Nicht Aiwanger, die SZ ist der böse Bube. Verkehrte Welt!

Nicht Aiwanger, die SZ ist der böse Bube. Verkehrte Welt!

Nicht Aiwanger, die SZ ist der böse Bube. Verkehrte Welt!

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

In Mails und Anrufen werden wir aufgefordert, das „skandalöse“ Verhalten der Süddeutschen Zeitung in Sachen Aiwanger kritisch unter die Lupe zu nehmen. Den NachDenkSeiten war zu diesem Zweck auch ein Interview mit einem Medienwissenschaftler angeboten worden, das sich dem angeblichen Fehlverhalten der SZ-Kolleginnen und -Kollegen widmete. Auf der gleichen Linie liegen viele andere Medien, einschlägig zum Beispiel die Neue Zürcher Zeitung: „Die Affäre um den Politiker wird zur Affäre der «Süddeutschen Zeitung»“. Wer auf diesem Tripp unterwegs ist, sollte vorher besser mal den Text des Flugblattes lesen, um das es geht. Wir geben Ihnen im Folgenden zunächst eine Abbildung des Flugblattes zur Kenntnis und dann noch – weil das Flugblatt nur schwer zu lesen ist – eine wörtliche Wiedergabe. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Flugblatt der Aiwangers im Original:

So zum Beispiel von der Bild-Zeitung wiedergegeben.

Das Flugblatt – leichter lesbar wiedergegeben:


BUNDESWETTBEWERB:
Wer ist der größte Vaterlandsverräter?

TEILNAHMEBERECHTIGT: Jeder, der Deutscher ist und sich auf deutschem Boden aufhält.
TERMINSCHLUSS: 1.1.88
BEWERBER: Melden sich im Konzentrationslager Dachau zu einem Vorstellungsgespräch.
PREISVERTEILUNG: Die Beleger der Plätze 1-1000 dieses Wettbewerbs werden noch im Laufe des Januars abgeholt.

Und nun die zu gewinnenden Preise im Einzelnen:

1. Preis: Ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz.
2. Preis: Ein lebenslänglicher Aufenthalt im Massengrab. (Ort nach Belieben).
3. Preis: Ein kostenloser Genickschuß.
4. Preis: Einjähriger Aufenthalt in Dachau. (Freie Kost und Logie).
5. Preis: Eine kostenlose Kopfamputation durch Fallbeil.
6. Preis: Eine Fahrkarte in die ewigen Jagdgründe. (Erfüllungsort ebenfalls das Vergnügungsviertel Auschwitz und Nebenlager).
7. – 1000. Preis: Eine Nacht Aufenthalt im Gestapokeller, dann ab nach Dachau.

Wir hoffen auf zahlreiche Teilnahme und wünschen viel Vergnügen den Gewinnern der Plätze 1-1000!


Soweit der Text dieses Flugblattes. Wir haben es hier vollständig wiedergegeben – auch deshalb, damit NachDenkSeiten-Leser die ganze Dimension dieses Vorgangs erkennen und nicht auf die Wahrnehmung einzelner Elemente dieses menschenverachtenden Pamphlets angewiesen sind.

Ob der stellvertretende bayerische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger der Verfasser ist oder ob dies sein älterer Bruder Helmut war, ist nicht klar. Klar zu sein scheint jedoch, dass der bayerische Vize-Ministerpräsident dieses Blatt als 17-jähriger Schüler in seiner Tasche hatte. Vermutlich hat es an seiner Schule damals schon eine Diskussion um diesen Vorgang gegeben.

Schon lange her. Jugendsünde?

In der Debatte zum Vorgang wird – auch von Seiten des bayerischen Ministerpräsidenten Söder – entlastend für seinen Stellvertreter ins Feld geführt, das sei schon lange her. Solange kein weiteres Material vorliege, kein neuer Beweis, wäre eine Entlassung ein „Übermaß“, meint der bayerische Ministerpräsident in diesem Interview.

Und von verschiedenen Seiten wird eingewandt, der Text des Flugblatts sei eine Jugendsünde. Es sei von einem 17-Jährigen oder einem 16-Jährigen verfasst worden. Diese Argumentation macht sprachlos. Mit 16 oder 17 Jahren hat der normale Schüler eines Gymnasiums schon viel von der deutschen Geschichte mitbekommen. Der Text zeigt ja auch, dass dem Verfasser das Morden in Auschwitz und das Konzentrationslager Dachau bekannt waren. Der Verfasser wusste, was dort geschehen ist, und ging trotzdem in der im Text erkennbaren zynischen, jedenfalls oberflächlichen Weise damit um. Es gibt im Deutschen einen treffenden, einschlägigen Ausdruck: „Wes’ Geistes Kind der ist“. – Wes’ Geistes Kind ist der Verfasser des Flugblatts gewesen und ist er das heute noch? Das darf man doch wohl fragen, wenn nichts von einer Läuterung bekannt ist.

So hart würde ich nicht urteilen, wenn der Text nicht so ungeheuerlich wäre. Im Jahre 1987 als 16-Jähriger oder 17-Jähriger so etwas zu formulieren, ist jenseits des Begreifbaren und jenseits des Tolerierbaren. Deshalb ist die Person Hubert Aiwanger als Minister und stellvertretender Ministerpräsident nicht zu halten. Dass Söder für eine Trennung noch mehr verlangt, ist nicht zu fassen.

Jenen Zeitgenossen, die den Jugend-Rabatt einfordern, ist in Erinnerung zu rufen, dass von verschiedenen Seiten die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre gefordert worden ist, auch von Seiten der Freien Wähler:

Freie Wähler kämpfen weiter für die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre

16-Jährige sind keine unwissenden Kinder mehr.

Gegen die Veröffentlichung der Aiwanger zugesprochenen Texte wird auch eingewandt:

Der Angriff auf Aiwanger und die Freien Wähler solle dabei helfen, die Grünen bei der bayerischen Landtagswahl am 8. Oktober 2023 zu stärken und in die bayerische Regierung zu bringen.

So argumentiert zum Beispiel Cicero hier:

Verdachtsberichterstattung gegen Hubert Aiwanger – Der Versuch einer politischen Vernichtung

Diesmal traf es Hubert Aiwanger: Mit unbelegten Behauptungen möchten Journalisten immer häufiger unliebsame Personen vernichten. Ziel der Kampagne: Zwingt Freie Wähler raus und Grüne rein. Wird Markus Söder über dieses Stöckchen springen?
VON JENS PETER PAUL am 29. August 2023

Auch in Gesprächen, die ich in den letzten Tagen zu diesem Thema führte, haben einige Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner diesen Vorwurf erhoben. Sie meinten, die Aktion der Süddeutschen Zeitung ziele erkennbar darauf, die Grünen in den Bayerischen Landtag und letztlich in die dortige Regierung zu bringen.

Ich halte die Einschätzung, die Veröffentlichung des Vorgangs um das Flugblatt schade den Freien Wählern, für höchst zweifelhaft. Umgekehrt könnte ein Schuh d’raus werden: Die Veröffentlichung und die Diskussion darum könnte den Freien Wählern konservative bis rechte bayerische Wähler in die Scheunen treiben statt sie abzuschrecken.

Titelbild: Screenshot ZDF