Was zu erwarten war: Das Bürokratiemonster Bildungspaket floppt

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Rund 2,5 Millionen Kinder sollten über das Bildungspaket Kindern Nachhilfe, Musikschule, Sport Schulmittagessen oder Klassenausflüge angeboten werden. Nach einer Spiegel-Meldung sollen aber erst zwei Prozent der Berechtigten bei den Jobcentern Anträge auf eine Förderung durch das Bildungspaket gestellt haben. Bis Ende April sollten die Eltern die Anträge einreichen, wenn sie die Leistungen rückwirkend zum 1. Januar beanspruchen wollten. Was jeder, mit einigermaßen gesundem Menschenverstand ausgestattete, vorhersehen konnte, ist nun eingetreten: Das mit dem Bildungspaket in die Welt gesetzte Bürokratiemonster frisst die Kinder, die es fördern sollte. Wolfgang Lieb

Was mit Hartz IV eingeleitet wurde, ist mit von der Leyens Bildungspaket konsequent fortgesetzt worden: Die Abkehr vom Sozialstaat zum Staat für bettelnde Almosenempfänger. Der Versuch, Bildung und Teilhabe wie die Schildbürger das Licht mit Eimern in das dunkle Gebäude von Hartz IV zu tragen (Stefan Sell [PDF – 394 KB]) kann – selbst wenn die Antragsquote steigt – keinen Erfolg haben.

Es war doch klar, dass arme Kinder und vor allem deren Eltern mit dem bürokratischen Antragsverfahren überfordert sein würden. Es war doch für jeden Einsichtigen erkennbar, dass die schon jetzt mit der Betreuung von Arbeitslosen und Hartz IV-Empfängern überforderten Jobcenter und Optionskommunen nicht die organisatorischen Voraussetzungen bieten können, um dieses Bürokratiemonster zu bewältigen. Geschweige denn, dass sie eine akzeptable Anlaufstelle für die Betroffenen sein würden. Haben die Hartz IV-Empfänger bisher mit ihren „Fallmanagern“ schon ihre bitteren Erfahrungen sammeln müssen und vielfach eher Schikanen erfahren, als eine Arbeit ergattert, so sollen sie jetzt dort auch noch wegen ihrer Kinder „betteln“ gehen.

Wer würde sich denn schon freiwillig der Schikane aussetzen für 10 Euro im Monat für Sport Kultur oder Freizeit einen Antrag bei der Behörde zu stellen, um dann anschließend beim Sportverein oder in der Musikschule ein von vorneherein als Hartz IV-stigmatisiertes Kind anzumelden? Warum müssen arme Kinder einen Zuschuss für eine warme Mahlzeit in der (nur selten vorhandenen) Schulkantine, im Hort oder in der Kindertageseinrichtung beantragen, um dann anschließend immer noch den als bürokratische Hürde eingebauten Eigenanteil von einem Euro leisten zu müssen? Wer würde sich denn schon gerne erst dem peinlichen Gang zu einem Lehrer unterziehen, womöglich gar den schulpsychologischen Dienst einschalten, um seinem Kind dann bescheinigen zu lassen, dass es das Lernziel nicht erreicht oder die Versetzung gefährdet ist? Wer sollte denn das Risiko eingehen, dass der Nachhilfeunterricht womöglich nicht dem ortsüblichen Preis für eine Lernförderung entspricht? Wer versteht schon einen Antrag auf Kostenübernahme für die Schülerbeförderung, bei der allerdings die Kosten für andere Fahrten nur bezuschusst werden? Oder: wo bekommt man eigentlich, die tatsächlich anfallenden Kosten für die Tagesausflüge in Schule oder Kita bestätigt? Wie rechnet man den Zuschuss für den Schulbedarf ab?

Frau von der Leyen hat tausendmal in die Mikrofone gesäuselt, dass mit ihrem Bildungspaket, die „Hilfen direkt bei den Kindern ankommen“. Das war glatt gelogen. Sie kommen nämlich nur dann bei den Kindern an, wenn die Eltern der betroffenen Kinder dem bürokratischen Monster, das von der Leyen in die Welt gesetzt hat, trotzen und sich in einen kafkaesken, angstbesetzten und diskriminierenden Verwaltungsdschungel vorzudringen wagen.

Den Weg durch dieses Labyrinth findet auch ein jetzt als Alibi schnell einberufener „Runder Tisch“ nicht.

Ich kann eigentlich nur wiederholen, was ich schon vor einem Jahr geschrieben habe:

Wäre es nicht viel einfacher, effizienter und zielgenauer, wenn man in den Kitas und in Ganztagsschulen ein warmes Mittagessen anböte (und, wenn es denn sein muss, pauschal bei den Eltern abrechnete, die es sich leisten könnten)? Wäre es nicht viel treffgenauer, wenn an den Schulen (nachhelfender) Förderunterricht in den relevanten Fächern für schwächere Schüler eingerichtet würde (und, wenn es sein muss, die Lehrer Nachhilfeunterricht bei wem auch immer empfehlen, dessen Kosten Hartz-Familien beim Jobcenter abrechnen könnten). Könnte man nicht für Sportvereine „Anreize“ schaffen und solchen Kindern einen „Sportgutschein“ ausstellen, den sie bei den Vereinen einlösen könnten. (Bei den privaten Arbeitsvermittlern geht das doch auch.)

Wo bleibt eigentlich in der christlich-liberalen Koalition das urliberale Denken, dass die individuellen Familien noch am besten Wissen, wie sie ihr Geld zielgenau einsetzen können?
Aber nein, stattdessen muss ein Bürokratiemonster ins Leben gerufen werden, das ähnlich wie bei Hartz endlose Debatten auslöst und unendliche politische und administrative Energien bindet, die nur davon ablenken, das grundlegende Problem anzugehen, nämlich Strukturen zu schaffen, die Armut möglichst vermeiden.

Warum gibt es nicht mehr Förderunterricht für Leistungsschwache (und Leistungsstarke) oder Hausaufgabenbetreuung? Warum gibt es nicht mehr Musik- und Sport oder gar Freizeitangebote an den Schulen durchaus in Kooperation mit Musikschulen, Sportvereinen oder anderen Jugendfreizeiteinrichtungen? Warum wird nicht die Stellenausstattung von Schulen – wie in der Schweiz – an sozialen Indizes orientiert?

Mit solchen „bildungspolitischen“ Maßnahmen wäre allen Kindern und Jugendlichen geholfen, statt über die „Sozialpolitik“ allgemeine Bildungsdefizite für eine gesetzlich erfasste Gruppe von Transferempfängern notdürftig und über komplizierte Umwege – von denen niemand weiß, ob sie begehbar sind oder begangen werden – zu kompensieren.
Hinter dem „Bildungspaket für Kinder und Jugendliche“ verbirgt sich letztlich eine bildungspolitische Kapitulationserklärung: Nämlich das Eingeständnis, dass diese Regierung den Rechtsanspruch auf individuelle Bildungsförderung gegenüber den allgemeinen staatlichen Bildungseinrichtungen nicht mehr erfüllt sieht und auf absehbare Zeit auch nicht erfüllbar betrachtet. Statt über allgemeine Steuereinnahmen das Bildungswesen von den Kitas bis zu den Hochschulen auf einen internationalen Standard zu bringen, versucht man nun soziale Bypässe zu legen, um den Patienten am Leben zu halten. Und das wird dann noch als „effizient eingesetztes Steuergeld“ verkauft.

Der Verdacht ist wohl berechtigt, dass mit den bürokratischen Hürden für das Bildungspaket wie bei der minimalen Anhebung der Hartz IV-Regelsätze kein anderes Ziel verfolgt wird, als die Armen weiter zu diskriminieren, um Steuermittel zu sparen. Jedenfalls der Finanzminister wird sich freuen, wenn das Bildungspaket floppt. So wird selbst das Bildungspaket zum Sparpaket mit nicht mehr kalkulierbaren sozialen Kosten.

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