Interview mit William Serafino zur Lage in Venezuela: US-Militärkampagne, Medienmanipulation und die Rolle Europas

Interview mit William Serafino zur Lage in Venezuela: US-Militärkampagne, Medienmanipulation und die Rolle Europas

Interview mit William Serafino zur Lage in Venezuela: US-Militärkampagne, Medienmanipulation und die Rolle Europas

Ein Artikel von amerika21

Im Interview analysiert der venezolanische Politikwissenschaftler William Serafino die aktuelle US-Strategie gegenüber Venezuela. Er beleuchtet die „Kampagne des maximalen Drucks“, die militärische Präsenz in der Karibik und die geopolitischen Interessen Washingtons. Serafino erklärt, warum die Anti-Drogen-Operationen als Vorwand für einen Regimewechsel dienen, wie Medienmanipulation die Bevölkerung beeinflusst und welche Rolle Europa und die internationale Gemeinschaft in diesem Konflikt spielen. Das Gespräch führte Sara Meyer.

In den letzten Monaten haben die Spannungen mit den USA wieder zugenommen. Wie interpretieren Sie die Äußerungen von Donald Trump und die US-Militärpräsenz in der Karibik?

Seit Anfang August wird versucht, die „Kampagne des maximalen Drucks” neu aufzulegen, die die erste Regierung von Donald Trump geprägt hat. Anders als die erste Kampagne, die auf wirtschaftliche Erstickung durch Sanktionen gegen den venezolanischen Ölsektor und die Unterstützung einer verfassungswidrigen Parallelregierung abzielte, liegt der Schwerpunkt dieser neuen Version stärker auf dem Militärischen.

Es wird darauf gesetzt, dass das militärische Aufgebot in der Karibik, die dortigen außergerichtlichen Hinrichtungen und eine bedrohliche Rhetorik aus Washington genügend Druck erzeugen, um einen politischen Zusammenbruch der venezolanischen Regierung herbeizuführen und so einen Regimewechsel zu erzwingen.

Dieser Wendepunkt ist jedoch ausgeblieben – was Zweifel daran aufkommen lässt, ob tatsächlich die Entschlossenheit besteht, eine katastrophale militärische Eskalation zu riskieren.

Obwohl Venezuela das geopolitische Gravitationszentrum der US-Militärpräsenz in der Karibik ist, kann man nicht ausschließen, dass diese Bewegung breiteren geostrategischen Überlegungen folgt – etwa der Wiederbelebung des hemisphärischen Exzeptionalismus aus dem Roosevelt-Korollar, der Einkreisung der Karibik, um Regierungen unter Druck zu setzen, die Washington fernstehen, und der Rückeroberung der Region als exklusive Einflusszone zur Eindämmung des wachsenden wirtschaftlichen und kommerziellen Einflusses Pekings. Ich glaube, das Manöver vereint beide Dimensionen, die sich gegenseitig verstärken.

Einige vergleichen dieses Szenario mit der Invasion Panamas 1989 zur Absetzung Noriegas. Glauben Sie, Washington strebt einen Regimewechsel in Caracas an, oder handelt es sich tatsächlich um eine Anti-Drogen-Operation?

Es ist offensichtlich, dass ein Aufmarsch aus Zerstörern, amphibischen Angriffsschiffen und einem nuklearbetriebenen U-Boot – unter anderem offensiven Militäreinheiten – keine Anti-Drogen-Operation ist.

Man muss sich nur kurz die Beschlagnahmungen der US-Küstenwache im Pazifik ansehen, also in der Region, durch die fast 90 Prozent der Drogen aus Kolumbien und Mexiko in Richtung USA transportiert werden, um zu erkennen, dass ein solcher militärischer Aufwand in der Karibik völlig unnötig ist. Die dortigen Drogentransporte sind marginal und mengenmäßig unbedeutend, wie selbst DEA-Analysen zeigen.

Es ist ebenso offensichtlich, dass unter dem Deckmantel des „Kampfes gegen den Drogenhandel” ein Regimewechsel angestrebt wird. Denn es wäre extrem kostspielig, einem Land aus reinem imperialem Interesse an seinen Bodenschätzen den Krieg zu erklären. Der angebliche Anti-Drogen-Kampf ist das lateinamerikanische Äquivalent zu den imaginären Massenvernichtungswaffen, mit denen die blutige Invasion des Irak gerechtfertigt wurde.

Laut mehreren Berichten werden Zivilisten in den Vierteln im Umgang mit Waffen ausgebildet. Welche Rolle spielt diese „Popularmilitarisierung” im aktuellen Kontext?

Die Einbeziehung der Zivilbevölkerung in Milizstrukturen – ob in Stadtvierteln, Siedlungen oder anderen Gemeinschaften – folgt einer Doktrin der „integralen Landesverteidigung”, die seit über einem Jahrzehnt besteht. Diese Berichte versuchen, den massiven Zuspruch, den die Rekrutierungsaufrufe im Land erfahren, zu delegitimieren, mit sensationsheischendem und oft rassistisch gefärbtem Unterton.

Dabei ist zu betonen, dass die Rekrutierung eine gesetzliche Grundlage hat: das Dekret Nr. 3560 aus dem Jahr 2005 sowie das Gesetz über Registrierung und Einberufung zur integralen Landesverteidigung von 2014. Die Mobilisierung und Ausbildung venezolanischer Bürger ist daher weder verzweifelt noch improvisiert und schon gar nicht illegal, wie oft behauptet wird.

In den Medien kursierten Berichte, Maduro habe den USA Öl und Gold angeboten. Wie glaubwürdig sind diese Informationen?

Sie sind kaum glaubwürdig und zielen darauf ab, Spaltungen innerhalb der Regierung zu erzeugen und Misstrauen zwischen Caracas und seinen wichtigsten Partnern der multipolaren, eurasischen Achse zu säen. Zudem beruhen diese Meldungen auf vagen Grundlagen, stützen sich auf nicht überprüfbare Quellen und entbehren jeder nachprüfbaren Evidenz.

Ein solches angebliches Angebot wäre auch prozedural unsinnig. Schon allein, weil ein mehrschichtiges Sanktionspaket besteht, das ein hypothetisches Abkommen dieser Art verhindern würde, und weil die venezolanische Erdölproduktion gemeinsam mit Partnern aus dem BRICS-Raum kontinuierlich gesteigert wird.

In Venezuela ist oft von „psychologischer Kriegsführung” oder Medienmanipulation die Rede. Sehen Sie das auch so?

Ja, es ist ziemlich offensichtlich, dass versucht wird, die narrative Kontrolle zu übernehmen, das Informationsumfeld des Landes zuzuspitzen und die Bevölkerung kognitiv zu ermüden, durch eine Flut an Inhalten über angebliche militärische Bewegungen, die oft falsch sind oder aus anderen Kontexten stammen, aber gezielt eingesetzt werden, um den Eindruck einer unmittelbar bevorstehenden Invasion zu erzeugen.

In dieser Hinsicht gibt es ein berechnetes Vorgehen. Und in einem Informationszeitalter, das von Bots, algorithmischer Steuerung sozialer Netzwerke und künstlicher Intelligenz geprägt ist, muss man keine Science-Fiction bemühen, um sich vorzustellen, dass es gezielte Gruppen gibt, die täglich Inhalte veröffentlichen, um die kollektive Psychologie der Venezolaner zu beeinflussen – zugunsten der USA und zum Nachteil der Regierung.

Inmitten dieses Konflikts erhielt eine Venezolanerin den Friedensnobelpreis. In Europa wurde das gefeiert, in Lateinamerika fielen die Reaktionen jedoch kritisch aus. Wie wird dieser Gegensatz im Land wahrgenommen?

Die Auszeichnung von María Corina Machado hatte eine spaltende und polarisierende Wirkung, stärker als jede andere in der jüngeren Vergangenheit. Natürlich sorgte auch Obamas Preis für Kontroversen, aber dieser scheint ihn übertroffen zu haben.

Die positive Reaktion in Europa hängt sicher mit den kolonialen Mustern zusammen, die sich in Machados Figur ausdrücken: eine weiße Frau aus wohlhabender Familie, mit politischen Positionen, die die angeblich „zivilisatorische Mission” Europas verherrlichen, deren jüngste Ergebnisse das Massaker in Gaza und die Zerstörung ganzer Länder in Westasien sind.

In Lateinamerika hingegen wurde der Preis mit Bitterkeit aufgenommen. Man sah darin den Versuch, eine Politikerin reinzuwaschen, die ihre Karriere auf den Ruf nach zerstörerischen Sanktionen und militärischer Intervention aufgebaut hat.

Das hat Besorgnis über die symbolische Entwertung des Preises ausgelöst, denn im Kontext der Angriffe auf Venezuela scheint die Auszeichnung den Weg für ein kriegstreiberisches Szenario zu ebnen, das nicht nur das karibische Land, sondern den gesamten Kontinent gefährdet.

Wie erleben Venezolaner im Ausland die aktuelle Krise? Spüren sie echte Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft?

Der Begriff „Exil” ist meiner Meinung nach sehr negativ besetzt und beschreibt die Realität der venezolanischen Migration nicht. Er impliziert ein dauerhaftes Ausgeschlossen-Sein, während die Rückkehrmöglichkeiten durchaus bestehen.

Was Ihre Frage betrifft: Viele, die Familie in Venezuela haben, sind besorgt, dass die zunehmenden Drohungen zur Gefahr für ihre Angehörigen werden könnten. Das hängt auch mit der bereits erwähnten Überflutung mit kriegsbezogenen Inhalten zusammen, die Angst und Unsicherheit erzeugen – innerhalb und außerhalb des Landes.

Je stärker die Informations- und psychologische Kriegsführung, desto größer die allgemeine Besorgnis über die unmittelbare Zukunft.

Welche Rolle sollten die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft gegenüber Venezuela einnehmen?

Meiner Ansicht nach sollte sie eine konstruktive Rolle spielen, unabhängig von der konfrontativen Logik Washingtons. Sowohl die EU als auch die internationale Gemeinschaft teilen das Interesse an der Stabilisierung der internationalen Sicherheitslage, als Grundlage für wirtschaftliche und politische Entwicklung.
Eine militärische Eskalation in der weltweit größten Ölreserve und einer der wichtigsten Gasregionen hätte verheerende globale Folgen – insbesondere für die EU, die stark von Energiepreisen und Lieferketten abhängt.

Ich denke, das Bewusstsein, dass eine Gefolgschaft gegenüber Washington mehr Risiken als Vorteile birgt, erklärt, warum Brüssel bislang keine aktive Rolle in dieser neuen Regimewechsel-Kampagne spielt und warum das Vorgehen der USA in Lateinamerika wie auch weltweit mit Sorge betrachtet wird.

Allerdings ist Schweigen eine bequeme, aber potenziell mitverantwortliche Haltung, falls sich die Lage verschärft. Europa und die internationale Gemeinschaft sollten ihre eigenen geopolitischen und energiepolitischen Stabilitätsinteressen über die der USA stellen.

Das Interview erschien zuerst auf Amerika21.

Titelbild: Diario Red

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!