Lohnerhöhungen: Ein heftiger Streit unter den ökonomischen Schulen

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Die Tarifauseinandersetzungen werden von Stellungnahmen der Ökonomen und von wirtschaftswissenschaftlichen Instituten begleitet. Die Streitfrage lautet: Ist der (mäßige) Aufschwung Folge der zurückliegenden Lohnzurückhaltung oder stärken Lohnerhöhungen nicht gerade durch eine Erhöhung der Binnennachfrage die Eigendynamik des Aufschwungs?
Die Vertreter der angebotsorientierten ökonomischen Schule, wie der Ifo-Chef und „Boulevard-Professor“ (FTD) Hans-Werner Sinn, das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) [PDF – 134 KB] oder das marktliberale Kieler Institut für Weltwirtschaft [PDF – 225 KB], plädieren massiv für weiterhin niedrige Löhne, um die Arbeitslosigkeit zu senken und die wirtschaftliche Dynamik weiter anzustoßen.
Im Gegensatz dazu argumentiert das eher gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) [PDF – 398 KB] für eine an der Produktivität und der Inflationsrate orientierte Lohnerhöhung zur Sicherung von Beschäftigung und Wachstum.
Interessant ist dabei die wissenschaftliche Kritik des IMK an den Berechnungen des IW, wonach die „maßvollen Lohnabschlüsse seit Mitte der neunziger Jahre rund 600.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen“ hätten.


Das IMK kritisiert das methodische Vorgehen des IW zur Bestimmung des Zusammenhangs zwischen Lohnentwicklung und Beschäftigung. Der Prognosefehler des IW für den Zeitraum von 1991 bis 2006 sei beachtlich (siehe Seite 31 der Frühjahrskonjunkturprognose [PDF – 398 KB]). Die Ursache (S. 33): „Indem das IW für seine Analyse lediglich eine einzelne Gleichung verwendet, unterstellt es, dass das BIP, also die gesamtwirtschaftliche Produktion und Nachfrage, unabhängig von der Lohnentwicklung ist. Diese Annahme ist eine Setzung, die empirisch nicht überprüft wird. Die Schätzgleichung des IW ist nicht in der Lage, die tatsächliche Entwicklung der Erwerbstätigen in der Vergangenheit auch nur annähernd zu prognostizieren. Selbst wenn die Daten bis zum aktuellen Rand für die Koeffizientenschätzung verwendet werden – also die größtmögliche Informationsmenge verwendet wird – weist die Gleichung zunehmende Prognosefehler von bis zu 1,5 Millionen Personen aus. Damit sind die Ergebnisse des IW nicht belastbar.“
Pikant ist eine Fußnote (S. 32):
„Das IW war auf Anfrage nicht bereit, seinen verwendeten Datensatz zur Überprüfung zur Verfügung zu stellen. Die Daten und Schätzgleichungen des IW mussten daher vom IMK reproduziert werden. Dies ist gelungen, wie ein Vergleich der Schätzkoeffizienten in der Tabelle mit den Originalergebnissen des IW zeigt.“
Man darf auf die Entgegnung des IW gespannt sein.
Vielleicht könnte damit endlich wieder einmal eine offene (und vielleicht sogar öffentliche) Debatte zwischen der herrschenden angebotsorientierten Lehre und den weitgehend an den Rand gedrängten nachfrageorientierten Ansätzen der Wirtschaftswissenschaften angestoßen werden.

Ich verweise insgesamt zum Thema Lohnpolitik auf die S. 27ff. und vor allem auf den Kasten 3 (S. 30f.) der genannten IMK-Prognose.

Die Ausführungen des Kieler Instituts will ich nicht weiter kommentieren, sie wiederholen nur ein weiteres Mal das mechanistische Bild der Angebotsökonomie:
„Der überwiegende Teil der Arbeitslosigkeit in Deutschland ist darauf zurückzuführen, dass das reale Lohnniveau sein markträumendes Niveau übersteigt; vielfach ist mangelnde Differenzierung des Lohnanstiegs nach Qualifikation, Branche und Region in der Vergangenheit die direkte Ursache dafür. Tieferliegende Ursache sind Fehlanreize im wohlfahrtsstaatlichen System; die Relation aus Erwerbseinkommen zu Einkommen bei Arbeitslosigkeit (Transfereinkommen) ist zu niedrig. Bleibt der Lohnanstieg hinter dem Anstieg der Arbeitsproduktivität zurück, vermindert sich die Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem markträumenden Lohnniveau, die Arbeitsnachfrage steigt und die Arbeitslosigkeit wird abgebaut.“
Will sagen, die Löhne müssten nur noch tiefer als die „Transfereinkommen“, also Alg II sinken, dann gäbe es keine Arbeitslosigkeit mehr.

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