Gerade habe ich ein Buch über das Backen von Brot gelesen. Backen ist eine wunderbare, ehrliche Arbeit für unser Leben. Eine meiner Ansicht nach perfide, dumme, stillose und nervende Arbeit, die ich hier mal „Klicks für Medienartikel ködern“ nenne, kann mit ehrlicher Brot-Arbeit nicht mithalten. Dabei wäre diese Köderei gar nicht existent, würden die Klick-Köder-Macher ihre Würde behalten wollen und sich auf ihre Aufgabe besinnen: Medienmacher sein, Journalisten, die Vierte Gewalt. Doch so? Man ködert sich Leser. Auf Englisch (wie so vieles, was unnütz auf Englisch mit „cool“ beschrieben wird) heißt dieses Locken, um Klicks zu generieren, übrigens Clickbaiting. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Clickbaiting. Ködern für Klicks. Mittlerweile macht dieses Ködern inflationär in den Medien die Runde, auch im sich als seriös gerierenden Mainstream, auf etlichen Internetplattformen. Sogar lokale und regionale Medien spezialisieren sich im Köder Auslegen für Klicks. Click bedeutet das Anklicken (via Maus) auf Artikel im Internet, bait ist der Köder. Was ist mit Köder gemeint? Einfach ausgedrückt, wird ein Mediennutzer durch ein Medium mit einer „unvollständigen“ Überschrift zu einem Artikel, einem Beitrag „angelockt“. Man spekuliert darauf: Der neugierig gewordene Nutzer will natürlich wissen, was unter/hinter der Überschrift steht, wie die Geschichte weitergeht. Also klickt er auf die Überschrift, den Artikel. Der Medienmacher freut sich sogleich, ein Klick mehr wurde gezählt, alles ist – wie so oft in unserer schönen Marktwirtschaft – nur ein Geschäft.
Gut, Drama, Überraschung, Spannung, ein bisschen Kino, ist okay. Die Clickbaiter könnten aber auch mal in die Vergangenheit schauen. Früher galt unter Medienprofis: Die Schlagzeile ist das A und O – was meist bedeutete, dass die erste, die wichtigste Zeile deutlich darauf hinwies, was Sache war. Heute werden vermehrt Schlagzeilen ganz, ganz anders geschrieben, von wegen erste Nachricht, Anfüttern heißt die Devise. Warum? Weil der Leser der ersten Zeile gelockt werden soll, damit dieser „klickt“, um zur eigentlichen Information zu gelangen. Verständnis für diese Praxis könnte man aufbringen, da das Medienmacher-Verhalten damit begründet wird, wegen der Digitalisierung auf Klicks angewiesen zu sein, um wirtschaftlichen Erfolg zu erlangen. Erfolg ist zu wünschen, doch sei erlaubt zu fragen: Wenn Medienmacher mehr Reichweite, mehr Publikum, mehr Umsatz und so mehr Ertrag erzielen wollen, warum tun sie das nicht über gute, direkte Inhalte, Qualität, Aufrichtigkeit?
Die Praxis des Clickbaitings stellt meiner Beobachtung nach, meinem Erleben als Mediennutzer, als Kunde nach schlicht eine Geringschätzung dar, ja eine Verspottung der Nutzer, der Bürger, der mündigen, derer, die sich ihre eigene Meinung bilden. Clickbaitende Medien verachten ihre Kunden. Ihnen sei gesagt: Sie, die Medien, sind für die Menschen da und nicht umgekehrt. Wenn selbst in der Heimatzeitung steht „Jetzt spricht der Landrat“ oder „Das passiert jetzt mit dem Brunnen in der Stadt“, merkt Bürger, wie sehr dieser „Trend“ fortgeschritten ist. Dann stellt man sich Fragen: Na was sagt er denn nun, der Landrat? Sprudelt der Brunnen oder versiegt er oder wird er abgerissen? Warum wird nicht in der ersten Zeile, in der Überschrift gesagt: „Landrat äußert Kritik zu Landesplänen“ und „Der Brunnen wird saniert“? Die Neugier wäre damit auch geweckt, allein die konkrete, offene Erstinformation ist guter Auftakt vor dem Artikel, das ist seriös, das ist Aufgabe der Medien.
Der Alltag ist stattdessen, dass Medien Bürger an der Nase herumführen, sie locken, ihre Neugier ausnutzen. Die Schlagzeilen mit offenem Ende, unklaren Inhalten – sie sind kein guter Journalismus. Wie kommt eine Redaktion in der Provinz dazu, sich von diesen von Trends besoffenen PR-Leuten sagen zu lassen, man solle zunächst möglichst nur wenig verraten, weil das mehr Aufmerksamkeit bringt? Geht es um Aufmerksamkeit, oder geht es um Information?
Was mich wirklich empört, ist, dass solche Entwicklungen wie die des nervigen und geradezu wehtuenden Clickbaitings schleichend in den Alltag der Bürger getragen und nach und nach wie eine Selbstverständlichkeit und in aller Vertrautheit praktiziert werden. Ich wundere mich über unkritische Zeitgenossen in meiner Umgebung, die überhaupt nicht misstrauisch sind und fleißig die Halbschlagzeilen anklicken – zum Jubel derer, die derlei Produkte erstellen und sich über die damit generierten Zahlen und ihre monetären Folgen freuen. Der Journalismus legt sich selbst einen weiteren Nagel neben seinen Sarg, beerdigen kann man ihn aktuell eigentlich schon – mindestens den Mainstream. Dem angepassten, dem gewinnorientierten, dem „woken“ Inhalt schaffenden, dem der Regierung nicht fernen, sondern treuen Journalismus ist abhandengekommen, wofür Journalismus bzw. Medienarbeit steht: Er ist die Vierte Gewalt.
Wir Bürger brauchen uns nicht zu wundern, dass wir nach und nach alle durchdrehen. Die, die sich um unser Wohl kümmern, uns begleiten, uns beraten, uns dienen sollten, tun es zunehmend nicht. Verarsche, Tricks, Betrug, Beschiss, Schummelei und falsche Versprechen sind an der Tagesordnung, nahezu in allen Bereichen. Negatives wird passend dazu chic in positive Worthülsen gepackt. Eine Entlassung ist eine Freistellung, eine Preiserhöhung eine angemessene Anpassung, ein Kürzungspaket der Regierung eine Reform. Im Laden kaufen wir Mogelpackungen, mit dem Auto fährt es sich schadstoffarm, bis herauskommt, dass bei den Daten ein wenig geschummelt wurde. Und wenn man es auf die Spitze treiben will, sagt man, dass eine Pleite gar keine sei, weil halt gerade einfach nicht produziert werde.
Wir leben in einer freien Welt (eigentlich). Ja. Darum müssen, können und sollen wir Geschmacklosigkeiten und Tricks aushalten. Das steht gar in etwa so im Grundgesetz, eine freie Gesellschaft hält folgerichtig Schmutz und Schund aus. Doch genauso kann eine freie Gesellschaft den Produzenten von Schmutz und Schund sagen: So nicht, Mitbürger! Und gegenhalten.
Was könnte man tun gegen Klicks und Beschiss? Leger formuliert kann ich nur sagen: Legen Sie eine ebensolche Penetranz wie die Clickbaiter an den Tag, die aber ins Gegenteil verkehrt: auf Halbschlagzeilen nicht klicken. Sammeln Sie eigene „Ich klicke nicht“-Klicks. Das macht Spaß und erhöht das Selbstbewusstsein. Suchen Sie nach echten Schlagzeilen, suchen Sie nach langweiligen Schlagzeilen-Überschriften, nach sachlichen Aussagen. Das kracht zwar nicht so wie reißerische Worte, macht aber nachhaltigerweise mehr Freude. Gute Inhalte sind wie gutes Brot.
Lohnt sich das? Ja. Ich habe hin und her überlegt und meine, dass das mit dem „Es bringt ja doch nix“ eben nicht stimmt. Das ist so bei den Medien wie in anderen Lebensbereichen. Ein Beispiel: Hätten viele, die in der Pandemie den Coronawahn n i c h t mitgemacht haben, die dagegen protestierten, Einspruch erhoben, Kritik übten, Fragen stellten, dem vorherrschenden Kurs trotzten, selbst auf die Gefahr und selbst bei Eintreten des Verlustes wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, ja gar physischer Existenz – hätten diese alle resigniert, mit den vielen anderen Mitläufern mitgemacht und sich dem „Es bringt ja doch nix“ gebeugt – wir hätten bis heute diesen Ausnahmezustand.
Nun haben wir, zugegeben, neue Ausnahmezustände – und doch bringt es weiter und erneut etwas, „Nein“ zu sagen. Der österreichische Dichter Ernst Jandl hat zum Nein und Ja Sagen seinerzeit deutlich gesagt:
hier tut kein weg sein und ich tu ihn auch nicht suchen
ich tu was ich tu was ich tun müssen tu
immer sein da die die sagen
das du müssen tun und das du müssen tun
und ich sein das was da ja sagen tut ja ich immer tu ja sagen
und dann ich mir sagen daß falsch war das ja sagen ja ganz falsch
Titelbild: Jirsak/shutterstock.com