Angst, Angst, Angst: Propaganda-Abgründe in einem Spiegel-Interview mit Thomas Strobl

Angst, Angst, Angst: Propaganda-Abgründe in einem Spiegel-Interview mit Thomas Strobl

Angst, Angst, Angst: Propaganda-Abgründe in einem Spiegel-Interview mit Thomas Strobl

Ein Artikel von Marcus Klöckner

Zivilschutzübungen an Schulen? Ein Deutschland, das nicht auf den „Verteidigungsfall“ vorbereitet ist? „Schutzraumkonzepte“ für das ganze Land? Davon redet Thomas Strobl (CDU) in einem Interview mit dem Spiegel (hinter Bezahlschranke). Was der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Baden-Württembergs in diesem Interview sagt, zeigt in verdichteter Form, was passiert, wenn politische Propaganda und serviler „Journalismus“ aufeinandertreffen. Eine Kurzanalyse von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Weite Teile der Politik haben sich von der Realität verabschiedet. Russland ist als Feindbild von Politik und Medien gesetzt. Der politische Feindbildaufbau ist jeden Tag zu beobachten. In einem aktuellen Spiegel-Interview mit Thomas Strobel wird deutlich, wie dieser Feindbildaufbau aussieht. Zugleich kommt zum Vorschein, wie substanzlos das Gerede von der Gefahr aus Russland ist. Betrachten wir, was Strobl sagt, und werfen einen Blick auf die Interviewführung.

SPIEGEL: Herr Strobl, haben Sie Notvorräte und ein Kurbelradio zu Hause?

Bereits die erste Frage ist eine Steilvorlage für Strobl samt der vorherrschenden Politik. Ein kritischer Journalismus würde an dieser Stelle eine Frage stellen, die den propagandistischen Gehalt jener Forderungen, wonach sich die Bevölkerung auf einen Krisenfall (Kriegsfall) vorbereiten solle, dekonstruiert. Etwa: Herr Strobl, immer wieder sprechen Politiker davon, dass die deutsche Bevölkerung sich Notvorräte anlegen soll, weil eine schwere Krise oder gar ein Krieg drohe. Warum betreibt Politik hier Angstmacherei?

Das wäre eine journalistische Frage, die der gegenwärtigen Politik angemessen wäre. Eine solche Frage bleibt aus. Strobl antwortet im Sinne einer offensichtlich gewünschten Vorbildfunktion:

Strobl: Ein Radio mit Batterien habe ich zu Hause. Taschenlampen liegen bereit, auch solche mit Kurbel, aufgeladene Akkus und Solarpanels. Für Notlagen haben wir Wasser, Knäckebrot, Büchsenwurst und haltbare Kekse. Wir wären also mit Lebensmitteln ein paar Tage lang versorgt. Solche Vorräte sollten übrigens in jedem Haushalt angelegt werden.

… wie es „vorbildlicher“ kaum sein kann.

Nun spricht vom Grundsatz nichts dagegen, dass Bürger tatsächlich aus Gründen der Vernunft einen gewissen Notfallvorrat anlegen sollten, da theoretisch immer irgendwo, irgendwie, irgendwas passieren kann. Doch der Gesamtzusammenhang sagt uns, dass es hier gerade nicht um allgemeine Empfehlungen vonseiten der Politik geht. Die Rede vom Anlegen von Notfallvorräten wird immer wieder im Zusammenhang mit dem politischen Großprojekt Kriegstüchtigkeit und der Warnung vor einem „Verteidigungsfall“ vernommen. Anders gesagt: Hier schürt Propaganda Angst.

Und, voilà! – nun taucht die Angst auch als Wort in der Frage auf.

SPIEGEL: Haben Sie Kriegsangst?

Darum (!) geht es. Deshalb das Interview. Es geht um die angebliche Bedrohung durch Russland.

Strobl: Die geopolitische Tektonik hat sich verschoben, wir erleben ein weltpolitisches Beben. Russland zeigt sich aggressiv, Deutschland und Europa müssen in Sachen Sicherheit mehr denn je souveräner werden, der Nahostkonflikt eskaliert. Es gibt dennoch keinen Grund für Panik oder Hysterie. Aber wir haben allen Grund zur Wachsamkeit und müssen uns auf neue Gefahrenlagen einstellen. Wir leben nicht im Krieg, freilich auch nicht mehr richtig im Frieden. Es ist gut, sich vorzubereiten, militärisch und im Zivilschutz. Die Zeitenwende muss in allen Köpfen ankommen. Das betrifft die gesamte Gesellschaft, auch die Länder, die Kommunen, uns alle.

Diese Antwort zeigt wie unter einem Brennglas, wie substanzlos die politische Propaganda bisweilen in Erscheinung tritt.

Strobl spricht von der „geopolitischen Tektonik“ – das klingt sprachlich ziemlich hochgestochen. Und das mag auch ein „schön“ geschliffenes Sprachbild sein. Substanzlos bleibt die Formulierung dennoch. Der Grund: Die „geopolitische Tektonik“ hat sich nicht „verschoben“ – gleichsam der Erdplattentektonik, die ohne menschliches Zutun vorhanden ist. Hier entsubjektiviert Strobl. Das heißt: Konkret handelnde Akteure, die sich auf geopolitischer Ebene bewegen, haben – wenn man den Begriff verwenden will – „verschoben“. Politiker, samt ihrer Hintermänner, haben durch ihr Tun dafür gesorgt, dass es einen Konfrontationskurs mit Russland gibt. Das Wörtchen „hat“, das Strobl verwendet, ist der vage, unbestimmte Platzhalter für Personen, deren Namen und Handeln bekannt sind – und die die vorherrschende Situation herbeigeführt haben. Strobl füllt diesen Platzhalter aber zunächst nicht aus. Die Rede von der Verschiebung der geopolitischen Tektonik ist so vage wie die Formulierung, wonach wir angeblich gerade ein „weltpolitisches Beben“ erleben. All das klingt „kompetent“, aber bei genauerer Betrachtung sind diese Formulierungen nicht mehr als heiße Luft.

Dann bedient Strobl den Platzhalter. „Russland zeigt sich aggressiv“, so der CDU-Politiker. Hier ist es, das Feindbild Russland. Und dann rasch der Gegenpol, also die „Guten“, nämlich Deutschland und Europa, die – man achte auf die vage Formulierung – in „Sachen Sicherheit“ „souveräner“ würden.

Was heißt denn hier „in Sachen Sicherheit“? Wir reden von über einer Billion Neuverschuldung in Deutschland. Wir reden von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für „Verteidigung“ – während im Land Menschen vor Suppenküchen Schlange stehen und viele Bürger kaum noch wissen, wie sie trotz Arbeit über die Runden kommen sollen.

Der Spiegel-Journalist lässt all das durchgehen. Ein kritischer Journalismus müsste bei nahezu jeder Formulierung Strobls reingrätschen. Doch das bleibt aus.

Strobl wählt in der nächsten Aussage wieder eine Formulierung, die verschleiert. Der Nahostkonflikt eskaliere. Als ob der Nahostkonflikt ein Mensch wäre, der etwas „tun“ kann, also hier: „eskalieren“. Nein, nicht der „Nahostkonflikt eskaliert“, sondern wieder konkret benennbare, handelnde Akteure veranschlagen eine Politik der Eskalation.

„Es gibt dennoch keinen Grund für Panik oder Hysterie“, sagt Strobl und kann sich an dieser Stelle wunderbar inszenieren. Hier ist er, der Politiker, der vorbildlich Notfallvorräte anlegt und zugleich, „souverän“, zu den Bürger sagt, dass Panik und Hysterie nicht angebracht seien. Strobl – der Fels in der Brandung. Seinen PR-Leuten dürfte das Interview gefallen.

Doch, wie wir schon festgestellt haben: In dem Interview geht es um Angst. Und deshalb muss der Aussage, dass es keinen Grund zur Panik und Hysterie gebe, noch ein „Aber“ hinterhergeschoben werden. Einen Grund für Panik mag es nicht (noch nicht …?) geben, „aber“ „wir haben allen Grund zur Wachsamkeit und müssen uns auf neue Gefahrenlagen einstellen.“

Also, die Botschaft lautet: Panik nein, aber Angst durchaus.

Strobl schürt hier Angst. Er versetzt die Bevölkerung mit seinen Worten in Unsicherheit. Wenn nämlich „Grund zur Wachsamkeit“ besteht, dann lauert logischerweise irgendwo auch eine Gefahr. Und jetzt spricht Strobl es aus: „Wir leben nicht im Krieg, freilich auch nicht mehr richtig im Frieden.“

Ich kenne Strobls Welt nicht. Aber in dieser Welt – hier – leben „wir“ sehr wohl im Frieden. Die Bürger Deutschlands leben in Frieden mit den Bürgern Russlands, und die Bürger Russlands leben in Frieden mit den Bürgern Deutschlands.

Die Aussage Strobls, wonach wir nicht im Krieg lebten, aber auch nicht mehr richtig im Frieden seien, bedient eine offensichtlich gewünschte „innere Anspannung“ innerhalb der Bevölkerung.

Frieden – das sollte der Normalzustand sein. Frieden – das ist der Zustand, in dem der Mensch entspannt sein kann. Eine Situation, in der zwar noch kein Krieg ist, aber Krieg droht, lässt einen Menschen nicht in Ruhe und Entspannung sein. Anders gesagt: Der Bürger soll Angst haben. Die Propaganda ist an dieser Stelle entkleidet.

Was schon zu Beginn des Interviews deutlich wurde, liegt nun offen sichtbar vor uns. Das Interview ist Baustein einer Angstpropaganda, die seit Jahren mit zunehmender Intensität sichtbar ist.

Es sei an dieser Stelle nicht weiter diskutiert, aus welchen Gründen Strobl sagt, was er sagt. Strobl mag selbst an seine Worte glauben, und seine Aussagen mögen Spiegelbild seiner Wirklichkeit sein. Das würde es aber nicht besser machen.

Der CDU-Politiker sagt weiter: „Es ist gut, sich vorzubereiten, militärisch und im Zivilschutz. Die Zeitenwende muss in allen Köpfen ankommen. Das betrifft die gesamte Gesellschaft, auch die Länder, die Kommunen, uns alle.“ Auch hier wird sehr deutlich, worum es geht: Etwas soll in den Köpfen der Bürger ankommen, nämlich: die Zeitenwende.

Wie auf den NachDenkSeiten schon geschrieben: Auch die vielbeschworene „Zeitenwende“ ist ein substanzloser Begriff, der im propagandistischen Sinne benutzt wird. Es gibt keine „Zeitenwende“, die Zeit kann sich nicht „wenden“. Es gibt aber Politiker, und es gibt Entscheidungen, die Politiker treffen. Strobl gehört mit zur Gruppe der Politiker, die durch Akte der Benennung die „Zeitenwende“ in den Köpfen der Bürger zu verankern versucht – eine Zeitenwende, um es nochmal zu sagen, die es aber nicht gibt.

Die Verschleierung der Verursacher der gegenwärtigen Situation im Hinblick auf Russland setzt sich in den Worten des Ministers fort. In dem Interview steckt noch einiges mehr – etwa, wenn Strobl davon spricht, dass „uns“ „feindliche Mächte“ „jeden Tag“ „tausendfach“ angreifen würden.

Ein regelrecht gigantisches Bedrohungsszenario baut Strobl hier auf – ohne aber eine kritische Perspektivierung. So bleibt etwa unerwähnt, dass die USA (unsere Freunde) das Handy der Kanzlerin ausspioniert haben.

Und so geht es weiter. Vieles ließe sich zu dem Interview noch anmerken. Das Grundproblem zwischen einer Politik, die Angst schürt, Bedrohungsszenarien auf den Boden der Substanzlosigkeit baut, in Kombination mit einem Journalismus, der zum Steigbügelhalter der Politik dient, sollte an diesen Beispielen und Auszügen mehr als deutlich geworden sein.

Titelbild: photocosmos1/shutterstock.com

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