IDF-Soldat: Gefeierter Mörder

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Ein Vorgang aus Israel und Palästina. Ein Mitglied der „Israelischen Verteidigungskräfte“ erschießt einen am Boden liegenden Palästinenser. Der israelische Soldat wird kritisiert und gefeiert. Wir bringen dazu einen Beitrag von Flo Osrainik – auch deshalb, weil wir zu vergessen neigen, was im Kern und Hintergrund der insgesamt schrecklichen Entwicklung zwischen Afghanistan und Libyen in Palästina und Israel los ist. Der Vorgang zeigt außerdem, wie hoffnungslos ein Wertesystem ist, das vom Gedanken „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ geprägt ist. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

IDF-Soldat: Gefeierter Mörder

Vor ein paar Tagen sorgte ein Video über die Ermordung eines wehrlos am Boden liegenden palästinensischen Angreifers für Schlagzeilen. Obwohl die israelische Armee den Mörder suspendierte, wird er geschützt und gefeiert. Von Flo Osrainik

Die Gefahr war gebannt. Die beiden Angreifer – sie sind in Hebron angeblich mit Messern auf Soldaten der IDF losgegangen und haben einen dabei leicht verletzt – liegen am Boden, einer tot, der andere verletzt. Was dann folgt zeigt das wahre Gesicht der israelischen Besatzer. Die IDF-Soldaten, Siedler und Sanitäter, fast alle bewaffnet, ignorieren den verletzt am Boden liegenden 21-jährigen Abd al-Fatah a-Sharif. Die Anwesenden ahnen nicht gefilmt zu werden, was die Vermutung nahe legt, dass ihr Verhalten üblich für Soldaten, Siedler und Sanitäter der Besatzungsmacht ist. Ein Siedler zu den Soldaten: „Das Arschloch atmete noch“.

Eine kurze Unterhaltung zwischen den Soldaten, wohl ein Befehl, und einer der Soldaten schießt dem Verletzten mal eben so aus nächster Nähe in den Kopf. Blut fließt. Jetzt sind beide tot, was immer noch keinen der Anwesenden sonderlich juckt. Das Video zu dem kaltblütigen Mord wurde der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem zugespielt – der Mann, der den Vorgang gefilmt hat, erhält Morddrohungen von Siedlern; sein Haus wurde mit Steinen beworfen – und sorgte, kaum im Netz, erwartungsgemäß für hefige Reaktionen.

So hat die israelische Armee den Soldaten im Nachgang suspendiert und behauptet, dass dieses Verhalten – im Gegensatz zum tatsächlichen Verhalten der IDF-Soldaten vor Ort – nicht den Werten der israelischen Armee entsprechen und es sich um einen „schwerwiegenden Vorfall“ handeln würde. Obwohl der uniformierte Mörder und andere Anwesende, darunter der Vorgesetzte des Schützen, David Shapira, auf dem Video gut erkennbar sind, wurde er von keiner israelischen Zeitung namentlich genannt. Im Netz machte sein Name trotzdem schnell die Runde, wie Glenn Greenwald von der Nachrichten-Webseite The Intercept berichtet.

Ungeniert wird der Todesschütze in sozialen Netzwerken von seinen Unterstützern beim Namen genannt und als Held bezeichnet. Einer schreibt, dass er seinen Job gemacht hat und belohnt, nicht bestraft werden solle, er sei ein Held („He did his job he should be rewarded not proscuted he is à Hero“). Ein anderer schickt ihm Liebesgrüße. Und sogar Gemeinden, wie Beith Shemesh oder die jüdisch-arabische Stadt Ramle, der Todesschütze stammt von dort, demonstrieren für den Mörder. Er sei ihr Nationalheld. Auf seiner Facebook-Seite soll der Todesschütze rechtsradikale Ansichten geteilt und einem anderen Soldaten gesagt haben, dass der Palästinenser den Tod verdient hätte, so die israelische Tageszeitung Haaretz. Uri Blau, ein investigativer Journalist, hat die Facebook-Beiträge des Killers untersucht und einen „tief verwurzelten Hass gegenüber Palästinensern, unterstützt von Familienmitgliedern und Freunden“ festgestellt. Einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas während der Operation „Protective Edge“ in Gaza im Juni 2014 kommentierte er mit: „Bibi (Benjamin Netanyahu) du Schwuchtel, wie ist das mit der Waffenruhe? Zur Hölle mit ihnen!!!“. Einem zustimmenden Kommentar fügte er später hinzu: „Ja, killt sie alle“.

In Israel macht der Fall Schlagzeilen. Aber nicht wegen dem Mord oder den Ansichten des Mörders, sondern wegen der Verhaftung des Soldaten. Bei dem Mörder handelt es sich um Elor Azaria, auch Elor Azarya oder El`or Azariya, wie The Intercept weiter schreibt. Der Journalist Gregg Calstrom berichtet, dass eine Petition, gerichtet an Premier Benjamin Netanyahu, mit über 58.000 Unterschriften (Stand 04.04.2016) eine Auszeichnung für Azaria fordert. Nach einer Umfrage von Channel 2 News waren 57 Prozent in Israel der Meinung, dass es nicht nötig sei den Soldaten zu verhaften. Nur fünf Prozent bezeichnen sein Vorgehen als Mord.
Haaretz fasst die Zustimmung für Azaria über den Kurznachrichtendienst twitter mit „he`s now every mother`s son“, er sei nun der Sohn einer jeden (israelischen) Mutter, zusammen.

Auch der rechts außen stehende israelische Bildungsminister (!!!), Naftali Bennett von der Partei „Jüdisches Heim“, verbreitet seine krude Sicht der Dinge über den Fall via Facebook. „Der Soldat ist kein Mörder“, es herrsche Krieg gegen brutalen Terrorismus und – vor lauter Hass hat er das Video offenbar nicht gesehen – der „Terrorist“, gemeint ist der halbtot am Boden liegende Abd al-Fatah a-Sharif, hätte ja noch eine Bombe zünden können, was die Anwesenden – oder auch n-tv – offensichtlich ganz anders eingeschätzt haben.

Laut Beschluss eines israelischen Militärgerichts darf der Name des Killers nicht in den Medien, weder in israelischen noch in ausländischen, genannt werden. Ausländische Medien könnten ihre Akkreditierung für Israel verlieren, sollten sie sich nicht der Zensur – man könnte das Verbot umgehen, indem man nicht aus Israel, sondern aus einem anderen Land berichten lässt – beugen. Wie Glenn Greenwald weiter berichtet, fügt sich unter anderem die New York Times fleißig der israelischen Zensur und nennt Azaria nicht beim Namen.

Manchen Menschen möchte man doch ein Leben von klein auf als Palästinenser unter israelischer Besatzung schenken. Wie heißt es doch im Talmud: „Verurteile niemand, bevor du in seiner Lage warst!“ Die menschenverachtenden Methoden und Ansichten der Nazis finden auch religionsübergreifend bis heute Nachahmung.

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