Ergänzende Anmerkungen…

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

…zur Anzeige „Auch wir sind das Volk

  1. Es lohnt sich, diese Anzeige genau zu lesen. (Leider fanden wir nicht den gesamten Text als Datei. Deshalb selbst besorgen: Süddeutsche Zeitung 2./3.10.04, Seite 13. Oder ein Blick auf Auszüge von SpiegelOnline: Siehe unten als Anhang)
    Man kann an dem Text gut erkennen, wie die „Reformer“ arbeiten:
  2. a. Der Text ist (wie üblich in den Reden und Einlassungen von Regierung und Opposition) voller Behauptungen ohne Beleg:
    Die „… mit Hartz IV beschlossenen Änderungen in der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sind überlebensnotwendig für den Standort Deutschland.“ – Kein Beleg. Wo soll der Wirkungszusammenhang sein? Haben wir ein Standortproblem? Welches Standortproblem und wie wird das mit Hartz IV gelöst?
  3. Oder: Der Standort Deutschland „ist gepflastert mit den Grabsteinen verblichener Chancen. Totengräber sind in allen Parteien… “
    Was ist das außer einer drastischen Formulierung? Was ist damit gemeint? Konkret – Günter Grass, was denn? – In der Wirkung sind solche Sätze im heutigen Kontext vor allem Polemiken gegen sozialstaatliche Lösungen. – Übrigens: War Willy Brandt ein Totengräber? Oder Helmut Schmidt? Welche Grabsteine haben sie hinterlassen?
    Oder: „In der Vergangenheit haben alle Regierungen dem Wähler versprochen, was nicht zu halten war.“ –
    Was ist damit gemeint? Die deutsche Wiedervereinigung, die sich alleine mit 3,5 bis 4,5 % in den Sozialbeiträgen niederschlägt? Oder war die Pflegeversicherung unnötig? Oder wollen die Herren die gesetzliche Krankenversicherung abschaffen? Oder glauben Grass und Müller-Westernhagen und Flimm ernsthaft, die Privatvorsorge fürs Alter werde billiger, die Riesterrente und potentielle weitere „Reformen“ seien besser?
  4. b. „Wir haben das Jammern über Deutschland satt.“ Ein toller Satz in dieser Anzeige. Die Reformer sind doch genau die, die den Standort Deutschland seit 20 Jahren schlecht reden. Einer der Unterzeichner, der Porschechef Wiedeking, hat das vor gut einem Jahr noch sehr weise selbst festgestellt. Warum dieser kluge Mann das Pamphlet , das diese Anzeige ist, unterzeichnet hat, verstehe wer will. – Der zitierte Satz ist übrigens einfach zu erklären: Manfred Bissinger, einer der Texter dieser Anzeige ist ein cleverer Stratege der PR und hat klar erkannt, dass die Reformer die Miesmacher sind. Also wird die Methode „Haltet den Dieb“ angewandt.
  5. c. „Wer mutig ändert, was geändert werden muss, hat uns auf seiner Seite.“ – Auch hier wieder die Frage: Was muss denn geändert werden? Konkret? Welche Reformen bringen was? Das hätten wir doch gerne gewusst.
  6. Die ganzseitige Anzeige, schwarz-weiß, in der Samstagsausgabe der Süddeutschen Zeitung kostet 44.200 Euro. Das können sich die Organisatoren der Demonstrationen gegen Hartz IV kaum leisten. Schon deshalb besteht ein „kleiner“ Unterschied zwischen dem Volk da oben und dem da unten. Daran haben die Texter der Anzeige wohl nicht gedacht.
  7. Wir empfehlen den Lesern von NachDenkSeiten unter der Rubrik „Andere interessante Beiträge“ im Februar 2004 einen Artikel aus dem „Stern“ vom 17.12. 2003 nachzulesen. Da wird unter dem Titel „Revolution von oben“ beschrieben, wie und warum die Arbeitgeber beschlossen haben, dem Volk sein Vertrauen in die sozialstaatliche Ordnung auszutreiben. Die jetzige Anzeige ist Teil dieser im Jahr 2000 verschärften Kampagne.
  8. Das Erstaunliche und Bedrückende ist, dass sich inzwischen Personen wie Günter Grass, Jürgen Flimm, Marius Müller-Westernhagen und Uwe Wesel dafür hergeben. – Günter Grass und Manfred Bissinger waren 1972 noch mit dabei, den Versuch des „Großen Geldes“ abzuwehren, die Entscheidung der Wähler für die Willy Brandt und die SPD mit viel Geld und vielen Anzeigen zu korrigieren. Heute machen diese Intellektuellen bei den finanziell Mächtigen mit und stellen sich gegen die Interessen des Volkes. So ändern sich die Zeiten.
  9. Die Anpassung der Intellektuellen an die Mächtigen geschieht ohne Sinn und Verstand. Wir nehmen Wetten an, dass Grass und Flimm, dass Wesel und Müller-Westernhagen nicht in der Lage wären, auch nur einen der oben zitierten Aussagen der Anzeige mit Fakten und Argumenten zu belegen. Sie plappern einfach nach, was Mainstream ist. Schöne Intellektuelle.

Anhang/Auszug aus SpiegelOnline vom 1.10.2004
Promis unterstützen Schröder

“Wir haben das Jammern satt”
Rund 60 Künstler, Manager und Publizisten haben in einem gemeinsamen Aufruf die Arbeitsmarktreformen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) unterstützt.

Berlin – “Wer mutig ändert, was geändert werden muss, hat uns auf seiner Seite”, heißt es in dem Aufruf, der morgen in der “Süddeutschen Zeitung” veröffentlicht wird. Zu den Unterzeichnern gehören der Schriftsteller Günter Grass, Regisseur Jürgen Flimm, Maler Markus Lüpertz und Musiker Marius Müller-Westernhagen. Auch BDI-Chef Michael Rogowski, Architekt Prof. Albert Speer, Unternehmensberater Roland Berger und Manager wie Michael Frenzel (TUI) oder Wendelin Wiedeking (Porsche) unterschrieben.
Sie forderten den Kanzler zu Standfestigkeit bei der Durchsetzung der Reformen auf: “Nur Demagogen, die ihre Zukunft hinter sich haben, reden dem Volk nach dem Maul.” In dem Aufruf heißt es nach Angaben des Mitintiators Manfred Bissinger: “Wir, die Initiatoren dieser Anzeige, wählten und wählen ganz unterschiedliche Parteien. Wir arbeiten in diesem Land, wie bezahlen unsere Steuern in diesem Land, wir bekennen uns zu diesem Land. Wir haben das Jammern über Deutschland satt.” Unter dem Titel “Auch wir sind das Volk” bezeichneten sich die Unterzeichner als “Große Koalition der Vernunft”. Die Hartz-IV-Reformen seien “überlebensnotwendig für den Standort Deutschland”. “Der ist gepflastert mit den Grabsteinen verblichener Chancen. Totengräber sind in allen Parteien zu Hause. In der Vergangenheit haben alle Regierungen den Wählern versprochen, was nicht zu halten war.”

© SPIEGEL ONLINE 01.10.2004