US-Vorwahlen: Wer ist hier der Radikale? Donald Trump? (1/2)
Am Montag starten mit dem Caucus in Iowa ganz offiziell die Vorwahlen zu den US-Präsidentschaftswahlen 2016. Hierzulande dominiert der republikanische Kandidat Donald Trump die gesamte Berichterstattung. Trump sei ein Irrer, ein Radikaler; so die Botschaft. Das ist interessant, denn ein Blick auf seine nächsten Verfolger im Rennen um die Kandidatur bei den Republikanern zeigt Kandidaten, die nicht minder irre und radikal sind. Besonders unverständlich wird die allgemeine Berichterstattung dann, wenn man seinen Blick auch einmal auf die Kandidaten der Demokraten legt. Dort wird Hillary Clinton geradezu als alternativlos dargestellt – ihr letzter echter Kontrahent wird dabei meist ebenfalls in die „Radikalenschublade“ gesteckt. Dabei ist Bernie Sanders nach aufgeklärten, europäischen Maßstäben der einzige Kandidat, der eben nicht radikal ist und daher für uns alternativlos sein sollte. Von Jens Berger.
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Dieser Artikel ist in zwei Teile aufgeteilt. Heute beschäftige ich mich mit den Republikanern, morgen geht es um die Demokraten. Zusätzlich zu diesen beiden Artikeln wird Ihnen in den nächsten Tagen und Wochen unser NachDenkSeiten-Kolumnist Norman Birnbaum qualifizierte Einblicke in die Vorwahlen geben.
Wer ist Donald Trump?
Donald Trump ist wohl in jeder Hinsicht ein Phänomen. Nach den klassischen politischen Weisheiten, hätte Donald Trump eigentlich schon längst seinen Hut nehmen müssen. Er kümmert sich nicht um Political Correctness, sondern bezeichnet sie stattdessen als eines der größten Probleme Amerikas. Der Mann, der nun schon mit dem dritten Modell in Folge verheiratet ist und dessen Unternehmen die „Wahlen“ der Miss USA und Miss Universum veranstaltet, ist ein bekennender Chauvi. Als die Fox-Journalistin Megyn Kelly ihn wegen seiner chauvinistischen Äußerungen in die Ecke treiben wollte, machte Trump sich über sie lustig, indem er – frei übersetzt – herausposaunte, sie hätte wohl ihre Tage. Und da Kelly auch die heute Abend stattfindende TV-Debatte der republikanischen Präsidentschaftskandidaten moderieren wird, verkündete Trump erst einmal großkotzig seinen Boykott dieser Veranstaltung. Fox sei selbst schuld, dass es nun schlechtere Quoten erzielen wird. Und zumindest in diesem Punkt hat Trump natürlich auch Recht. Ganz klar – wer sich so wie Trump benimmt, agiert ganz nach der alten Devise „ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“. Und genau das kommt bei einem großen Teil der Wähler an. Was bei jedem anderen Kandidaten den sicheren Umfragetod bedeutet hätte, ist für Trump Bestandteil einer sorgfältig orchestrierten und sehr rationalen Wahlkampfstrategie, die nur nach außen chaotisch und instinktgetrieben aussehen soll.
Nach deutschen Maßstäben wäre Trump wohl am Ehesten eine Mischung aus Dieter Bohlen und Robert Geiss – eine wirtschaftlich unglaublich erfolgreiche Figur aus dem Reality-TV-Umfeld[1], dem die feingeschliffene Rhetorik der Proseminare an den Ivy-League-Universitäten eben so fremd ist wie Joe dem Klempner, also dem einfachen Wähler. Trump ist nicht nur populistisch, er beherrscht vielmehr den Populismus in Reinkultur, er ist der Großmeister des Populismus, der seine Konkurrenz aus dem Establishment nur allzu gerne mit gespielter Bauernschläue blamiert. Darüber mag der Feingeist sein Näslein rümpfen – vor allem beim abstiegsbedrohten wütenden weißen Mann kommt Trump mit dieser Masche an. Aber auch andere Wählerschichten sind offen für Trump und daran ist vor allem die Tea-Party-Bewegung schuld.
Als Reaktion auf den Wahlsieg von Obama und den moralischen Niedergang der republikanischen Parteielite bildete sich die Tea-Party-Bewegung – gesellschaftspolitisch konservativ bis reaktionär, wirtschaftspolitisch jedoch eher libertär. Die Tea-Party-Bewegung versteht sich als Anti-Establishment-Bewegung; als Opposition zum korrupten Politikbetrieb, zum Lobbyismus, zur „starken“ Zentralregierung, zur Politischen Korrektheit und natürlich auch zur Intellektualität alteuropäischer Prägung. Seit rund fünf Jahren hat die Tea Party nun die republikanische Partei und Teile der öffentlichen Debatte gekidnappt und damit – ohne dies zu wollen – für einen Donald Trump den Weg frei gemacht.
Radikale … so weit das Auge blickt
Die, nennen wir sie „gemäßigten“, Kandidaten der Republikaner, also Bush, Christie und Kasich, sind in den aktuellen Umfragen weit abgeschlagen. Zusammen kommen sie gerade einmal auf rund 10% der Stimmen. Wenn kein Wunder passiert, wird der nächste Kandidat der Republikaner ein wie auch immer gearteter „Radikaler“ sein. Donald Trump dominiert zwar seit Monaten das Feld, ist jedoch keinesfalls konkurrenzlos. Neben dem erzkonservativen Ben Carson, dessen Stern bereits wieder am Sinken ist, gelten vor allem Ted Cruz und Marco Rubio als die letzten aussichtsreichen Gegner Trumps. Sowohl Cruz als auch Rubio sind jedoch die Kandidaten des Tea-Party-Flügels der Republikaner und bei näherer Betrachtung kein bisschen weniger irre oder radikal wie Trump. Im Gegenteil.
Die Radikalität von Cruz und Rubio zeigt sich vor allem im sozial- und wirtschaftspolitischen Bereich. Während Rubio die Steuern massiv kürzen will, plant Ted Cruz allen ernstes die Einkommensteuer, die Erbschaftssteuer und gleich die gesamte nationale Steuerbehörde IRS abzuschaffen. Stattdessen sollen die Amerikaner lieber eine einheitliche Flat-Tax bezahlen, deren Berechnung „auf einen Bierdeckel“ passt. Donald Trump will die Steuerbehörde nicht abschaffen, sondern Steuerflucht und –umgehung stärker bekämpfen. Wohlhabende und Reiche will Trump nicht durch Flat-Taxes entlasten, sondern durch Steuererhöhungen stärker belasten. Und nun die Frage: Wer ist hier der Radikale? Wer ist irre?
Ähnlich sieht es im Sozialbereich aus. Trump will zwar die von Obama eingeführte Gesundheitsreform (Obamacare) zurücknehmen und durch ein eigenes Modell ersetzen, bei dem die freien Marktkräfte besser zum tragen kommen. Kürzungen im Sozialbereich lehnt Trump aber kategorisch ab. Cruz und Rubio lehnen indes nicht nur Obamacare, sondern jegliche Pflichtversicherung im Gesundheitsbereich ab und übertreffen sich gegenseitig mit stuntreifen Kürzungs- und Streichungsforderungen im Sozialbereich. Wer ist hier radikal? Wer irre?
Auch außen- und sicherheitspolitisch ist Trump keinesfalls radikaler als seine beiden aussichtsreichsten Konkurrenten. So findet Trump beispielsweise Russlands Intervention in Syrien ganz prima – „Wenn Putin ISIS den Arsch versohlen will, bin ich 100% bei ihm und verstehe nicht, wie irgendwer dagegen sein könnte“. Ein forciertes US-Engagement in Syrien lehnt er ab – seine Rivalen, die anders argumentieren, wollten wohl „wegen Syrien einen dritten Weltkrieg anfangen“. Auch das US-Engagement in der Ukraine sieht Trump eher kritisch – die Krim sei „Europas Problem“ und eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine sei „ihm egal“. Wichtig seien indes gute Beziehungen zu Russland, um Russland und China auseinanderzuhalten. Ansonsten äußert er sich nicht zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Denn dann wisse der Feind ja, wie man denkt – das sei doch „verrückt“, so Trump. Was für ein schlaues Bürschchen.
Auch wenn man Trumps außen- und sicherheitspolitische Ideen und Äußerungen kritisieren kann, so sind auch im Vergleich zur aktuellen Politik eher gemäßigt als radikal. Ganz anders übrigens als die Konzepte von Cruz und Rubio: Rubio fordert eine robuste Rolle der USA bei der „Konfrontation“ mit Iran, Russland und Nordkorea. Er würde als Präsident zuerst den Nuklear-Deal mit Iran sowie die amerikanisch-kubanische Annäherungspolitik rückgängig machen. In beiden Punkten stimmt er da 100% mit Ted Cruz überein, der zudem den IS mit „Flächenbombardements“ auslöschen (to bombard into oblivion) will. Wer ist hier radikal? Wer irre?
Es sollte hier jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass Trump in welcher Form auch immer ein vernünftiger Kandidat sei. Das ist er ganz sicher nicht. In der Einwanderungspolitik vertritt er beispielsweise extreme Standpunkte. So solle der Grenzzaun nach Mexiko durch eine echte Mauer ersetzt werden – auf Kosten der Mexikaner versteht sich. Und von wem stammt diese Idee? Von Ted Cruz, dem Mann, der auch in unseren Medien als „gemäßigte“ Alternative zu Trump verkauft wird.
Welchen Radikalen hätten Sie denn gerne?
Das Ganze ist natürlich unfair. Verglichen mit den beiden Tea-Party-Chaoten Cruz und Rubio ist so ziemlich jeder andere Politiker „gemäßigt“; sogar ein Donald Trump. Dennoch ist es schon bemerkenswert, dass der „irre Radikale“ mit der komischen Frisur in den wichtigsten politischen Themenfeldern Positionen hat, die zumindest im Vergleich zu seinen aussichtsreichsten Konkurrenten in der Tat gemäßigt erscheinen. Man darf Trumps teilweise sehr gekünstelt wirkende Anti-Establishment-Attitüde nicht mit einer Geistesstörung verwechseln. Im Gegenteil: Trump ist Profi durch und durch und vor allem seine von den Medien als „unkontrolliert“ dargestellten „Ausraster“, sind äußerst kühl kalkulierte Manöver. Und diese Manöver haben Erfolg. Die Umfragen geben ihm bislang Recht.
Dennoch ist es nur sehr schwer vorstellbar, dass die US-Amerikaner wenn es hart auf hart kommt, einen derart bunten Vogel ins Weiße Haus wählen. Aber das hat man von den Italienern und Silvio Berlusconi ja auch gesagt. Sollte Trump die republikanischen Vorwahlen gewinnen und als Präsidentschaftskandidat in den Ring steigen, wäre dies schlussendlich wohl vor allem ein Vorteil für die Demokraten. Und dabei könnten Trump und die Tea Party vielleicht sogar etwas auslösen, dass für sie sicher gleichbedeutende mit dem Ende der Welt ist: den ersten Sozialisten ins Oval Office zu hieven. Mehr dazu morgen im zweiten Teil.
[«1] Trump erlangte durch die Reality-TV-Serie „The Apprentice“, in der sich die Kandidaten um einen Job bei ihm bewerben Bekanntheit und tritt seitdem immer wieder in TV-Shows und Hollywood-Filmen auf.