Über die Lern-Un-Fähigkeit der Politik, dargestellt am Beispiel der Altersvorsorge

Über die Lern-Un-Fähigkeit der Politik, dargestellt am Beispiel der Altersvorsorge

Über die Lern-Un-Fähigkeit der Politik, dargestellt am Beispiel der Altersvorsorge

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Eigentlich müsste die Überschrift heißen: Über die Vorherrschaft von Einzelinteressen und ihrer Fähigkeit zur Manipulation, dargestellt am Beispiel der sinnloserweise wiederholten Altersvorsorgedebatte. – Anstoß für diesen Beitrag ist ein Text von Reiner Heyse. Er berichtet hier Schlechte Nachrichten für die Freunde der Aktienrente. – RentenZukunft (renten-zukunft.de) anhand von fünf Belegen über die mangelnde Seriosität der sogenannten „Aktienrente“. Dieses Altersvorsorgeprodukt ist die von der amtierenden Koalition propagierte neueste Erfindung in einer langen Debatte um das passende Altersvorsorgeinstrument. In einem historischen Rückblick wird im Folgenden gezeigt, wie wenig rational und stattdessen getrieben von Interessen und begleitet von Manipulationen die gesellschaftspolitische Debatte um die Altersvorsorge in den letzten Jahrzehnten verlaufen ist. Dieser wichtige Teil der Sozial- und Gesellschaftspolitik ist ein Musterbeispiel für die fundamentalen Mängel unserer so oft gepriesenen Demokratie. Albrecht Müller.

Es begann in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit einer Debatte um das „sterbende“ Volk, wie es damals mit Blick auf den demographischen Wandel hieß. Diese abstruse und nie begründete Behauptung war das Vorspiel für eine 1997 im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes 1998 gestartete Anzeigenkampagne der Finanzwirtschaft. Mit Hinweis auf den sogenannten demographischen Wandel wurden Überlegungen zur Privatvorsorge und zur staatlichen Förderung der Privatvorsorge ins Spiel gebracht. Damals war es übrigens noch möglich, über die mangelnde Begründung für die staatlich geförderte private Altersvorsorge im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu informieren. Ich tat das Anfang November 1999 mit einem Beitrag in der Reihe Kritisches Tagebuch des Westdeutschen Rundfunk. Weil dieser Hörfunkbeitrag von 1999 (!) das Kernproblem der Debatte und der neuen Versuche zur Erweiterung der Privatvorsorge mit der sogenannten Aktienrente gut beschreibt, gebe ich den gesamten Text hier wieder und empfehle die Lektüre:

Soweit der Beitrag von 1999.

Anfang des neuen Jahrhunderts wurde dann trotz der klaren Sachlage, dass man mit einer Veränderung und/oder Ergänzung des Finanzierungssystems der Altersvorsorge an der zahlenmäßigen Relation von arbeitsfähiger Generation zum einen und den zu versorgenden Menschen in der Rentnergeneration und unter den Kindern und Jugendlichen zum anderen nichts ändern kann, die ergänzende Privatvorsorge propagiert und dann mit der Riester-Rente, der Rürup-Rente und der staatlich geförderten betrieblichen Altersvorsorge begonnen.

Im Vorlauf dieser von der Regierung Schröder und mit Unterstützung der CDU/CSU-Opposition getroffenen Entscheidungen tagte die sogenannte Rürup-Kommission. In dieser waren auch Wissenschaftler versammelt, die man getrost als Lobbyisten bezeichnen kann, zum Beispiel Bert Rürup, Bernd Raffelhüschen und Axel Börsch-Supan. (Zur Rolle und Verantwortung von Wissenschaftlern in der Rentendiskussion siehe auch einen Beitrag der NachDenkSeiten vom 23. August 2016: Wenn es hierzulande anständig zuginge, dann würden Professoren, die wie Rürup, Raffelhüschen, Börsch-Supan, etc. wissentlich falsch beraten haben, auf Schadenersatz verklagt.)

Zum 1. Januar 2002 wurde dann die sogenannte Riester-Rente eingeführt. Sie sah im Kern vor, dass Arbeitnehmer zusätzlich zu ihren Beiträgen für die Gesetzliche Rente auch noch Prämien für Privatvorsorgemodelle leisten können, für die sie dann Zulagen und/oder Steuergeschenke des Fiskus erhalten.

Wie vorhergesagt erwiesen sich die drei Produkte als teure Flops. Sie kosteten viel Geld des Steuerzahlers/der Steuerzahler und sie verbesserten die Altersvorsorge der Mehrheit der Menschen nicht spürbar.

Nach einer gewissen Pause geht jetzt das Spiel von vorne los. Jetzt soll die sogenannte Aktienrente die Altersvorsorge der Mehrheit der Menschen verbessern.

Ausgangspunkt dieser Hoffnung ist eher eine Schimäre als eine sachlich begründete Überlegung. Die politisch Verantwortlichen nutzen die angebliche Gewissheit, dass die Kurse der Aktien insgesamt und nachhaltig steigen, und sie verknüpfen damit die Hoffnung, ein damit verbundenes Altersvorsorgeprodukt würde in ähnlicher Weise von Gewinnen an den Aktienmärkten profitieren.

In dieser Situation ist es an der Zeit, sich grundlegende Gedanken zu machen und auf eine von einem Nationalökonomen im Jahre 1952 formulierte Grunderkenntnis zurückzukommen, auf das sogenannte Mackenroth-Theorem. Das besagt dem Sinne nach, dass die Versorgung der noch nicht oder nicht mehr arbeitenden Menschen immer und in jeder Situation von den arbeitenden Menschen dieser Volkswirtschaft erarbeitet werden muss. Hier zitiert nach:

Das “Mackenroth-Theorem”

Nun gilt der einfache und klare Satz, dass aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss.

Es gibt keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Fonds, keine Übertragung von Einkommensteilen von Periode zu Periode, kein “Sparen” im privatwirtschaftlichen Sinne.

Quelle: Mackenroth 1952, Zit. nach Lampert, Althammer (2004), S. 242.

Realökonomisch betrachtet gibt es keine Möglichkeit, die Vorsorge für die alten und nicht mehr arbeitenden Menschen und für die Kindergeneration aus anderen Quellen zu speisen. Auch die Annahme, für die eigene Gesellschaft und Volkswirtschaft andere Volkswirtschaften und Gesellschaften, also das Ausland, in Anspruch zu nehmen und dies auf Dauer zu tun, ist unrealistisch.

Entscheidende Faktoren für die Höhe des zur Verfügung stehenden Produkts sind die Produktivität, die Erwerbsquote und die Arbeitslosenquote. Man kann also die Altersvorsorge insgesamt nur dadurch verbessern, dass man die Arbeitslosigkeit bekämpft, dass man Menschen, die arbeiten wollen, aber keine Arbeit haben, diese Chance vermittelt, und dass produktiv gewirtschaftet wird und die Produktivität verbessert wird.

Mit der Veränderung des Altersvorsorgesystems, also mit einer Riester-Rente oder mit einer Aktienrente/mit einer Verknüpfung der Altersvorsorge mit den Aktienkursen wird man die Versorgung der Gesellschaft insgesamt nicht verbessern können.

Im Gegenteil: In der Regel verbrauchen neue Altersvorsorgesysteme Ressourcen für die Organisation und oft auch für die Werbung für die Produkte. Das war schon das Manko der Riester-Rente und der Rürup-Rente. Sie bedurften der Organisation durch Banken und Versicherungen. Teile der Prämieneinnahmen wurden für zusätzliches Personal und für Werbung ausgegeben.

Die gesetzliche Altersvorsorge arbeitet im Vergleich dazu um vieles produktiver, mit einem Anteil für die Verwaltungskosten von in der Regel unter einem Prozent. Für die Riester-Rente sind oft mehr als 10 Prozent der eingezogenen Prämien verwendet worden, „draufgegangen”.

Aufgrund dieser Erfahrungen steht angesichts der geplanten Aktienrente die Frage im Raum: Ist die Politik, sind Staat und Gesellschaft nicht lernfähig? Werden neue Konzepte ausgedacht und eingeführt, ohne auf zeitlich naheliegende Erfahrungen zurückzugreifen? Offenbar ist die gesellschaftspolitische Debatte so flach und so orientierungslos und so von Propaganda der Interessenten und der Lobby geprägt, dass absehbare Flops wie die Aktienrente neu ausgedacht und unters Volk gebracht werden können, ohne dass die gesamte Gesellschaft in lautes Gelächter ausbricht. Abstruse Zeiten. Abstruse Zeiten mit der Neigung zur Wiederholung.

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