Der Skandal um Jacques Baud: Die EU, die „Gedankenverbrechen“ und die Drohungen der Bundesregierung

Der Skandal um Jacques Baud: Die EU, die „Gedankenverbrechen“ und die Drohungen der Bundesregierung

Der Skandal um Jacques Baud: Die EU, die „Gedankenverbrechen“ und die Drohungen der Bundesregierung

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die EU-Sanktionen gegen den Schweizer Ex-Militär und Buchautor Jacques Baud sind ebenso skandalös wie die Reaktionen der Bundesregierung darauf. Und beides kann einen starken Effekt der Einschüchterung auf Andersdenkende entfalten. Eine kleine Hoffnung bleibt: Hat die EU im Fall Jacques Baud ihr Blatt überreizt, entwickelt sich der Vorgang also zum politischen Bumerang? Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Der EU-Rat für Auswärtige Angelegenheiten hat mit seinem Beschluss vom 15. Dezember den Schweizer Ex-Militär und Buchautor Jacques Baud mit Sanktionen belegt, die unter anderem seine Konten sperren und seine Reisefreiheit beenden. Vorwurf: Verbreitung „russischer Propaganda“. Auf den Fall Baud sind die NachDenkSeiten bereits in diesem Artikel und in diesem Artikel eingegangen.

„Bestrafe Einen, erziehe Hundert“

Wurde mit der Sanktionierung von Baud nun das Blatt durch die EU überreizt? Schließlich ist der Schweizer Ex-Militär und Geheimdienstmann Jacques Baud ein renommierter und für seine seriösen politischen Analysen geachteter Autor. Ihn zu sanktionieren, könnte langfristig zum politischen Bumerang werden, weil der Fall auch bisher duldsamen Bürgern klarmachen könnte, wohin die Reise mit dieser EU geht. Denn anders als zum Beispiel bei Opfern der EU-Sanktionen wie Thomas Röper und Alina Lipp oder dem Journalisten Hüseyin Doğru, die bereits vor diesem Schritt erfolgreich als „umstritten“ markiert und diffamiert worden waren, ist das bei Baud wohl nicht ganz so einfach: Um seine Person könnte sich ein etwas breiteres Band der Unterstützung bilden.

Andererseits: Die entsetzten Reaktionen von vielen Seiten waren im Fall Baud vorauszusehen, das spricht wiederum für einen kalkulierten und vorsätzlichen Akt der Einschüchterung durch die EU, der weit über die Person Baud hinausreicht: Bestrafe Einen, erziehe Hundert – und je geachteter dieser Eine (noch) ist, umso größer die Wirkung. Nach dem Motto: Wenn wir damit durchkommen, den Bestsellerautor Baud zu sanktionieren, dann können wir ab jetzt auch vielen anderen Andersdenkenden die Gelder sperren und die Reisefreiheit wegnehmen. Ohne die drangsalierten Kollegen geringschätzen zu wollen, ist darum der Vorgang um Baud in meinen Augen noch mehr Schlüsselmoment als die Sanktionierung von Röper, Lipp und Doğru.

Die „falsche“ Meinung

Die Tragweite solcher Sanktionen wegen „falschen“ Meinungen ist immens: Die EU führt hier indirekt den Tatbestand des „Gedankenverbrechens“ ein. Und dieser Tatbestand wird dann nicht einmal vor einem Gericht verhandelt, sondern einfach so verkündet, ohne den „Delinquenten“ auch nur anzuhören. Dieser Abgrund an Rechtlosigkeit und Willkür macht einen schwindelig. Die Dreistigkeit der Umsetzung und die aggressive Verteidigung der inakzeptablen Sanktionen macht sprachlos. Das Schlimme ist, dass der Effekt der Einschüchterung massiv ist und das Vorgehen der EU insofern als erfolgreich zu bezeichnen ist.

Die Solidarität mit Baud in den großen deutschen Medien ist so gut wie nicht vorhanden – man stelle sich das emotionale Feuerwerk vor, das sie abbrennen würden, wenn Baud ein Bürger wäre, dem Russland die Konten sperrt. Dieses Verhalten ist erwartungsgemäß, darum aber nicht weniger bedauerlich: Die Solidarität in solchen Fällen sollte sich über inhaltliche Differenzen hinwegsetzen – übrigens auch aus Egoismus: Man könnte sonst der Nächste sein, der wegen einer „falschen“ Meinung ohne Konto und Reisefreiheit dasteht.

„Ein rechtsstaatlicher Albtraum“

Solidarität mit Jaques Baud gibt es trotzdem von vielen Seiten. Der BSW-Politiker Andrej Hunko schreibt auf X, warum darin auch eine Chance liegen könnte:

„Es geht dabei nicht nur um Jacques Baud, sondern um die #Meinungsfreiheit aller Bürger, um die Freiheit auch andere Einschätzungen etwa zum #Ukrainekrieg äußern zu dürfen, als es die Bundesregierung oder die EU tut. Es gibt aktuell mit der weltweiten Solidaritätswelle für Jacques Baud die Chance, diesen zivilisatorischen Verfall zu stoppen.“

Den Akt, Baud mit Sanktionen zu belegen, bezeichnet Hunko als „Rückfall in vordemokratische Zeiten“. Baud werde behandelt „so wie einst Personen, die einem Herrscher nicht passten, per Federstrich für ‚vogelfrei’ erklärt werden konnten und damit ihre Bürgerrechte verloren“. Die Bundesregierung habe angekündigt, demnächst weitere Publizisten auf diese Liste setzen zu wollen, die aus ihrer Sicht „#Desinformation“ verbreiten würden. Deshalb sei es so wichtig, jetzt diesen Rückfall hinter elementare rechtsstaatliche Errungenschaften zu stoppen.

Ein Interview der Weltwoche mit Jacques Baud findet sich unter diesem Link. Ein kürzlich erstelltes Rechtsgutachten zu EU-Sanktionen findet sich unter diesem Link. Ein Gespräch unter dem Schlagwort „Rechtsstaat in der EU am Ende – Jetzt kann es jeden treffen!“ zwischen Pascal Lottaz und dem BSW-Politiker Michael von der Schulenburg findet sich unter diesem Link. Laut Multipolar wurden zahlreiche weitere Politikwissenschaftler und Journalisten wegen Kritik an NATO-Erweiterung in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg, propalästinensischen Positionen oder „Fehlinformationen“ zu Corona nun mit EU-Sanktionen belegt. Der EU-Politiker Martin Sonneborn hat sich in diesem Beitrag gewohnt bissig und treffend zum Vorgang um Jacques Baud geäußert:

„Ein rechtsstaatlicher Albtraum. Die Willkürverfügung eines nichtstaatlichen Gebildes – getroffen hinter willkürlich verschlossenen Türen, gestützt auf willkürlich geheimgehaltenes Raisonnement und erlassen von dem gesichts-, namen- und niveaulosen Willkürapparat, der die EU einhundertundzehn Jahre nach Kafkas ‹Der Prozess› geworden ist.“

BPK: unverhohlene Drohungen

Eine weitere Facette ist der empörende Umgang der Sprecher der Bundesregierung mit dem Vorgang, den Florian Warweg in diesem Artikel dokumentiert hat. So erklärte der Sprecher des Auswärtigen Amtes zur Frage, „was passiert, wenn man ‚Desinformation‘ verbreitet“: Es sei in früheren Diskussionen „klar geworden“, dass Menschen, die „so etwas tun“, sanktioniert werden könnten, wenn die rechtlichen Gründe dafür vorlägen und es eine entsprechende Entscheidung des Rats der Europäischen Union gebe. Der Sprecher fährt dann geradezu auftrumpfend fort:

„Das ist an diesem Montag geschehen, das wird auch weiterhin geschehen, das ist in der Vergangenheit geschehen, und alle, die auf diesem Feld unterwegs sind, müssen damit rechnen, dass es auch ihnen passieren kann.“

So, so: Regierungskritiker, die inhaltlich auf dem falschen Feld „unterwegs sind“ müssen also nun „damit rechnen, dass es auch ihnen passieren kann“. Eine unverhohlene Drohung, auf die man anscheinend auch noch stolz ist: Der Sprecher versucht nicht einmal, die Verantwortung für die Sanktionen gegen Baud auf Brüssel abzuwälzen.

Mission erfüllt: Bürger sind eingeschüchtert

Zu der zunehmend auf höchster EU- und Bundesebene entfalteten Einschüchterung von Andersdenkenden passt es, dass eine Umfrage in Deutschland kürzlich (einmal mehr) festgestellt hat, dass die Mehrheit der Bürger hierzulande inzwischen Angst hat, öffentlich ihre Meinung zu sagen.

Die Förderung dieser Selbstzensur ist wohl eines der Motive des „beispielhaften“ Vorgehens gegen Jacques Baud.

Titelbild: Jacques Baud beim 36. Pleisweiler Gespräch / NachDenkSeiten

Die NachDenkSeiten sind für eine kritische Meinungsbildung wichtig, das sagen uns sehr, sehr viele - aber sie kosten auch Geld und deshalb bitten wir Sie, liebe Leser, um Ihre Unterstützung.
Herzlichen Dank!

Beitrag versenden

Sie kennen jemand der sich für diesen Beitrag interessieren könnte?
Dann schicken Sie ihm einen kleinen Auszug des Beitrags über dieses Formular oder direkt über Ihr E-Mail-Programm!