Gegen Bevölkerungsmehrheit: Bundesregierung beschließt „Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte“ im Irak

Gegen Bevölkerungsmehrheit: Bundesregierung beschließt „Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte“ im Irak

Gegen Bevölkerungsmehrheit: Bundesregierung beschließt „Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte“ im Irak

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Die Bundesregierung hat bei ihrem letzten Kabinettstreffen die Fortsetzung des „Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Stabilisierung des Iraks und gegen das Wiedererstarken des IS“ beschlossen. Mit rund 300 Soldaten ist dies derzeit der zweitgrößte noch laufende Auslandseinsatz der Bundeswehr. Das irakische Parlament hatte allerdings 2020 für eine Resolution gestimmt, die die Ausweisung aller ausländischen Truppen, inklusive der Bundeswehr, forderte. Auch alle verfügbaren Umfragen belegen, dass eine große Mehrheit der Iraker sich gegen die Präsenz ausländischer Truppen im Land ausspricht. Vor diesem Hintergrund hatte die NachDenkSeiten einige Fragen an die Bundesregierung. Von Florian Warweg.

Hintergrund

Am 3. Januar 2020 tötete ein US-Drohnenangriff den irakischen Kommandeur der Kata’ib-Hezbollah-Miliz, Abu Mahdi al-Muhandis, sowie den iranischen Generalmajor Qassem Soleimani, Kommandeur der Quds-Einheit. Der US-Angriff auf irakischem Boden erfolgte ohne vorherige Information und Zustimmung der irakischen Regierung. In Folge stimmte das irakische Parlament zwei Tage später mit großer Mehrheit für den Abzug aller ausländischen Truppen. In einer Sondersitzung verabschiedeten die Abgeordneten eine Resolution, in der sie die irakische Regierung aufriefen, das Stationierungsabkommen mit Washington und anderen westlichen Staaten zu beenden. Dabei ging es explizit um die Aufkündigung des Abkommens vom Jahr 2014, welches ausländischen Staaten wie den USA und Deutschland erlaubte, Truppen in den Irak zu entsenden, um im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat” zu helfen.

Wortwörtlich hieß es in der Resolution:

„Die Regierung verpflichtet sich, ihren Antrag auf Unterstützung durch die internationale Koalition im Kampf gegen den ‚Islamischen Staat‘ aufgrund des Endes der Militäroperationen im Irak und des Erreichens des Sieges zurückzuziehen. Die irakische Regierung muss darauf hinarbeiten, die Präsenz aller ausländischen Truppen auf irakischem Boden zu beenden und ihnen zu verbieten, ihr Land, ihren Luftraum oder ihre Gewässer aus irgendeinem Grund zu nutzen.“

Adel Abdul-Mahdi, der damalige Premierminister, erklärte in Reaktion auf die Abstimmung, dass Regierungsbeamte ein Memorandum mit rechtlichen und verfahrenstechnischen Schritten zur Umsetzung des Parlamentsbeschlusses vorbereiten würden. Sollten die US-Truppen dann immer noch im Land verbleiben, würden sie als Besatzungsmacht betrachtet werden. Abschließend verkündete er in seiner Rede vor dem Parlament:

„Trotz der internen und externen Schwierigkeiten, denen wir möglicherweise gegenüberstehen, ist dies (Abzug der ausländischen Truppen) für den Irak sowohl aus prinzipiellen als auch aus praktischen Gründen die beste Lösung.“

Doch bis heute beruft sich die deutsche Bundesregierung für die erwähnte Mandatsverlängerung genau auf dieses Abkommen.

Umfragen zeichnen deutliches Stimmungsbild im Irak: Große Mehrheit gegen weitere Präsenz ausländischer Truppen

Alle seit Ende des Irak-Krieges 2003 durchgeführten Umfragen im Irak kommen zu einem klaren Ergebnis: Die große Mehrheit der Iraker spricht sich gegen eine weitere Präsenz ausländischer Militärs im Land aus.

So kam beispielsweise eine 2005 vom britischen Verteidigungsministerium in Auftrag gegebene Umfrage zu dem Ergebnis, dass 82 Prozent der befragten Iraker angaben, dass sie die Präsenz ausländischer Truppen „entschieden ablehnen“.

Eine Umfrage, die Mitte 2006 für das US-Außenministerium durchgeführt und von der Washington Post veröffentlicht wurde, ergab, dass „eine große Mehrheit der Iraker den sofortigen Abzug der von den USA geführten Koalitionstruppen aus dem Land wünscht, da ihrer Meinung nach ein schneller Abzug die Sicherheit im Irak erhöhen und die religiös motivierte Gewalt verringern würde”. Fast drei Viertel der befragten Einwohner gaben an, „sie würden sich sicherer fühlen, wenn die USA und andere ausländische Streitkräfte den Irak verlassen würden“. 65 Prozent sprachen sich für einen sofortigen Abzug aus. Alle im Verlauf der letzten Jahre durchgeführten Umfragen kamen zu tendenziell ähnlichen Ergebnissen.

Die fragwürdige Rechtfertigung der Bundesregierung

Laut einer umfassenden EU-Studie zur Sicherheitssituation im Irak verfügt der „Islamische Staat“ derzeit noch über maximal 500 bewaffnete Kämpfer, aufgeteilt auf mehrere „kleine Zellen mit zwei bis sechs Mitgliedern, die sich in Wüstengebieten, Tälern oder Gebirgszügen verstecken“.

Dies steht in eklatantem Widerspruch zur Behauptung des Regierungssprechers auf der Bundespressekonferenz, dass der Bundeswehr-Einsatz im Irak mit Hunderten von bewaffneten Soldaten weiterhin nötig sei, weil der IS angeblich, „in vielen Regionen wirklich für Destabilisierung sorgt“.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 10. Dezember 2025

Vize-Regierungschef Meyer

Die Bundesregierung hat heute die Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Stabilisierung des Iraks und gegen das Wiedererstarken des IS beschlossen. Die Vorgaben des bisherigen Bundestagsmandates sollen unverändert bis zum 31. Januar 2027 verlängert werden. Ziel des Einsatzes ist es, die bisherigen Stabilisierungserfolge im Irak zu konsolidieren, die Kapazitäten der regulären Sicherheitskräfte des Landes auszubauen und im Rahmen einer wirksamen regionalen Sicherheitsarchitektur einzubinden, um eine Wiedererstarkung der Terrororganisation „Islamischer Staat“ im Irak und in der Region dauerhaft zu unterbinden. Die irakische Regierung hat die weitere Unterstützung Deutschlands gegen die Bedrohung durch den IS erbeten. Die Fortsetzung unterstreicht das deutsche Engagement im Rahmen der NATO wie auch im Kampf gegen die Bedrohung durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“.

Frage Warweg

Ich habe nur eine kurze Verständnisfrage. Es gab Zeiten, in denen sich die irakische Regierung relativ explizit gegen eine ausländische Militärpräsenz, explizit auch von NATO-Mitgliedstaaten, ausgesprochen hat. Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann sind diese Vorbehalte nicht mehr präsent.

Vize-Regierungschef Meyer

Wie gerade bereits gesagt, hat die irakische Regierung die weitere Unterstützung Deutschlands gegen die Bedrohung durch den IS erbeten. Sie hat auch wiederholt betont, dass sie die Weiterführung von Beratungsaktivitäten und eine Fortsetzung von NMI wünscht. Insofern haben wir diesen Beschluss heute entsprechend gefasst.

Zusatzfrage Warweg

Zumindest wenn man Umfragen glauben darf, ist aber ein Großteil der irakischen Bevölkerung gegen diese Präsenz, namentlich von sowohl US- als auch Bundeswehrsoldaten. Gab es Überlegungen, die Bundeswehrsoldaten abzuziehen, um zumindest innenpolitisch Druck von der irakischen Regierung zu nehmen?

Meyer

Sie wissen, dass die Bekämpfung des „Islamischen Staates“, der unter anderem für sehr gewalttätige Terroranschläge verantwortlich ist, aber auch in vielen Regionen wirklich für Destabilisierung sorgt, nicht nur für Deutschland, sondern für viele Partner eine ganz wichtige Rolle spielt. Das ist der Hauptgrund, warum wir dieses Mandat entsprechend verlängern. Umfragen aus dem Irak sind mir dazu, offen gesagt, nicht bekannt.

Zusatz Warweg

Ich kann sie Ihnen nachliefern.

Meyer

Darauf bin ich gespannt. – Die Begründung für diese Mandatsverlängerung liegt, um es noch einmal sehr klar zu sagen, darin, insbesondere das Wiedererstarken des IS zu verhindern. Ich denke, das liegt nicht nur im Interesse der Region, sondern auch im Interesse Deutschlands und der Bürgerinnen und Bürgern hier.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 10.12.2025

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