Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “Mehr” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (WL/JB/AM)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Einkommensungleichheit nimmt OECD-weit zu – in Deutschland besonders schnell
  2. Wir leben nicht über unsere Verhältnisse!
  3. Kalter Putsch der Experten
  4. Rudolf Hickel – Löhne rauf!
  5. Marshall Auerback – There will be Blood
  6. OTC-Derivate-Casino mit 707,569 Billionen Dollar an nominalen Volumen
  7. Merkozy schonen private Gläubiger
  8. Werkverträge im Kommen
  9. Rüge des Kartellamts – Berliner Wasser wird günstiger
  10. Eil-Unterschriftenaktion gegen Vereinnahmung von EU-Expertengruppen
  11. EGMR: Fünftägige Ingewahrsamnahme während G8-Gipfel nicht gerechtfertigt
  12. Petersberg-Konferenz: Kein Plan außer Dauerkrieg und Besatzung
  13. #BPT112: Wo stehen die PIRATEN?
  14. Zum SPD-Bundesparteitag: Gabriel macht sich unglaubwürdig
  15. Interview mit Torsten Bultmann zur unternehmerischen Hochschule
  16. Die Akte Tengelmann
  17. Drohende Herabstufung Deutschlands durch S&P.

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Einkommensungleichheit nimmt OECD-weit zu – in Deutschland besonders schnell
    In Deutschland ist die Einkommensungleichheit seit 1990 erheblich stärker gewachsen als in den meisten anderen OECD-Ländern. In den 80er und 90er Jahren gehörte das Land zu den eher ausgeglichenen Gesellschaften, inzwischen liegt es nur noch im OECD-Mittelfeld. Das geht aus der Studie „Divided we stand – Why inequality keeps rising“ hervor, die heute von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung veröffentlicht wurde. Mit durchschnittlich 57.300 Euro verdienten die obersten zehn Prozent der deutschen Einkommensbezieher im Jahr 2008 etwa achtmal so viel wie die untersten zehn Prozent (7400 Euro). In den 90ern lag das Verhältnis noch bei 6 zu 1, der aktuelle OECD-Durchschnitt ist 9 zu 1.
    „Divided we stand“ geht den Ursachen steigender Ungleichheit auf den Grund. Die Studie widerlegt die Annahme, dass Wirtschaftswachstum automatisch allen Bevölkerungsgruppen zugutekommt und, dass Ungleichheit soziale Mobilität fördert. „Zunehmende Ungleichheit schwächt die Wirtschaftskraft eines Landes, sie gefährdet den sozialen Zusammenhalt und schafft politische Instabilität – aber sie ist nicht unausweichlich“, sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría. „Wir brauchen eine umfassende Strategie für sozialverträgliches Wachstum, um diesem Trend Einhalt zu gebieten.“
    Im OECD-Schnitt stiegen die verfügbaren Haushaltseinkommen in den beiden Jahrzehnten vor der Finanz- und Wirtschaftskrise um 1,7 Prozent jährlich. Die größten Gewinne machten dabei zumeist Gutverdienerhaushalte. In Deutschland ist diese Entwicklung besonders ausgeprägt: Insgesamt wuchsen die realen Haushaltseinkommen hier um 0,9 Prozent pro Jahr – in der untersten Einkommensklasse kam davon allerdings lediglich eine Steigerung von 0,1 Prozent an, während die zehn Prozent der am besten verdienenden Haushalte ihr Einkommen um 1,6 Prozent steigern konnten.

    Quelle 1: OECD
    Quelle 2: Divided We Stand – Why Inequality Keeps Rising (Flash/engl.)
    Quelle 3: Countrynote Germany (engl.) [PDF – 483 KB]

    Anmerkung WL: Wie sagte doch Gerhard Schröder in der WamS: „Ich finde, wir haben damals eine richtige Steuerpolitik gemacht.“

    dazu: Ulrike Herrmann – Reich und Reich gesellt sich gern
    Die Einkommen in Deutschland werden immer ungleicher verteilt. Zwar sorgt der Staat immer noch für mehr Gleichheit, doch seit Rot-Grün wird es schlimmer. […]
    Die Ungleichheit bei den Einkommen nimmt in Deutschland rasant zu. Arm und Reich driften schneller auseinander als in den meisten anderen Industrieländern, wie aus einer neuen OECD-Studie hervorgeht.
    Die obersten 10 Prozent der deutschen Einkommensbezieher verdienten im Jahr 2008 im Durchschnitt 57.300 Euro. Das unterste Zehntel kam hingegen nur auf 7.400 Euro. Das Verhältnis zwischen oben und unten betrug also acht zu eins. In den 1990er Jahren waren es erst sechs zu eins.
    Diese zunehmende Ungleichheit zeigt sich auch bei den Haushaltseinkommen. In den beiden Jahrzehnten vor der Finanzkrise wuchsen die realen Haushaltseinkommen in Deutschland um 0,9 Prozent jährlich. Doch beim untersten Zehntel kam davon fast nichts an. Dessen Einkünfte stiegen nur um 0,1 Prozent pro Jahr. Umso üppiger fiel das Einkommen des obersten Zehntels aus: Es nahm um 1,6 Prozent jährlich zu.
    Quelle: taz

  2. Wir leben nicht über unsere Verhältnisse!
    In der Euro-Krise wird wieder einmal der ausufernde Sozialstaat für die hohen Staatsschulden Deutschlands verantwortlich gemacht. Doch drei Viertel der Schulden haben andere Ursachen – zum Beispiel die deutsche Einheit.
    Man hätte es sich denken können. Auch die Euro-Krise wird zum Anlass genommen, um wieder einmal den angeblich ausufernden Sozialstaat als Wurzel allen Übels darzustellen. Mit besorgten Worten wird mit dem Hinweis auf Griechenland in allerlei Kommentaren behauptet, dass auch die Staatsverschuldung in Deutschland viel zu hoch sei.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung

    Anmerkung JB: Der Weggang von Klaus Zimmermann scheint dem DIW sehr gut zu tun.

  3. Kalter Putsch der Experten
    Es fiel kein Schuss, keine Soldaten marschierten, kein Parlament wurde von Panzern belagert. Für den weichen Staatsstreich, der jüngst in Griechenland und Italien stattgefunden hat, war nichts dergleichen notwendig. Die Finanzmärkte haben mithilfe der Parlamente geputscht. […]
    Die Weimarer Republik ging unter anderem deshalb unter, weil sie der Wirtschaftskrise nicht Herr werden konnte, aber vor allem wegen ihrer eigenen demokratischen Degeneration. Die Kabinette der Experten sind kein Weg aus der Krise, sondern ihr Kennzeichen. Bereits im Jahr 1925 bildete Hans Luther eine Regierung der Fachleute. Luther stand rechts, sein explizite Parteilosigkeit wertete der Historiker Heinrich-August Winkler bereits als “Symptom der Krise” des Parteienstaats.
    Heute fehlt es nicht an parlamentarischen Mehrheiten wie zu Weimarer Zeiten. Die Notverordnungen, mit denen später Heinrich Brüning die Republik zu seinen drastischen Sparprogrammen zwang, wird heute über die postdemokratische Finanzkratie, die Herrschaft der Banken und der Euro-Elite, durchgesetzt. Aber die zentrifugalen Kräfte fehlender Legitimation für die Regierungspolitik haben Europa bereits jetzt an den Abgrund geführt. In Krisenzeiten werden die wahren Machtverhältnisse offengelegt. Die Kabinette der Technokraten sind die Regierungen der 1 Prozent.
    Quelle: taz

    passend dazu: Kanonenbootpolitik mit technokratischem Antlitz
    Während viel Unsicherheit herrscht, wie mit der europäischen Schuldenkrise zu verfahren sei, ist eines sicher: Weder die Griechen, die Italiener oder irgendein ein anderes Land werden über die Spar- und Austeritätsmaßnahmen der Europäischen Union abstimmen können. Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union tauscht man missliebige Regierungen aus. Sofern sie der „Stabilisierung“ im Weg stehen, ersetzt man sie durch ein „Technokraten“-Regime. […]
    Mit der jetzigen Phase der Eurokrise betreten wir gefährliches Neuland: Die EU diskutiert offen über den Sturz (oder zumindest das Übergehen) von gewählten Regierungen. Das Element der Nötigung ist dabei in die Beziehungen der europäischen Staaten zurückgekehrt. Die gegenwärtige Krise wäre vielleicht noch vor zwei Jahren handhabbar gewesen – doch seitdem hat sie sich nur verschlimmert. Die konstitutionelle Verfasstheit der EU birgt destruktive Tendenzen in sich.
    Quelle: Novo Argumente

  4. Rudolf Hickel – Löhne rauf!
    Die Beschäftigten sind die Verlierer des vergangenen Jahrzehnts. Das hat der DGB in seinem jüngsten Verteilungsbericht festgestellt. In der ZEIT wurde darüber berichtet – aber mit strittigen Schlussfolgerungen (ZEIT Nr. 48/11). Nach der DGB-Analyse ist der gesamtwirtschaftliche Anteil der Löhne und Gehälter, gemessen am Volkseinkommen, 2007 auf den tiefsten Wert seit den siebziger Jahren gesunken. An diesem Trend ändert der jüngste leichte Anstieg nichts. Spiegelbildlich sind die Bezieher von Unternehmens- und Vermögenseinkommen die Gewinner. Bei der Entwicklung der ausschließlich den Unternehmen zurechenbaren Gewinne wird die Vorteilsposition gegenüber den Arbeitseinkommen besonders deutlich. Der um die Inflationsrate bereinigte durchschnittliche Bruttomonatsverdienst von 2.144 Euro im Jahr 2000 ist bis zum vergangenen Jahr um 1,9 Prozent auf 2074 Euro geschrumpft.
    Quelle: ZEIT
  5. Marshall Auerback – There will be Blood
    Another week to go before the euro blows up, or so we’re told again for the thousandth time. More likely is that the ECB does barely enough to keep the show on the road, fiscal austerity continues and riots intensify on the streets of Madrid, Athens, Rome and Paris. Like the film, “there will be blood” before there is any likely change toward a sensible growth oriented policy in the euro zone. […]
    As Warren Mosler and I have argued before, so as long as the ECB imposes austerian terms and conditions, their bond buying will not be inflationary. Inflation from this channel comes from spending. However, in this case the ECB support comes only with reduced spending via its imposition of fiscal austerity. […]
    There is NO sign that the ECB’s buying of euro denominated government bonds has resulted in any kind of monetary inflation, as nothing but deflationary pressures continue to mount in that ongoing debt implosion. The reason there is no inflation from the ECB bond buying is because all it does is shift investor holdings from national govt. debt to ECB balances, which changes nothing in the real economy.
    Quelle: New Economic Perspectives
  6. OTC-Derivate-Casino mit 707,569 Billionen Dollar an nominalen Volumen
    Abseits wohlfeiler Absichtserklärungen in Punkto Finanzmarktregulierung seitens der Politik feiert das Finanzmarkt-Casino Urstände. Einen Beleg dafür lieferten die letzten Daten der Bank for International Settlements (BIS), welche als Bank der Zentralbanken fungiert, zum unregulierten Over-the-Counter-Derivatemarkt. Das ausstehende nominale Wettvolumen der Derivate explodierte im 1. Halbjahr 2011 um +18,0% bzw. um +105,523 Billionen Dollar, im Vergleich zu Ende 2010, auf 707,569 Billionen Dollar.
    Quelle 1: Querschüsse
    Quelle 2: OTC derivatives market activity in the first half of 2011 – BIS (engl.) [PDF – 167 KB]

    Anmerkung JB: Hierbei handelt es sich nicht(!) um den üblichen Übersetzungsfehler. Es sind tatsächlich Billionen (engl.: Trillions)

  7. Merkozy schonen private Gläubiger
    Deutschland sei allerdings bereit, im Tausch gegen deutlich schärfere Haushaltsregeln Formulierungen zur Beteiligung von Banken und Versicherern an möglichen Anleiheausfällen abzuschwächen…
    Vor allem Frankreich, Italien und andere Euro-Staaten wollen die Umschuldungsklauseln wieder aus dem ESM-Vertrag streichen. Sie argumentieren, dass die Investoren wegen des Schuldenschnitts in Griechenland das Vertrauen in die Euro-Zone verloren hätten. Die Bundesregierung will jedoch an dem Instrument festhalten, auch weil sie bei einem Kursschwenk einen Koalitionskrach riskieren würde. Für die FDP ist die Gläubigerbeteiligung unumstößlich.
    Vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag werben beide Länder für Änderungen der europäischen Verträge. Dies solle möglichst für alle 27 EU-Staaten gelten. Sollte dies nicht möglich sein, wollen Merkel und Sarkozy die Änderungen nur für die 17 Euro-Staaten beschließen.
    Vertraglich verankert werden müsse beispielsweise eine Schuldenbremse in allen Euro-Staaten in den Landesverfassungen.
    Quelle: FTD

    Anmerkung WL: Bald werden wir nicht nur ein zweigeteiltes Europa haben, sondern ein mehrfach geteiltes. Was ist, wenn die Franzosen oder die Iren erneut in einer Volksabstimmung einer Vertragsänderung nicht zustimmen?

  8. Werkverträge im Kommen
    Weil Leiharbeit mehr und mehr beschränkt wird, weichen Unternehmen auf Werkverträge aus. Linkspartei und Arbeitsrechtler fordern neue Regulierung.
    Quelle: taz
  9. Rüge des Kartellamts – Berliner Wasser wird günstiger
    Verbraucher in der Hauptstadt können sich auf geringere Kosten für Wasser freuen: Das Bundeskartellamt mahnte nun die Berliner Wasserbetriebe (BWB) wegen überhöhter Preise ab – und will das Unternehmen dazu verdonnern, günstiger zu werden. […]
    “Nach heutigem Stand beabsichtigen wir, die Wasserbetriebe zu verpflichten, die Preise in den kommenden drei Jahren um 19 Prozent im Vergleich zu 2010 zu senken”, sagte ein Sprecher des Bundeskartellamts. Das Unternehmen muss demnach 2012, 2013 und 2014 auf voraussichtlich etwa 205 Millionen Euro verzichten – Geld, das den Kunden unmittelbar zugutekommen soll.
    Im März vergangenen Jahres hatte das Kartellamt ein Verfahren gegen die BWB eingeleitet. Als Vergleichsstädte dienten Hamburg, München und Köln, weil die Versorgungsbedingungen dort “strukturell mit Berlin vergleichbar” sind, wie das Kartellamt erklärte. Dabei stellte das Amt “signifikant höhere Erlöse der BWB im Vergleich zu den Wasserversorgern der anderen drei Großstädte” fest.
    Quelle: SPIEGEL Online

    Anmerkung unseres Lesers J.A.: In den Vergleichsstädten Hamburg, München und Köln wird das Wasser, wenig überraschend, von den (im Fall Köln “nur” zu 80%) kommunalen Anbietern geliefert, nicht von einem privaten Monopolanbieter.

  10. Eil-Unterschriftenaktion gegen Vereinnahmung von EU-Expertengruppen
    Ende Oktober sperrte das EU-Parlament einen Teil des Budgets für EU-Expertengruppen, um die EU-Kommission dazu zu bewegen, die einseitige Besetzung dieser Gruppen mit Wirtschaftslobbyisten zu beenden (wir berichteten). Damit ist die Auseinandersetzung zwischen Parlament und Kommission aber noch nicht ausgestanden. Um dem Parlament den Rücken zu stärken, haben wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnerorganisationen und dem Kampagnennetzwerk Avaaz eine Blitz-Unterschriftenkampagne gestartet. Innerhalb von 24 Stunden sollen möglichst viele Unterschriften aus ganz Europa zusammenkommen, um sie dann morgen bei einer Anhörung im EU-Parlament zu übergeben.
    Quelle: LobbyControl
  11. EGMR: Fünftägige Ingewahrsamnahme während G8-Gipfel nicht gerechtfertigt
    Polizeiliche Maßnahmen verletzten Beschwerdeführer im Recht auf Freiheit und Sicherheit und im Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit verletzt
    Die mehr als fünftägige Ingewahrsamnahme zweier junger Männer, durch die sie gehindert wurden, im Juni 2007 an den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Heiligendamm nahe Rostock teilzunehmen, stellt eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit (Artikel 5 § 1) sowie eine Verletzung des Rechts auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Artikel 11) gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
    Quelle: Kostenlose Urteile
  12. Petersberg-Konferenz: Kein Plan außer Dauerkrieg und Besatzung
    Fast genau zehn Jahre nach der ersten Konferenz auf dem Bonner Petersberg, auf der wesentliche Entscheidungen getroffen wurden, die sich fatal für die Situation in Afghanistan erweisen sollten, versammelte sich die „internationale Gemeinschaft“ am 5. Dezember 2011 erneut an gleicher Stelle, um über die weitere Zukunft des Landes zu entscheiden. Allerdings sagte kurz zuvor mit Pakistan aufgrund der 24 infolge eines US-Angriffes getöteten pakistanischen Soldaten ein Land seine Teilnahme ab, das für eine wie auch immer geartete Lösung des Konfliktes von zentraler Bedeutung ist. Auch aus den Reihen der afghanischen Widerstandsgruppen, deren Beteiligung zwischenzeitlich zumindest verbal erwogen wurde, und ohne die eine Beendigung der Kampfhandlungen ebenfalls vollkommen unrealistisch ist, war niemand vor Ort.
    Man blieb also unter sich und feierte die Errungenschaften von zehn Jahren Krieg und Besatzung, obwohl es angesichts der desaströsen Bilanz nichts zu feiern gibt. Im Wesentlichen hat die Petersberg-Konferenz vor allem eines gezeigt: Die „internationale Gemeinschaft“ hat keinen Plan für Afghanistan außer den, Krieg und Besatzung noch weit über das Jahr 2014 fortzusetzen. Deshalb ist es umso ärgerlicher und unverantwortlicher, dass aus Dummheit oder in boshafter Absicht nahezu die komplette Journaille in der Berichterstattung über die Konferenz dem Lügenmärchen aufsitzt, die westlichen Truppen würden sich 2014 aus dem Land zurückziehen.
    Quelle: Informationsstelle Militarisierung
  13. #BPT112: Wo stehen die PIRATEN?
    Am vergangenen Wochenende trafen in Offenbach PIRATEN aus ganz Deutschland zum Bundesparteitag zusammen. Von den insgesamt gut 18.000 Mitgliedern waren 1.100 für den „BPT112“ akkreditiert.
    Das überraschend gute Abschneiden bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus führte zu einem großen öffentlichen Interesse an der jungen Partei. Beobachter waren jetzt vor allem neugierig darauf, wo sich die PIRATEN innerhalb des klassischen Links-Rechts-Spektrums verorten würden.
    Wer sind die PIRATEN: Kinder der Grünen, Linke mit Internet oder Nachfolger der sterbenden FDP? Trotz zahlreicher Beschlüsse bleibt die Partei in der Deckung und verweigert hartnäckig die Antwort darauf, wo sie politisch eigentlich steht.
    Quelle: Jacob Jung

    dazu: Eine Generation hat wieder eine Vision
    Die Piratenpartei galt als versprengter Haufen von Nerds, die zu viel im Internet surfen. Aber man sollte sie tunlichst ernst nehmen: Hier entwickelt seit langer Zeit erstmals wieder eine Generation eine Zukunftsvision.
    Quelle: Focus

    Kommentar M.S.: Das von Ihnen verlinkte Interview mit Katja Kullmann datiert von Samstag, 03.12.2011. Seit gestern abend ist dieses Interview inhaltlich überholt. Ich habe den gesamten Parteitag in Offenbach direkt vor Ort beobachtet und kann nur sagen: Da wächst eine gewaltige Konkurrenz für die etablierten Parteien heran. Der Focus beschreibt in seinem Artikel erstaunlicherweise sehr nah am tatsächlichen Geschehen auf dem Parteitag am vergangenen Wochenende die neuen Weichenstellungen der Piraten. Durch das fehlende Delegiertensystem auf den Piratenparteitagen dauern Richtungsentscheidungen sicher länger – dafür sind diese aber “Bottom-Up” und damit im Gegensatz zu allen anderen etablierten Parteien wirklich basisorientiert. Es wird sicher noch einige Parteitage brauchen, bis die Piraten ein ähnlich breites Themenspektrum wie die etablierten Parteien abbildet, das Warten dürfte sich aber lohnen. Und die Piraten haben die Chance, wirklich große Veränderungen anzustoßen.

  14. Zum SPD-Bundesparteitag
    1. Gabriel macht sich unglaubwürdig
      “Mit dem heutigen Bundesparteitag schließen wir unsere politische Neuausrichtung ab,” leitete Sigmar Gabriel seine heutige Rede auf dem Bundesparteitag der SPD ein. Und dann das:
      “Die Namen, die für all das stehen, was unser Land gut durch die Krise gebracht hat, sind sozialdemokratische Namen: Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Frank Walter Steinmeier, Peer Steinbrück, Olaf Scholz und viele andere. Herzlichen Dank an die, die das geschafft haben für unser Land, Genossinnen und Genossen.”
      Damit hat Sigmar Gabriel – freilich ganz anders als von ihm beabsichtigt – Klarheit geschaffen: Einen Neuausrichtung des SPD wird es so schnell nicht geben.
      Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft

      passend dazu: Aussteller beim Bundesparteitag 2011
      unter anderem e.on, Vattenfall, RWE, Die Tafeln e.V., Bayer, Pfizer, Philip Morris, Bertelsmann Stiftung, Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen, GDV – Die deutschen Versicherer, Celesio und so weiter und so fort
      Quelle: SPD

    2. Rede Helmut Schmidt auf dem SPD-Bundesparteitag
      Allerdings ist uns nicht ausreichend bewusst, dass unsere Wirtschaft in hohem Maße sowohl in den gemeinsamen europäischen Markt integriert als auch zugleich in hohem Maße globalisiert und damit von der Weltkonjunktur abhängig ist. Wir werden deshalb im kommenden Jahr erleben, dass die deutschen Exporte nicht mehr sonderlich wachsen.
      Gleichzeitig hat sich aber eine schwerwiegende Fehlentwicklung ergeben, nämlich anhaltende enorme Überschüsse unserer Handelsbilanz und unserer Leistungsbilanz. Die Überschüsse machen seit Jahren etwa 5 Prozent unseres Sozialproduktes aus. Sie sind ähnlich groß wie die Überschüsse Chinas. Das ist uns nicht bewusst, weil es sich nicht mehr in DM-Überschüssen niederschlägt, sondern in Euro. Es ist aber notwendig für unsere Politiker, sich dieses Umstandes bewusst zu sein.
      Denn alle unsere Überschüsse sind in Wirklichkeit die Defizite der anderen. Die Forderungen, die wir an andere haben, sind deren Schulden. Es handelt sich um eine ärgerliche Verletzung des einstmals von uns zum gesetzlichen Ideal erhobenen „außenwirtschaftlichen Gleichgewichts“. Diese Verletzung muss unsere Partner beunruhigen. Und wenn es neuerdings ausländische, meistens amerikanische Stimmen gibt – inzwischen kommen sie von vielen Seiten – die von Deutschland eine europäische Führungsrolle verlangen, so weckt all dies zusammen bei unseren Nachbarn zugleich zusätzlichen Argwohn. Und es weckt böse Erinnerungen…
      Wenn wir Deutschen uns verführen ließen, gestützt auf unsere ökonomische Stärke, eine politische Führungsrolle in Europa zu beanspruchen oder doch wenigstens den Primus inter pares zu spielen, so würde eine zunehmende Mehrheit unserer Nachbarn sich wirksam dagegen wehren. Die Besorgnis der Peripherie vor einem allzu starken Zentrum Europas würde ganz schnell zurückkehren. Die wahrscheinlichen Konsequenzen solcher Entwicklung wären für die EU verkrüppelnd. Und Deutschland würde in Isolierung fallen…
      Ohne Wachstum, ohne neue Arbeitsplätze kann kein Staat seinen Haushalt sanieren. Wer da glaubt, Europa könne durch Haushaltseinsparungen allein gesund werden, der möge gefälligst die schicksalhafte Wirkung von Heinrich Brünings Deflationspolitik 1930/32 studieren. Sie hat eine Depression und ein unerträgliches Ausmaß an Arbeitslosigkeit ausgelöst und damit den Untergang der ersten deutschen Demokratie eingeleitet.
      Quelle: SPD

      Anmerkung WL: Es ist wie der Höhenflug eines Falken gegenüber dem Flattern im Hühnerstall, wenn man Triebkräfte, Motive und Visionen Helmut Schmidts für ein vereintes Europa mit den platten ökonomistischen Sprüchen sowohl von Merkel, aber auch von Steinmeier vergleicht.
      Dennoch sollte man bei allem Respekt kritisch anmerken, dass Helmut Schmidt seinen Genossen durchaus auch noch etwas mehr ins Gewissen reden können. Siehe z.B. Michael Schlecht:

      Sozialdemokratische Grenzen eines Helmut Schmidt
      Es ist selten, dass ich einen sozialdemokratischen Politiker so ausführlich zustimmend zitiere. Jedoch gibt es bei Helmut Schmidt einen Abbruch seiner Argumentation. Weshalb ist es zu diesem so verheerenden Leistungsbilanzungleichgewicht gekommen, das die Ursache für die Schulden der anderen ist? Bei Schmidt verdichtet sich die Antwort in der Floskel: „Es handelt sich um eine ärgerliche Verletzung … des ‚außenwirtschaftlichen Gleichgewichts‘“.
      Ärgerlich, dass Schmidt hier nicht weiter argumentiert. Denn dann hätte nicht nur eine Abrechnung mit Merkel, sondern auch mit der Politik der Schröder/Fischer-Regierung folgen müssen. Die Politik der Agenda 2010 ist die zentrale Ursache für die Außenhandelsungleichgewichte und damit für die europäische Krise. Deutschland ist wieder Täterland. Mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes wurden die Gewerkschaften geschwächt und ein gigantisches Lohndumping eingeleitet. Die Löhne sind seit 2000 um 4,5 Prozent preisbereinigt gesunken.
      Wenn Löhne sinken, dann tragen die Menschen weniger Geld in die Geschäfte. Dies trifft auch die Importe, sodass viele andere Länder es schwer haben nach Deutschland Waren zu exportieren. Das Lohndumping ist gut für die Unternehmer, ihre Profite und auch für ihre Wettbewerbsfähigkeit im Ausland. Kein Wunder, das gerade seit 2000 die Exporte massiv steigen.
      In der Scherenbewegung von ausgebremsten Importen und steigenden Exporten explodierte der Aushandelsüberschuss. Seit 2000 wurde für 1,2 Billionen Euro mehr ins Ausland verkauft als eingekauft. In den ersten drei Quartalen 2011 betrug der Überschuss knapp 120 Milliarden Euro, davon 65 Milliarden mit der Eurozone!
      Wäre Helmut Schmidt diesen argumentativen Schritt noch gegangen, dann hätten er auch die historisch notwendigen Konsequenzen, die weit über ihre soziale Bedeutung hinausgehen, formulieren müssen: In Deutschland muss das Lohndumping beendet und die Agenda 2010 zurückgenommen werden.
      Quelle: Michal Schlecht

  15. Interview mit Torsten Bultmann zur unternehmerischen Hochschule
    Das Matthäus-Prinzip oder wie unternehmerischer Wettbewerb und Exzellenz Ungleichheiten vertiefen”, unter diesem Titel hielt Torsten Bultmann vom Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am 23. November 2011 einen Vortrag an der Universität Tübingen. Der Kritiker der sogenannten “Exzellenzinitiative” war auf Einladung des Hochschulinformationsbüros (HIB) des DGB und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nach Tübingen gekommen.
    Im Interview mit dem Bildungsmagazin erklärt Bultmann was “Elite-Uni” überhaupt heißt und wie das Ringen um den Titel der “Elite-Universität” dazu führen kann, dass am Ende nur die bereits sehr erfolgreichen Universitäten weitergefördert werden, während die weniger prestigeträchtigen Bildungseinrichtungen “abgehängt
    Quelle: freie-radios.net
  16. Die Akte Tengelmann
    Es war einmal ein Unternehmen, das die Deutschen geliebt haben. Tengelmann hat uns über Jahrzehnte mit Lebensmitteln versorgt und die Supermärkte in Deutschland populär gemacht. Ein Konzern mit freundlichen Kassiererinnen, gut bezahlten Mitarbeitern und ehrbaren Kaufmännern – eines der letzten großen Familienunternehmen. Doch im Hintergrund scheint längst ein Strategiewechsel stattzufinden. Statt traditioneller Supermärkte spülen inzwischen Partner wie der Textildiscounter KiK, die Schnäppchenbude Tedi oder das Billigkaufhaus Woolworth das große Geld in die Kassen. Für die Angestellten und Aushilfen hat die Preisdrückerei oft spürbare Folgen. Unbezahlte Überstunden, Angst am Arbeitsplatz, aggressive Sparpolitik. Die beteiligten Unternehmen ficht das auch auf Nachfrage offenbar nicht an.
    Christoph Lütgert und sein Team haben wochenlang recherchiert und auch in der Vergangenheit von Tengelmann dunkle Kapitel entdeckt. Was der Konzern bis heute verschweigt, ist seine Rolle in den Jahren des Nationalsozialismus. Der damalige Firmenpatriarch, kurz nach der Machtergreifung selbst SS-Mitglied, hatte bereits 1931 mit SS-Chef Heinrich Himmler über die Zukunft von Tengelmann verhandelt. Später schaffte es der Konzern, lukrative Wehrmachtsaufträge zu ergattern und Frontnahrung zu produzieren. Tengelmann ging offenbar gerne mit der Zeit. Doch in den stolzen Chroniken ist davon praktisch nichts zu lesen. Tengelmann hat inzwischen aufgrund der Panorama-Anfrage einen unabhängigen Historiker beauftragt, die Unternehmensgeschichte aufzuarbeiten.
    Quelle: Panorama – die Reporter

    Anmerkung: Die Sendung wird am Dienstag, 06. Dezember 2011 von 21:15 bis 21:45 Uhr in der ARD gezeigt.

  17. Drohende Herabstufung Deutschlands durch S&P.
    Auf zwei Artikel dazu weist NDS-Leser E.E. hin und vergleicht sie:
    Wie unterschiedlich die zwei wichtigsten Wirtschaftsblätter Deutschlands die Nachricht von der drohenden Herabstufung Deutschlands durch S&P präsentieren, siehe hier oder hier.
    Das Handelsblatt konstatiert einen „Warnschuss gegen die Eurozone“ in Form einer drohenden „Herabstufung von Deutschland und 14 anderen Ländern der Euro-Zone“ durch S&P und zitiert als Motive der Agentur

    1. die Sorge über die möglichen Auswirkungen der zunehmenden politischen, finanziellen und monetären Probleme der europäischen Wirtschaften und der europäischen Währungsunion,
    2. den mangelnden Fortschritt der europäischen Politiker bisher sowie deren ihrer Meinung nach unkoordiniertes und unentschlossenes Handeln,
    3. die Probleme in der Eurozone, die in den vergangenen Wochen ein Maß erreicht hätten, das die Zone als Ganzes unter Druck setze.

    Das Handelsblatt lokalisiert also die Problematik im gesamten Euroland. Ganz anders dagegen FTD.
    Financial Times Deutschland berichtet zwar auch von der drohenden Herabstufung Deutschlands und 14 weiterer Länder der Euro-Zone durch S&P, schält dann aber Deutschland aus der allgemeinen negativen Beurteilung der Gemeinschaft der Euro-Staaten heraus. Die übrigen 14 Länder werden nach der Bemerkung zu Beginn des Artikels („15 der 17 Länder“) nicht mehr erwähnt. FTD sieht nämlich Deutschland in einer Opferrolle, die sie darin erkennt, dass das Land trotz seiner bislang „vergleichsweise soliden Staatsfinanzen“ nun unter Druck gerate.
    Der Grund für diesen Druck seien:

    die „wirtschaftlichen und finanziellen Schockwellen“ aus Euroland, die Deutschland erschüttern könnten. Was die „Schockwellen“ für Deutschland bedeuten, klärt FTD gleich im ersten Teil des Artikels: Vor allem Deutschland müsse „am Ende die Zeche zahlen“. Das Blatt suggeriert somit, die Probleme Deutschlands seien exogener Natur und hätten mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik Deutschlands nichts zu tun.

    Wer also ist laut Financial Times Deutschland Schuld an einer eventuellen Herabstufung Deutschlands durch die Rating-Agenturen? Natürlich die Schuldenstaaten, womit – ebenso natürlich – nicht Deutschland gemeint ist.

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