Joschka und Herr Fischer – oder: Joschka und der Pepe: wer führt hier Regie?

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Pepe Danquart ist ein beeindruckender und für deutsche Verhältnisse sehr talentierter Filmemacher. Seinen Durchbruch hatte er 1992 mit dem Schwarz-weiß-Kurzfilm „Schwarzfahrer“, in dem er auf sehr pfiffige und intelligente Art eine alltägliche Rassismussituation vorführt und für den er mit einem Oscar für den besten Kurzfilm ausgezeichnet wurde. Seitdem pendelt Danquart zwischen Spielfilm und Dokumentarfilm. In seinem neuen Film „Joschka und Herr Fischer“ erzählt Danquart 60 Jahre deutsche Geschichte von 1945 bis 2005 und verbindet diese mit dem Leben seines Hauptdarstellers Josef Martin alias Joschka Fischer, ehemaliger hessischer Umweltminister – erster grüner Minister überhaupt – Bundesaußenminister und Vizekanzler. Am Freitag, den 27. Mai war Filmemacher Pepe Danquart in Frankfurt, wo Joschka Fischer lange lebte und wirkte, stellte den Film vor und diskutierte anschließend mit dem Publikum. Ich war dabei und hatte nach einer durchwachsenen Dokumentation Gelegenheit zu einigen Fragen. Von Martin Betzwieser

Während des Vorspanns sehen wir Joschka Fischer mit einer Gruppe Menschen am Meer spazieren gehen, die Schuhe ausziehen und das Wattenmeer bei Ebbe durchwandern. Es ist außer den Archivaufnahmen die einzige Szene mit Fischer in freier Wildbahn.
Danach betritt er eine Lagerhalle, in der besonders konstruierte Milchglasscheiben an den Säulen, Wänden oder an der Decke aufgehängt sind. Auf diese Scheiben, teilweise auch auf die Wände, den Boden und Joschka Fischer selbst werden insgesamt 24 Endlosschleifen von je drei Minuten mit alten Filmaufnahmen und Fotos projiziert. Joschka Fischer kommt in diesen Raum und hatte vorher keine Ahnung, was ihn dort erwartet. Diesen Videoinstallationen ist Joschka Fischer permanent ausgesetzt, wird dazu vom Pepe Danquart befragt und antwortet. Dankquart gibt die Eckpunkte vor – wie er später in der Diskussion erläutert. Allerdings sind die Fragen heraus geschnitten. Vom Dialog, vom Gespräch sind nur die Erzählungen von Joschka Fischer als Monolog übrig. Es gibt keine Nachfragen. Es gibt keine Wiederholungen. „Wenn ich etwas nicht hatte, dann hatte ich es nicht.“ Fischer erzählt von seiner Jugend in der baden-württembergischen Provinz, in einem katholischen Dorf umgeben von lauter evangelischen Dörfern – fast wie die Nordiren, die von Briten umzingelt sind (ein Vergleich, der völlig daneben ist). Er erzählt von Schule, Studium, von seinem Weg über Stuttgart nach Frankfurt und ans Fließband bei Opel Rüsselsheim, über die Studentenbewegung in die Politik. „Meine Eltern waren so katholisch, ich glaube nicht, dass sie mich später überhaupt gewählt hätten.“ Bei diesen Monologen wirkt störend, dass Fischer abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven gefilmt wird, von vorne, aber nie frontal, von der Seite, auch von hinten. Er spricht nicht in die Kamera, nicht zu seinem späteren Publikum, scheinbar auch nicht zu seinem unsichtbaren Interviewer, er spricht ziellos in den Raum.

Ergänzt werden Fischers Monologe von vielfältigen Archivaufnahmen und von so genannten „Exkursen“, in denen andere Zeitzeugen zu Wort kommen. Die „Exkurs“-Zeitzeugen sind z.B. Bremens früherer Oberbürgermeister Hans Koschnick (mittlerweile steinalt, fast zahnlos, aber noch voll bei Verstand), die Berliner Schauspielerin Katharina Thalbach („Die Blechtrommel“), ein Rauschgift-Rebell, der sich Knobo nennt, eine frühere Anti-Kernkraft-Aktivistin aus dem Elsass, die Rockband Fehlfarben und der grüne Politiker Daniel Cohn-Bendit. Mit Ausnahme von Cohn-Bendit, der in Frankfurt einige Zeit gemeinsam mit Fischer in einer Wohngemeinschaft hauste, gibt es offensichtlich keine Verbindungen mit Joschka Fischer. Die Ausführungen sind zwar durchaus interessant, wirken aber zusammenhanglos.

Das visuelle Konzept der Videoinstallationen ist sehr originell, wird aber zu sehr ausgereizt und wirkt auf Dauer eher ermüdend. Hier wäre es wünschenswert gewesen, mehr Archivaufnahmen zu sehen. Ausschnitte aus Bundestagsdebatten und Partei- und Fraktionssitzungen wurden oft leider zu früh abgewürgt, bevor sie richtig Atmosphäre entwickeln konnten. Von den ersten parlamentarischen Gehversuchen grüner Abgeordnete (z.B. über das Recht der Frauen auf sexuelle Befriedigung, ja wirklich) oder heftige Dispute zwischen Petra Kelly, Otto Schily (ja, er war ja auch mal bei den Grünen) und Joschka Fischer oder von grüner Basisarbeit bei Anti-Kernkraft-Demonstrationen und im Hüttendorf an der Rhein-Main-Startbahn West oder von grünen Wahlspots bzw. den Drehpannen daraus hätte ich gerne mehr gesehen.

Beeindruckend ist die Mühe, die sich die Filmemacher mit den Archivaufnahmen machten. Horden von Produktionshelfern wurden in Fischers Heimatort zu Vereinen und Privatpersonen, zu Fernsehsendern und ins Archiv der Bündnis-Grünen geschickt, um Fotos und Filmmaterial zu besorgen. Hier wurde ganze Arbeit geleistet.

Der größte Makel des Films ist aber die mangelnde Distanz des Filmemachers zu seinem Hauptdarsteller – ja Darsteller, Fischer ist und war politisch ein außerordentliches Talent voller Charisma und rhetorischer Begabung und ein darstellerisches Talent. Innerhalb der Vorbereitungszeit von ungefähr einem Jahr trafen sich Danquart und Fischer immer wieder und freundeten sich mit der Zeit an – wie mir Danquart hinterher bestätigt. Sie duzen sich. „Schau, ich habe so ziemlich alles falsch gemacht, was ein Mensch auch nur falsch machen kann.“ In Filmdokumentationen ist es oft sehr wichtig und förderlich, dass der Filmemacher eine Vertrauensbasis und Beziehung zu seiner Hauptperson entwickelt. Geht es z.B. – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – um Künstler oder Holocaust-Überlebende, ist das unverzichtbar. Geht es um (ehemalige) Berufspolitiker, kann das aber schwierig werden. Hier ist unbedingt kritische Distanz erforderlich. Diese gibt es über weite Strecken des Films nicht und da frage ich mich gelegentlich, ob Danquart von Fischer nicht um den Finger gewickelt wurde, und wer hier eigentlich Regie führte.

Wirklich gelungen ist die Episode zum Nato-Einsatz in Jugoslawien. Diese Ambivalenz, diese Zerreißprobe ist spürbar. Es war ein völkerrechtswidriger Militäreinsatz, es war das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg, dass ausgerechnet ein ehemaliger Friedensaktivist und Grüner den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland verantwortet. Der ehemalige Opel-Arbeiter, der im Sommer bei 40°C am Fließband schuftete und sich dort auch aktiv an Arbeitskämpfen beteiligte, war als Vizekanzler für Sozialstaatsreformen von Hartz-I bis Hartz-IV und für der Kommerzialisierung und Privatisierung der Rentenversicherung mitverantwortlich. Die Konfrontation mit dieser Verantwortung bleibt Joschka Fischer allerdings erspart. Diese Politik kann der Kinozuschauer richtig oder falsch finden, aber er muss damit bekannt gemacht bzw. daran erinnert werden und sollte die Reaktion des ehemaligen Spitzenpolitikers dazu sehen. In dieser Situation versagt der Dokumentarfilmer leider.

Joschka Fischer wurde nach seiner politischen Karriere Politberater. Er betreibt eine eigene Beratungsgesellschaft und arbeitet auch mit der Beratungsgesellschaft seiner früheren Amtskollegin Madeleine Albright zusammen. Für wen im Einzelnen gearbeitet wird und was damit verdient wird, ist nicht zu erfahren. Joschka Fischer betrachtet das als seine Privatangelegenheit.

Seit 2009 arbeitet Joschka Fischer auch als „Sonderberater“ für das Gas-Pipeline-Projekt „Nabucco“ unter der Leitung von RWE. Der ehemalige Straßenkämpfer, Steineschmeißer und Umweltminister arbeitet als Lobbyist für einen führenden Energiekonzern. Das kann man als Kinozuschauer in Ordnung finden oder man kann der Meinung sein, dass der ehemalige Spitzen-Grüne hier seine früheren Ideale verrät. Dazu muss der Kinozuschauer es aber auch wissen. Auch die Konfrontation mit dieser Episode erspart der Filmemacher seinem Hauptdarsteller.

Dazu befrage ich Pepe Danquart nach dem Film und er macht sich die Antwort einfach (aus dem Gedächtnis zitiert): „Ich wollte den Schwerpunkt nicht auf eine Biographie von Joschka Fischer lenken, sondern ich wollte die 60 Jahre Biographie von Joschka Fischer als Leitfaden für 60 Jahre deutsche Geschichte nehmen und daraus wird dann eben auch zugegebenermaßen ein sehr subjektiver Blick. … In diesem Zusammenhang hat mich die politische Biographie von Joschka Fischer interessiert. Und diese politische Karriere war 2005 zu Ende und da waren auch die 60 Jahre zu Ende.“ Und da war auch der Film zu Ende. Zum Thema Distanz: „Ich bin kein Journalist und erst recht kein investigativer Journalist. Ich mache keine Wertung, indem ich sage, das war politisch richtig oder falsch. Es geht nicht darum, herauszufinden, wo die große Schwachstelle von Joschka Fischer ist.“

Das Kino (ca. 250 Plätze) ist überwiegend von Sympathisanten der Grünen und von Joscha-Fans besetzt. Pepe Danquart erhält für diese Stellungnahme auf diese einzige kritische Frage Applaus. Und ich sehe mich eher feindseligen Blicken ausgeliefert und bekomme ein gutes Gefühl, wie sich grüne Vordenker/innen vor 30 Jahren im damaligen politischen Umfeld gefühlt haben müssen.
Nach ca. 35 Minuten war die Diskussion zu dem Film von 140 Minuten beendet.

Fazit: Wer ausreichend Hintergrundwissen hat, unterhält sich durchaus gut und amüsiert sich auch an vielen Stellen. Ärgerlich ist die mangelnde Distanz zur Hauptperson. In einer Zeit, in der die Bündnis-Grünen erstaunliche Wahlerfolge erreichen und in denen der ehemalige Bundesaußenminister und heutige angebliche Privatmann Joschka Fischer auch mal zum Kanzlerkandidaten hochgeschrieben wird, könnten Teile dieses Interviews auch als Wahlkampfwerbung durchgehen. So ist „Joschka und Herr Fischer ein gelungenes Beispiel für einen Dokumentarfilm – wie man manches machen sollte und wie man manches auf gar keinen Fall machen sollte. Und – dieser Seitenhieb muss noch sein – ohne ausreichendes Hintergrundwissen wird man nicht besonders viel von dem Film haben. Ein Jugendlicher der diese Zeit nicht miterlebt hat und relativ wenig über die jüngere deutsche Nachkriegsgeschichte weiß, wird hier vermutlich leider weniger über die Zusammenhänge lernen als aus einer schlechten Fernsehdokumentation Marke Guido Knopp.

Zu guter Letzt: Die sagenumwobene Beleidigung gegenüber Bundestagspräsident Richard Stücklen „Mit Verlaub Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ wurde ja weder protokolliert noch akustisch aufgezeichnet, auf einer Videoaufzeichnung kann man es teilweise von seinen Lippen ablesen. Es bildeten sich Legenden darum, ob sich diese Parlamentsanekdote wirklich so zugetragen hatte. Es gab diese Beleidigung wirklich: Joschka Fischer gibt es in diesem Film zu. Auch das gehört zu Fischers Selbstdarstellung.

Anmerkung WL: Vielleicht ging Jürgen Trittin deshalb lieber ins Theater, als zur Premiere dieses Films. Der Film wird sicher dazu beitragen, dass ihn noch mehr Deutsche für den chancenreichsten Grünen Kanzlerkandidaten halten.

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