Alter Traum, neuer Traum: „Die Macht, die den Pazifik beherrscht, ist die Macht, die die Welt beherrscht“

Alter Traum, neuer Traum: „Die Macht, die den Pazifik beherrscht, ist die Macht, die die Welt beherrscht“

Alter Traum, neuer Traum: „Die Macht, die den Pazifik beherrscht, ist die Macht, die die Welt beherrscht“

Rainer Werning
Ein Artikel von Rainer Werning

Dieses ungeschminkt imperiale Statement stammt aus dem Mund des den US-Bundesstaat Indiana repräsentierenden republikanischen Senators Albert J. Beveridge. Vorgetragen wurde es in seiner am 9. Januar 1900 vor dem US-Kongress gehaltenen Rede „In Support of an American Empire“. Genau 120 Jahre später formulierte der Direktor der National Security Agency, Robert C. O’Brien, in forschem Ton eines der Hauptanliegen Washingtons: „Die Vereinigten Staaten sind und waren immer eine indopazifische Nation (…) Ein freier und offener Indopazifik hängt von einer robusten amerikanischen Führung ab.“ Vom 21. April bis zum 9. Mai finden in den Philippinen die diesjährigen US-amerikanisch-philippinischen militärischen Großmanöver statt – erstmalig in Präsenz einer großen Schar internationaler Beobachter und in neu-alter Traumhaltung. Vorläufige Randbemerkungen zu einer laufenden und hitzigen Debatte von Rainer Werning.

„Balikatan“ (Schulter an Schulter) lautet die wohlklingende Bezeichnung solcher Manöver, die mittlerweile zum 40. Mal durchgeführt werden. Es sind dies Kriegsspiele, an denen sich Einheiten der Streitkräfte einer Supermacht und Verbände just jenes Landes beteiligen, das von 1898 bis 1946 unter der kolonialen Knute Washingtons gehalten worden war.

Umfassender „Gefechtstest“ …

Die Ziele dieser Übungen sind von Jahr zu Jahr klarer formuliert worden und verfolgen das prioritäre Kalkül, die Volksrepublik China einzukreisen und möglichen hegemonialen Bestrebungen Beijings einen Riegel vorzuschieben. Es ist mittlerweile auch kein Geheimnis, dass hochrangige US-Militärs und -Geostrategen einen künftigen bewaffneten Konflikt zwischen Washington und Beijing über Hoheitsansprüche im Südchinesischen Meer nicht ausschließen. Beijing beansprucht das strategisch wichtige Gewässer für sich, obwohl ein im Sommer 2016 gefälltes Urteil des Internationalen Schiedsgerichtshofes in Den Haag seine weitreichenden Ansprüche auf der Basis „historischer Rechte“ zurückgewiesen, für ungültig erklärt und somit die Position der philippinischen Regierung als Kläger stattgegeben hatte.

In diesem Jahr beinhaltet Balikatan einen umfassenden „Gefechtstest“, bei dem reale Szenarien zur Verteidigung der philippinischen Souveränität in der Luft, zu Lande, zur See, im Weltraum sowie im Cyberspace simuliert werden. An den dreiwöchigen Übungen nehmen etwa 5.000 philippinische Soldaten und 10.000 Angehörige des US-Militärs teil. Washington hat Militärmanöver der Volksrepublik China im Westphilippinischen Meer – dem Teil des Südchinesischen Meeres innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone der Philippinen – wiederholt als „aggressiv“ verurteilt. Im Rahmen des gemeinsamen Verteidigungsvertrags aus dem Jahre 1951 sind die USA und die Philippinen verpflichtet, einander im Falle eines bewaffneten Angriffs zur Hilfe zu kommen.

… und „eiserne Allianz“

Was vor 40 Jahren als vergleichsweise bescheidene bilaterale Trainingsaktivität begann, ist mittlerweile zu einem militärischen Großmanöver mit internationalem Zuschnitt geworden. So erklärte denn auch der philippinische Außenminister Enrique Manalo während der Eröffnungszeremonie von Balikatan am Ostermontag, dass die Beteiligung anderer Länder an den gemeinsamen Übungen „breiteren regionalen Bestrebungen und Prioritäten“ diene. Tatsächlich sind in diesem Jahr auch Militäreinheiten Japans und Australiens aktiv involviert. Darüber hinaus entsandten folgende Länder eigens Balikatan-Beobachter in die Philippinen: die Niederlande, die Tschechische Republik, Litauen, Polen, Brunei, Kanada, Frankreich, Deutschland, Indien, Indonesien, Malaysia, Neuseeland, die Republik Korea, Singapur, Thailand, das Vereinigte Königreich sowie Vietnam.

Hinter der Rhetorik der routinemäßigen „Verteidigungszusammenarbeit“ im Rahmen von Balikatan verbirgt sich das vorrangige Ziel, die US-Dominanz in der Region durch verstärkte Militärpräsenz und die Vorverlegung von Kriegsmaterial zu gewährleisten. Ein Ziel, dass der neue US-Verteidigungsminister Pete Hegseth anlässlich seiner Philippinen-Visite Ende März ausdrücklich bekräftigte, als er im Rahmen einer Pressekonferenz mit seinem philippinischen Kollegen Gilbert Teodoro in Manila und vor seiner Weiterreise nach Tokio versicherte, die „eiserne Allianz zwischen den Vereinigten Staaten und den Philippinen“ aufrechtzuerhalten.

Eine Schau neuer Waffensysteme

Ebenfalls im März wurde bekannt gegeben, dass das 3rd Marine Littoral Regiment (MLR) der USA während Balikatan 2025 erstmals als Littoral Rotational Force-Luzon (LRF-Luzon) im Norden der Philippinen eingesetzt werden soll. Außerdem kommen diesmal auch das fortgeschrittene Navy/Marine Corps Expeditionary Ship Interdiction System (NMESIS), das Marine Air Defense Integrated System (MADIS), das Mid-Range Capability Typhon Raketensystem der U.S. Army sowie unbemannte Bodendrohnen für US-geführte Patrouillen zum Einsatz. NMESIS ist von zentraler Bedeutung für die Neuausrichtung des US Marine Corps (USMC) auf Operationen im westlichen Pazifik. Es gibt den Marine-Littoral-Regimentern die Möglichkeit, den Zugang zu wichtigen Küstengebieten und strategischen Zielen zu verweigern. Dieses landgestützte, ferngesteuerte und hochmobile „Schiffskiller“-Raketensystem kann Marschflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 185 Kilometern abschießen und eignet sich als ein bodengestütztes Anti-Schiffs-Raketensystem für den Einsatz der U.S. Navy in umkämpften Seegebieten in der Nähe von Chinas Peripherie.

Noch vor Balikatan 2025 hatten die USA die Stationierung einer weiteren Batterie des Typhon-Raketensystems der Armee angekündigt, zusätzlich zu der bereits im Norden der Philippinen stationierten Batterie. Dieses System ist seinerseits in der Lage, Tomahawk-Marschflugkörper und SM-6-Raketen mit einer Reichweite zwischen 320 und 1.500 Kilometern abzufeuern. Zur weiteren Verstärkung dieser militärischen Aufrüstung genehmigte das US-Außenministerium am 1. April 2025 einen vorgeschlagenen Verkauf von Militärgütern im Wert von umgerechnet 5,58 Milliarden US-Dollar an die Philippinen. Das Geschäft umfasst zwanzig Kampfjets vom Typ F-16 Block 70/72 sowie die dazugehörigen Waffen, Ausrüstungen und Unterstützungssysteme.

Romeo Brawner Jr., Generalstabschef der philippinischen Streitkräfte (AFP), zeigte sich von alledem sehr angetan und erklärte zu Beginn der diesjährigen Balikatan am Ostermontag all smiles:

„In den pulsierenden Weiten von Luzon, Palawan, den Visayas und Mindanao werden wir unsere Bereitschaft in allen Bereichen bewerten: Luft, Land, See, Cyber, Information, Kognition und die neue Grenze des Weltraums durch umfassende Übungen, die taktische Präzision mit strategischer Voraussicht verbinden.“

Marcos Jr. macht’s möglich

All diese Entwicklungen wären kaum möglich gewesen, hätte nicht der Sohn des einstigen Präsidenten und Diktators Ferdinand E. Marcos (1965-85) im Sommer 2022 die Präsidentschaftswahl gewonnen. Was Marcos Jr. von seinem Vorgänger, dem Ex-Präsidenten Rodrigo R. Duterte (2016-22) und mittlerweile wegen angeklagter Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Rahmen seines berüchtigten „Antidrogenkriegs“ als Häftling in Untersuchungshaft des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag einsitzend, unterscheidet, ist seine unverhohlene Loyalität gegenüber den USA. Er hat die Tändelei seines Vorgängers mit China aufgegeben und sich wieder dem ehemaligen Kolonialherrn des Landes ehrerbietig zugewandt.

Im Februar 2023, nach weniger als einem Jahr Amtszeit, gewährte Marcos den USA im Rahmen des 2014 vereinbarten bilateralen Abkommens über eine erweiterte Verteidigungskooperation (EDCA) vier zusätzliche Standorte der AFP für ihre Militäreinrichtungen, womit sich die Gesamtzahl auf neun erhöhte. Drei der zusätzlichen Standorte befinden sich im nördlichen Luzon, in der Nähe der Straße von Taiwan, einem der regionalen Krisenherde im Konflikt zwischen China und den USA.

Einen Monat später, am 2. Mai 2023, unterzeichneten die Verteidigungsminister der Philippinen und der USA neue Bilaterale Verteidigungsrichtlinien (BDG) zur „Modernisierung“ des Bündnisses im Rahmen der Indo-Pazifik-Strategie der Biden-Administration. Die BDG definieren den Anwendungsbereich des Gegenseitigen Verteidigungsvertrags aus dem Jahre 1951 neu und schließen bewaffnete Auseinandersetzungen im Südchinesischen Meer ein, um sich auf einen eskalierenden Konflikt mit China vorzubereiten. Diese Entwicklungen bringen die Philippinen nicht nur näher an eine bewaffnete Konfrontation mit der Volksrepublik China heran, sondern sorgen zudem für noch mehr Finanzierung und Unterstützung der laufenden Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen des Marcos-Regimes gegen landesweit alle/s Linke/n. Im April 2024 verabschiedete der US-Kongress einen Gesetzentwurf, der den Philippinen zusätzliche 500 Mio. US-Dollar an Militärhilfe zur Verfügung stellt.

Vernehmbare Proteste

Alex Lo, ein kluger Kopf und streitbarer Publizist, der vom kanadischen Toronto aus regelmäßig Kolumnen für die in Hongkong erscheinende Tageszeitung South China Morning Post verfasst, echauffierte sich bereits im Sommer vergangenen Jahres anlässlich der Feierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen der NATO und betitelte seinen zu diesem Anlass publizierten Beitrag mit „Die Nato-Barbaren expandieren und versammeln sich vor den Toren Asiens”:

„Aber wenn die westlichen Verbündeten dort in Osteuropa nicht gewinnen können, sollte man den Krieg in die Länge ziehen, ihn zu einem Zermürbungskrieg machen und ihn sodann auf Asien ausweiten. Es geht schließlich nur um ukrainische Leben; Kiew hat Männer von der Straße geholt, um sie als Kanonenfutter an die Front zu schicken.

Amerika mag die Handelsglobalisierung zerstören. Aber täuschen Sie sich nicht, es globalisiert den Krieg. Das ist das, was man üblicherweise als Beginn eines Weltkriegs bezeichnet. Einen dritten. All dieser Irrsinn wurde letzte Woche in Washington auf dem 75. Jubiläumsgipfel der Nato (vom 9. bis 11. Juli 2024 – RW) zur Feier von Tod und Zerstörung zur Schau gestellt. Die Nato, ein Verteidigungsbündnis, das sein Verfallsdatum längst überschritten hat, ist zu einem Instrument des westlichen – oder vielmehr amerikanischen – militärischen Expansionismus geworden.

Angesichts seines offensichtlichen geistigen Verfalls könnte man US-Präsident Joe Biden verzeihen, wenn er gegenüber ABC-News-Moderator George Stephanopoulos behauptet, er sei unverzichtbar: ‚Wissen Sie, ich mache nicht nur Wahlkampf, sondern ich regiere die Welt.’“ (Übersetzung: RW)

In scharfen Worten attackierte das im niederländischen Utrecht beheimatete Internationale Büro des politischen Untergrundbündnisses der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP) Balikatan 2025. In einer am 21. April veröffentlichten Presseerklärung des Büros heißt es:

„Dies ist keine gemeinsame Trainingsübung mehr, sondern eine umfassende Kriegsvorbereitung. Im Gegensatz zu den Behauptungen der USA verteidigt diese Kriegsmaschinerie nicht – sie konsumiert. Und sie benutzt das philippinische Volk als Treibstoff.“

Die NDFP warnt, dass neue Waffensysteme, die in den Philippinen getestet werden, eine „Erstschlag-Haltung“ signalisieren, wodurch das Land Gefahr laufe, nolens volens in einen Konflikt zwischen Großmächten hineingezogen zu werden. Die Präsenz solcher Waffen verwandele den Archipel in eine Abschussrampe für militärische Provokationen der USA und erhöhe das Risiko von Vergeltungsschlägen seitens Chinas. Und weiter heißt es in der Erklärung vom 21. April:

„Die Kosten für diese Kriegsspiele werden schließlich nicht von Washington, sondern von den philippinischen Gemeinden getragen, die möglicherweise ins Kreuzfeuer geraten (…) Unter dem Deckmantel der Entwicklung verankern sich die USA immer tiefer auf unserem Territorium und unterstützen die Aufstandsbekämpfung gegen das philippinische Volk.“ (Übersetzung: RW)

Aufstandsbekämpfung mit Tradition – ein Rückblick

Arthur MacArthur nahm an der Eroberung von Manila Mitte August 1898 teil und wurde noch im selben Jahr zum Generalmajor befördert. Am 5. Mai 1900 wurde er von US-Präsident William McKinley zum Militärgouverneur der Philippinen ernannt, doch bereits am 4. Juli 1901 von William Howard Taft als erstem zivilen Gouverneur abgelöst. Die Zusammenarbeit der beiden war von dauernden Auseinandersetzungen geprägt, so dass MacArthur in der Folge von seinem Posten als Militärbefehlshaber in den Philippinen in die USA zurückberufen wurde. Die Abneigung gegen Politiker und zivile Mitarbeiter der Streitkräfte übertrug sich auch auf seinen weitaus berühmteren Sohn Douglas, der während des späteren Pazifikkrieges Oberkommandierender der Streitkräfte war.

Arthur MacArthur war nicht nur ein Haudegen im Dienst des US-Imperialismus, als sich dieser die Philippinen als erste und einzige Kolonie in Südostasien gewaltsam einverleibte. Wenn denn Geographie tatsächlich Schicksal ist, sind die Philippinen das beste Beispiel dafür. Und womöglich hat niemand ihren dauerhaften geopolitischen Wert besser erfasst als eben dieser General, der die Vorzüge des Archipels wie folgt würdigte:

„Sie (die Philippinen – RW) sind die schönste Inselgruppe der Welt. Ihre strategische Lage ist von keiner anderen Position auf dem Globus übertroffen. Das Chinesische Meer, das sie etwa 750 Meilen vom Kontinent trennt, ist nicht mehr und nicht weniger als ein Sicherheitsgraben. Sie liegt an der Flanke dessen, was man als mehrere tausend Meilen Küstenlinie bezeichnen könnte; sie ist das Zentrum dieser Position. Sie ist daher verhältnismäßig besser positioniert als Japan, das sich an einer Flanke und damit am anderen Ende befindet, ebenso wie Indien, das an einer anderen Flanke liegt. Sie bietet ein Mittel zum Schutz amerikanischer Interessen, das mit dem geringsten Einsatz von physischer Kraft die Wirkung einer beherrschenden Stellung hat, um feindliche Handlungen aufzuhalten.“

Titelbild: motioncenter/shutterstock.com

Rainer Werning ist Co-Herausgeber des im September im Wiener Promedia Verlag erscheinenden Buches „Von Marcos zu Marcos: Die Philippinen seit 1965“.

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