorea und den USA und dem „Vertrag über gegenseitige Verteidigung” 1954 zwischen der Republik China (damals Formosa, heute Taiwan) und den USA.[7]

1951 vertrat John Foster Dulles, der 1953 Außenminister wurde, die Ansicht, dass die USA eine Kette von Marinestützpunkten auf Inseln von Japan bis zur Malaiischen Halbinsel (die Teile von Myanmar, Thailand, Malaysia und Singapur umfasst) errichten müssten, um die Sowjetunion und die Volksrepublik China (VRC) einzukreisen. Die fünf oben genannten Verträge legten den Grundstein für eine solche Kette von Japan bis Thailand.[8]

1956 erhielt ein Beamter des US-Außenministeriums ein britisches Memorandum „über die militärische Planung der Seato, die von der Annahme ausgeht, dass sowohl nukleare als auch nicht-nukleare Waffen zur Verteidigung des Gebiets eingesetzt werden. Jede Planung, die keine Atomwaffen berücksichtigt, wäre deutlich unrealistisch und nicht sinnvoll.”[9]

Mit anderen Worten: Die fünf Verträge zur Umzingelung von China förderten die Stationierung von Atomwaffen am Rande Asiens und erlaubten, falls nötig, ihren Einsatz.

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass dies alles nicht nur Theorie war. Die USA hatten bereits 1945 Atombomben gegen Japan eingesetzt und bis Ende 1951 alle verfügbaren Infrastrukturen im Norden Koreas bombardiert (die Bombardierungen wurden allerdings bis 1953 fortgesetzt).[10]

Generalmajor Emmett O’Donnell, Kommandeur der US-Luftwaffe, die Korea bombardierte, sagte im Juni 1951 vor dem US-Senat: „Alles ist zerstört. Es gibt nichts mehr, was nicht zerstört ist.” O’Donnell fügte hinzu, dass die US-Luftwaffe ihre Bomber am Boden ließ, als die chinesischen Streitkräfte im November 1950 den Fluss Yalu an der Grenze zu Nordkorea überquerten, weil es „keine Ziele mehr in Korea gab”.[11]

Im Dezember 1953 schlug US-Präsident Dwight Eisenhower Winston Churchill den Einsatz von US- Atombomben gegen China vor, falls Peking den Waffenstillstand mit Korea verletzen würde. Kurz darauf, im März 1955, machte die US-Regierung der VR China klar, dass sie bereit sei, Atomwaffen einzusetzen, falls die Volksbefreiungsarmee in Formosa (heute Taiwan) einmarschieren würde.[12]

Als Eisenhower am nächsten Tag gebeten wurde, die Aussage von Dulles zu bestätigen, sagte er, dass taktische Nuklearwaffen nicht genau so eingesetzt werden sollten, „wie man eine Kugel oder etwas anderes einsetzen würde. Ich glaube, dass bei diesen Themen die große Frage da beginnt, wo man in Bereiche vordringt, in denen man nicht sicher sein kann, dass man nur gegen militärische Ziele vorgeht. Aber mit dieser einen Einschränkung würde ich sagen, ja, natürlich würden sie eingesetzt werden.” [13]

Friedliche Koexistenz

Nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten sich die USA langsam als führende Kraft des alten imperialistischen Blocks, vor allem aufgrund ihres massiven militärischen und wirtschaftlichen Vorteils gegenüber dem angeschlagenen Europa. Zur gleichen Zeit führte Großbritannien einen gewalttätigen Aufstandsbekämpfungskrieg auf der Halbinsel Malaysia (Malaya Emergency, 1948-1960) und Frankreich einen erbärmlichen Nachhutkrieg in Indochina (die Niederländer waren 1949 bereits in Indonesien besiegt worden).

Der Boden Asiens war blutgetränkt und die antikolonialen Vertreter, die nach Bandung kamen, hatten genug vom Blutvergießen. Deshalb konzentrierten sich die Diskussionen auf der Konferenz so sehr auf Frieden und Rassismus: Die anwesenden antikolonialen Führer befürchteten, dass die alte koloniale Mentalität der internationalen Teilung der Menschheit in der postkolonialen Ära fortbestehen würde, ebenso wie die ungezügelte Anwendung von Gewalt gegen diejenigen, die von den Kolonialisten als auf der anderen Seite dieser Teilung stehend angesehen wurden.

Die zehn Dasasila-Prinzipien von Bandung sind eine Weiterentwicklung der fünf Panchsheel-Prinzipien, die China und Indien 1954 zur Überwindung ihrer Differenzen aufgestellt hatten. Diese Grundsätze der „friedlichen Koexistenz” sprachen sich entschieden gegen den Aufbau von Militärbündnissen und Stützpunkten in ganz Asien und gegen die Androhung von Atomangriffen aus.

1956, vier Jahre nach dem Beitritt der Türkei zur NATO, schrieb der türkische kommunistische Dichter Nazim Hikmet eine Elegie an ein siebenjähriges Mädchen aus Hiroshima mit dem Titel „Hiroshima-Kind”, die vor allem durch die Zeile „Wenn Kinder sterben, wachsen sie nicht” bekannt wurde:

Alles, was ich brauche, ist, dass du heute für den Frieden
kämpfst, du kämpfst heute
Damit die Kinder dieser Welt
leben und wachsen und lachen und spielen können.

Das war die Essenz des Geistes von Bandung. So einfach war das.

Diese Essenz durchdringt die zehn Prinzipien, die im Abschlusskommuniqué der Konferenz am 24. April 1955 veröffentlicht wurden:

  1. Die Achtung der grundlegenden Menschenrechte sowie der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen.
  2. Die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität aller Nationen.
  3. Anerkennung der Gleichheit aller Ethnien und der Gleichheit aller großen und kleinen Nationen.
  4. Verzicht auf Intervention oder Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes.
  5. Achtung des Rechts jeder Nation, sich einzeln oder gemeinsam zu verteidigen, in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen.
  6. (a) Verzicht auf die Anwendung von Vereinbarungen zur kollektiven Verteidigung, die den besonderen Interessen einer der Großmächte dienen.
    (b) Verzicht eines jeden Landes auf die Ausübung von Druck auf andere Länder.
  7. Verzicht auf Angriffshandlungen oder -drohungen oder die Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Landes.
  8. Beilegung aller internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel wie Verhandlungen, Schlichtung, Schiedsverfahren oder gerichtliche Beilegung sowie andere friedliche Mittel nach Wahl der Parteien in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen.
  9. Förderung der gegenseitigen Interessen und der Zusammenarbeit.
  10. Achtung des Rechts und der internationalen Verpflichtungen.[14]

Diese Grundsätze sprachen sich für eine internationale Ordnung aus, die in der UN-Charta (1945) verankert ist und die nicht auf der Bildung von Militärblöcken und dem Einsatz militärischer Gewalt zur Gestaltung der Welt und zur Untergrabung der Souveränität beruht. In seinen Überlegungen zur Konferenz von Bandung vertrat Abdulgani die Ansicht, dass es sich um ein Forum handelte, in dem „die Normen und Verfahren der heutigen internationalen Beziehungen festgelegt” wurden, und dass sich die Konferenz für Koexistenz einsetzte und gegenseitige Zerstörung und Vernichtung ablehnte.[15]

Bis 1955 hatten 76 Länder die UN-Charta unterzeichnet und sich so vertraglich verpflichtet. Ungefähr 80 Gebiete, darunter der größte Teil des afrikanischen Kontinents und ein Großteil der pazifischen Inseln, blieben unter kolonialer Kontrolle.

Die UN-Charta war damals das wichtigste Konsensdokument der Welt und ist es auch heute noch. Als die Länder zwischen den späten 1950er- und den 1970er-Jahren ihre Unabhängigkeit erlangten, traten sie den Vereinten Nationen als Vollmitglieder bei.

Der Geist von Bandung verbreitete sich schnell und landete in Kairo auf der „Solidaritätskonferenz der afro-asiatischen Völker” 1957-1958, dann in Accra auf der „Gesamtafrikanischen Völkerkonferenz” 1958 und schließlich in Tunis auf der „Gesamtafrikanischen Völkerkonferenz” 1960, in Belgrad auf der „Gipfelkonferenz der Staats- und Regierungschefs der Bewegung der Blockfreien” 1961 und schließlich in Havanna auf der „Trikontinentalen Konferenz” 1966.

Auf jeder dieser Konferenzen wurden institutionelle Organe gegründet: die „Organisation für die Solidarität der afro-asiatischen Völker”, die „Bewegung der Blockfreien Staaten” und die „Organisation für die Solidarität mit den Völkern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas”.

Im Mittelpunkt stand der Kampf gegen den Imperialismus, wobei der Schwerpunkt auf der nuklearen Bedrohung und der Abrüstung sowie der Erkenntnis lag, dass die Verschwendung von kostbarem gesellschaftlichen Reichtum für Waffen auf Kosten der Entwicklungsagenda geschieht. Diese Abwägung zwischen Kanonen und Butter stand im Mittelpunkt der Überlegungen. Alle Rüstungskontrollmechanismen, die sich in dieser Zeit entwickelten, wie etwa der „Vertrag über das begrenzte Verbot von Atomtests” von 1963, waren ein Produkt der Verhandlungen, die durch diese bündnisfreien Projekte von Staaten der Dritten Welt erzwungen wurden.[16]

Entwicklungspolitische Zusammenarbeit

Neben dem Ruf nach Souveränität und Frieden trug die Ära von Bandung auch den Keim für eine neue internationale Wirtschaftsordnung in sich. Die Süd-Süd-Zusammenarbeit war der klare Ruf von Bandung. Der erste Abschnitt des Abschlusskommuniqués war ganz der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gewidmet und verdeutlichte den Wunsch nach wirtschaftlicher Entwicklung und technischer Hilfe.

Es wurde auch die Einrichtung eines Sonderfonds der Vereinten Nationen für wirtschaftliche Entwicklung gefordert, um Investitionen in diesen Ländern zu finanzieren. Da der Imperialismus die Kolonien nur als Standorte für die Produktion von Rohstoffen gesehen hatte, wurde die Notwendigkeit betont, die Rohstoffpreise zu stabilisieren und einheimische Kapazitäten zur Verarbeitung dieser Rohstoffe vor dem Export zu entwickeln.

Eine der nachhaltigen Auswirkungen der Konferenz von Bandung war ihr Einfluss auf die Gestaltung multilateraler Institutionen und Prozesse, die bis heute fortbestehen, wenn auch oft in abgeschwächter oder systemkonformer Form.[17]

Dazu gehört die Einrichtung des Sonderfonds der Vereinten Nationen für wirtschaftliche Entwicklung im Jahr 1958, der später in das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen im Jahr 1965 umgewandelt werden sollte. Außerdem wurde 1964 die „Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung” (UNCTAD) gegründet, deren Vorschläge für eine neue internationale Wirtschaftsordnung 1974 von der UN-Generalversammlung angenommen wurden.

Anlässlich des 60. Jahrestages der UNCTAD im Jahr 2024 erklärte der stellvertretende Generalsekretär Pedro Manuel Moreno: „In demselben Geist [wie die Konferenz von Bandung] wurde neun Jahre später die Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen gegründet.”[18]

Eine Welt voller Putsche

Wenige Wochen vor der Konferenz von Bandung, im April 1955, traf US-Außenminister John Foster Dulles mit dem britischen Botschafter in den USA, Sir Roger Makins, zusammen. Dulles teilte Makins mit, dass er über die „allgemeine Lage in Asien” „sehr deprimiert” sei.

Diese „Lage” wurde durch eine Rede verkörpert, die Jawaharlal Nehru, Indiens erster Premierminister nach der Unabhängigkeit, am 31. März 1955 im indischen Parlament im Vorfeld des Treffens von Bandung hielt. Darin griff er die Seato als feindlichen Pakt an, die NATO, weil sie Portugal unterstützte, Goa in Indien zu halten, das Apartheid-Regime in Südafrika und den Westen wegen seiner „Einmischung” in Westasien.

Nehrus Rede, so Dulles, habe „den allgemeinen Standpunkt vertreten, dass die westliche Zivilisation gescheitert sei und eine neue Art von Zivilisation an ihre Stelle treten müsse”. Dies bedrückte Dulles, der die Bandung-Konferenz zu Fall bringen wollte, da sie, wie er sagte, „von ihrer Natur und ihrem Konzept her antiwestlich” war.[19]

Putsche im Iran (1953) und in Guatemala (1954) kündeten die Weigerung des Westens an, den Aufbau einer neuen Weltordnung zuzulassen. Es folgte eine Reihe von Putschen in Afrika (gegen das kongolesische Volk 1961 und gegen das ghanaische 1966), Lateinamerika (gegen das brasilianische Volk 1964) und Asien (gegen das indonesische Volk 1965).

Jeder dieser vier Putsche bedeutete ein Epizentrum der imperialistischen Reaktion. Die neuen Militärregime in diesen Ländern übernahmen die Aufgabe, jegliche progressive Entwicklung auf dem gesamten Kontinent zu ersticken. Der Putsch in Indonesien, der die Ermordung von einer Million Kommunisten zur Folge hatte, war quasi die Rache für Bandung.[20]

Zuerst erschienen in Tricontinental: Institut für Sozialforschung, Dossier Nr.87.
Ins Deutsch übersetzt von Elinor Winter, Amerika21.

Titelbild: The Tricontinental


[«1] Sukarno, ‘Opening address given by Sukarno (Bandung, 18 April 1955)’, Asia-Africa Speak from Bandung (Djakarta: Ministry of Foreign Affairs, Republic of Indonesia, 1955), 19–29.

[«2] Roeslan Abdulgani, Bandung Spirit: Moving on the Tide of History (Djakarta: Prapantja, 1964) and The Bandung Connection: The Asia-Africa Conference in Bandung in 1955 (Singapore: Gunung Aguna, 1981), 89.

[«3] Die poetische Resolution wurde von dem sowjetischen Diplomaten Wassili Kusnezow formell der UN-Generalversammlung vorgelegt. Siehe Generalversammlung der Vereinten Nationen, Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker (A/RES/1514), 14. Dezember 1960. Der damalige Präsident der Generalversammlung war der irische Diplomat Frederick Boland. Bolands Tochter Eavan wurde eine berühmte Dichterin und veröffentlichte 1998 den Text “Witness”, der diese Zeilen enthält: Was ist eine Kolonie wenn nicht die brutale Wahrheit, dass, wenn wir sprechen, die Gräber sich öffnen. Und die Toten wandeln?

[«4] Abdulgani, The Bandung Connection, 11.

[«5] Die Gesamtdarstellung in diesem Dossier stützt sich stark auf Vijay Prashad, The Darker Nations: A People’s History of the Third World (New York: The New Press, 2007) und The Poorer Nations: A Possible History of the Global South (Neu-Delhi: LeftWord, 2013). Es wird Teil der Grundlage für The Brighter Nations (2026) sein.

[«6] Richard Nixon, RN: The Memoirs of Richard Nixon (New York: Grosset and Dunlap, 1978), 136. Siehe auch Richard Nixon, ‘Asia After Viet Nam’, Foreign Affairs, 1 October 1967, foreignaffairs.com/articles/united-states/1967-10-01/asia-after-viet-nam.

[«7] Weitere Informationen zum Vertrag von San Francisco, siehe Tricontinental: Institute for Social Research, The New Cold War Is Sending Tremors through Northeast Asia, dossier no. 76, 21 May 2024, thetricontinental.org/dossier-76-new-cold-war-northeast-asia/.

[«8] Für einen umfassenden Überblick siehe John Foster Dulles, Policy for the Far East (Washington: US Government Publishing Office, 1958).

[«9] ‘Memorandum of a Conversation Between the Counsellor of the Department of State (MacArthur) and the British Ambassador (Makins), Department of State, Washington, February 29, 1956’, US Department of State, Conference Files: Lot 62 D 181, CF 656, Secret; John P. Glennon, Edward C. Keefer, and David W. Mabon, eds., Foreign Relations of the United States, 1955–1957, East Asian Security; Cambodia; Laos, Volume XXI, (Washington: United States Government Printing Office, 1990), 180–181.

[«10] Su-kyoung Hwang, Korea’s Grievous War (Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2016).

[«11] I. F. Stone, The Hidden History of the Korean War, 1950–1951 (New York: Little Brown, 1969), 312.

[«12] Auf einer Pressekonferenz am 15. März 1955 erläuterte John Foster Dulles die Doktrin der „weniger-als-massiven Vergeltung”. Sollte China in Formosa einmarschieren, so Dulles, würden die USA taktische Atomwaffen gegen die chinesischen Streitkräfte einsetzen. Siehe Elie Abel, ‘Dulles Says US Pins Retaliation on Small A-Bomb’, New York Times, 16 March 1955, nytimes.com/1955/03/16/archives/dulles-says-us-pins-retaliation-on-small-abomb-lessthanmassive.html.

[«13] Siehe William Klingaman, David S. Patterson, und Ilana Stern, eds., Foreign Relations of the United States, 1955–1957, National Security Policy, Volume XIX (Washington: United States Government Printing Office, 1990), 61. Churchill’s Tagebucheintragungen, siehe John Colville, The Fringes of Power: Downing Street Diaries, 1939–1955 (London: Hodder and Stoughton, 1985), 687. Weitergehendes zur Frage der nuklearen Vergeltung, siehe Matthew Jones, ‘Targeting China: US Nuclear Planning the “Massive Retaliation” in East Asia, 1953–1955’, Journal of Cold War Studies 10, no. 4 (Fall 2008): 37–65.

[«14] Asia-Africa Speak from Bandung, 161–169.

[«15] Abdulgani, Bandung Spirit, 72.

[«16] So war beispielsweise L. C. N. Obi aus Nigeria eine wichtige, heute jedoch vergessene Figur in der Debatte um den Atomwaffensperrvertrag von 1968, während Ismael Moreno Pino aus Mexiko der zentrale Verhandlungsführer für den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen in Lateinamerika und der Karibik von 1967 war, der als „Tlatelolco-Vertrag” bekannt ist und als erster eine atomwaffenfreie Zone einführte.

[«17] Gilbert Rist, The History of Development: From Western Origins to Global Faith (London: Zed Books, 2008).

[«18] Pedro Manuel Moreno, 60 years of UNCTAD: Charting a New Development Course in a Changing World, UN Trade and Development, 14 May 2024, unctad.org/osgstatement/60-years-unctad-charting-new-development-course-changing-world-session-1.

[«19] John P., Harriet D. Schwar, and Louis J. Smith, eds., ‘Memorandum of a Conversation, Department of State, Washington, April 7, 1955’, in Foreign Relations of the United States, 1955–1957, China, Volume II (Washington: United States Government Printing Office, 1986), 454.

[«20] Alan Burns, der von 1941 bis 1947 Gouverneur der Goldküste und Nigerias war, wurde von 1947 bis 1956 zum ständigen Vertreter von Großbritannien im UN-Treuhandrat ernannt. Kurz nach seinem Ausscheiden aus der UNO veröffentlichte Burns ein Buch, in dem er auf Bandung einging und argumentierte, dass es „den Groll der dunkleren Völker gegen die Herrschaft der Welt durch die europäischen Nationen” repräsentiere. Siehe Alan Burns, In Defence of Colonies (London: George Allen and Unwin, 1957), 5. Mehr zum Putsch in Indonesien siehe Tricontinental: Institute for Social Research, The Legacy of Lekra: Organising Revolutionary Culture in Indonesia, dossier no. 35, December 2020, thetricontinental.org/wp-content/uploads/2020/12/20210127_Dossier-35_EN_Web.pdf.