Haben wir hierzulande noch alle Tassen im Schrank? Die Frage stelle nicht nur ich mir, in meinem persönlichen Umfeld schütteln viele Menschen ebenso nur noch den Kopf über die sinnlose Entfesselung einer sichtbaren wie unsichtbaren Militarisierung der Gesellschaft. Bis ins alltägliche Leben der einfachen Leute dringen Auswüchse einer unsäglichen Entwicklung ein. In meiner Heimatstadt sind viele Bürger sehr sensibilisiert zum Thema Krieg. Plauen wurde in den Jahren 1944 und 1945 zu über 75 Prozent durch Bomben der Alliierten zerstört. Was folgte, war: Nie wieder Krieg! Dieser Satz hat bis heute Gewicht. Nun haben wir 2025, Zeitenwende. In Plauen wird behördlicherseits nachgefragt, welche Keller als Luftschutzraum geeignet wären … Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
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Das Ohr an der Masse haben, den einfachen Menschen zuhören, bringt Erkenntnisgewinn. Wenn nach diesen Erkenntnissen gehandelt werden würde, sähe die Welt besser aus, finde ich. Doch es läuft ganz anders. Schlimm ist, das erlebe ich immer und immer wieder, dass wichtige Menschen, Politiker zum Beispiel, sehr wahrscheinlich wenig vom Zuhören halten. Und so handeln sie auch – über die Köpfe der Bürger hinweg. Eine Geschichte aus meiner Heimatstadt Plauen im Vogtland (Sachsen).
Mädchen überlebte Bombenangriff dank eines Türrahmens
Neulich traf ich einen guten alten Freund [Name der Redaktion bekannt]. Der Schwatz auf der Straße war sehr aufschlussreich und beeindruckend, ist mein Gegenüber doch ein wandelndes Lexikon, ein Archivar des Lebens unserer Heimatstadt Plauen. Mit ihm hatte ich vor Jahren ein gemeinsames Projekt realisiert. Ich hatte eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Plauener Geschichten“ am Laufen, in der Bürger über ihr Leben sprachen und auch mit dem Publikum in Dialog traten. Mein Freund war einer dieser Gäste. Er erzählte über seine Leidenschaft „Plauener Unterwelt“. Damit waren die vielen Keller, Bergwerksanlagen und Gänge sowie deren Entwicklung gemeint. Mein guter alter Freund, liebevoll Bergknappe genannt, wusste viel über eine schlimme Zeit zu berichten, die Zeit des Zweiten Weltkrieges. 1944 und 1945 wurde Plauen durch Luftangriffe amerikanischer und englischer Streitkräfte heftig zerstört, viele Menschen kamen um.
In meiner Veranstaltung mit dem Bergknappen kam eine alte Plauenerin zu Wort. Sie schilderte ihr Glück und ihr Unglück. Am unteren Graben mitten in der Altstadt wohnte sie mit ihrer Familie. Wieder mal wurde ein Luftalarm ausgelöst. Mehrere Familienmitglieder liefen los. Sie wollte ebenfalls losrennen, doch sie und weitere Hauseinwohner waren zu spät. Überall knallte und donnerte es. Sie retteten sich in einen Keller, zunächst. Sie, das damals kleine Plauener Mädchen, stellte sich in einen Türrahmen, als wenig später eine Bombe neben dem Haus einschlug. Nach der verheerenden Detonation, nach dem Eintreten einer ewigen Stille, nach dem Verwehen des schweren Staubes stellte sie fest: Sie hatte überlebt. Warum? Der Türrahmen hatte sie geschützt, während um sie herum Mauern des Hauses eingebrochen waren und andere Mitmenschen unter sich begraben hatten …
Plauen wurde kriegstauglich gemacht – eine Episode aus 1939
Im Vortrag meines Freundes bei meinen „Plauener Geschichten“ fielen später auch Worte wie Luftschutzkeller, Luftschutzbunker, Bergwerkstunnel. Eine besondere Episode kam zur Sprache: 1939 prüfte die damalige Nazi-Verwaltung Plauens im Wahn der Aufrüstung und Ertüchtigung, welche Keller und unterirdischen Anlagen geeignet wären, im Fall eines Bombenangriffs als Luftschutzraum zu taugen. Plauens Zivilgesellschaft, längst schon willfähriger Teil der Aufrüstungsmaschinerie und Teil des gerade von Hitlerdeutschland angefachten Zweiten Weltkrieges, wurde damit kriegstauglich gemacht. 24 Keller wurden seinerzeit als geeignet angesehen, erzählte der Bergknappe. Zahlreiche weitere Räume wurden später im Laufe des Krieges ausgebaut. Ein Keller davon, welcher sich auf dem Gelände der großen Rüstungsfirma VOMAG befand, war riesig, er hatte ein Fassungsvermögen für bis zu 6.000 Menschen …
Ein Déjà-vu, das einen sprachlos macht
Mein alter Freund sah beim Erzählen nachdenklich aus, sein Stirnrunzeln wurde etwas stärker noch, als er ansetzte zu sagen: „Ich habe jetzt 2025 ein Déjà-vu lebt, das einen sprachlos macht.“ Der Bergknappe und Kenner der Plauener Unterwelt sagte, dass er vor einigen Tagen wegen seiner Kompetenz und Kenntnisse behördlicherseits angefragt wurde, wie ich es vorsichtig ausdrücke. Die Frage lautete in etwa, wie viele Plauener Keller womöglich luftschutztauglich wären. „Stell Dir das mal vor. Wir schreiben das Jahr 2025. Die Geschichte hier klingt wie einst 1939“, erhob mein Freund mahnend seine Stimme. Dann – wir schwiegen uns an.
Schutzräume vorhanden, deren „Ertüchtigung“ müsste halt auf die Tagesordnung
Ein interessanter wie skurriler Fakt zum Thema Luftschutzkeller in Plauen war ebenfalls Inhalt unseres Gesprächs. Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) äußerte sich vor einiger Zeit genau so, wie das aktuell von Politikern mit dem Willen zur Kriegsertüchtigung und zivilgesellschaftlichen Mobilmachung geschieht, alarmistisch und fordernd, hier in Sachen „fehlender Schutzräume“:
Keine Schutzräume im Osten. Sachsen kommt in dieser Aufzählung nicht vor. „Dabei ist zu berücksichtigen, dass öffentliche Schutzräume ausschließlich in den westlichen Ländern (einschließlich Berlin) vorhanden waren. Schutzräume der ehemaligen DDR wurden nach der Wiedervereinigung Deutschlands nicht in das Schutzkonzept des Bundes übernommen“, heißt es in der Antwort auf die FDP-Anfrage. Das bedeutet jedoch nicht, dass in Sachsen gar keine entsprechenden Räume vorhanden sind. Sie müssten jedoch umfassend ertüchtigt werden.
(Quelle: Sächsische Zeitung)
Bis 2029 ist ja noch Zeit – dann, erst dann kommen die Russen, nicht wahr?
Nun lesen wir einfachen, braven, mündigen Bürger ja regelmäßig Zeitung, schauen „Tagesschau“ oder surfen auf seriösen Seiten im Internet. So wissen wir, alle gut informiert und auf Linie gebracht – auch mein alter Freund und ich im kleinen Plausch mitten in der Plauener Altstadt –, dass unser Land fit gemacht wird, werden muss: Rüstung, Verteidigung, Wehrpflicht, Katastrophenschutz, kritische Infrastruktur, Keller usw. – das volle Programm. Geht ja nicht anders, hätten wir ja gern auch anders, aber so …, hat es kürzlich ein einst berühmter Musiker bedauernd wie sinnfrei gesagt. Der Russe steht schließlich vor der Tür. 2029 soll er kommen, haben wir gelesen. Bis dahin ist etwas Zeit, die das böse Riesenreich im Osten uns einräumt, befanden wir in unserem Plausch ironisch. Wir erinnerten uns auch daran, dass die Sowjetarmee, also auch viele Russen, zu DDR-Zeiten in Plauen stationiert waren und nach der Wiedervereinigung 1990 nach und nach bis 1994 abzogen. Ich frage mich: Ob die wirklich zurückkommen wollen und werden?
Einstige Allende-Schule – bald ein Katastrophenzentrum?
Nicht nur Keller werden gebraucht für ein wehrhaftes, auf Krisen und Kriege vorbereitetes Plauen. Beim Lesen der Lokalpresse entdeckte ich die Überschrift „Allende-Schule: Wie es nach dem Bau weitergeht“ und erfuhr, dass diese lange Jahre geschlossene, einst beliebte Schule nun doch nicht abgerissen werden soll. Stattdessen ist in Planung, die einstige Salvador-Allende-Schule zu einem Katastrophenschutzzentrum Plauen auszubauen. Ich dachte, da läuft somit alles nach Plan: da die ertüchtigten Luftschutzkeller, dort ein Katastrophenschutzzentrum, mittwochs stets Punkt 15 Uhr Probealarm via Sirenensignal über den Dächern der Stadt. Dazu noch eine surreal klingende Durchsage einer KI-Stimme, dass das nur eine Übung sei.
Bomben auf Plauen – auch, weil die Stadt deutsche Rüstungshochburg war
Im Vogtlandmuseum Plauen ist derzeit eine eindrucksvolle Ausstellung zu sehen: Bomben auf Plauen.
Die schweren Luftangriffe auf die Stadt 1944/45 und die Rolle Plauens als Standort der Rüstungsindustrie des Deutschen Reiches stehen im Blickpunkt der Exposition, ebenso wie die Wahrnehmungen der kriegerischen Akteure und der Betroffenen – die Alliierten auf der einen Seite, die Menschen in der Stadt auf der anderen. Man muss wissen, dass Plauen als Standort vernichtend getroffen werden sollte und dabei keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen wurde. Die Vogtländische Maschinenfabrik AG Plauen (VOMAG) war ein gewichtiger Produzent von Panzern, weitere Firmen der Rüstung hatten in Plauen, eigentlich die Stadt der textilen Spitze, ihren Sitz.
Von 1942 bis 1944 wurden 1374 Stück des Panzers IV produziert. Schon im Oktober 1943 war das erste Exemplar der ersten eigenständigen Panzerkonstruktion der VOMAG einsatzbereit. Das Plauener Werk war der einzige Hersteller dieses Jagdpanzers IV. Bis 1945 wurden von diesem Panzerjäger 1700 Stück gebaut.
(Quelle: VOMAG Plauen)
Nun blicken wir braven Bürger Richtung Jahr 2029 … Verdreifachung der Rüstung!?
Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg, dem gescheiterten Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion lag Plauen wie viele andere Städte in Trümmern. In der VOMAG wurden nach Wiederaufnahme der Produktion einige Zeit Handwagen gebaut … Die Aussage „Nie wieder Krieg!“ wurde in Plauen heimisch. Viele Jahre herrschte tatsächlich Frieden, und von deutschem Boden sollte nie wieder ein Krieg ausgehen.
In unserer Gegenwart ist das Schnee von gestern. So schwadronieren einflussreiche deutsche Politiker, dass diese Friedensdividende aufgebraucht sei. Wie besessen wollen sie Pläne durchsetzen, die unsere Zivilgesellschaft in schwere Gefahr bringt. Vielfach ist davon zu lesen, die Bürger gewöhnen sich geradezu daran, dass es bald knallen könnte.
Wehretat soll bis 2029 fast verdreifacht werden. Der deutsche Verteidigungshaushalt soll bis zum Jahr 2029 schrittweise auf 152,8 Milliarden Euro anwachsen. Das wäre nahezu eine Verdreifachung des Etatansatzes von 2024. Der Entwurf von Finanzminister Lars Klingbeil sehe insgesamt Ausgaben von 503 Milliarden Euro vor, hieß es am Montag aus seinem Ministerium. Einhergehen solle das mit einem drastischen Anstieg der Neuverschuldung auf einen Jahreswert für 2029 von 126,1 Milliarden Euro. (…) In diesem Jahr soll der Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP 2,4 Prozent erreichen. Für den Wehretat ist dann dem Haushaltsentwurf der Regierung zufolge ein Volumen von 62,4 Milliarden Euro geplant, mehr als zehn Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Für 2026 sind für den Wehr-Etat [sic] 82,7 Milliarden Euro vorgesehen, für 2027 93,3 Milliarden Euro.
(Quelle: MDR)
„Diese Schutzräume sind nicht mehr nötig, wenn es knallt.“
Das Gespräch zwischen zwei sorgenvoll in die Zukunft blickenden Freunden endete mit einem Spruch zu den Schutzräumen, die nach und nach in Plauen „ertüchtigt“ (was für ein blödes, böses Wort) werden sollen: „Diese Schutzräume sind nicht mehr nötig, wenn es knallt.“
Titelbild: Animaflora PicsStock/shutterstock.com