Eine neue Studie alarmiert: Systematische Abzocke von Mietern ist eine weit verbreitete Praxis und bleibt für die Abzocker fast immer folgenlos. Die Bundesregierung weiß um die Machenschaften, macht aber nichts dagegen. Zumindest nicht so bald, aber in zwei, drei Jahren vielleicht. Für die Opfer heißt das: abwarten, Tee trinken und eifrig weiter blechen. Von Ralf Wurzbacher.
Das gab es in Berlin noch nie: Weil eine Hauseigentümerin ihre Mieterin übervorteilt hatte, wurde sie Anfang November durch das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg zu einer Strafe von insgesamt 48.000 Euro verdonnert. Das Bußgeld beläuft sich auf 26.000 Euro, 22.000 Euro muss sie an die Betrogene zurückzahlen. Tätig werden können die Gerichte auf Basis von Paragraf 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes (WiStrG) bereits, sobald die verlangten Wohnkosten die ortsübliche Vergleichsmiete um 20 Prozent übersteigen. In diesem Fall hatte sich die Wohnungsbesitzerin einen Aufschlag von 190 Prozent genehmigt.
So viel Dreistigkeit mag selten sein, gezielte Abzocke auf niedrigerem Niveau findet dagegen ausgesprochen häufig statt. Vielmehr ist die Praxis fast schon die Regel. Letzte Woche veröffentlichte der Deutsche Mieterbund (DMB) seinen neuesten „Mietenmonitor“. Beleuchtet wird darin die Situation in Berlin und in Ulm, einer mittelgroßen Stadt in Baden-Württemberg, anhand der Auswertung von über 20.000 Online-Wohnungsanzeigen im Zeitraum zwischen Mai 2024 und Oktober 2025. In der begleitenden Pressemitteilung ist von „alarmierenden Ergebnissen“ die Rede. Demnach werden in beiden Städten bei der Preisgestaltung die gesetzlichen Vorgaben in gravierendem Ausmaß verletzt.
Mietspiegel blind
Die Untersuchung operiert mit drei Maßstäben, angefangen mit der sogenannten Mietpreisbremse, die in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt bei Neuvermietung Preisaufschläge von maximal zehn Prozent oberhalb des lokalen Mietspiegels erlaubt. Gemäß der Erhebung wird diese Bestimmung in Berlin bei nahezu 46 Prozent und damit knapp der Hälfte der inserierten Bestandswohnungen mutmaßlich unterlaufen, in Ulm sogar zu rund 70 Prozent.
Zweitens wird nach Fällen einer „Mietpreisüberhöhung“ gefragt. Die liegt vor, wenn das ortsübliche Mittel „vorsätzlich oder leichtfertig“ um mindestens 20 Prozent überschritten wird, und kann als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. Für Berlin verzeichnet die Erhebung bei unmöblierten Wohnungen in fast 15 Prozent der Inserate eine „Mietpreisüberhöhung“, in Ulm im Umfang von 33,4 Prozent.
Drittens hat der DMB Verstöße gegen den „Mietwucherparagraphen“ gezählt. Der greift bei einer Kluft von 50 Prozent und mehr gegenüber den örtlich üblichen Preisen und kann bei Missachtung strafrechtliche Konsequenzen mit üppigen Geldbußen bis hin zu einer Freiheitsstrafe nach sich ziehen. Die Studie hat für die Hauptstadt eine Quote von 18 Prozent bei unmöblierten Wohnungen ermittelt, bei denen von Wucher auszugehen ist. Im Fall von Ulm sind es 14,7 Prozent.
Keine Überraschung
Die Befunde decken weitverbreitete Machenschaften auf, von denen man bis dahin nur eine Ahnung hatte. So richtete der Berliner Senat Anfang März eine „Mietpreisprüfstelle“ ein, an die sich inzwischen Hunderte Menschen mit dem Verdacht gewandt haben, von ihrem Vermieter über den Tisch gezogen zu werden. Die Analyse ergab, dass neun von zehn Betroffenen damit richtig lagen. Allerdings sind die Zahlen nicht belastbar, weil sie nur solche Personen erfassen, die von sich aus aktiv wurden. Dasselbe gilt für den von der Bundestagsfraktion Die Linke vor einem Jahr gestarteten „Mietwucherrechner“. Die bisher erfolgten Auswertungen lieferten jedes Mal das Bild von überwiegend hemmungslosen Vermietern, die beim Abkassieren auf bestehende Regeln pfeifen.
Mit der DMB-Veröffentlichung wird aus einem Verdacht Sicherheit und der Skandal quasi amtlich, weil repräsentativ bestätigt. Am Mittwoch äußerte sich Verbandspräsidentin Melanie Weber-Moritz gegenüber den NachDenkSeiten:
„Leider mussten wir mit einem solchen Umfang an Regelüberschreitungen rechnen. Auch die Beratungspraxis unserer Mietervereine, insbesondere in den nachgefragten Städten zeigt, dass die Mietpreisbremse in vielen Städten systematisch umgangen wird. Dieses Ausmaß ist erschreckend – aber aufgrund der fehlenden Kontrollen und Konsequenzen für Vermieter leider nicht überraschend.“
Stumpfes Schwert
Wie berichtet, ist die „Mietpreisbremse“ ein stumpfes Schwert, weil sie wegen etlicher Schlupflöcher umschifft werden kann und Eigentümer bei Verstößen kaum oder gar nicht belangt werden können. Das Grundproblem besteht ohnehin darin, dass es kaum einer wagt, sich angesichts hoffnungslos überhitzter Wohnungsmärkte mit dem Vermieter anzulegen, geschweige denn ihn vor den Kadi zu zerren. Aus Angst vor dem Rauswurf und bei mangelndem Ersatz an bezahlbarem Wohnraum lassen sich viele bereitwillig abzocken.
Speziell zeigt sich das bei möblierten Wohnungen. Dass diese grundsätzlich nicht der Mietpreisbremse unterlägen, ist eine gängige, aber falsche Behauptung. Abweichungen sind lediglich unter bestimmten Bedingungen möglich, aber nicht generell, wie viele Vermieter glauben machen wollen. Entsprechend groß ist der Grad an Missbrauch. Objekte mit Möbeln werden in Berlin laut DMB zu 69 Prozent rechtswidrig teuer vermietet und bei mehr als der Hälfte dieser Anzeigen wird die Mietwuchergrenze überschritten. Für Ulm liegt der Wert bei 55 Prozent, wobei davon etwa ein Drittel unter Mietwucher fallen.
Es sind vor allem große Immobilienunternehmen, die die gesetzlichen Vorgaben gezielt verletzen und darauf bauen, dass sich die Leidtragenden nicht zur Wehr setzen. Nach einem Handelsblatt-Bericht vom letzten Montag (hinter Bezahlschranke) strengt zum Beispiel die Vonovia SE mit Hauptsitz in Bochum massenhaft Prozesse an, um Mietsteigerungen durchzusetzen. Im Gros der Fälle weisen die Gerichte die Klagen jedoch als unbegründet zurück, weil die geltend gemachten „zusätzlichen Erhöhungsmerkmale“ wie etwa „überdurchschnittliche ÖPNV-Anbindung“ oder „überdurchschnittliche Nahversorgung“ frei erfunden sind.
Reibachgarantie
In der Gesamtsicht sind einzelne juristische Schlappen für Europas führenden Wohnungskonzern verkraftbar, solange nur die Gesamtbilanz stimmt. Bloß eine verschwindende Minderheit riskiert einen Rechtsstreit, die allermeisten fügen sich in ihr Schicksal und erfüllen die überzogenen Forderungen. Das wiederum hat mithin fatale Folgen nicht nur für den Einzelnen, sondern die Allgemeinheit. Denn erstens folgt die Konkurrenz dem schlechten Beispiel, und zweitens fließen unrechtmäßige Erhöhungen, denen mehrheitlich und notgedrungen zugestimmt wird, in die turnusmäßige Neuberechnung der Mietspiegel ein. Schon mit diesem Hebel blähen sich die Preise immer weiter auf – ohne jeden Mehrwert für die Mieter, aber mit Reibachgarantie für die dicken Fische der Branche.
Lässt sich die DMB-Studie verallgemeinern? Verbandschefin Weber-Moritz meint ja.
„Die Probleme sind struktureller Natur und nicht auf einzelne Regionen beschränkt. Wir beobachten bundesweit ähnliche Tendenzen. Wo die Mietpreisbremse gilt, wird sie häufig umgangen, und bei möblierten Wohnungen fehlt es vollständig an wirksamer Kontrolle. Das alles zeigt, dass bundespolitisches Handeln dringend notwendig ist.“
Was trotzdem erstaunt: In Ulm an der Donau mit seinen rund 130.000 Einwohnern wird in Relation sogar mehr betrogen als in der Spreemetropole. Dabei fiel die Wahl auf die Stadt gerade wegen ihrer „traditionell guten Bodenpolitik“ und lokalpolitischer Bemühungen, die „Spekulation zu begrenzen und bezahlbaren Wohnraum zu sichern“, wie es in der Studie heißt. Offenbar sind die guten Vorsätze inzwischen ausverkauft und versagt die „Mietpreisbremse“ in der kleinkarierten Provinz genauso beziehungsweise noch mehr als im chaotischen Berlin.
Aus Sicht des DMB gehört das Instrument dringend runderneuert. Es dürfe nicht länger nur in angespannten Wohnungsmärkten gelten, so Weber-Moritz. Außerdem müssten Ausnahmen wie die Berufung auf höhere Vormieten oder angebliche Modernisierungen abgeschafft werden.
„Vor allem braucht es spürbare finanzielle Konsequenzen bei Regelverletzungen. Nur empfindliche Bußgelder sorgen dafür, dass Vermieter sich an die Gesetze halten. Rechtliche Vorgaben nützen aber so lange nichts, wie sie nicht kontrolliert werden. Es braucht mehr staatliche Stellen, die Verstöße aufdecken und sanktionieren.“
Danach sieht es nicht aus. Erst nach langem Hickhack hatte der Bundestag Ende Juni eine Verlängerung der „Mietpreisbremse“ bis 2029 unter weitgehender Beibehaltung der bestehenden Modalitäten beschlossen. Zugleich kündigte Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) „weitere Pakete zum besseren Mieterschutz“ an, etwa zu Indexmieten, möblierten Wohnungen und „zur Ausweitung der Regelungen über Schonfristzahlungen“. Dass das alles „schnell“ passiert, wie sie versprach, muss derweil bezweifelt werden. Viel eher droht hier die nächste Hängepartie.
Hängepartie nach Plan
Beispielhaft zeigt sich das an den Vorgängen um den „Mietwucherparagraphen“ nach besagtem Wirtschaftsstrafgesetz. Bisher handelt nach dieser Norm ordnungswidrig, wer „infolge der Ausnutzung eines geringen Angebotes an vergleichbaren Räumen“ ein „unangemessen“ hohes Entgelt für Wohnräume fordert. Vor dem Hintergrund einer den Vermietern überaus wohlgesonnenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) hat sich die Vorschrift in der Praxis allerdings als zahnloser Tiger erwiesen. Nur in den seltensten Fällen wurde sie vor Gericht im Sinne von Mietern ausgelegt, so wie zuletzt in Berlin.
Deshalb wollte eigentlich schon die Ampel das Gesetz nachschärfen, mit dem Wortlaut, dass schon das „Vorliegen eines geringen Angebots an vergleichbaren Räumen“ ohne die „Ausnutzung“ dieses Umstandes ausreicht, „unangemessene“ Preise juristisch zu beanstanden. Zudem sieht die Vorlage eine Verdopplung der maximalen Strafe auf 100.000 Euro vor. Mit dem Bruch der Koalition blieb das Projekt jedoch unerledigt. Also legte der Bundesrat im September 2025 einen ähnlichen Entwurf vor, der auf eine Initiative Bayerns aus dem Jahr 2019 zurückgeht, die aber damals keine parlamentarische Mehrheit fand. Einen wiederum fast identischen Gesetzesvorstoß der Linksfraktion haben vor drei Wochen die Fraktionen von Union, SPD und AfD abgewürgt.
Das Ganze wirkt wie abgekartet. Seit Jahren vereiteln die jeweils Regierenden eine längst überfällige und für Mieter überaus sinnvolle Regeländerung und brüsten sich dazu auch noch mit denselben „guten Absichten“. So geht es weiter. Man wolle den künftigen Vorschlägen der im September durch Ministerin Hubig einberufenen „Mietrechtskommission“ nicht vorgreifen, begründeten Union und SPD zuletzt ihre Ablehnung des Linke-Antrags. Ach ja richtig: Laut Koalitionsvertrag werde eine Expertengruppe eine „Harmonisierung von mietrechtlichen Vorschriften“, „eine Reform zur Präzisierung der Mietwuchervorschrift“ und eine „Bußgeldbewehrung“ bei Nichteinhaltung der Mietpreisbremse „vorbereiten“. Stichtag: „bis zum 31.12.2026“. Die Umsetzung erfordert dann bestimmt noch mal ein Jahr oder zwei. Oder Neuwahlen funken dazwischen.
Noch einmal DMB-Präsidentin Weber-Moritz:
„Wenn die von uns geforderten Maßnahmen nicht zügig umgesetzt werden, wird sich die Lage auf angespannten Wohnungsmärkten weiter verschärfen. Und immer mehr Menschen werden sich ihren Wohnraum schlicht nicht mehr leisten können.“
Keine Sorge! Die Regierung meint es gut mit Dir, lieber Miethai …
Titelbild: Bjoern Wylezich/shutterstock.com





