„Kriegstüchtigkeit“: Medien, Politiker und „Experten“ wie im Rausch

„Kriegstüchtigkeit“: Medien, Politiker und „Experten“ wie im Rausch

„Kriegstüchtigkeit“: Medien, Politiker und „Experten“ wie im Rausch

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Die Äußerungen von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), dass „wir“ wieder kriegstüchtig werden müssten, sind infam, aber durchschaubar – es geht mal wieder auch ums Geld. Denn „Kriegstüchtigkeit“ und ein damit verbundenes außenpolitisches Auftrumpfen erhöht nicht nur die Gefahr von Kriegen, sondern wirkt bereits lange vorher zerstörerisch für die Bürger: Um der Kriegswirtschaft Unsummen in den Rachen werfen zu können, muss die Gesellschaft bereit sein, zu verzichten. An dieser Bereitschaft wird nun gearbeitet, in den letzten Tagen unter anderem auch in ARD und ZDF. Das nennt sich dann „mentaler Wandel“ angesichts einer „unbequemen Wahrheit“. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Zur Erinnerung hier das betreffende Zitat von Pistorius vom Sonntagabend:

„Wir müssen uns wieder an den Gedanken gewöhnen, dass die Gefahr eines Krieges in Europa drohen könnte. Und das heißt: Wir müssen kriegstüchtig werden. Wir müssen wehrhaft sein. Und die Bundeswehr und die Gesellschaft dafür aufstellen.“

Pistorius ging laut Medien später näher darauf ein. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums hatte außerdem dazu erklärt, die Zeitenwende sei nicht auf die Bundeswehr begrenzt. Es gehe dabei auch um eine Gesellschaft, die den Auftrag der Bundeswehr trägt und ihn stützt. Etwa bei Rüstungsprojekten, die in der deutschen Zivilgesellschaft lange für Kontroversen gesorgt hätten. Gemeint sein dürfte laut den Medienberichten auch, dass die Bundeswehr nicht nur kurzfristig durch ein Sondervermögen, sondern langfristig mehr Geld zur Verfügung hat. Denn wie es weitergeht nach dem „Sondervermögen“, sei noch nicht geklärt. Bis Jahresende erwartet der Verteidigungsminister laut Medien, dass rund zwei Drittel der 100 Milliarden Euro verplant sein dürften.

Dass die Äußerungen von Pistorius mit der früheren SPD – und zwar „jener SPD mit dem größten historischen Erfolg und einer großen positiven Wirkung auf unser Land und ganz Europa“ – nichts mehr zu tun habe, hat Albrecht Müller gerade in diesem Artikel beschrieben.

„Es braucht das Verständnis der Bevölkerung, einen möglichen Krieg tatsächlich mitzutragen“

Wer vielleicht noch dachte, dass große Medien hier gemäß ihrer Kontrollfunktion zugunsten der Bürger in angemessener Weise und deutlich wahrnehmbar gegen eine gesellschaftlich-politische Fehlentwicklung einschreiten würden, der hat sich (erwartungsgemäß) getäuscht. Manche aktuell in großen Medien wahrnehmbare Beiträge von Journalisten, Politikern und „Experten“ stützen sogar noch den Alarmismus des Verteidigungsministers. Hier folgt eine kleine, aber beispielhafte Auswahl an Stimmen im von den Bürgern bezahlten öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

So sagte etwa Christian Mölling, Experte für Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, laut Tagesschau:

„Es braucht eben nicht nur Streitkräfte, sondern es braucht tatsächlich auch eine funktionsfähige Rüstungsindustrie. Und es braucht vor allen Dingen das Verständnis der Bevölkerung, einen möglichen Krieg tatsächlich mitzutragen. (…) Es braucht eine große Anstrengung, eine sicherheitspolitische Dekade, in der man versucht, nicht nur die Bundeswehr, sondern die Bundesrepublik insgesamt kriegstauglich zu machen.“

Im ZDF erklärt die Kommentatorin Ines Trams, die Aussage von Pistorius sei „überfällig“. Denn: Derzeit seien „wir“ weder was das Gerät betreffe noch „mental bereit“ für einen möglichen Krieg mit deutscher Teilnahme. „Wie bislang“ scheue die Politik, „militärische Macht mitzudenken und Wehrhaftigkeit zu demonstrieren“. Zur Unterstützung hat auch das ZDF seine „Expertin“, nämlich die Politologin und ehemalige Strategin bei der NATO, Stefanie Babst. Babst beklagt, dass sich die Bundesregierung auch heute noch schwer tue, „den militärischen Werkzeugkasten in den Mittelpunkt unserer politischen Kommunikation zu stellen, um unseren Gegnern zu zeigen, wir verteidigen uns mit allen Mitteln“.

Es geht ums Geld: Weg von „liebgewonnenen Ausgaben“, hin „zur Verteidigung“

Die „Streitkräfte kriegsfähig zu machen“, wäre „vorausschauend“, so Ines Trams weiter. Doch das würde „schmerzhafte Verschiebungen“ im Haushalt bedeuten – weg von „liebgewonnenen Ausgaben, hin zur Verteidigung“. Es sei „offen“, ob die Politik bereit sein würde, „diese wenig populären Schritte zu gehen“.

Das ist mutmaßlich ein Ziel ihres Kommentars und vieler weiterer Beiträge in den letzten Tagen: nämlich die Bereitschaft der Bürger zu erhöhen, auf „liebgewonnene Ausgaben“ (etwa für Gesundheit, Bildung und Soziales) zu verzichten, um den militärisch-industriellen Komplex noch üppiger zu füttern. Verkauft wird diese Umverteilung als überfällige Einsicht in eine „unbequeme Wahrheit“.

Ebenfalls im ZDF fragt der Historiker Sönke Neitzel: Reicht das, was Pistorius macht? Und gibt die Antwort: „Nein“. Neitzels folgende Aussage bezieht sich auf die (relative!) militärische Zurückhaltung Deutschlands in den letzten Jahrzehnten – diesem Denken sei auch die Ampelregierung noch verbunden. Was eigentlich zu begrüßen wäre, wird von Neitzel als Kritik formuliert:

„Es ist eine ganz klare Vermeidungsstrategie. Und es ist nicht das Denken der Streitkräfte vom Krieg her. Also ich glaube, dass die Bundesregierung nach wie vor versucht, so weit das möglich ist, das militärische Argument aus der Politik herauszunehmen.“

Unterstützung für Pistorius (beziehungsweise die „Kritik“, auch die aktuelle Aufrüstung reiche immer noch nicht nicht aus) von politischer Seite, etwa der FDP und der CDU, hat der Deutschlandfunk in diesem Artikel zusammengestellt.

Friedliche Koexistenz ist keine Unterwerfung

Eine friedliche Koexistenz mit Russland bedeutet selbstverständlich nicht, dass man einer eventuellen russischen Übermacht naiv gegenübertreten sollte – weder militärisch noch wirtschaftlich. Es bedeutet, die gegenseitigen Interessen rational zu analysieren und zu respektieren. Man muss sich nicht lieben, aber man darf sich nicht von den USA und hierzulande (vor allem, aber beileibe nicht nur) von den Grünen und vielen Journalisten gegeneinander aufhetzen lassen. Die militärischen Kräfteverhältnisse zwischen Russland auf der einen Seite und der NATO auf der anderen Seite hat etwa „Statista“ unter diesem Link verglichen – angesichts des massiven Übergewichts auf NATO-Seite erscheint die „russische Gefahr“ für das westliche Bündnis momentan alles andere als akut, was aber wiederum keine Aussage für die Ewigkeit ist.

Eine friedliche Koexistenz mit Russland bedeutet auch keineswegs, dass die wirtschaftlichen oder kulturellen Brücken zu den USA abgebrochen werden müssen. Das sollte auch nicht passieren! So sollte auch gegen die USA meiner Meinung nach kein Wirtschaftskrieg vom Zaun gebrochen werden. Deutschland könnte und müsste eine Brückenfunktion in einer möglicherweise entstehenden multipolaren Welt übernehmen.

Es ist ein wiederkehrendes Motiv der Ampelregierung: Man warnt händeringend vor Problemen, die man selber erheblich forciert hat. Wirtschaftsminister Habeck simuliert die Rettung vor den Folgen eines Wirtschaftskriegs, der vor allem von der Bundesregierung und der Führung seiner eigenen Partei vorangetrieben wurde. Und Pistorius warnt nun vor einer Gefahr, die unter anderem darum theoretisch akut werden könnte, weil auch die SPD eine friedliche Koexistenz Deutschlands mit Russland mutmaßlich US-amerikanischen Interessen geopfert hat.

Die Russen reichen immer noch die Hand

Dass die russische Regierung den Deutschen aber immer noch die Hand reicht – trotz härtesten Diffamierungen und deutschen Waffenlieferungen und trotz der Erkenntnis, dass unter der Ampelregierung wohl kaum noch wirtschafts- und friedenspolitische Vernunft einziehen könnte, das haben wir kürzlich in diesem Artikel beschrieben.

Das bedeutet aber wiederum nicht, dass sich die russische Sicht nicht irgendwann in Feindschaft wandeln könnte, angesichts wiederum der fortgesetzten Feindschaft von westlicher Seite – muss man sich auf einen solchen Fall nicht (auch militärisch) vorbereiten, auch wenn er zu verhindern gewesen wäre? Muss auch „der Frieden bewaffnet sein“ – gerade auf dem tatsächlich mit vielen Unwägbarkeiten gepflasterten Weg in eine möglicherweise multipolare Weltordnung? Aber selbst wenn(!) man diese Frage bejahen sollte: Müsste die EU-Aufrüstung dann nicht mindestens unabhängig von der US-Kriegsmaschine geschehen, um für das viele Geld dann wenigstens ein bisschen europäische Eigenständigkeit zu generieren?

Die NachDenkSeiten und viele andere Akteure (etwa in diesem prominent unterzeichneten Offenen Brief von 2014) haben jahrelang davor gewarnt, dass die vor allem seit dem Maidan-Putsch 2014 vom Westen verfolgte Politik zu einem Krieg in Europa führen kann. Dieser Krieg hätte leicht verhindert werden können, indem Russland nachvollziehbare Sicherheitsgarantien gegeben worden wären.

Bereits vor den Kriegen kommen die sozialen Kürzungen

Das aktuelle Trommeln für die materielle und mentale Vorbereitung auf einen Krieg erhöht nicht nur die Gefahr von Waffengängen: Schon lange vor Ausbruch von „heißen“ Kriegen wirkt diese Politik zerstörerisch für die Gesellschaft: Es werden Unsummen verschwendet – und diese Begrenzung der Haushaltsmittel führt dann unweigerlich zu unsozialen und bürgerfeindlichen Prioritäten in der Politik.

Bedenklich (auch wenn es nicht überrascht) ist, das die Entwicklung der Militarisierung in großen Medien nicht angemessen debattiert wird. Es könnte fast der Eindruck entstehen, dass zahlreiche deutsche Journalisten und Politiker der Meinung sind: Die militärische Zurückhaltung Deutschlands war ein tragischer Fehler, endlich kehrt „Normalität“ ein. In satirischer Form wird auf diese Haltung etwa hier oder hier eingegangen. Es gab sicher in den letzten Tagen auch in „Leitmedien“ Stimmen, die den Alarmismus von Pistorius kritisiert haben (über Hinweise wäre ich dankbar) – wenn man aber nicht aktiv nach solchen Stimmen sucht, bleibt zumindest bei mir der Eindruck, dass sich manche unserer „Multiplikatoren“ momentan geradezu in einem zerstörerischen Kriegsrausch befinden.

Das Titelbild dieses Artikels soll hier zum Abschluss noch einmal präsentiert werden. Die Zeichnung ist ein klassischer sowjetischer Cartoon (Yuliy Ganf, „In America – At This Restaurant Only One Person Is Served“, Krokodil #4,) – er illustriert gut, wie der Krieg schon lange vor seinem eventuellen „Ausbruch“ der Gesellschaft schweren Schaden zufügt. Die Zeichnung stammt von 1953 und belegt damit eine Kontinuität seit (mindestens!) 70 Jahren.

„WAR.JPG“

Yuliy Ganf, ‘In America – At This Restaurant Only One Person Is Served’ (Krokodil #4, 1953)

Titelbild: Yuliy Ganf, ‘In America – At This Restaurant Only One Person Is Served’ (Krokodil #4, 1953)

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