Seine Exzellenz der Android

Seine Exzellenz der Android

Seine Exzellenz der Android

Ein Artikel von: Redaktion

Im Jahr 1907, mitten in der Belle Époque, auch als Fin de Siècle bezeichnet, veröffentlichte der Wiener Wissenschaftsjournalist Leo Silberstein-Gilbert einen „phantastisch-satirischen Roman“, der heute als eines der ersten Science-Fiction-Werke gelten kann. 1933 geriet er in die Zensur und wurde aus den Bibliotheken im Herrschaftsbereich des NS-Regimes aussortiert. Die von Nathanael Riemer unter dem Titel „Seine Exzellenz der Android“ herausgegebene Neuauflage will das eliminierte Buch und die Erinnerung an seinen Autor neu beleben, denn es nimmt gut 100 Jahre, bevor KI hier ein großes Thema wurde, die Gefahren der Künstlichen Intelligenz klug, erschreckend sowie humorvoll vorweg. Der Protagonist des Romans, der geniale Physiker Frithjof Andersen, konstruiert den vollkommenen Androiden Lars. Dessen Körperbau, seine Gesichtszüge, Pulsieren der Adern und selbst Gefühlsregungen imitieren den Menschen auf so natürliche Weise, dass die perfekte Täuschung gelingt. Doch das Geschöpf emanzipiert sich von seinem Schöpfer Andersen – der Android Lars macht als Großindustrieller Karriere und wird vom König zum Minister ernannt. Als er schließlich einen Krieg vorzubereiten beginnt und das Volk seine Misere in Hurrapatriotismus ertränkt, sieht sich Andersen in der Pflicht, sein eigenes Geschöpf zu zerstören… Ein Auszug.

Der Eindruck, den Lars machte, war durchaus der eines Mannes von Geltung. Er saß bequem im Lehnstuhl, hielt Zeitung und Zigarre in den Händen, lächelte mit dem zuvorkommenden Lächeln, das ihm Andersen beigebracht hatte, und erwiderte auf alle Fragen je nach den Stichworten. Frithjof gewann die Überzeugung: Sein Android war gelungen, ganz Mensch! Er unterschied sich durch nichts von den anderen als durch den Mangel von Herz und Gemüt. Und vielleicht nicht einmal dadurch. Lars machte auf Frithjof ganz den Eindruck eines vornehmen Mannes. Die einladende Handbewegung, das entgegenkommende Lächeln, das nicht in Grinsen ausarten darf, die Bereitschaft, mit Frithjof stets einer Meinung zu sein, die Kunst, gedankenlos zu versprechen. Der Doktor freute sich, alles wiederzusehen, was er in seinen Automaten hineingesteckt. Lars bedauerte ihn, Lars tröstete ihn, Lars versprach, ihm eine bescheidene Sekretärstelle zu verschaffen, und Frithjof lachte innerlich darüber. Er sah das Werk seiner Hände, das er Rädchen für Rädchen zehn Jahre lang unter den Fingern gehabt, nach und nach sein Gönner werden. Sein Automat protegierte ihn! Er dachte an das schöne Goethesche Wort: „Am Ende hängen wir noch ab von Kreaturen, die wir machten.” Und er hatte nicht übel Lust, auf Lars zuzuspringen und ihn zu zertrümmern. Aber der linke Ellbogen schmerzte ihm noch von jenem Vorfall, als er den Androiden verkaufen wollte.

Er suchte sich einzureden, daß sein Zorn unberechtigt sei, daß es nur eine Maschine wäre, das Werk seines Geistes, auf das er schließlich stolz sein könne; daß Lars nur einem Naturgesetz folge, freilich einem Naturgesetz, das noch von keinem Professor entwickelt und in keiner unserer Schulen gelehrt wird, das aber einst den Mittelpunkt der wichtigsten aller Wissenschaften bilden werde, der Gesellschafts-Wissenschaft: Lars war mit tausend anderen das Produkt der Verhältnisse. Man schob ihn, er ließ sich schieben, man hob ihn, er ließ sich heben. Freilich gehört dazu eine Art Geschicklichkeit; man muß beim Geschobenwerden immer eine Lage einzunehmen wissen, die für sich und die Hebenden nicht unbequem ist. Einfach wie das Schwimmen! Wer es gelernt hat, wundert sich, daß sich von der Flut tragen zu lassen erst gelernt werden müsse. Doch gibt es störrische Leute, Phlegmatiker, die auch von den besten Verhältnissen sich nicht heben lassen. Ihre Wehleidigkeit verträgt diesen oder jenen Griff nicht, oder sie machen sich zu schwer. Lars, der berechnete und berechnende Lars, widersprach niemals, weil er weder sentimentale Anwandlungen noch ein reizbares Temperament besaß, weil er sich wahrhaft jenseits von Gut und Böse befand.

Frithjof hätte auch aus einem anderen Grunde nicht den zertrümmernden Faustschlag ausgeführt: Er schauderte zurück, es war ihm, als ob er ein Menschenleben vernichten sollte, wie ihn Lars herablassend mit den grau-grünen Reptilaugen anblickte, die so nichtssagend naiv waren, daß sich dahinter alles Denkbare verstecken konnte. Lars, der eben den Rauch seiner Zigarre – wie man am Duft spürte, eine der feinsten Sorten – in die Luft blies, Lars mit den frischen, roten, natürlichen Wangen war ihm eine zu lebendige Persönlichkeit, als daß er nicht gefürchtet hätte, einen Mord zu begehen. Und schließlich, wer beweist ihm, daß er sich nicht täuscht? Daß er, Andersen, nicht wirklich im Wahn herumwandelt? Daß dieser Mann wirklich kein Mann, sondern ein Android ist? Allerdings kannte er Stück für Stück und Härchen für Härchen an ihm. Diese nichtssagenden Augen, die grasgrüne Glashülle für jede Tücke, die natürlichsten, die er beim Optiker gefunden, hatte er ihm selbst mit diesen seinen eigenen Händen eingesetzt. Die Haut mit den vollen Wangen und dem elastischen Muskelspiel hatte er selbst monatelang zwischen diesen seinen eigenen Fingern gehabt, ehe sie vollkommen täuschend funktionierte. Er kannte die Gelenke dieser Arme und sah bei jeder Handbewegung im Geist unter dem feinen Kammgarnrock die Stahlsehnen, die anzogen. Er wußte, daß unter diesem üppigen Haarwuchs sich das komplizierteste Räderwerk verbarg, die beste Rechenmaschine der Neuzeit. Er wußte, daß in der linken Seite dieser Brust, wo bei anderen Menschen sich das Herz befindet, nichts lag als eine gewöhnliche metallene Pumpe, die durch Elektrizität in Bewegung gesetzt, die rote Flüssigkeit dirigierte, die den Menschen, ohne daß er weiß, warum, erröten und erblassen macht. Ein künstliches Schamgefühl, eine rein physikalische Erscheinung!

Und doch, wer bürgt ihm dafür, daß dies alles nicht Einbildung, nicht das Produkt eines hitzigen Fiebertraumes ist? Vielleicht haben die Leute wirklich recht, wenn sie von seiner ausbrechenden Tollheit munkeln?

Titelbild: Phonlamai Photo/shutterstock.com

Leo Gilbert: „Seine Exzellenz, der Android“, ein phantastisch-satirischer Roman, herausgegeben von Nathanael Riemer, 318 Seiten, Edition W, 13. März 2023

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