Exklusiv auf der Bildfläche oder bald ganz weg von derselben? Die tageszeitung hat sich vor einer Woche als Printmedium verdünnisiert und taucht werktags nur noch im Internet auf. Die Macher feiern das als „Seitenwende“ und Aufbruch in eine neue Ära. Wenn das mal nicht nach hinten losgeht. Ein Verriss von Ralf Wurzbacher.
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Schon gemerkt? Die taz ist weg. Also nicht ganz verschwunden, aber einfach nicht mehr zu fassen. So wie manche ihrer Beiträge, die einen argwöhnen ließen, man hielte die Hauspostille der NATO in der Hand. Aber damit ist es jetzt vorbei, also nicht mit Kriegspropaganda, aber mit dem In-der-Hand-Halten. Denn die tageszeitung hat sich ins Virtuelle verdrückt, erscheint seit 20. Oktober werktags nur noch in digitaler Form, auf der Webseite oder als E-Paper. Bloß noch die wochentaz gibt es auf Papier, der große Rest hat sich quasi in Luft aufgelöst.
Eine Woche geht das jetzt so, und vielleicht fühlen sich einige in die Pandemie zurückversetzt. Da gab es plötzlich auch kein Papier mehr, das für den Hintern. Und selbst das Lesen einer Zeitung geriet zur Ansteckungsgefahr, weshalb man sich, auch auf Anraten der taz, besser nicht die Finger schmutzig machen, vor allem tunlichst den Kontakt zu Corona-Leugnern, Verschwörungsideologen und Spaziergängern meiden sollte – um Bazillen zu killen und Leben zu retten. Aber irgendwie haute das nicht hin, trotz 3G-Regeln und Impfpflicht, für die sich auch die taz ins Zeug legte. Es gab trotzdem Tote, reichlich mehr Kollateralschäden, und die Gesellschaft ist seither tief gespalten.
Einheitsbrei
Vielleicht liegen ja auch hier die Gründe dafür, weshalb die Zeitung den nächsten Schritt in die Versenkung wagt. Wikipedia hält fest, die verkaufte Auflage sei von „2009 bis 2019 um durchschnittlich 1,3 Prozent pro Jahr gesunken“. Dasselbe Bild bei den Abonnentenzahlen – stetig abwärts. Klar, das ist der allgemeine Trend: Die gedruckte Zeitung steht unter Druck. Junge Menschen informieren sich lieber mit dem Smartphone oder Tablet, sofern sie sich überhaupt noch informieren oder lesen. Das Lamento der Verleger über das Ende der Gutenberg-Ära ist herzzerreißend, aber eben auch leicht dahergesagt. Weil man dann über Qualität nicht reden muss.
Die junge Welt (jW) äußerte den Verdacht, die Abkehr vom Gedruckten habe „möglicherweise (…) ein klein wenig damit zu tun, dass Medienhäuser verlässlich das Niveau absenken, der Konformität unterliegen und sie zugleich erzeugen und damit, dass ihre Zeitungen und sonstigen Formate folglich einander immer ähnlicher werden, weshalb, letzte Konsequenz, das Zeug nun auch keiner mehr lesen, geschweige denn kaufen will“. Anders jW, die „bleibt Printzeitung“ und titelte zur taz-Dämmerung: „Rudi, der Druck geht weiter.“
Lechts wie rinks
Hätte Dutschke das erleben müssen. Wie eine Zeitung, vor 47 Jahren als publizistisches Organ „linker Gegenöffentlichkeit“ gegründet, sich im Zuge der Jahrzehnte vom Bürgerschreck zu einem Spiegel zur Selbstvergewisserung des Gutbürgertums entwickeln konnte. Zwar immer irgendwie „alternativ“, anders und pfiffiger als der namentliche Spiegel, aber von der Substanz ziemlich deckungsgleich, ganz dicht dran am publizistisch erzeugten Zeitgeist, sprich der veröffentlichten Meinung. Als links geht die taz nur noch durch, sofern links alles andere als Nazi und irgendwas mit Öko bedeutet. Wobei es dafür genügt, am Abend ein Tofuschnitzel zu verdrücken, das man davor mit gutem grünen Gewissen und dem dicksten Hybrid-SUV bei Alnatura für teuer Geld erstanden hat. Wer die taz liest, hält solche Widersprüche locker aus und fühlt sich gut dabei.
Ungut wird’s erst, wenn wer das gute Lebensgefühl in der, jW-Zitat, „Echokammer eines selbstgefälligen und selbstreferentiellen Milieus“ mit unerhörten Attacken auf die rundum hehren Werte des Wertewestens stört – sprich Leute wie Putin, Trump oder Orban. Das geht dann so weit, dass man bei der taz schon mal mit dem Einsatz von NATO-Bodentruppen in der Ukraine „für eine Welt von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Völkerrecht“ liebäugelt und dabei den dritten Weltkrieg als mögliche Randerscheinung mit- oder eben nicht mitdenkt.
„Zu den Waffen, Genossen“
Insofern hat der Marsch durch die Institutionen, den die Bündnis-Grünen mit ihrem Leib- und Magenblatt gegangen sind, in sattem Olivgrün auf Redaktion und Schreiber durchgefärbt. Von „Waffen für El Salvador“ über das Bauchgrummeln ob Joschka Fischers „Nie wieder Auschwitz“ zur Rechtfertigung des völkerrechtswidrigen NATO- und Bundeswehr-Krieges im Kosovo bis zu aktuellen Kriegsertüchtigungsbeiträgen wie „Zu den Waffen, Genossen!“ war es ein langer Lernprozess. Wo früher einmal Pazifismus die Feder geführt haben mag, herrscht heute ein ausgeprägter Hang zum Bellizismus, ganz unverkrampft und mit Biosiegel. Wohl nicht allen (ehemaligen) Lesern schmeckt das.
Aber die Macher sind originell und machen auf Selbstironie. Oder vielleicht doch nicht? Jedenfalls nix da mit Auslaufmodell, sondern „Seitenwende“. So nennen sie ihren „Aufbruch“ ins Digitale. Scholz und Habeck fühlen sich bestimmt geehrt. Aber offenbar nicht alle Leser wollen mit umziehen. „57 Prozent unserer bisherigen täglichen Print-Abonnent*innen“ hätten sich bereits verpflichtet, „bei uns zu bleiben“, ließ vor elf Tagen die Geschäftsführung verlauten. Das sollte eine frohe Botschaft sein. Zuletzt waren es noch 14.000 Leser, die sich die tageszeitung nach Hause schicken ließen. 60 Prozent der Nutzer greifen schon heute digital auf das Produkt zu.
Papier alle, Licht aus
Von nicht weniger als einem „historischen Augenblick“ schrieb die taz am vergangenen Mittwoch. „Mit ihrem beispiellosen Schritt“ zeige man „wo die Zukunft der Medienwelt liegen dürfte“. Printmedien aus ganz Deutschland verfolgten die Vorgänge „besonders aufmerksam“. Stolz verwies man auf Beiträge der Konkurrenz. „Nur Klopapier ist unersetzlich“, titelte die Süddeutsche Zeitung, und Die Zeit huldigte geradezu, die tageszeitung gehöre „wieder einmal zur Avantgarde“.
Solche Anteilnahme macht die Verantwortlichen stolz. Man mag das wohlige Gefühl, voll mitzuschwimmen im großen Strom des Mainstream, ganz zeitgemäß halt, aber kein bisschen mehr unbequem, rebellisch oder wirklich links. Ob das ein gutes Zukunftsrezept ist? Noch einmal die Geschäftsleitung: „Wir gehen unseren Weg, weil wir den Verlust der taz nicht ertragen und verantworten könnten.“ Mal schauen … Vielleicht heißt es dereinst einmal: Zuerst ging das Papier aus, dann das Licht.
Titelbild: Hadrian/shutterstock.com





