Von der deutschen Tea Party zur Henkel-Partei (I) – Rechtspopulist Hans Olaf Henkel spielt mit den Ängsten der Bevölkerung

Jens Berger
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Hans Olaf Henkels Drohung könnte eindeutiger kaum sein – entweder es gelänge, die FDP für die politischen Ziele der deutschen Tea Party zu vereinnahmen, oder man müsse halt eine neue Partei gründen, für die er höchstpersönlich zur Verfügung stünde. Henkel ist das wohl bekannteste Gesicht der deutschen Tea-Party-Bewegung. Im letzten Jahr war er nach Heiner Geißler der am zweithäufigsten eingeladene Talkshow-Gast, seine Bücher verkaufen sich wie warme Semmeln und er ist gern gesehener Interviewpartner der Printmedien. Henkel haftet immer noch der Ruf eines „Wirtschaftsexperten“ an, der gern klare Kante zeigt und unpopuläre „Wahrheiten“ ausspricht. Was für eine Fehleinschätzung! Von Jens Berger

Seit seinen Zeiten als BDI-Präsident und damit oberster Wirtschaftslobbyist steht Hans Olaf Henkel für eine bedingungslose angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, bei der die Rolle des Staates auf ein absolutes Minimum heruntergefahren werden soll. Henkel war immer so lange ein Freund des freien Marktes, bis dieser die Interessen seiner Klientel gefährdete. Entsprechend verblendet fiel daher auch Henkels Reaktion auf die Finanzkrise und das offensichtliche Versagen der Finanzmärkte aus. Nicht die Investmentbanker, sondern das „Gutmenschentum“ der Clinton-Regierung ist für ihn der wesentliche Grund für die Turbulenzen an den Finanzmärkten.

Das Sprachrohr der deutschen Tea-Party-Bewegung

Während Henkel in wirtschaftlichen Fragen extrem liberale Positionen vertritt, tendiert er auf anderen politischen Feldern zu erzkonservativen und nationalistischen Ansichten – so hat sich Henkel beispielsweise während der Sarrazin-Debatte als vorbehaltloser Unterstützer des Rechtspopulisten zu Wort gemeldet. Henkel ist ferner regelmäßiger Gastautor der nationalkonservativen Zeitung „Junge Freiheit“, die als zentrales Sprachrohr der „Neuen Rechten“ gilt. Henkels politische Linie, die zwischen libertärer Wirtschaftspolitik und erzkonservativen gesellschaftspolitischen Ansichten verläuft, ist diesseits des Atlantiks relativ selten – in den USA ist diese Mischung durch die Tea Party sowohl bekannt als auch berüchtigt.

Die Parallelen zwischen Henkel und der Tea-Party-Bewegung sind erdrückend. Beide Seiten polemisieren gegen den Zentralstaat, gegen Sozialsysteme, gegen Steuern, gegen Konjunkturprogramme und gegen Einwanderer. Das Washington der Tea-Party-Bewegung ist für Henkel Brüssel. Die Tea-Party-Bewegung hält Obama für einen Kommunisten, für Hans Olaf Henkel ist Jürgen Trittin ein Kommunist. Auch ansonsten verwendet Henkel bei seinen Polemiken immer wieder Begriffe, die Erinnerungen an Zeiten des Eisernen Vorhangs herrufen sollen. Der Euro ist für ihn nur der „Einheitseuro“, eine finanzpolitisch enger zusammenarbeitende EU die „EUdssR“ und selbst den wie er marktliberal geprägten deutschen Wirtschaftswissenschaftlern unterstellt er in seinen Bierzeltreden gerne eine „Politikhörigkeit wie unter der SED“. Das ist starker Tobak, der jedoch an den Stammtischen der Nation gut ankommt.

Der Euro als Sündenbock

Henkel wäre ein schlechter Populist, wenn er nicht das Thema der Stunde erkannt hätte – die Sorgen und Ängste der Menschen um den Euro. Angeheizt durch eine unverantwortliche Berichterstattung in den Medien hat sich bei vielen Bürgern die Stimmung breit gemacht, den Euro als Universalschuldigen für sämtliche sozialen und wirtschaftlichen Defizite zu sehen. Wenn das Geld am Ende des Monats nicht mehr reicht, sind nicht etwa die miserablen Reallohnsteigerungen, die es in dieser Form nur in Deutschland gab und gibt, schuld, sondern der Euro. Wenn die Rente zu gering ist oder die Sozialleistungen Stück für Stück abgebaut werden, so sind daran nicht die neoliberale Politik und er selbst, sondern der Euro schuld. So einfach kann man es sich machen. Für Hans Olaf Henkel erfüllen diese unsinnigen Schuldzuweisungen natürlich auch den Effekt, von den wahren Schuldigen abzulenken. Es war und ist die ideologische Verblendung der Henkels dieser Welt, die für exakt die Entwicklungen die Verantwortung trägt, die von den neoliberalen Überzeugungstätern nun auf den Euro geschoben wird.

Die Wacht am Rhein

Die Gedankenwelt der Eurokritiker ist ebenso einfach wie falsch. Ginge es nach Hans Olaf Henkel würde der Euro in zwei Währungsräume aufgeteilt – »einen nördlichen, der diszipliniert ist, der keine Inflation will, der an Haushaltsdisziplin gewöhnt ist, und einen südlichen, der lieber mit einer Abwertung wettbewerbsfähig sein will«, wie Henkel in der Talkshow „Maybrit Illner“ formulierte. Neben Deutschland sollten, so Henkel, nur Österreich, die Beneluxstaaten und Finnland den „Nord-Euro“ übernehmen, der Rest der Eurozone (Henkel: „die Olivenländer“) sollten einen „Süd-Euro“ bekommen, was laut Henkel der „Ausgabenfreude und dem währungspolitischen Improvisationstalent“ dieser Länder entspräche. Besonders ins Auge fällt hierbei, dass Henkel die beiden großen Eurostaaten Deutschland und Frankreich in zwei verschiedenen Lagern verortet.

Diese Trennung ist symptomatisch für die Gedankenwelt der „Neuen Rechten“, die in Frankreich den großen Konkurrenten Deutschlands im Konzert der europäischen Hegemonialmächte sieht. Um einen Keil zwischen die beiden Länder zu treiben, scheuen Henkel und seine Weggefährten noch nicht einmal vor tumben nationalistischen Verschwörungstheorien zurück. So sei beispielweise die Beteiligung französischer Banken an den griechischen Staatsschulden der eigentliche Grund für den Euro-Rettungsschirm, Frankreich zeichne für das Aufweichen der Maastricht-Kriterien verantwortlich, wolle die EZB unterminieren und Angela Merkel zu politischen Fehlern verleiten. Jede Form des Populismus braucht Schuldige. Da Migranten und Hartz-IV-Empfänger dieses Mal gänzlich unverdächtig sind, muss halt Frankreich herhalten, das in den Köpfen nationalkonservativer „Denker“ offenbar immer noch der Erbfeind ist.

You can check out every time you want, but you can never leave

In der Frage, was ein Euroaustritt für Deutschland bedeuten würde, sind sich die meisten Ökonomen einig – die Folgen wären katastrophal. Wenn man davon ausgeht, dass die D-Mark bzw. ein Nord-Euro gegenüber dem heutigen Euro um 40 bis 50% aufwerten würde, hieße dies, dass nicht nur deutsche Exporte mit einem Schlag ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren, sondern auch billiger werdende Importe heimische Produkte vom deutschen Markt verdrängen würden. Eine zerstörerische Deflationsspirale wäre die Folge. Nicht umsonst charakterisieren Experten die Währungspolitik der drei großen Wirtschaftszonen (USA, Eurozone, China) als einen „Währungskrieg“, bei dem alle Beteiligten darauf aus sind, die eigene Währung möglichst schwach zu halten.

Eigentlich ist es überraschend, dass ein Industrielobbyist wie Henkel überhaupt Vorschläge macht, die die deutsche Exportorientierung in Frage stellen könnten. Grundsätzlich wäre es ja auch sehr sinnvoll, wenn Entwicklungen stattfinden würden, die langfristig zu einer Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone führen. Eine Erhöhung der deutschen Reallöhne wäre jedoch diesbezüglich der weitaus bessere und vor allem risikofreiere Weg. Niemand kann vorhersagen, was passieren würde, wenn der Euro auseinanderbricht.

Was geschieht mit den Auslandsforderungen der deutschen Unternehmen in Höhe 722 Mrd. Euro und den Auslandsforderungen der deutschen Banken in Höhe von fast zwei Billionen Euro? Welche Effekte hätte eine ultraharte D-Mark auf den deutschen Arbeitsmarkt? Wie würde sich die Binnennachfrage entwickeln, wenn sich Importe binnen kürzester Zeit massiv verbilligen? Es ist vollkommen klar, dass ein Währungswechsel mit hohen Auf- und Abwertungen innerhalb der gesamten Währungszone massive Entwicklungen auslösen würde, die sich mit einfachen Modellen nicht vorhersagen lassen. Der Euro ist nicht nur eine Gemeinschaftswährung, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft. „You can check out every time you want, but you can never leave“, wie es im Eagles-Klassiker „Hotel California“ heißt.

Wenn Hans Olaf Henkel dies alles ignoriert und eine Sicherheit vorgaukelt, die bei einer seriösen Betrachtung unmöglich zu vertreten ist, ist er nichts anderes als ein Hasardeur. Ein Hasardeur wohlgemerkt, der sehenden Auges das Gemeinschaftswerk von Generationen aufs Spiel setzt.

Was will Henkel?

Wenn Hans Olaf Henkel Kritik an seinen Thesen als „Gesinnungsterror“ bezeichnet und immer wieder behauptet, seine Kritiker hätten keine Argumente, so ist dies schlichtweg eine Lüge. Henkel geht in seinen Polemiken lediglich nie auf die Argumente ein, die seine Positionen in die Nähe des Irrsinns stellen.

Es ist jedoch nicht unbedingt wahrscheinlich, dass Henkel überhaupt glaubt, was er da sagt. Er mag zwar ein „engstirniger Fanatiker“ (William K. Black) und „inkompetent“ (James K. Galbraith) sein, dumm ist er jedoch nicht. Henkel weiß auch, dass es gar keine rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Euro-Ausstieg gibt und seine Vorschläge nicht die geringste Chance auf Umsetzung haben. Es ist daher wesentlich wahrscheinlicher, dass Henkel mit den Ängsten der Bevölkerung spielt und sie für seine politischen Zwecke instrumentalisiert. Henkel scheint sich nicht mehr mit seiner Dauerpräsenz auf den Talkshowsesseln der Republik zufrieden geben zu wollen – er will fortan aktiv Parteipolitik betreiben.

Lesen Sie am Montag im zweiten Teil, wie Henkel und seine Mitstreiter aus der FDP eine rechtspopulistische Partei mit Parallelen zur Tea-Party-Bewegung machen wollen und wie sie dafür die Protestbewegung auf der Straße für ihre Ziele einspannen.

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