Wichtiges Zeichen für den notwendigen Dialog

Wichtiges Zeichen für den notwendigen Dialog

Wichtiges Zeichen für den notwendigen Dialog

Ein Artikel von Tilo Gräser

Mit einem „Young-Leader-Seminar“ in Baku hat das Deutsch-Russische Forum (DRF) Anfang September versucht, den Dialog zwischen Deutschen und Russen neu zu beleben. Angesichts der zugespitzten Konfrontationen zwischen West und Ost erfolgt das unter erschwerten Bedingungen. Und dennoch ist es möglich, wie der Politikwissenschaftler Dominik Mikhalkevich berichtet. Tilo Gräser sprach mit ihm über den Aufenthalt in Baku und den deutsch-russischen Dialog.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Tilo Gräser: Herr Mikhalkevich, Sie waren kürzlich bei einem Seminar des Deutsch-Russischen Forums in Baku. Warum? Was für eine Veranstaltung war das genau?

Dominik Mikhalkevich: Das Deutsch-Russische Forum (DRF) hatte seine Mitglieder eingeladen, junge Mitarbeiter bzw. Nachwuchskräfte für ein „Young-Leader-Seminar“ zu nominieren. Ich konnte als Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten und DRF-Mitglieds Andrej Hunko daran teilnehmen. Ziel ist es, eine Dialog-Plattform zwischen jungen Menschen aus Russland auf der einen Seite und Deutschland auf der anderen Seite zu schaffen. Früher fanden diese Seminare regelmäßig statt, immer abwechselnd in Deutschland und in Russland. Wegen der EU-Sanktionen, die Reisen nach Russland und für Russen sehr erschwert haben, hat man sich dann für Baku als Austragungsort entschieden, weil da beide Seiten relativ einfach hinkommen.

Waren Sie das erste Mal dabei? Und worum ging es bei diesen Treffen?

Ich war zum zweiten Mal dabei. Das erste Mal 2019 in Ufa in Russland. Jetzt, nach einer Pause, gibt es die Seminare wieder, unter den geänderten Bedingungen. Das Deutsch-Russische Forum hat sich neu aufgestellt. Neue Vorsitzende ist Petra Schwermann, eine evangelische Pfarrerin. Mit dem Seminar ging darum, auszuprobieren, nach dieser Pause wieder in den Dialog zu kommen. Das Deutsch-Russische Forum ist bis auf wenige Ausnahmen das Einzige, was an bilateralen Dialog-Plattformen mit Russland verblieben ist.

Uns wurde in Baku von Anfang an gesagt: Ihr selbst seid der Mittelpunkt dieser Veranstaltung. Es geht jetzt weniger um irgendwelche speziellen Themen, sondern einfach darum, sich auszutauschen, zu gucken, welche Möglichkeiten für die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit es aktuell noch gibt.

Zum Beispiel waren da Menschen, die in der Jugendarbeit aktiv sind, also Jugendaustausch-Programme zwischen Deutschland und Russland machen. Das ist ja sehr erschwert, zum Beispiel, weil die EU sagt, man darf jetzt nicht mit staatlichen Stellen in Russland zusammenarbeiten. Das bedeutet auch: nicht mit Schulen und nicht mit Krankenhäusern. Das heißt, Schülerinnen und Schüler können fast gar nicht mehr zueinander reisen und in den Austausch kommen. Es ging darum: Wie schafft man es trotzdem, diesen Kontakt aufrechtzuerhalten? Ein Tag war komplett dem Thema gewidmet, „Wie diskutiert man miteinander, ohne sich wirklich anzugreifen, ohne sich zu hassen?“. Das Motto war „Verstehen, ohne einverstanden zu sein“. Da ging es auch um das Thema Frieden. Wie erreicht man Frieden? Da gab es sehr unterschiedliche Ansichten. Einige sprachen sich für Dialog und Annäherung als Weg aus. Oder andere sagten: durch Stärke, also eine starke Hand, viel Militär. Es ging darum, dass man das diskutiert, kontrovers, aber ohne Beleidigungen, mit dem Versuch, Verständnis für die Position des jeweiligen anderen zu entwickeln.

Die daran teilgenommen haben, sind diejenigen, die immer noch bereit sind, miteinander zu reden. Nun gibt es diese zugespitzte Situation durch den militärischen Konflikt in der Ukraine, durch verhärtete politische Positionen auf beiden Seiten. Hat sich das bei diesen Begegnungen bemerkbar gemacht?

Mir ist aufgefallen, dass sehr verschiedene Positionen vertreten waren. Die Teilnehmer waren jeweils zur Hälfte aus Deutschland und aus Russland. Und die hatten wirklich sehr unterschiedliche Meinungen. Da gab es zum Beispiel welche, die wie ich sagen: Waffenlieferungen und Sanktionen lehnen wir ab. Aber es gab unter den Teilnehmern auch die gegenteilige Position. Da gab es von russischer Seite viele, die auch die eigene Regierung sehr kritisch sehen, auch den Krieg. Man kann mitnichten sagen, wie das teilweise in einem Handelsblatt-Bericht dargestellt wurde, dass das Forum bzw. das Young-Leader-Seminar ein Instrument Putins ist und von russischer Seite nur Teilnehmer von Seiten der Regierung dabei waren und deren Position vertraten. Am zweiten Tag, bei dieser Diskussion zum Frieden, wurde sehr offen diskutiert, sehr respektvoll, aber offen.

War denn dieser militärische Konflikt in der Ukraine ein explizites Thema oder wurde versucht, ihn zu umschiffen, soweit es möglich ist?

Das war jetzt kein explizites Thema, was auf der Tagesordnung stand. Vor allem am zweiten Tag konnten die Teilnehmer selbst die Themen aussuchen. Man konnte sich in Gruppen aufteilen und aussuchen, zu welchem Thema man redet. Es gab zum Beispiel persönliche, private Themen wie Familiengründung. Welche Ansichten haben wir zum Thema Familie, in Deutschland und in Russland? Aber es gab auch das Thema Frieden, wo dann wirklich über den Krieg diskutiert wurde und darüber, wie man zum Frieden kommt. Das war sehr kontrovers. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Organisatoren gesagt haben: Nein, das klammern wir jetzt aus. Es wurde ehrlich darüber geredet.

Welche anderen Themen hattet ihr noch in den zwei Tagen in Baku?

Am ersten Tag ging es um den Jugendaustausch: Was kann in diesen schweren Zeiten die Jugend ausrichten? Ein anderes Thema war: Was kann die Kirche erreichen? Da hat die Vorsitzende Schwermann, die selbst evangelische Pfarrerin ist und aus einer klaren friedensethischen Sicht an das Thema herangeht, aufgezeigt, wie zum Beispiel die evangelische Kirche gerade versucht, Verhandlungen zwischen der russisch-orthodoxen und der ukrainischen orthodoxen Kirche zu stiften. Das fand ich sehr interessant und sehr inspirierend. Wenn es auf dieser Ebene funktioniert, sollte es ja auch zwischen Staatschefs funktionieren. Ansonsten haben wir uns auch ein bisschen die Stadt angeguckt und sind ins Land gefahren. Es ging auch darum, den Blick auf den postsowjetischen Raum zu weiten. Das war auch interessant.

Es war den Organisatoren aber vor allem wichtig, uns den Raum zu geben, persönlich mit den anderen in Austausch zu treten, also nicht im offiziellen Rahmen, sondern wirklich mal zu gucken, wer macht was, wer macht welche Projekte. Es gab einen Russisch-Lehrer, der teilgenommen hat und sehr viele Austausch-Projekte macht. Der traf auf eine Teilnehmerin, die Jugendarbeit macht. Da gab es inhaltliche Anknüpfungspunkte. Da wurde gemeinsam überlegt, was sich für die Zukunft planen lässt. Es gab auch Teilnehmer aus der Wirtschaft, also kam auch deren Sichtweise zum Vorschein. Es hat sich gezeigt, dass nicht alles still liegt. Man hat sehr viele Schwierigkeiten, aber dieser Dialog kann aufrechterhalten werden. Es gibt, wie gesagt, weiterhin einige Anknüpfungspunkte.

Welche Anknüpfungspunkte?

Zum Beispiel in der Jugendarbeit, wo es darum geht, trotz der Verbote bezüglich der staatlichen Institutionen einen Austausch zu organisieren. Privat eingetragene Vereine in Deutschland und in Russland können ja miteinander in Austausch treten. Vielleicht erst mal nur digital. Zudem haben wir uns gesagt, es gibt viele neutrale Länder, wo man sich treffen könnte. Zum Beispiel Aserbaidschan, Armenien, Serbien, Georgien. Da gibt es schon Möglichkeiten, wenn sich die eine Seite nicht traut, nach Russland zu fahren, und die andere Seite nicht nach Deutschland.

In der Wirtschaft ist es natürlich sehr schwierig. Aber es gibt weiterhin deutsche Unternehmen, die versuchen, in Russland Fuß zu fassen, und andersherum. Da gibt es natürlich viel Druck, das ist klar. Aber es gibt diesen Willen zum Austausch und viele Herausforderungen. Beispielsweise habe ich von den russischen Teilnehmern gehört, dass in Russland immer mehr Schüler Chinesisch lernen statt Deutsch oder statt westeuropäischen Sprachen. Was natürlich einen politischen Hintergrund hat. Das führt zur Frage: Wie kann man trotzdem das Interesse in Russland an deutscher Kultur und deutscher Sprache aufrechterhalten? Und die deutsche Bevölkerung für die russische Kultur und für die russische Sprache interessieren?

Nun wird ja in Deutschland alles Russische schlechtgemacht und schlechtgeredet. Es wird abgebrochen, was es an Verbindungen gab, auch in die sogenannte Zivilgesellschaft, bis rein in den Kulturbereich. Zum Teil gibt es da einen vorauseilenden Gehorsam, dass die Verantwortlichen von sich aus Veranstaltungen, auch Austauschprogramme absagen und ähnliches. Das wird nicht alles von oben so vorgegeben. Wie sieht denn das auf der russischen Seite aus? Gibt es da ähnliche Bestrebungen, aus der verständlichen Enttäuschung über den Westen heraus?

Das gibt es sicherlich auf beiden Seiten. Es gibt eine gewisse Selbstzensur, nenne ich es mal, vor allem auf deutscher Seite. Sicherlich wird es das auch in Russland geben. Ich weiß zum Beispiel, dass jemand aus Russland, der teilnehmen wollte, dann nicht teilgenommen hat. Auch so ein bisschen aus dieser Sorge, dass das von der russischen Seite als ein prowestliches Seminar gesehen werden könnte. Bei uns in Deutschland wird das als prorussisches Seminar gesehen. Das heißt, dass man da praktisch von beiden Seiten diesen Druck kriegt. Aber genau deswegen ist es sehr wichtig, dass man den Dialog auf einer zivilgesellschaftlichen Ebene aufrechterhält. Da steckt ja jahrzehntelange Arbeit drin bei den Leuten, die diese Kontakte aufgebaut und gepflegt haben. Es gab unter den Teilnehmern einen großen Konsens, dass man auf der zivilgesellschaftlichen Ebene diese Projekte, die Kulturprojekte und Jugendprojekte, weiter ermöglichen und aufrechterhalten sollte.

Nun hat ja mindestens ein Massenmedium, das „Handelsblatt“, über diese Veranstaltung berichtet und auch Dich zitiert. Wie bewertest du das? Hat da jemand objektiv berichtet über das, was war?

Es ist aus meiner Sicht ein Beispiel von ziemlich üblem Meinungsjournalismus. Ich habe vorweg vom Handelsblatt einen Fragenkatalog bekommen mit teilweise verhörartigen Fragen: Für wen arbeiten Sie denn? Und die wussten, für wen ich arbeite. Aber weiß Ihr Arbeitgeber Bescheid? Bei mir ist das kein Problem, weil mein Arbeitgeber dahintersteht. Da war schon im Vorfeld klar, wohin die Reise gehen soll, was den Artikel angeht. Ich habe mir trotzdem die Zeit genommen, das ausführlich beantwortet und erklärt, dass das Deutsch-Russische Forum den russischen Einmarsch verurteilt hat, aber gleichzeitig für Frieden und Friedensverhandlungen ist. Ich habe erklärt, welche Teilnehmer dabei sind, auch meine Motivation. Und dann wird nur ein Halbsatz über die Wichtigkeit des Dialogs daraus zitiert, den ich zwar autorisiert habe, aber nicht dann mit der Nachbemerkung „Wie, das ließ er offen“. Was Quatsch ist, weil ich das ausführlich dargelegt habe.

Ich habe nichts gegen kritisch Nachfragen, aber man muss auch ein bisschen recherchieren. Man sollte den Lesern auch ein Bild geben von den wahren Ansichten des Deutsch-Russischen Forums. Das ist nicht passiert. Es gibt eine Verengung des Meinungskorridors in Deutschland. Das ist bezeichnend für die deutsche Medienlandschaft. Dass sich junge Journalisten erhoffen, nicht durch investigativen Journalismus oder durch gute Recherche Karriere zu machen, sondern durch solche Meinungsartikel.

Das Deutsch-Russische Forum hat sich ja nicht, wie das „Handelsblatt“ schreibt, der Annäherung an Russland verschrieben, sondern der Annäherung zwischen beiden Seiten. Es wirkt so, als wenn auch beim Deutsch-Russischen Form viele nicht mehr weiterwissen, wie sie das aufrechterhalten. Es gab da Personalwechsel. Weiß das Deutsch-Russische Forum, wie es weiterhin für die gegenseitige Annäherung tätig sein kann?

Ich hatte in der Zeit nach Beginn des Krieges in der Ukraine Sorge, dass das Deutsch-Russische Forum es vielleicht nicht überlebt. Viele Mitglieder sind rausgegangen, auch Geldgeber. Das Forum musste den Mitarbeiterstab deutlich verkleinern. So wie die sich jetzt aufgestellt haben, mit der neuen Vorsitzenden Schwermann, finde ich das einen guten Neuanfang. Man hat diese politische Ebene da erst mal rausgenommen. Die neue Vorsitzende ist Pfarrerin, kommt aus der Friedensethik, hat eine sehr klare Friedensposition und kann diese glaubwürdig vertreten. Ihr können keine wirtschaftlichen Interessen unterstellt werden. Sie steht aus Überzeugung für Annäherung und Frieden, für gute nachbarschaftliche Beziehungen.

Dass in diesem Jahr das Seminar wieder stattgefunden hat, war aus meiner Sicht ein wichtiges Zeichen, dass es auch junge Leute gibt, die diesen Weg mitgehen wollen. Da ist der Vorwurf an unsere Generation: Ihr seid ja alle für Sanktionen und für Waffenlieferungen. Es gibt ja tatsächlich viele, die den Kurs von den Grünen und von der FDP unterstützen. Aber es gibt eben junge, engagierte Menschen, die das anders sehen. Und darauf will das Forum aufbauen. Ich glaube, dass man da auf dieser zivilgesellschaftlichen Ebene jetzt eine gute Möglichkeit gefunden hat.

Wenn dieser Konflikt, dieser Krieg zu Ende ist, welcher Dialog kann dann möglich sein und welche Rolle können Organisationen wie das Deutsch-Russische Forum dann spielen?

Ich denke, es geht wirklich nur durch gegenseitigen Respekt und durch dieses Motto aus dem Seminar: „Verstehen, ohne einverstanden zu sein“. Das muss auch für Länder gelten. Man muss nicht die offizielle russische Sicht auf die Welt teilen, oder auch das Denken in Einflusssphären. Das muss man nicht teilen. Aber man muss verstehen, warum es diese Sichtweisen gibt. Man muss die russische Seite, aber auch den Westen verstehen. Wenn es um Sicherheit geht, kann man wirklich nur sicher sein, wenn auch Deine Nachbarn sich sicher fühlen. Das bedeutet, ein gemeinsames Sicherheitssystem zu schaffen, das alle Sicherheitsinteressen respektiert, also beispielsweise auch der Ukraine, aber auch Russlands und des Westens.

Viele sagen, Merkel habe Deutschland zu sehr an Russland gebunden. Wegen dieser Bindung habe der Krieg begonnen. Ich würde das anders sehen: Wenn man 2014 schon alle Kontakte gekappt hätte, dann wäre es möglicherweise viel schneller zu einem Krieg in der Ukraine gekommen. Durch so eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Bindung hat man doch als russischer Präsident beispielsweise einen Anreiz zu sagen: Ich halte mich lieber militärisch zurück, weil sonst kann ich ja alle meine Kontakte, alle wirtschaftlichen Vorteile, die ich durch diese wirtschaftliche Anbindung habe, verlieren. Das gilt auch für die vielen zivilgesellschaftlichen Kontakte, dass die Leute zueinander reisen, dass man das Reisen vereinfacht. Die Begegnung von Menschen hilft, den Frieden zu bewahren. Da können solche Institutionen wie das Deutsch-Russische Forum einen guten Beitrag leisten, auch weil sie wirtschaftliche Akteure drin haben, die an dieser wirtschaftlichen Vernetzung interessiert sind, aber auch gesellschaftliche Akteure, die eben diesen Austausch pflegen wollen, und auch hoffentlich politische Akteure, die auf beiden Seiten für Frieden stehen und sich dafür einsetzen. Und ich meine, das ist schon wichtig, das zu erreichen.

Titelbild: saiko3p/shutterstock.com

Dominik Mikhalkevich wurde 1998 in Belarus geboren. Seit 2009 lebt er in Deutschland. Nach seinem Abitur studierte er Politik und Wirtschaft und arbeitet aktuell im Berliner Büro des Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Andrej Hunko. Zudem ist er Sprecher des Bündnisses für Frieden Brandenburg und Vorstandsmitglied der Sammlungsbewegung Aufstehen.

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