Kims klare Kante

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

Während Nord- und Südkorea ihren Dialog seit Jahresbeginn erneut intensivieren, erwägt man in Washington diesmal ein direktes Treffen von US-Präsident Trump mit Nordkoreas Staatschef Kim Jong-Un. Käme dieses tatsächlich zustande, wäre eine solche Zusammenkunft wahrlich »historisch« zu nennen. Von Rainer Werning[*].

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Wie rasch sich doch die Zeiten ändern (können)! Da war man sich noch vor wenigen Monaten und Wochen in Washington und Pjöngjang spinnefeind und es schien, als schlittere die Welt zum Jahreswechsel einer großen Katastrophe entgegen. Der weltweit mächtigste Politiker hatte sogar der kleinen Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK), die am 9. September dieses Jahres ihren 70. Geburtstag begeht, mit ihrer »Vernichtung« gedroht. Den von Donald Trump so gescholtenen »kleinen Raketenmann« Kim Jong-Un focht das nicht an. Nordkoreas Machthaber fuhr beherzt eine Retourkutsche, schalt den Präsidenten der Vereinigten Staaten seinerseits als »senilen Greis« und hielt unbeirrbar an seinem Kurs fest, sich mittels Raketen- und Atomwaffentests als größtmögliches Abschreckungspotenzial gegen einen von außen erzwungenen Regimewechsel zu feien.

Dann wandte sich der vormals martialisch klingende Kim, diesmal in adrettem hellen Maßanzug gekleidet, in einer Neujahrsansprache an seine Landsleute und die Außenwelt mit der Botschaft, man werde nicht nur an den Olympischen Winterspielen im Februar im südkoreanischen Pyeongchang teilnehmen, sondern vorab auch als Goodwill-Geste eine hochrangige politische Delegation in den Süden entsenden. Gesagt, getan. Flugs reagierte man in Washington und Tokio gleichermaßen empört über diese »Charmeoffensive« [1], mit der Nordkorea nach Ansicht von US-Vizepräsident Mike Pence und Japans Ministerpräsident Shinzo Abe den olympischen Geist »zu kapern« gedenke. Jedenfalls wohnten beide Politiker und Repräsentanten ihrer Länder sichtlich not amused der olympischen Eröffnungsfeier bei. Auch verstanden sie offensichtlich nicht, dass man in Korea sowie in der Region mehrheitlich mehr offensiven Charme schätzt, als fortgesetzt schamlose Attacken zu reiten.

Folgt der Aufbruchstimmung ein historischer Durchbruch?

Dann am 6. März die Meldung, Nord- und Südkorea hätten nach Angaben aus Seoul ein Gipfeltreffen in der Grenzregion sowie eine direkte Hotline zwischen den Staatsführungen vereinbart. Das Treffen – nach 2000 und 2007 wäre es das dritte seiner Art – solle Ende April in dem Grenzort Panmunjom stattfinden, teilte der südkoreanische Sicherheitsberater Chung Eui-Yong nach einer Unterredung mit Kim Jong-Un in Pjöngjang mit. (In dem unwirtlichen Panmunjom war am 27. Juli 1953 der dreijährige Koreakrieg qua Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens beendet worden. Lediglich von Vertretern Nordkoreas, der VR Chinas und zwei US-Generälen im Auftrag der Vereinten Nationen unterzeichnet, konnte dieses Abkommen bis heute nicht in einen Friedensvertrag überführt werden.)

Schließlich bestätigte das Weiße Haus am Abend des 8. März (Ortszeit), dass der zwischenzeitlich nach Washington weitergereiste Chung Eui-Yong Präsident Trump eine persönliche Einladung von Staatschef Kim Jong-Un überreicht habe, in der dieser Trump zu einem Treffen einlädt, das »bis Mai« stattfinden soll. Der US-Präsident teilte sodann am 9. März über Twitter mit, Kim habe in Gesprächen mit Vertretern Südkoreas von einer »Denuklearisierung« gesprochen, nicht nur von einem Einfrieren des Atomwaffenbestands. Dies sei ein großer Fortschritt, wenngleich die Sanktionen gegen die DVRK aufrechterhalten würden, bis eine entsprechende Abmachung erreicht sei.

Chung hatte zuvor erklärt, Kim Jong-Un habe versprochen, dass Nordkorea vorerst von weiteren Atom- oder Raketentests absehe und Direktgespräche mit den USA über das Atomwaffenprogramm seines Landes in Aussicht stellt. Dafür erwarte Pjöngjang im Gegenzug aber Sicherheitsgarantien. »Süd- und Nordkorea sind übereingekommen«, fügte Südkoreas Nationaler Sicherheitsberater Chung Eui-Yong hinzu, »eine Hotline zwischen den beiden Führern einzurichten, um die militärischen Spannungen abzubauen und eine enge Koordination zu ermöglichen«.

Diese Entwicklungen ließen zuvörderst in Seoul die Hoffnung keimen, damit den vierten ernsthaften innerkoreanischen Dialog seit dem Koreakrieg initiiert zu haben. Gemeinsame Rote-Kreuz-Gespräche gipfelten Anfang Juli 1972 in dem Nord-Süd-Kommuniqué, im Dezember 1991 unterzeichneten Emissäre Seouls und Pjöngjangs den Aussöhnungsvertrag und am 15. Juni 2000 kamen die Staatschefs beider Teilstaaten, Südkoreas Präsident Kim Dae-Jung und Nordkoreas »Geliebter Führer« Kim Jong-Il (der Vater von Kim Jong-Un), anlässlich des ersten innerkoreanischen Gipfeltreffens in Pjöngjang überein, die wegweisende Nord-Süd-Deklaration zu vereinbaren. Dadurch wurden immerhin Familienzusammenführungen und gegenseitige Besuchsprogramme möglich, während gleichzeitig auf sämtlichen Ebenen eine enge Kooperation beschlossen wurde, die im wirtschaftlichen Bereich sogar dazu führte, dass mit dem auf nordkoreanischem Boden und mit südkoreanischem Know-how und Geldern errichteten Kaesong Industrial Complex ein als »Kronjuwel innerkoreanischer Kooperation« gepriesener Wirtschaftspark entstand.

Entsprechend überschwänglich reagierte man auch noch Jahre nach der Unterzeichnung der Nord-Süd-Deklaration vom 15. Juni 2000. Anlässlich des fünften Jahrestages ihrer Unterzeichnung waren neben einer hochkarätigen, aus 40 Mitgliedern bestehenden Regierungsdelegation aus Seoul auch noch knapp 300 Vertreter nichtstaatlicher südkoreanischer Organisationen – darunter Gewerkschafter, Bauern- und Kirchenvertreter sowie Intellektuelle – nach Pjöngjang gereist, um vom 14. bis zum 17. Juni 2005 ein starkes innerkoreanisches Friedenssignal auszusenden. »Von nun an sollten Süd- und Nordkorea all ihre Kräfte bündeln«, hatte damals Südkoreas Vereinigungsminister Chung Dong-Young in der nordkoreanischen Hauptstadt erklärt, »um einen tragfähigen Friedensmechanismus zu schaffen und die Gefahr eines Atomkrieges auf der Halbinsel zu bannen«. Als Chung sodann hochrangige nordkoreanische Politiker einlud, Mitte August 2005 zum Gegenbesuch in die südkoreanische Metropole zu reisen, um dort gemeinsam den 60. Jahrestag der Befreiung vom japanischen Kolonialjoch und des Kriegsendes in Ostasien zu feiern, zeigte sich die nordkoreanische Seite euphorisch. »Wir sollten nicht untätig herumsitzen und auf Frieden warten«, erwiderte Ahn Kyong-Ho, der Delegationsleiter nordkoreanischer nichtstaatlicher Organisationen, »wir sollten lieber unserer Nation voll vertrauen und mit vereinter Kraft den Frieden sichern.«

Das Gebot vorsichtigen Optimismus’

Die ersten beiden innerkoreanischen Avancen fanden jeweils in Situationen internationaler Umbrüche statt. Im ersten Fall war kurz zuvor die Feindschaft zwischen der VR China und den USA beigelegt worden, sodass die antikommunistische Propaganda im Süden Koreas ihr Bedrohungspotenzial schrittweise einbüßte. Und 1991 verschwand mit der Sowjetunion ein Bündnispartner Nordkoreas von der politischen Bühne, mit dem es seit Beginn der 1960er Jahre qua gemeinsamem Beistandspakt verbunden war. Beide Male waren aber auch innerkoreanische Prozesse mitverantwortlich dafür, dass der Dialog abrupt endete. Ende 1972 verhängte das Militärregime in Seoul das Kriegsrecht, und 1991 witterte das Regime in Pjöngjang »ideologische Kontaminierungen« angesichts von Gorbatschows Glasnost und des Zerfalls des real-sozialistischen Systems und brach den Gesprächsfaden mit Seoul ab.

Die dritte und bis dato weitestreichende Nord-Süd-Annäherung vom Sommer 2000 wurde mit dem Amtsantritt von George W. Bush Ende Januar 2001 unzeremoniell ausgehebelt. Ein Jahr später erklärte der US-Präsident Nordkorea neben Irak und Iran sogar als Teil (s)einer ominösen »Achse des Bösen«. Wenig später erwog der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark gegenüber dem Fernsehsender CNN, Nordkoreas Waffenprogramm notfalls durch »zielgenaue Nuklearschläge« auszuschalten. Diesem Denken sind bis heute nicht wenige Politiker und Militärstrategen verhaftet, wenngleich ihnen seit Jahren vorgerechnet wurde, welch katastrophale Konsequenzen ein solcher »Enthauptungsschlag« hätte. Auch werden sich außerhalb der USA, vor allem in Japan und unter konservativen sowie reaktionären Kräften in Südkorea, Stimmen mehren, die vor einer »Aufwertung und Legitimierung des Kim-Regimes« warnen. Triftige Gründe werden sie allerdings nicht vorbringen können. [2] Schließlich sollte in Erinnerung gerufen werden, mit welchen Fanfarenstößen bereits vor annähernd 18 Jahren eine us-amerikanisch-nordkoreanische politische Annäherung und Diplomatie begleitet worden waren. [3]

Offensichtlich hält die Regierung in Pjöngjang die Zeit für gekommen, da Gespräche und Diplomatie sich mehr lohnen, als weiterhin Stärke durch Nukleartests und/oder Raketenabschüsse zu demonstrieren. Seit Ende vergangenen Jahres wähnt sie sich nach dem sechsten Atomtest und erfolgreichen Abschuss der Interkontinentalrakete vom Typ Hwasong-15 als de facto neunte Atommacht. [4] Kim Jong-Uns Ziel, international auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, rückt näher. Erst recht, wenn er tatsächlich mit Präsident Trump über einen Friedensvertrag und die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Ländern zu reden vermöchte. [5] So oder so würde das letztlich auch zu abgemilderten Sanktionen führen.


[«*] * Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaftler & Publizist mit den Schwerpunkten Ost- und Südostasien, befasst sich seit Ende der 1960er Jahre intensiv mit den Regionen. In diesen Tagen erscheint das von ihm gemeinsam mit der Koreanistin Helga Picht verfasste Buch »Brennpunkt Nordkorea« in der Edition Berolina (Berlin).

[«1] crisisgroup.org – The Modest Diplomatic Promise of North Korea’s Charm Offensive

[«2] reuters.com – Commentary: What critics of North Korea summit get wrong

[«3] nytimes.com – ALBRIGHT GREETED WITH A FANFARE BY NORTH KOREA

[«4] Kim Jong-un signals an active commitment to achieve a breakthrough with the US, in: The Hankyoreh, Seoul, March 10, 2018

[«5] businesstimes.com.sg – Kim Jong-un wants to sign peace treaty with Trump: report

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