Corona-Aufarbeitung? Ach was! Dabei liefert die Maskenaffäre um Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn genug Stoff, um das Narrativ der Pandemie im großen Stil bloßzulegen. Aber nicht mit diesen Leitmedien. Statt das Gesamtsystem zu knacken, arbeitet man sich lieber an einem „Einzeltäter“ ab. Und vergibt ihm. Wetten, dass! Ein Einwurf von Ralf Wurzbacher.
Er habe „nichts zu verbergen“, stellt Jens Spahn klar. Am wenigsten sein Gesicht, das er zu Corona-Zeiten gerne demonstrativ hinter einer Maske verborgen hatte und heute, Jahre später, so gerne wahren möchte. Diese vermaledeiten Masken nämlich sind es, die ihn dieser Tage wieder beschäftigen und ihm, läuft es schlecht für ihn, die Tour, sprich die Karriere vermasseln könnten. Aber das wird schon nicht passieren, eben weil der CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag auf „maximale Transparenz“ setzt. Damit ist praktisch noch jeder bedrängte Politiker davongekommen.
Also will Spahn, dass die Öffentlichkeit den ganzen sogenannten Sudhof-Bericht zu Augen und nicht nur häppchenweise davon Kenntnis bekommt. Mit der Arbeit hatte Karl Lauterbach (SPD) im Sommer 2024 als damals noch amtierender Bundesgesundheitsminister seine Parteifreundin und frühere Staatssekretärin im Bundesjustiz-, später im Bundesverteidigungsministerium, Margaretha Sudhof, beauftragt, um damit die Affäre um die Beschaffung von Abermillionen überteuerten, vielfach minderwertigen medizinischen Schutzmasken in der Frühphase der Pandemie „aufzuarbeiten“. Das Papier der Sonderermittlerin liegt seit Januar vor, blieb aber unter Verschluss, weil er es „wegen des begonnenen Wahlkampfs nicht mehr veröffentlicht“ habe, so Lauterbach. Jetzt nennt er das ein „Versäumnis“.
„Marktgerecht“ zum Mondpreis
Teile der Sudhof-Befunde wurden inzwischen an die Medien durchgestochen. Die Süddeutsche Zeitung (SZ), der Westdeutsche Rundfunk (WDR) und der Norddeutsche Rundfunk (NDR) haben allerhand heikle Passagen veröffentlicht. Das Bild, das Ex-Ex-Gesundheitsminister Spahn dabei abgibt, ist desaströs. Er orderte seinerzeit auf Teufel komm raus Masken und scherte sich einen feuchten Kehricht um Kosten und Konsequenzen. Im Zentrum der Vorwürfe steht das sogenannte Open-House-Verfahren (OHV): Jedes Unternehmen, das wollte und konnte, durfte liefern, egal wie viel und zum festgesetzten Mondpreis von 4,50 Euro pro Stück, „marktgerecht“, wie Spahn erklärte. Der Schweizer Händler Emix sicherte sich mit „goldenem Handschlag“ gar einen Abnahmepreis von 5,40 Euro für insgesamt 67 Millionen FFP2-Masken. Der Minister zog das alles im Egotrip durch, überging das eigentlich zuständige Beschaffungsamt im Innenministerium und schlug auch die Warnungen aus dem eigenen Haus in den Wind.
„Fehlendes ökonomisches Verständnis“ und „politischer Ehrgeiz“ hätten dazu geführt, dass in der Pandemie nicht als „Team Staat“, sondern als „Team Ich“ gehandelt wurde, hielt Sudhof fest. Spahn habe immer wieder „persönlich interveniert“, häufig über seinen Bundestags-E-Mail-Account und nicht den Ministeriums-Account kommuniziert, mithin sogar „per WhatsApp“. Ganz hemdsärmelig schrieb er zum Beispiel im März 2020 an eine Firma: „Ja. Transport klären wir dann. Jetzt will ich erst mal rechtlich verbindlich das Zeug ;-) So, bin jetzt vorerst raus hier, praktischen Rest mit meinen Leuten klären. Danke!“ Danke sagte insbesondere das CDU-nahe Unternehmen Fiege aus Spahns Heimat, dem Münsterland. Der Minister hatte dieses, wieder gegen den Rat von Experten, auf dem kurzen Dienstweg, also ohne Ausschreibung, mit der logistischen Mammutaufgabe betraut, die Masken aus aller Welt heranzuschaffen, zu lagern und weiterzuverteilen.
Abnormale Zeiten
Das konnte nicht gutgehen und führte wie programmiert in die Katastrophe. Die Republik wurde von Masken überschwemmt, viele davon waren wegen Qualitätsmängeln nicht zu gebrauchen, noch viel mehr wurden aus medizinischer Sicht gar nicht gebraucht. Rund zwei Drittel der Warenbestände im Anschaffungswert von sechs Milliarden Euro blieben ungenutzt und mussten teuer vernichtet werden. Dazu kommen Hunderte an Klagen vor deutschen Gerichten durch Händler, die auf ihrer Ware sitzengeblieben sind. Denn irgendwann verfügte das Spahn-Ministerium einen Annahmestopp, indem es sich entgegen vertraglicher Vereinbarung auf den Standpunkt stellte, dass bei Lieferungen nach dem 30. April 2020 kein Anspruch auf Bezahlung bestehe. Allein diese juristischen Nachwehen könnten einen zusätzlichen Schaden für den Steuerzahler von bis zu 3,5 Milliarden Euro verursachen.
Die Vorgänge stellen einen monströsen Skandal dar, und unter normalen Bedingungen hätte Spahn dafür dreimal zurücktreten müssen. Aber was ist heute noch normal? Und warum schlägt die Affäre erst heute so hohe Wellen? Tatsächlich ist das, was Sudhof zusammengetragen hat, bereits seit bald fünf Jahren bekannt. Die NachDenkSeiten hatten die Geschehnisse bereits im Oktober 2020 thematisiert. Im Beitrag „Demaskiert. Warum Jens Spahns Hatz auf medizinische Schutzausrüstung eine Flut an Papier, Stoff und Geld kostet.“ waren nahezu alle der heute erhobenen Vorwürfe aufgeführt, einschließlich des Verdachts der Kumpanei. Aber der CDU-Mann will darin nichts Falsches erkennen. „Ja klar habe ich in der Notlage zuerst mit Leuten geredet, die ich kannte, um zu fragen, wer helfen kann“, sagte er in einem Interview mit Table-Media.
Mea Culpa – im Hardcover für 22 Euro
So leicht geht das mit „voller Transparenz“ und „nichts zu verbergen“. Spahn räumt einfach alles ein, was man ihm zur Last legt, wobei freilich nicht ihn die Schuld trifft, sondern Corona. „In der Not ist Haben wichtiger als Brauchen. Das war eine Jahrhundertkrise und eine Ausnahmesituation. Es fehlte an allem. Alles war knapp“, gab er zu Protokoll. Und alle hätten gesagt: „Besorgt es, koste es, was es wolle. Natürlich sind wir finanzielle Risiken eingegangen.“ Diese Verteidigungsstrategie ist so plump wie erfolgversprechend, weil sie in einem Kontext kollektiver Unwissenheit, sprich fortgesetzter Antiaufklärung erfolgt. Solange das Narrativ vom schlimmen Killervirus Bestand hat, dessen Gefahren vor allem anfangs nicht kalkulierbar gewesen wären, kann man sich rückblickend zu jedem Fehler bekennen, nach dem Motto: Wir sind ja alle nur Menschen, und bei Gefahr im Verzug ist jedes Mittel recht und billig, beziehungsweise teuer.
Spahn wusste diese Taktik früher als jeder andere für sich zu nutzen. „Wir werden einander viel verzeihen müssen“, hatte er schon in den Wochen des ersten Lockdowns beschieden und aus dem Spruch eine Tugend, später sogar ein Buch und damit bares Geld gemacht. Frei übersetzt: Sperren wir die Bürger weg, machen die Schulen dicht, setzen die Verfassung außer Kraft, zwingen die Menschen zur Impfung – ganz egal, am Ende wird das alles zu verzeihen sein. „Mit dem Vergeben hat er offenbar zuallererst bei sich selbst angefangen“, bemerkte die tageszeitung (taz) treffend. „Jetzt will er, dass wir das auch tun.“ Und „bezahlen sollen wir auch“.
Evidenzlose Maskerade
Wenn sich heute sogenannte Investigativjournalisten plötzlich auf einen Fall stürzen, der sie vor Jahren bei praktisch identischer Faktenlage kaum interessiert hat, spricht das Bände. Damals war noch viel mehr bekannt, wovon die großen Leitmedien nichts wissen wollten. Beispiele: Schon früh war ersichtlich, dass Corona eine „Epidemie der Alten“ und für jüngere, gesunde Menschen weitgehend ungefährlich war. „Bedrohlich“ für die Gesamtbevölkerung wurde die Sache erst mit dem massenhaften Einsatz von PCR-Tests. Spätestens seit Veröffentlichung der sogenannten RKI-Protokolle ist belegt, dass die Ausrufung des Gesundheitsnotstands ein politischer Willkürakt war, dem die Wissenschaft nur unwillig folgte. Als „aus fachlicher Sicht nicht korrekt“ stufte das RKI so auch die Erzählung von der „Pandemie der Ungeimpften“ ein. Solche Hintergründe blenden die „Rechercheure“ von WDR, NDR und SZ bei ihrer Attacke auf Spahn aber aus. Warum bloß?
Dabei stand noch vieles mehr, was seinerzeit regierungsamtlich exerziert, medial brav und wohlwollend rapportiert wurde, wissenschaftlich auf tönernen Füßen – darunter eben auch die Nötigung zur kollektiven Maskerade. Das Robert Koch-Institut (RKI) hatte wiederholt, zuletzt noch am 28. Februar, vom Gebrauch von Masken in der Öffentlichkeit abgeraten. RKI-Vizepräsident Lars Schaade im O-Ton: „Es gibt einfach keine wissenschaftliche Evidenz, dass das irgendeinen Sinn hätte.“ Kurz darauf knickte die Bundesbehörde gegenüber der Macht der Faktenleugner ein und schaltete um auf Virusabwehr nach Voodoo-Art. Und Spahn sorgte im Alleingang dafür, dass sich ein Haufen windiger Geschäftsleute, darunter ein paar „ehrenhafte“ und schlussendlich straffrei gebliebene Volksvertreter, mit dem Handel von Stofffetzen eine goldene Nase haben verdienen können.
Aufklärung unerwünscht
Nun also will Spahns Nach-Nachfolgerin Nina Warken (CDU) als neue Bundesgesundheitsministerin den Sudhof-Bericht nicht herausrücken – wegen Datenschutzgründen und Prozessrisiken, wie es heißt. Sie stellt sich also schützend vor die Steuerzahler und schützt gewiss nur ganz nebenbei ihren Parteifreund, dem Ambitionen mit Zielrichtung Bundeskanzleramt nachgesagt werden. Eine umfassende Aufarbeitung der Corona-Jahre käme ihm da gewiss ungelegen, etwa mit Blick auf sein Maskendebakel oder darauf, dass er mit einem irren Fehlanreizsystem die Krankenhäuser animiert hatte, auf dem Höhepunkt der Krise im großen Stil Intensivbetten abzubauen, Stichwort DIVI-Gate.
Aber Spahn sitzt beim Vertuschen im großen Boot fast der gesamten Politklasse. Als Lauterbach vor elf Monaten seine Masken-Sonderberichterstatterin inthronisierte, hatte er noch getönt: „Die mistet jetzt aus, dabei geht sie in jeden Winkel.“ Dann ließ er Sudhof wursteln, wollte ihre Erkenntnisse aber doch lieber nicht publizieren. Er habe selbst mit ihr den Inhalt des Gutachtens bis heute nicht ein einziges Mal besprochen, weder schriftlich noch mündlich, ließ er dieser Tage durchblicken. Wäre ja auch zu fies gewesen, das brisante Material im Wahlkampf als Munition gegen die Union zu „missbrauchen“, mit der man alsbald wieder in die nächste Regierung einsteigen will – wie es dann ja auch geschah. Nicht minder unschön wäre es gewesen, hätten CDU/CSU Karl Lauterbachs Lüge mit der „nebenwirkungsfreien Impfung“ ausgeschlachtet.
Aber nicht doch. Solche Schlammschlachten schlagen Gleichgesinnte nicht. Dafür haben sie einfach alle viel zu viel zu verbergen. Deshalb: Mund halten, Deckel drauf auf die Pandemie, die Büchse der Pandora bleibt verrammelt. Und lasst uns gefälligst in Ruhe an unserer Karriere basteln!
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