Neues im „Fall Guérot“ – Der Kampf um Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit geht in die nächste Runde

Neues im „Fall Guérot“ – Der Kampf um Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit geht in die nächste Runde

Neues im „Fall Guérot“ – Der Kampf um Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit geht in die nächste Runde

Maike Gosch
Ein Artikel von Maike Gosch

Wie sind die Aussichten für eine der bekanntesten politischen Stimmen Deutschlands, gegen die Universität Bonn zu obsiegen, ihren Ruf wiederherzustellen und auch ihre großen finanziellen Verluste, die sie durch diesen Konflikt erlitten hat, zumindest teilweise wiedergutzumachen? Ein Interview für die NachDenkSeiten mit Dr. Ulrike Guérots Anwalt Tobias Gall in ihrem Kündigungsschutzprozess gegen die Universität Bonn, geführt von Maike Gosch.

Den Leserinnen und Lesern der NachDenkSeiten ist der Fall „Ulrike Guérot“ sicher bekannt. Die Universität Bonn hatte der bekannten Politikwissenschaftlerin und Publizistin Dr. Ulrike Guérot vor gut zwei Jahren aufgrund von Plagiatsvorwürfen ihren Arbeitsvertrag als Professorin gekündigt. Das Arbeitsgericht Bonn wies im Frühjahr 2024 die Kündigungsschutzklage von Dr. Guérot hiergegen ab.

Im Anschluss an ihr Unterliegen in der ersten Instanz ging Dr. Guérot in Berufung. Am Freitag dieser Woche, dem 16. Mai 2025, wird vor dem Landesarbeitsgericht in Köln nun über diese Berufung verhandelt und wahrscheinlich auch entschieden. Wir sprachen über den Fall und Dr. Guérots Aussichten mit ihrem Anwalt, dem Arbeitsrechtler Tobias Gall aus Berlin.

Maike Gosch: Lieber Herr Gall, was erwarten Sie für den 16. Mai 2025? Wird es aus Ihrer Sicht (jetzt schon) zu einem Urteil kommen? Und wie geht es Frau Dr. Guérot?

RA Tobias Gall: Ein Urteil wäre durchaus der Regelfall, das heißt im ersten Verhandlungstermin ist der Rechtsstreit schriftsätzlich so ausgeschrieben, dass ohne Beweisaufnahme ein Urteil ergehen kann. Theoretisch kann auch noch eine Beweisaufnahme stattfinden, was ich hier aber eher bezweifle. Statt eines Urteils kommt natürlich auch eine gütliche Einigung in Betracht, da auch das Landesarbeitsgericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hinwirken soll. Nur dazu gehören natürlich zwei, und die Universität hat in der ersten Instanz jedenfalls keine ausgeprägte Neigung gezeigt, möglichst einen Kompromiss zu schließen. Es wäre deshalb für eine Einigung sicher erforderlich, dass das LAG (Anm. M.G.: Landesarbeitsgericht) diesmal etwas stärkere Signale in Richtung Arbeitgeber sendet, dass das Urteil zugunsten der Klägerin ausfallen könnte. Ohne diesen Druck bezweifle ich die Bereitschaft der Gegenseite zum Entgegenkommen.

Professor Guérot leidet schon sehr daran, wie erfolgreich ihr Lebensweg aus intriganten und politischen Gründen gewissermaßen gekappt wurde; und auch daran, dass dies auch noch gerichtlich abgesegnet wurde, obwohl ihr viele sachkundige Stimmen immer wieder bestätigten, dass das kündigungsschutzrechtlich gar nicht möglich ist. Und ihre Nervosität steigt …

Was für ein Urteil erwarten Sie? Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ihres Falles ein?

Natürlich sollte man sich als Prozessbevollmächtigter immer eher vorsichtig und ohne den Eindruck ausdrücken, es würde quasi schon Gewissheit herrschen. Dies vorausgeschickt, bin ich doch eher optimistisch für den Ausgang unserer Berufung. Mein Vertrauen in das Landesarbeitsgericht Köln ist nicht nur allgemein hoch, sondern gerade für unseren Fall: Das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn zeichnet sich nicht nur durch eine enorme Länge, sondern vor allem, wenn man der sprachlichen Qualität und der juristischen Sorgfalt auch seinen Respekt zollen kann, vor allem durch die inhaltliche Gewagtheit aus – um es mal so zu sagen.

Ich will es an sich nicht abstrus oder abwegig nennen, aber es kommt an den wesentlichen Stellen zu Ergebnissen, die fernab der für Kündigungen schutzrechtlich sehr ausdifferenzierten Rechtsprechung liegen. Viele Urteile nähern sich den entscheidenden argumentativen Abzweigungen so an, dass am Schluss immer noch eine nachvollziehbare Wertungsentscheidung in die eine oder andere Richtung zumindest halbwegs überzeugen kann. Hier biegt der Richter am Arbeitsgericht jedoch schon frühzeitig argumentativ ab und stellt zur Begründung Thesen auf, die wirklich nicht mehr nachvollzogen werden können. Mein Vertrauen also in das LAG, dass es diese merkwürdigen Schnitzer auswetzt und damit auch zu einem anderen Ergebnis kommt, ist, denke ich, gut begründet. Die Kündigung lässt sich eigentlich nicht verteidigen und ist nach meiner tiefen Überzeugung sicher unwirksam. Ich hoffe deshalb sehr, dass das LAG meiner Berufungsbegründung folgt.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Schwachpunkte dieses Urteils, die Sie optimistisch für den Ausgang des Berufungsverfahrens stimmen?

Das Urteil ist allzu offensichtlich von dem Bemühen gezeichnet, die allzu konstruierten Vorwürfe der Universität zu stützen, die bekanntermaßen aus einer letztlich nur politisch motivierten Kampagne herrühren, die ursprünglich von der FAZ und einem sogenannten Plagiatsjäger inszeniert wurde. Es ging dabei zwar nicht um Plagiate, sondern nur um einige wenige Zitierungenauigkeiten, die man aus mehreren Büchern von Professor Guérot mühsam zusammengesammelt hatte. Die Universität versuchte, daraus wissenschaftliche Fehlleistungen zu machen, obwohl die Bücher entweder vor der Anstellung als Professorin veröffentlicht worden waren oder ohne jeden Bezug zur Universität. Das Urteil hätte trotz der Hunderten Seiten, die dazu erstinstanzlich geschrieben wurden, arbeitsrechtlich völlig überzeugend feststellen können, dass es sich nicht um die Vertragspflichtverletzungen an sich handelte noch um solche, die während der Tätigkeit vorgekommen sein sollen. Tatsächlich hat das Arbeitsgericht dann aber an den universitären Konstruktionen mitgewirkt und noch darüber Hinausgehendes konstruktiv hinzugefügt, was mit den Vertragspflichten des Arbeitsverhältnisses und den Kündigungsmöglichkeiten schlicht nichts zu tun hatte.

Und was waren (wenn noch nicht aufgeführt) die Hauptargumentationspunkte, auf die Sie Ihre Berufung gestützt haben?

Im Kern sind das zwei Argumente:

Das Arbeitsgericht hat eine arglistige Täuschung darin erblickt, dass Professor Guérot in der Bewerbungsphase nicht noch schonungsloser Selbstkritik geübt hätte, was mögliche Zitierfehler in ihrem ersten Buch betrifft. Sie hatte zwar sogar darauf hingewiesen, dass ihr erstes Buch eher in einem essayistischen Ton geschrieben und dennoch von einer anderen Universität als habilitationsgleiche Leistung anerkannt worden sei. Dennoch handelte es sich nach Ansicht des Arbeitsgerichts dabei um eine arglistige Täuschung über die vollkommene Makellosigkeit ihres Buches als wissenschaftliches Werk, obwohl anschließend eine Berufungskommission mit externen Gutachtern gerade auch dieses Werk auf Habilitationsgleichheit untersucht hatte.

Das zweite problematische Argument ist dann noch, dass das Arbeitsgericht angesichts der Schwere dieses Vergehens eine Abmahnung für entbehrlich hielt, obwohl meine Mandantin nach ihrer Einstellung ohne jedwede Beanstandung ihre Vertragspflichten erfüllte, was auch das Arbeitsgericht gewissermaßen ausdrücklich so darstellte, weil es die weiteren kleineren Zitierungenauigkeiten in späteren Büchern während der universitären Anstellung als nicht beanstandungsfähig ansah.

Der Fall hat ja aus Sicht vieler eine deutlich politische Komponente. Der Vorwurf und der Verdacht stehen im Raum, dass die Plagiatsvorwürfe nur ein – aufgebauschter – Vorwand für die Kündigung waren und die Gründe dafür, dass die Universität Bonn Dr. Guérot loswerden wollte, vielmehr in ihren „umstrittenen“ Positionen zu den Corona-Maßnahmen und zur deutschen und europäischen Haltung im Ukraine-Krieg zu finden sind. Wie sehen Sie das, und haben Sie hierzu im Verlauf des Verfahrens Hinweise gesehen?

Die politische Komponente lässt sich in diesem Fall einfach nicht verleugnen. Sie ist vielmehr ganz offenkundig. Die Universität hatte ja vor der Einleitung des Prozederes zur Kündigung in einer öffentlichen Stellungnahme, ohne meine Mandantin ausdrücklich namentlich zu nennen, erklärt, dass bei Äußerungen einzelner Wissenschaftler auch politischer Art nicht wissenschaftlich belegbare Behauptungen – wegen der den Einzelnen als Verpflichtung treffenden Wissenschaftsfreiheit – zu unterlassen seien. Das muss man sich einmal vorstellen: Wegen der Wissenschaftsfreiheit sollen sogar Politikwissenschaftler keine Meinungsfreiheit mehr haben, sondern öffentlich nur wissenschaftliche Tatsachen äußern dürfen. Nur beiläufig wurden dabei auch die sogenannten Standards guter wissenschaftlicher Praxis erwähnt. Dies diente aber eher der besseren Identifizierbarkeit der gemeinten Person, weil die Plagiatsvorwürfe gegen meine Mandantin ja breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurden.

Die politische Unbotmäßigkeit meiner Mandantin war deshalb ganz offensichtlich der Ausgangspunkt der Kündigung. Die Fadenscheinigkeit der Kündigungsargumentation ist dann allein dadurch offenkundig geworden, dass Petitessen als schwere wissenschaftliche Pflichtverstöße dargestellt wurden – ein untaugliches Konstrukt, das die politische Motivation bloß verdecken sollte, denke ich.

Jenseits von der juristischen Dimension, wie schätzen Sie die politische und gesellschaftliche Bedeutung dieses Falles ein? Was bedeutet er in seinem Verlauf bisher? Und was, glauben Sie, liegt dem Verhalten der Universität Bonn und auch der Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts für eine Haltung zugrunde?

In Politik, Kultur und Wissenschaft ist die Missgunst gegenüber Konkurrenten immer schon mindestens genauso weit verbreitet gewesen wie in fast allen anderen Teilen der Gesellschaft. Die niederen Motive konnten nur nicht mit Vorwürfen in aller Öffentlichkeit verbreitet werden. In den letzten Jahren, nach dem sogenannten „Marsch durch die Institutionen“, hat sich für diese niederen Motive gewissermaßen als Trägermasse ein politischer Moralismus der Mehrheitsauffassung – Juristen sprachen insofern immer schon von herrschender Meinung – entwickelt, der immer hemmungsloser wirksam gemacht wurde. Man spricht wohl zutreffend von ‚Cancel Culture‘. Gerade in den substanzärmeren universitären Gebieten, die man daran erkennt, dass sie in ihrer Bezeichnung „-wissenschaft“ führen, entwickeln sich häufiger Glaubensüberzeugungen, deren Bezweifeln schnell als Häresie verurteilt wird. Wenn dann noch eine dem Autoritarismus sich öffnende gesellschaftliche Atmosphäre vorherrscht, wie seit der Corona-Rechtsstaatskrise, dann ist gewissermaßen kein Halten mehr. Dann gelingt es auch einem Kulturressortchef leicht, eine Hexenjagd zu inszenieren, in der auch Köpfe rollen. Ich will es nicht Jakobinismus nennen – aber wieso eigentlich nicht?

Inzwischen hat sich ja in der Beurteilung der Corona-Krise und der -Maßnahmen einiges in der Öffentlichkeit geändert, und viele der Aussagen und Positionen von Frau Guérot haben sich bestätigt bzw. werden von weiteren Kreisen akzeptiert oder immerhin offen besprochen. Auch wenn man das von ihren Positionen zum Ukraine-Krieg nicht sagen kann: Glauben Sie, dass die gesellschaftliche Stimmung, die ja auch oft in vielfältiger Weise in die Gerichtsäle und die dortigen Entscheidungen hineinwirkt, sich in dem Jahr seit der erstinstanzlichen Entscheidung zugunsten Ihrer Mandantin entwickelt hat?

Zum einen bin ich da etwas pessimistischer. Ich habe nicht den Eindruck, dass sich viele der Aussagen oder Positionen meiner Mandantin in eine Akzeptanz entwickelt haben oder zumindest rege in der Öffentlichkeit erörtert werden. Eine kritische Aufarbeitung dieser Zeit steht in der breiten Öffentlichkeit weiterhin aus. Und da die politischen Täter weiter in Ämter gelangen, scheint sich daran auch mittelfristig nicht viel zu ändern. Zum anderen glaube ich, dass die Position meiner Mandantin zum Ukraine-Krieg – die von einem unbedingten Friedenswunsch und der Erkenntnis notwendiger Verhandlungen geprägt waren – sehr viel mehr in der Öffentlichkeit, fast schon als einzig legitime Position erörtert werden. In der internationalen Politik wird sie ja auch wirksam. Vor allem aber glaube ich derzeit zumindest daran, dass es aufgrund der gewandelten psychologischen gesellschaftlichen Atmosphäre wieder gelingen könnte, den politischen Atmosphärendruck wieder völlig aus dem Gerichtssaal herauszuhalten. Uns genügt im Übrigen aber schon, wenn das Gericht den politischen Atmosphärendruck in der Universität – oder meinetwegen auch auf die Universität – erkennt und aus der rechtlichen Entscheidungsfindung entsprechend ausklammert

Falls die Berufung zurückgewiesen wird, wie geht es dann prozessual in dem Verfahren weiter beziehungsweise wie kann es weiter gehen?

Soweit ich sehe, beziehungsweise nach meiner Überzeugung könnte das nur unter Verletzung einschlägiger Urteile des Bundesarbeitsgerichts bzw. grundlegender Prinzipien des Kündigungsschutzrechts erfolgen. Dann müsste das LAG an sich die Revision zum Bundesarbeitsgericht zulassen. Wenn die Zulassung unterbleibt, würde ich ausnahmsweise einmal etwas optimistischer bezüglich des Erfolgs einer Nichtzulassungsbeschwerde sein.

Aber eigentlich ist mir das zu viel Pessimismus, jetzt schon darüber nachzudenken. Ich bin – was unser Gespräch schon deutlich gemacht haben sollte – professionell verhalten optimistisch, was den Ausgang des Verfahrens betrifft.

Vielen Dank für das Gespräch!

Titelbild: Titelbild: Shutterstock / Gorodenkoff