Da ist auf einem Foto der deutsche Stardirigent Justus Frantz zusammen mit Wladimir Putin zu sehen. Frantz hat gerade vom russischen Staatsoberhaupt den Freundschaftsorden des Landes verliehen bekommen. Die Zeitung WELT berichtet unter der Überschrift: „Eklat in Moskau – Putin verleiht deutschem Stardirigenten Freundschaftsorden“. Wer nach dem „Eklat“ in dem Artikel sucht, wird allerdings nicht fündig. Es gab keinen „Eklat.“ Was es allerdings gibt, ist eine deutsche Presse, die wohl am liebsten alle verbindenden Brücken zwischen Russland und Deutschland sprengen möchte. Mit einem Eklat hat Frantz‘ Verhalten so wenig zu tun, wie weite Teile der deutschen Russlandberichterstattung etwas mit Journalismus zu tun haben: Nichts! Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
„Eklat in Moskau – Putin verleiht deutschem Stardirigenten Freundschaftsorden“ – so lautet die Überschrift eines aktuellen WELT-Artikels, und als Leser stellt man sich die Fragen: Wo ist der „Eklat“? Was ist da bei der Ordensverleihung passiert? Doch auch nach der akribischen Suche in jeder Zeile und jedem Satz ist festzustellen: Es gibt gar keinen „Eklat“. Nichts ist passiert, nichts hat sich zugetragen. Der 81-jährige Justus Frantz hat Wladimir Putin getroffen und dabei den russischen Freundschaftsorden erhalten. Kein „Eklat“, nirgends, weit und breit.
Wobei: Ganz stimmt das nicht. Auch wenn in dem WELT-Artikel kein Eklat aufgezeigt wird: In den Sinnprovinzen deutscher Medien kann durchaus auch ein Eklat vorhanden sein, wo gar keiner ist. Und das geht so:
Journalisten wollen einen Eklat sehen – also „gibt“ es auch einen. Oder anders formuliert: Journalisten schaffen einfach ein Stück Scheinrealität durch einen Benennungsakt. Nicht Gott sprach: „Es werde Licht“, sondern Journalisten sprechen: „Es sei ein Eklat“ – und schon steht das Wörtchen „Eklat“ mit vollem Realitätsanspruch in einer Überschrift. Ist das nicht faszinierend?
Es gab eine Zeit, da musste sich Journalismus an harten Fakten orientieren. Spiegel-Gründer Rudolf Augstein prägte das ehrwürdige Journalistenmotto „Sagen, was ist“. All das ist lange her. Unter dem Zeitgeist der politisch herbeifantasierten Zeitenwende setzen viele Medien mit Schwung fort, was sie seit Langem praktizieren: Sagen, was sein soll.
Bei dieser „journalistischen“ Vorgehensweise braucht es kein Korrelat in der Realität. Das Benannte muss gar nicht existieren. Es reicht völlig aus, wenn eine bestimmte Ansicht im Kopf eines Journalisten vorhanden ist. Dann bedarf es nur noch ein bisschen redaktioneller Rückendeckung – und schon darf aus dem Nichts ein „Eklat“ herbeigeschrieben werden.
Der „Eklat“ soll hier gar nicht irgendein Ereignis bei der Verleihung des Freundschaftsordens gewesen sein, sondern die Verleihung und die Annahme des Ordens durch Frantz: Das betrachtet die WELT wohl als „Eklat“.
Die Gründe für diese kreative Berichterstattung lassen sich leicht herleiten, wenn man sich vor Augen führt, mit welch spitzer Feder schon seit Jahren Medien in Deutschland gegen Putin und Russland anschreiben.
Da führt Russland also einen Angriffskrieg – und ein bekannter deutscher Musiker schüttelt Putin die Hand: „Eklat!“, rufen die moralisch Gerechten in den Redaktionen.
Das Problem: Es stinkt nach Doppelmoral, zweierlei Maß und billiger publizistischer Propaganda im Sinne der vorherrschenden Politik.
Warum denn dieses? Nun, die Gegenprobe möge bei Beantwortung der Frage helfen.
Es ist der 1. Dezember 2018. Einen Tag zuvor hat Ex-US-Präsident George Herbert Walker Bush das Zeitliche gesegnet. Anders gesagt: Er, der nach der brutalen Invasion in Panama unter dem Namen „Operation Just Cause“ auch noch treibende Kraft beim ersten Angriff auf den Irak im Jahr 1991 war, bei der – nebenbei bemerkt – schätzungsweise 100.000 Zivilisten und 75.000 irakische Soldaten starben, war nun abgetreten von der Bühne dieser Welt. Und die WELT verfasste einen handzahmen Artikel und gab ohne kritische Einordnung die Worte seines Sohnes aus einer entsprechenden Mitteilung wieder: „George H. W. Bush war ein Mann mit herausragendem Charakter und der beste Vater, den sich ein Sohn oder eine Tochter wünschen kann.“
In dem WELT-Artikel über das Ableben von Bush Senior ist so wenig ein kritisches Wort zum bemerkenswerten „Wirken“ des Ex-CIA-Chefs zu finden, wie sich ein Eklat in dem WELT-Artikel zu Frantz finden lässt.
Der Unterschied ist: Hier maximale journalistische Zurückhaltung und Ignoranz, da das vorhersehbare Empörungsgetue.
Dass Frantz den Freundschaftsordnen entgegengenommen hat, ist kein Skandal und kein Eklat. In einer Zeit, wo die NATO ein gigantisches Aufrüstungsprogramm forciert, in einer Zeit, in der die deutsche Politik die Losung „Kriegstüchtigkeit“ ausgegeben hat, in einer Zeit, in der Propagandisten immer und immer wieder von einem Krieg zwischen der NATO und Russland reden, braucht es Brückenbauer und keine Brückensprenger. Denn: Solange Deutsche und Russen noch miteinander reden, besteht die Hoffnung, dass es nicht zur totalen Eskalation in einen verheerenden dritten Weltkrieg kommen wird. In einer Zeit, wo schon ein falsches Wort, das nicht im Sinne der Feindbildbauer ist, ausreicht, um öffentlich als „Putin-Versteher“ beschimpft zu werden, braucht es Menschen mit starkem Charakter, die sich davon nicht beeindrucken lassen.
Nach dem furchtbaren Gemetzel zwischen Deutschen und Russen im Zweiten Weltkrieg wollen die Kalten Krieger unserer Zeit wieder einen Keil zwischen beide Länder treiben. Hass und Zwietracht sähen sie unermüdlich aus. Ihre Kritik an dem russischen Krieg ist verlogen von vorne bis hinten – so wie ihre angebliche Verbundenheit mit der Ukraine geheuchelt ist. Läge ihnen etwas an der Ukraine, ginge es ihnen tatsächlich um Unrecht und einen möglichst schnellen Frieden: Sie würden nicht die Schlachtfelder mit Waffen fluten und ohne Unterlass Stimmung gegen Russland schüren.
Ein Justus Frantz, der sich offensichtlich von der Propaganda in Deutschland nicht beeindrucken lässt, wird als „Störfaktor“ wahrgenommen. Mit einem Eklat hat das so wenig zu tun, wie weite Teile der deutschen Russlandberichterstattung etwas mit Journalismus zu tun haben: Nichts!
Titelbild: kremlin.ru/Sergei Karpukhin, TASS





