In Deutschland läuft alles nach Plan. Wohin sich der Blick in die Zivilgesellschaft auch richtet, die Zeichen stehen auf Militarisierung. So passiert es auch im eher kritischen Osten, was das Thema Krieg und Frieden angeht, dass die reaktionäre Politik zum Angriff bläst. Gewichtige Personen führender Parteien haben inzwischen mitbekommen, dass es sich zu beeilen gilt, wenigstens etwas von den Rüstungsaufträgen abzubekommen – eine Art ‚Aufschwung Military Ost 2.0‘. Viele Bürger machen sich zwar Sorgen, die „Signale“ aus der Wirtschaft deuten dagegen völlig unbeirrt und gierig Richtung „Offenheit“ für eine intensive Erweiterung der „Kapazitäten“. Von Frank Blenz.
In Thüringen heißt es jetzt – Gewehr bei Fuß für die militärische „Wertschöpfung“
Die folgende Nachricht des öffentlich-rechtlichen Senders MDR, mit passend aufreizender Überschrift „Panzer aus der Goldenen Aue“ versehen, reiht sich in die Tag für Tag uns Bürgern zugemutete Ertüchtigungs- und Medienpolitik, eine zivile in eine durch und durch militarisierte Gesellschaft zu verwandeln. Bis ins idyllische Thüringen dringt dieser Wahnsinn durch:
Panzer aus der Goldenen Aue – das ist die Idee des Nordhäuser Landrats Matthias Jendricke (SPD). Er will Rüstungsfirmen auf der Goldenen Aue ansiedeln und hat dafür bereits mit der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen gesprochen.
Jendricke sagte, dass Deutschland seine Rüstungskapazitäten derzeit erhöhe. Von dieser Wertschöpfung würden vor allem die alten Bundesländer profitieren. „Wir dürfen uns im Osten nicht davon abkoppeln.“ Das Industriegebiet liege derzeit brach, das könnte als Chance genutzt werden.
Ergänzend heißt es beim MDR über weitere eifrige Interessenten am großen „Was brauchen wir Autos? Panzer brauchen wir“-Spiel:
Auch unter Thüringer Automobilzulieferern gibt es großes Interesse an Aufträgen aus der Rüstungsindustrie. Wie der Branchenverband Automotive Thüringen kürzlich mitteilte, sind drei Viertel der Mitgliedsunternehmen offen für eine Zusammenarbeit mit Rüstungsfirmen.
(Quelle: MDR)
Ein thüringischer Landrat hat also eine „Idee“ mit dem knackigen Slogan „Panzer aus der Goldenen Aue“, ein still ruhendes Industriegebiet bei Nordhausen in ein florierendes Rüstungsareal zu verwandeln. Zivile Ansiedlungen gelangen ihm und seinen Kollegen bislang wohl nicht. Zivil bringt auch nicht so viel ein, nicht wahr? Der Kommunalpolitiker führt sodann eine für mich zweifelhafte Begründung ins Feld, dass der Osten von der bundesdeutschen „Wertschöpfung“ mittels Militarisierung auch ein wenig profitieren sollte. Bislang geschehe das zu seinem Bedauern „vor allem“ in den alten Bundesländern, wo bekanntlich die herausragenden Waffenschmieden der Bundesrepublik zu Hause sind und deren Aktienkurse immer und immer weiter neue Rekordwerte zu vermelden haben. Tja, Herr Landrat, da kann der Osten nur neidisch werden. Doch statt die Zivilgesellschaft zu stärken, schlägt sich der Panzer-Ideen-Finder auf die Seite der Militaristen, schön Marsch, Marsch zurück ins Glied.
Zur Erinnerung, Herr Landrat, Nordhausen 1945, da war doch etwas?
Während der MDR ganz in der Tradition zweifelhafter Professionalität die in Wahrheit große Sorgen bereitende Nachricht durchwinkt und vor allem, nein einzig die Befürworter großer Taten für ein wehrhaftes Land zitiert, weil der Osten sich ja nicht abkoppeln darf und Rüstung ja eine Chance sei (welche?), muss dem forschen Landrat in Erinnerung gebracht werden, dass das Industriegebiet zu Nordhausen gehört, einer Stadt, die im Jahr 1945 … Da war doch etwas? Auf der Internet-Präsenz der thüringischen Stadt steht dazu:
Vor 77 Jahren war Nordhausen Ziel von zwei schweren Luftangriffen am 3. und 4. April 1945 durch die britische Royal Air Force. Die Luftangriffe zerstörten die Stadt schwer und kosteten tausenden Menschen das Leben, unter ihnen viele Häftlinge des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, die in der Stadt zur Zwangsarbeit eingesetzt und nahe der „Boelcke“-Kaserne untergebracht waren.
(Quelle: Nordhausen)
Zur Ergänzung: Nordhausen galt damals wie viele andere Städte in Mitteldeutschland als ein strategisch wichtiger Standort für den Transport und die Kriegsproduktion. Die KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter mussten in der Rüstungsindustrie schuften …
Jetzt schreiben wir 2025. Überaus befremdlich wirkt für mich, wie intensiv und fanatisch Kommunalpolitiker die Trommel rühren und ausblenden, was früher war und was nie wieder geschehen sollte. „Nie wieder Krieg“ heißt der Satz, Herr Landrat.
Ja, zur Wahrheit gehört leider auch: Baute man in Nordhausen bald moderne, teure Panzer, würde dies in der Tat einige Arbeitsplätze schaffen, dem Landkreis sowie der Stadt Gewerbesteuern satt einbringen und vor allem die Chefs und Aktienbesitzer von Rüstungs- und Zulieferfirmen freudig stimmen – ein Gläschen Sekt in Ehren, versteht sich.
Könnte indes auch sein, dass diese thüringischen, also ostdeutschen Firmen wie gehabt im einig Vaterland lediglich Außenstellen und verlängerte Werkbänke großer westdeutscher Rüstungskonzerne blieben und die Gewinne woanders landeten …
So wie in Thüringen auch in Sachsen – Politiker setzt sich für seine Region ein – also für die Aufrüstung
Übrigens: Was der Landrat in Thüringen kann, das geht auch im Freistaat Sachsen, von wegen der Osten hinkt dem eifrigen Westen hinterher. Wirtschaftsminister Dirk Panter ließ vor einiger Zeit im Landtag zu Dresden verlauten, dass er mehr Rüstungsinvestitionen nach Sachsen holen wolle – und zwar mit Vehemenz. Was für ein Irrsinn. Die Heimatpresse schrieb zum Plan von Minister Panter:
Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD) will mehr Rüstungsfirmen in den Freistaat holen. Er werde sich „vehement dafür einsetzen, dass wir Investitionen in die Rüstung auch nach Sachsen holen“, sagte er in seiner ersten Fachregierungserklärung im Landtag. Das betreffe die Industrie, den Mittelstand und auch Start-ups. Nach Angaben des Ministers ist die Wirtschaftsleistung in Sachsen im vierten Quartal 2024 um 1,8 Prozent gesunken, im vergangenen Jahr gingen im Saldo 6.000 Industriearbeitsplätze in Sachsen verloren. Im Gegensatz dazu sei Mecklenburg-Vorpommern das einzige Flächenland im Osten, dessen Wirtschaft 2024 leicht wachsen konnte – dank der Aufträge aus der Rüstungsindustrie.
(Quelle: Sächsische Zeitung online)
Wie kommentiert die Heimatpresse Sachsens Neuausrichtung?
Herrn Panter sei gesagt, dass das bundesweite Projekt „Umrüstung von zivil zu militärisch“ auch ohne seine Forderung schon gut in Sachsen angelaufen ist. In Bautzen werden zum Beispiel bald statt Waggons für die Eisenbahn knackige Rüstungsgüter für das wehrhafte Deutschland produziert.
Und passenderweise malte in der Sächsischen Zeitung die Autorin Andrea Schawe sich meiner Meinung nach die Welt, wie sie ihr gefällt, und zwar kriegsertüchtigend und so vehement wie Panter. Schawe sprang dem Minister fein zur Seite, als bekäme sie vom Kuchen auch etwas ab:
Guten Morgen! Wenn Rüstungsfirmen neue Standorte suchen, regt sich in der Bevölkerung oft Widerstand. In Sachsen haben die Menschen vor Ort in der Vergangenheit mit Demonstrationen und Bürgerinitiativen reagiert – etwa als die Idee aufkam, Rheinmetall könnte eine Munitionsfabrik in Großenhain bauen, oder bei der kürzlichen Übernahme des Görlitzer Standorts des Schienenfahrzeugherstellers Alstom durch den Rüstungskonzern KNDS. Sachsens Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD) will sich dennoch „vehement“ für Investitionen und Jobs in der Rüstungs- und Sicherheitsbranche einsetzen. Das ist vor allem eine Geldfrage: Die Bundesregierung will dreistellige Milliardenbeträge für die Sicherheit ausgeben. „Sollen diese Gelder wirklich alle in den anderen Bundesländern investiert werden? Wollen wir das?“, fragte er am Mittwoch im Landtag. Sachsen sollte nicht nur ein Stück des Kuchens wollen, der Freistaat braucht es auch – gerade jetzt, wenn viele Arbeitsplätze bei Unternehmen wie VW, Bosch, Heiterblick oder DOW akut bedroht sind. Der Wechsel in die Militärsparte könnte hochwertige Industriearbeitsplätze sichern und Sachsens Wirtschaft ankurbeln.
(Quelle: Sächsische Zeitung online)
Wir sollen ernsthaft diesen miesen militaristischen „Aufschwung Ost“ wollen? Nein, ihr Landräte, Minister und Schreiberlinge!
Nein, diese Aussichten sind ganz und gar nicht rosig: Nordhausen wird zur Waffenschmiede, in Bautzen werden nicht mehr Reisewaggons, sondern Kriegsgerät gebaut, in Großenhain eine Munitionsfabrik. Hochwertige zivile Industriearbeitsplätze werden allein gesichert, weil all die wertvollen Kompetenzen der Arbeiter künftig der einträglichen Produktion von Kriegsmaterial dienen sollen? Wie verstörend und abzulehnen ist die Aussage, dass Sachsen nicht nur ein Stück Kuchen wollen soll, sondern den Rüstungsprofit angeblich auch „brauche“? Und wollen wir das wirklich?
Der Wechsel in die Militärsparte könnte hochwertige Industriearbeitsplätze sichern und Sachsens Wirtschaft ankurbeln.
Nein, so nicht! Nicht im Osten, nicht im Westen. Nicht in Deutschland.
Titelbild: Spech / Shutterstock