Aufbau einer Gegenöffentlichkeit: einige Themen für das Gespräch in Kleinen NachDenkKreisen

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

In Gesprächen im Anschluss an Buchlesungen wird immer wieder die Frage gestellt, was man gegen die Vorherrschaft des Meinungs-Mainstreams und für den Aufbau einer Gegenöffentlichkeit praktisch tun könne. Ich komme dazu auf einen Vorschlag im Tagebucheintrag vom 15. Januar zurück und zitiere einen NachDenkSeiten-Nutzer: „In privater Runde habeich einen “ArbeitsKreis Nachdenken” (AKN) mit sechs Mittdreißigern und zwei Schülern gegründet, der sich mit politischen Themen kritisch befasst.“
Der Vorschlag, mit Nachbarn, Freunden und Kolleginnen/en Zirkel zu bilden, die sich regelmäßig zum Gespräch treffen, findet erkennbar Resonanz. Es macht durchaus Sinn und kann sogar Spaß machen, gemeinsam hinter die Kulissen zu schauen, wichtige aktuelle Fragen zu debattieren und vor allem auch Manipulationsvorgänge gemeinsam zu beobachten. Und vielleicht sogar gemeinsam aktiv zu werden. Es geschieht nämlich auch im lokalen Bereich viel Unglaubliches, was der Beobachtung und des Widerspruchs bedürfte.“
Dazu will ich heute fünf thematische Anregungen mit dem Schwerpunkt Privatisierungen geben und dazu Material anbieten beziehungsweise auf solches hinweisen. Zugleich mache ich auf unsere Suchfunktion aufmerksam. Dort können Sie zu vielen anderen Themen nach Informationen suchen. Meist mit Erfolg, so erfahren wir es und so hoffen wir es auch für Sie.

  1. Die Wirkung der Kommerzialisierung des Fernsehens, der Programmvermehrung und der totalen elektronischen Kommunikation
    Gerade in den letzten Tagen sind mehrere Meldungen und Artikel erschienen, die viel Gesprächsstoff bieten: ich verweise auf einen Beitrag im Stern unter dem Titel „Sexuelle Verwahrlosung. Voll Porno!“ , einen Beitrag in der NachDenkSeiten und auf den Bericht der „Welt“ auf eine britische Studie, die in der Fachzeitschrift „Biologist“ veröffentlicht wurde. Dort heißt es:

    Der Studie zufolge haben Sechsjährige in Großbritannien im Durchschnitt bereits ein Jahr ihres Lebens vor dem Fernseher verbracht. Mehr als die Hälfte der Dreijährigen habe ein eigenes TV-Gerät im Kinderzimmer. Die Autoren raten dazu, die Reduzierung des Fernsehkonsum zu den vorrangigen Themen der Gesundheitspolitik zu erklären.

    Zu dem Gesamtkomplex noch folgende Anmerkungen:

    • Die Kommerzialisierung des Fernsehens hat unsre Welt um vieles mehr verändert als z.B. der viel diskutierte demographische Wandel. Untersuchungen zum Bildungsstand, wie etwa die PISA-Studien, die diese Veränderungen nicht richtig einbeziehen, sind vergleichsweise belanglos.
    • Bildungspolitik müsste sich zentral um dieses Thema kümmern. Sie tut es nicht, weil sie mit den eigentlichen Profiteuren der Kommerzialisierung verbandelt ist. (Siehe z.B. Bertelsmann, der Konzern betreibt europaweit Fernsehsener, die nach eigenen Angaben täglich 170 Millionen Menschen erreichen und auf der anderen Seite macht die Bertelsmann Stiftung eine ganze Reihe von Schulprojekten.)
    • Die eigentlichen Profiteure der Kommerzialisierung waren der Bertelsmann-Konzern mit der RTL-Gruppe und (bis zum Ende seiner Herrschaft über seine Sendergruppe) Leo Kirch mit Sat1 und ProSieben. Die Bertelsmann Unternehmen und die Bertelsmann Stiftung nutzen die Gewinne aus der Zerstörung wichtiger kultureller und aufklärerischer Qualitäten unserer Gesellschaft, um ihren ohnehin schon übermächtigen Einfluss auf Staat und Gesellschaft weiter auszudehnen.
    • Die Kommerzialisierung und Programmvermehrung kam in Deutschland nicht von alleine. Die Regierung Kohl hat das Geschäft der Medienprofiteure mit Milliarden öffentlichen Geldes und entsprechenden politischen Entscheidungen betrieben. Damals war die Rede davon, es seien allein 10 Mrd. Mark vom Bund für die Verkabelung ausgegeben worden, dazu kamen direkte und indirekte Kosten für Satelliten, für die Werbung für das Kabelfernsehen auf vermutlich allen Autos der Bundespost, etc.. – Wie sich der davon Profitierende Leo Kirch bei Kohl und anderen Politikern dafür bedankt hat, habe ich in Machtwahn beschrieben. Siehe Seite 277. Kurt Beck hat die Zahlungen und Hintergründe erstaunlich prägnant beschrieben: „Niemand zahlt 800.000 Mark oder 300.000 DM, dazwischen lagen ja wohl die Verträge, für nichts. Das kann ich mir nicht vorstellen. Da muss es also Interessen gegeben haben, die verflochten worden sind.“ Solche Beträge flossen nicht nur einmal sondern über mehrere Jahre.
  2. PPP und sonstige Privatisierung

    Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP oder PPP) und die volle Privatisierung ist inzwischen das lukrative Geschäftsfeld von Banken und anderen Beratungsunternehmen, von ehemaligen und aktiven Politikern und den kaufenden Investoren geworden. Öffentliche Unternehmen und Einrichtungen vor allem in den Kommunen und Ländern sollen vermehrt privatisiert oder teilprivatisiert werden – oft unter Wert und verbunden mit hohen Gewinnen bei den Befürwortern der Privatisierung. Das dicke Ende für die Bürgerinnen und Bürger, die Erhöhung von Gebühren oder Mieten, folgt meist auf dem Fuße.
    Dieses Thema ist dann für Sie von besonderer Relevanz, wenn in Ihrer Kommune ein ÖPP-Projekt ansteht.
    In unserer Rubrik Sachfragen/Privatisierung finden Sie eine Fülle von Material. Wir ergänzen laufend. Auch bei den Hinweisen des Tages finden sich häufig Informationen über konkrete Privatisierungsvorgänge.

  3. Weitere Privatisierung der Bahn/Börsengang

    Es steht uns hier die größte Verschleuderung öffentlichen Vermögens ins Haus. Sie wird noch dazu verkehrspolitisch keineswegs hilfreich und ökologisch schädlich sein.
    Es liegt jetzt ein erster Entwurf für ein Gesetz zur Bahnprivatisierung vor. In der nächsten Zeit stehen wichtige Entscheidungen an. Unter anderem in den Regierungsfraktionen. Es wäre ein Versuch Ihrer neu zu bildenden Kreise wert, Ihre Abgeordneten zu veranlassen, wenigstens Position zu beziehen. Auchin der SPD-Fraktion gibt es noch Widerstand gegen den Börsengang.
    Unter dem Namen „Bahn für alle“ haben sich wichtige Gruppen zusammengetan. Dort finden Sie weitere Informationen.
    Hier zunächst eine Zusammenstellung zur ersten Übersicht:

  4. Der Zugriff privater Interessen auf unsere Hochschulen

    In Wolfgang Liebs Beitrag vom 14. Februar wurden Sie über die angeblich „neue Freiheit“ der NRW Hochschulen informiert. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen steht der weitere Zugriff der Wirtschaft auf die Hochschulen an.

  5. Vernetzung von schulischer Bildung mit privaten Interessen
    Den meisten Eltern ist nicht bewusst, wie sehr ihre Kinder in vielen Schulen inzwischen der Indoktrination aus der neoliberalen Ecke ausgesetzt sind.
    Das wäre ein Thema, mit dem Sie neues Bewusstsein schaffen können. Es betrifft viele Menschen auch direkt.
    Unser letzter Beitrag zum Thema begann so:

    “Oeconomix”, die “Wirtschaft fürs Klassenzimmer”, steht dem Schulprojekt von FOCUS-Money sicher in nichts nach. Zitat: “Oconomix ist ein Projekt der Citigroup. Die Lernsoftware ist vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln in Kooperation mit der Citibank entwickelt worden. Die Citigroup Foundation unterstützt dieses Programm unter dem Dach ihrer globalen Initiative zur Verbesserung des finanziellen und wirtschaftlichen Allgemeinwissens.” Und die INSM bewirbt es fleißig.

    Nutzen Sie die Suchfunktion und Sie finden viele andere Beispiele.

    P.S.: Wenn Sie diese Anregungen für sinnvoll halten, dann können wir die Themen- und Materialpalette immer wieder ergänzen. Im Übrigen tun wir das täglich mit unseren Tagebucheinträgen und Hinweisen. Und allein unter den Denkfehlern meines Buches „Reformlüge“ finden Sie reihenweise Gesprächsstoff.

    Noch ein P.S.: Auf die Themenvorschläge eins und drei werden wir im kritischen Tagebuch noch einmal gesondert hinweisen.

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