Französische Polizeigewerkschaften: Heute sind wir im Krieg gegen „Schädlinge“ und „wilde Horden“, morgen im Widerstand

Französische Polizeigewerkschaften: Heute sind wir im Krieg gegen „Schädlinge“ und „wilde Horden“, morgen im Widerstand

Französische Polizeigewerkschaften: Heute sind wir im Krieg gegen „Schädlinge“ und „wilde Horden“, morgen im Widerstand

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Ein offizielles Kommuniqué von zwei französischen Polizeigewerkschaften sorgt derzeit für Aufregung und Unruhe in Paris. In der Pressemitteilung werden die derzeit nach dem Tod eines 17-Jährigen durch eine Polizeikugel protestierenden und randalierenden Jugendlichen als „wilde Horden“ und „Schädlinge“ bezeichnet, gegen die sich die Polizei „im Krieg“ befände. Der amtierenden Regierung unter Präsident Emmanuel Macron wird mit direkten Konsequenzen gedroht, wenn die Forderungen nach „rechtlichem Schutz der Polizei, einer angemessenen Strafverfolgung und entsprechenden zur Verfügung gestellten Mitteln“ nicht erfüllt würden. Abgeordnete der Linkspartei LFI sowie der Grünen in der Nationalversammlung verurteilen dies als „Aufruf zu Volksverhetzung und Bürgerkrieg“. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die zwei Polizeigewerkschaften „Alliance Police Nationale“ und „UNSA-Police“, welche bei den letzten landesweiten Betriebsratswahlen 2022 zusammen über 50 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Polizei-Stimmen auf sich vereinigen konnten, hatten am 30. Juni eine Pressemitteilung in einem sehr harschen und ungewöhnlichen Ton veröffentlicht. Die NachDenkSeiten dokumentieren zunächst den gesamten Wortlaut in der deutschen Übersetzung:

„Jetzt reicht’s…

Angesichts dieser wilden Horden reicht es nicht mehr, um Ruhe zu bitten, sie muss erzwungen werden!

Die republikanische Ordnung wiederherzustellen und die Festgenommenen außerstande zu setzen, Schaden anzurichten, sollten die einzigen politischen Signale sein, die man geben kann.

Angesichts solcher Ausschreitungen muss die Polizeifamilie zusammenstehen. Unsere Kollegen, wie auch die Mehrheit der Bürger, können die Tyrannei dieser gewalttätigen Minderheiten nicht länger ertragen.

Die Zeit ist nicht reif für gewerkschaftliche Aktionen, sondern für den Kampf gegen diese „Schädlinge”. Aufgeben, kapitulieren und ihnen gefallen, indem man die Waffen niederlegt, sind angesichts des Ernstes der Lage keine Lösungen.

Es müssen alle Mittel eingesetzt werden, um die Rechtsstaatlichkeit so schnell wie möglich wiederherzustellen. Wir wissen schon jetzt, dass wir nach der Wiederherstellung des Rechtsstaates das Chaos, das wir seit Jahrzehnten ertragen müssen, erneut erleben werden.

Aus diesen Gründen werden die Alliance Police Nationale und die UNSA-Polizei ihre Verantwortung wahrnehmen und die Regierung von jetzt an warnen, dass wir am Ende in Aktion treten werden und ohne konkrete Maßnahmen zum rechtlichen Schutz der Polizei, einer angemessenen Strafverfolgung und entsprechenden zur Verfügung gestellten Mitteln, nicht weiterkommen werden, sodass die Polizisten über das Ausmaß der Rücksichtnahme selbst entscheiden werden.

Heute ist die Polizei im Kampf, weil wir uns im Krieg befinden. Morgen werden wir im Widerstand sein, und die Regierung wird sich dessen bewusst werden müssen.”

Jean Luc Mélenchon, 2017 und 2022 Präsidentschaftskandidat der von ihm gegründeten Bewegung La France Insoumise („Unbeugsames Frankreich“ – LFI), reagierte umgehend und verurteilte via Twitter die Pressemitteilung der zwei Polizeigewerkschaften:

„Die „Gewerkschaften“, die zum Bürgerkrieg aufrufen, müssen lernen zu schweigen. Wir haben das mörderische Verhalten gesehen, zu dem diese Art von Gerede führt. Die politische Macht muss die Kontrolle über die Polizei übernehmen. Wer Ruhe will, schüttet kein Öl ins Feuer!“

Der LFI-Abgeordnete in der Nationalversammlung für Ille-et-Vilaine und Vertreter im Verteidigungsausschuss, Frédéric Mathieu, verfasste ein Schreiben an den Innenminister Gérald Darmanin sowie die Staatsanwaltschaft von Rennes, in welcher er die Anwendung von Artikel 412-8 des Strafgesetzbuchs wegen „Aufstachelung zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt“ einfordert – ein Tatbestand, welcher mit bis zu 30 Jahren Haft und 450.000 Euro Geldstrafe geahndet werden kann:

„Diese Elemente nähren einen Diskurs, der darauf abzielt, einen Teil der Polizei in eine bürgerkriegsähnliche Dynamik gegen einen Teil unserer Bevölkerung und unserer Jugend zu versetzen. Sie stellen auch eine Bedrohung durch Aufruf zur Rebellion dar.“

Ähnlich argumentierten auch Vertreter von EELV (Europe Écologie Les Verts). Deren Generalsekretärin Marine Tondelier erklärte gegenüber Pressevertretern:

„Der Text ist nicht nur ein Beispiel dafür, dass die Polizei ein strukturelles Problem hat. Dieser Text ist ein Aufruf zum Bürgerkrieg.”

Ihre Parteikollegin und Abgeordnete der Nationalversammlung Sandrine Rousseau verkündete, dass die Pressemitteilung der Polizeigewerkschaften einer Drohung zum Aufruhr gegen die Staatsgewalt gleichkäme.

Auf diese Kritik reagierten wiederum Alliance Police Nationale und UNSA Police in einer weiteren Pressemitteilung und erklärten, dass sie „es nicht länger hinnehmen werden, auf diese Weise beleidigt und verleumdet zu werden“. Weiter heißt es in der Erklärung:

„Wir befinden uns im Krieg” ist ein Bild, das von dem berichtet, was unsere Kollegen jeden Tag vor Ort erleiden. Wir haben es mit einer Stadtguerilla und nicht mehr mit bloßer Gewalt zu tun. Es handelt sich also um einen städtischen Krieg, gegen den unsere Kollegen kämpfen, um zu gewinnen. Dieser bildhafte Ausdruck wurde seinerzeit für ein anderes Thema, das der Covid-Krise, von Präsident Macron selbst verwendet, und nur wenige haben sich dagegen gewehrt.

Wenn unsere Organisationen von Widerstand sprechen, dann meinen wir gewerkschaftlichem Widerstand, von künftigen gewerkschaftlichen Kämpfen, von Widerstand, den unsere Kollegen angesichts derer, die Chaos stiften wollen, Chaos, das von den Schädlingen gewollt ist, denjenigen, die den Werten der Republik schaden wollen (…).

Dass zwei Gewerkschaften, die über 50 Prozent der französischen Polizeikräfte repräsentieren, zu dieser Art von Sprachbildern („Krieg“, „Widerstand“, „Horden“, „Schädlinge“) und expliziten Drohungen gegen die amtierende Regierung greifen, spricht für eine wohl nicht nur verbale Radikalisierung in den Rängen der Sicherheitskräfte der Fünften Republik und eine enorme Polarisierung der französischen Gesellschaft mit nur schwer einschätzbaren Folgen für die Zukunft des Landes. Denn die Stellungnahme der französischen Polizeigewerkschaften ist nur eines von mehreren Indizien für die profunde Systemkrise, die Frankreich derzeit durchläuft. Eine Krise, die spätestens 2005 ihren Anfang nahm. Der auf Frankreich- und EU-Fragen spezialisierte Journalist Eric B. schließt seinen aktuellen Beitrag zu den soziologischen Erkenntnissen hinsichtlich der aktuellen Krise unter dem Titel „Unruhen in Frankreich: „Probleme von 2005 sind immer noch da“ mit folgender treffender Bemerkung und verweist zudem darauf, dass manches davon „in der einen oder anderen Form“ auch Deutschland treffen könnte:

„Frankreich hat seit 2005 den kompletten Zusammenbruch der etablierten politischen Parteien erlebt. Macron war und ist die letzte „Barriere“ gegen die Nationalisten um M. Le Pen. Doch seit seiner Rentenreform, die am Parlament und den Gewerkschaften vorbei durchgepeitscht wurde, genießt auch Macron keine politische Autorität mehr. Frankreich erlebt eine Systemkrise – das macht die Unruhen umso gefährlicher…“

Titelbild: Screenshot

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