Bitte keine Auftritte von kritischen Künstlern in der Stadt Trier

Bitte keine Auftritte von kritischen Künstlern in der Stadt Trier

Bitte keine Auftritte von kritischen Künstlern in der Stadt Trier

Ein Artikel von Marcus Klöckner

„Man hat mir vonseiten der Stadt sehr deutlich versucht zu zeigen, wo mein Platz im Gefüge ist. Dumm nur, dass ich den nicht akzeptiere. Ich habe meine Selbstachtung zu verlieren, ich würde niemals einen Kollegen canceln, weil er ‚die falsche Meinung‘ hat“. Das sagt die Veranstalterin und Schauspielerin Joya Ghosh im Interview mit den NachDenkSeiten zum Verhalten der Stadt Trier, wo es den Versuch gab, den Auftritt kritischer Künstler zu verhindern. Das Gespräch mit Joya Ghosh und Jens Fischer Rodrian führte Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Worum geht es? Markus Nöhl, Kulturdezernent der Stadt Trier, wollte den Auftritt des Sängers Jens Fischer Rodrian und des Kabarettisten Ulrich Masuth bei einem Friedensfestival verhindern, das noch bis 14. Dezember dort stattfindet. Ein Friedensfestival, das zum Politikum wird? Wegen „falscher“ Meinungen und zu viel Regierungskritik? Die Lokalzeitung Trierischer Volksfreund berichtete vergangene Woche über den Fall. Im Interview sprechen Ghosh und Fischer Rodrian über die Vorkommnisse.

In einer von der Stadt Trier veröffentlichen Pressemitteilung heißt es:

„Beide Künstler sind in jüngerer Zeit mit politischen Äußerungen öffentlich in Erscheinung getreten, die ausdrücklich nicht den Positionen der Stadt Trier entsprechen. Die Stadt Trier distanziert sich ausdrücklich von den Auftritten der beiden Künstler. Dem Wunsch der Stadt, auf die Veranstaltungen zu verzichten, hat die Veranstalterin nicht entsprochen. Da es sich bei der Veranstaltungsreihe im Kulturspektrum jedoch nicht um städtische Veranstaltungen handelt, sondern diese in Verantwortung der Nutzenden liegen, werden die Auftritte im Sinne der Kunstfreiheit hingenommen. Bei der künftigen Vergabe der Räumlichkeiten an Dritte, die dort Programm anbieten, wird sich die Stadt vorbehalten, Künstlerinnen und Künstler, die öffentlich haltlose oder extremistische Positionen vertreten, nicht auftreten zu lassen. Die Leitlinien des Konzeptraums Kulturspektrum werden entsprechend ergänzt. Die Stadt Trier legt Wert auf die Feststellung, dass die beiden genannten Veranstaltungen ohne Fördergelder der Stadt Trier realisiert werden. Gleichzeitig kündigt die Stadt eine Info-Veranstaltung in Kooperation mit der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung an, wie kulturelle Arbeit für extremes Gedankengut missbraucht werden kann.“

Zum Interview

Frau Ghosh, die Stadt Trier hat mit Zähneknirschen den Auftritt von zwei regierungskritischen Künstlern bei einem diese Woche beginnenden Friedensfestival akzeptiert. Die Lokalzeitung Trierischer Volksfreund berichtet, dass die Stadt aber nun Fördergelder nicht bereitstellen wird und weitere Konsequenzen ziehen will. Bitte sagen Sie unseren Lesern: Um was genau geht es?

Joya Ghosh: Es geht um das von meinem Theater geplante Festival für Frieden, Freiheit und Freude, welches vom 3.11. bis 14.12.2023 im Kulturspektrum in Trier stattfindet. Dabei kommen 25 Künstler unterschiedlicher Genres zusammen und es finden 20 Veranstaltungen, darunter Theater, Konzerte, Kabarett, Meditationen, Tanz- und Gesangsworkshops statt. Ein wirklich buntes Fest, um den trüben Zeiten ein farbenprächtiges Paroli bieten zu können. Unter dem Motto „Frieden, Freiheit und Freude“ wird das Festival dazu beitragen, kulturelle Barrieren zu überwinden und Gemeinschaften in Frieden und voller Freude zusammenzubringen. Unter den Künstlern, die ich eingeladen habe, sind Jens Fischer Rodrian und Uli Masuth, beide bekannt als kritische Künstler. Die Location ist ein Raum, um den man sich als Kulturschaffender bei der Stadt bewerben muss mit einem Nutzungskonzept.

Allerdings stößt die Auswahl meiner Künstler nun dem einen oder anderen namenlosen Trierer wohl bitter auf. Irgendwer hat sich bei der Stadt beschwert, wie es denn sein könnte, dass „rechtsradikale, antisemitische, regimefeindliche Künstler“ in einem städtischen Raum auftreten dürften. Das hat die Stadt, beziehungsweise den Kulturdezernenten, dazu veranlasst, mich zu bitten, diese beiden Künstler auszuladen – ja eigentlich zu canceln. Als ich mich weigerte, bekam ich einen geänderten Nutzungsvertrag vorgelegt, der die beiden Auftritte der genannten Künstler explizit ausschloss. Das bedeutet, die städtischen Kulturfördergelder, die ich für die Umsetzung beziehungsweise die Künstlergagen des Festivals erhalten habe, darf ich nicht für Uli Masuth oder Jens Fischer Rodrian ausgeben, diese Gagen muss ich aus eigener Tasche zahlen, ebenso die Unterbringung und Verpflegung. Als weitere Konsequenz wird man nun die Leitlinien für den städtischen Kulturraum so ändern, dass künftig kein Künstler, der aus Sicht der Stadt die falsche Meinung hat, auch nur ansatzweise die Chance hat, im Kulturspektrum auftreten zu dürfen.

Gewähren Sie uns bitte einen Blick „hinter die Kulissen“. Dürfen wir erfahren: Was hat sich genau zugetragen? Sie waren es ja, die mit Verantwortlichen der Stadt kommuniziert hat. Wie hat sich der Streit angebahnt?

Joya Ghosh: Ich führe seit Jahren im queeren Zentrum Trier ab und an Vorführungen auf, da gibt es eine Bühne und bisher kam ich mit den verantwortlichen Menschen dort sehr gut zurecht, es war ein wertschätzendes und angenehmes künstlerisches Arbeiten, aus meiner Sicht geprägt von Toleranz und Respekt. Zu meiner Macbeth-Inszenierung dort im September 2023 habe ich zusätzlich die Plakate für das Festival für Frieden aufgehängt. Das hat einige Besucher derart echauffiert, als sie sahen, dass kritische Künstler, die bei der Partei „Die Basis“ waren oder sind, dort auftreten, dass sie den Vorstand des queeren Zentrums anriefen und sich bitter beschwerten. Ich wurde dorthin zitiert und zur Rede gestellt, ob ich mir bewusst sei, was für böse Menschen das seien, Die-Basis-Anhänger, und damit genderfeindlich, gegen die Homo-Ehe und antisemitisch. Als ich ging, war mir klar, dass ich dort nie wieder aufführen wollen würde. Die gemachten Aussagen waren das Gegenteil von Toleranz und Respekt, pure Meinungsbildverengung und Ausgrenzung andersdenkender Menschen. Ich war sehr überrascht, denn gerade vom queeren Zentrum habe ich etwas anderes erwartet, ich hab’ am selben Tag meine Mitgliedschaft gekündigt.

Und wie ist es dann weitergegangen? Was war Ihre Reaktion?

Joya Ghosh: Ein paar Tage später sollte der Nutzungsvertrag für das Kulturspektrum und damit für die Aufführungsstätte für das Festival für Frieden, Freiheit und Freude mit der Stadt unterzeichnet werden. Da wurde ich das erste Mal in das Kulturamt bestellt und auf die beiden Künstler angesprochen, diesmal von der Verwaltung. Man bat mich, von den Auftritten der beiden Künstler abzusehen, ich bekam eine Nacht Bedenkzeit. Ich weigerte mich, Künstler zu canceln, damit sollte die Sache eigentlich vom Tisch sein. Es fehlte nur noch die Unterschrift des Kulturdezernenten unter dem Nutzungsvertrag. Dann kam Einladung Nummer drei ins Kulturamt der Stadt Trier und ich traf auf den Dezernenten persönlich, der mir sehr deutlich zu verstehen gab, dass ich die beiden entweder canceln sollte oder die doch „langjährige und von Wertschätzung geprägte Zusammenarbeit zwischen meinem Theater und der Stadt“ würde einen „bleibenden Schaden erleiden“.

Wie haben Sie reagiert?

Joya Ghosh: Ich bin schon immer ein Rebell gewesen, der sich von niemandem sagen lässt, was er tun und lassen soll. Meine Ehre als Künstlerin und als Mensch ließ da eigentlich nur eine Antwort zu: Die beiden würden auftreten, auch wenn ich dafür meine künstlerische Zukunft in der Stadt aufs Spiel setze.

So würde nicht jeder reagieren.

Joya Ghosh: Sie müssen wissen, dass ich außerdem als 1. Vorsitzende dem Landesverband professioneller freier Theater vorstehe. In dieser Funktion treffe ich oft auch auf Personen aus Verwaltung und Politik, meine Entscheidung trifft mich und mein Theater also in mehrfacher Hinsicht. Und genau deshalb habe ich auch so entscheiden. Das Schweigen der Kultur, das sich Wegducken, gefällig sein zu wollen, so wie es bei vielen Kollegen zu beobachten ist: All das ist zwar nachvollziehbar (wir hängen ja alle am Fördertopf – ohne staatliche Förderung kann man keine Kunst machen), dennoch dürfen wir uns nicht verraten, wenn die Stadt versucht, unliebsame Künstler mundtot zu machen. Auch unangenehme Aussagen muss eine Demokratie aushalten.

Was konkret wurde denn an Vorwürfen in Bezug auf Jens Fischer Rodrian und Uli Masuth vorgetragen?

Joya Ghosh: Fast schon überraschend langweilige und unkreative Argumente. Man hatte vor allem Herrn Fischer Rodrian nicht gekannt, ein paar Artikelchen im Internet gegoogelt und sich flugs die Meinung gebildet, dass es sich bei den beiden um Verschwörungstheoretiker und Verharmloser handele, die mit falschen Fakten Meinung und Stimmung gegen die Regierung machen. Beiden wurde vorgeworfen, Anhänger der Partei Die Basis zu sein, die ja bekannt für ihre rassistische und antisemitische Propaganda sei. Eine Stadt könne nicht in ihren eigenen Räumlichkeiten Künstler auftreten lassen, die offen die Politik der Regierung kritisierten. Man hielt sich sehr vage, was genaue Anschuldigungen angeht, wollte bewusst auch Aussagen von Herr Fischer Rodrian in meinem Podcast Mundus Novus missverstehen. Ich hatte insgesamt das Gefühl, es sei ein persönlicher Affront, den der Kulturdezernent aus der politischen Einstellung von Herr Rodrian empfand.

Herr Rodrian, wenn Sie das hören: Was geht Ihnen durch den Kopf?

Jens Fischer Rodrian: Ich lebe seit geraumer Zeit mit Anschuldigungen und Unterstellungen. So habe ich zum Beispiel zu keinem Zeitpunkt in irgendeinem Interview oder Gespräch Corona geleugnet, wie auch, ich hatte es ja selbst. Trotzdem wurde ich öfters, wie auch unlängst in der taz, als Coronaleugner dargestellt. Ich bin es sozusagen gewohnt. Aber mit der Unsicherheit konfrontiert zu sein, eventuell bei einem Friedensfest ausgeladen zu werden, hat es dann doch nochmal getoppt. Umso dankbarer bin ich, dass Frau Ghosh dem Druck der Stadt Trier standgehalten hat, zu ihrer Auswahl der Künstler steht und sich nicht einschüchtern ließ.

Herr Rodrian, was entgegnen Sie den Kritikern aus Trier?

Jens Fischer Rodrian: Ich lade sie ein. Sowohl zu meinem Auftritt wie auch zu der Podiumsdiskussion im Anschluss des Konzertes. Auch wenn es absurd ist, sich überhaupt rechtfertigen zu müssen, warum man eine andere Meinung zu den gängigen Narrativen in Bezug auf Corona und die nicht stattfindende Aufarbeitung der vergangenen drei Jahre hat, so halte ich den Dialog für zwingend notwendig und für das beste Mittel, miteinander in Kontakt zu bleiben. Ich bin sehr gespannt, ob die Vertreter der Stadt Trier, allen voran der Kulturdezernent Markus Nöhl, die Einladung annehmen werden.

Frau Ghosh, Herr Rodrian: Was bedeutet es, wenn die Kulturverantwortlichen einer Stadt so auf kritische Künstler reagieren?

Joya Ghosh: Dass zumindest der Kulturbereich der Stadt Trier eine sehr eigenwillige Sicht auf das Wesen der Demokratie hat. Und es bedeutet eindeutig, dass es niemals gut ist, wenn Politiker mit Steuergeldern – und nichts anderes sind Kulturfördermittel ja – umgehen, als seien es Almosen aus persönlichem Besitz, die an Bedingungen geknüpft sind. Wir Künstler haben den lauten Aufschrei in der Pandemie und davor versäumt, wir waren zu sehr mit dem nackten Überleben beschäftigt, das rächt sich jetzt. Man hat mir vonseiten der Stadt sehr deutlich versucht zu zeigen, wo mein Platz im Gefüge ist. Dumm nur, dass ich den nicht akzeptiere. Ich habe meine Selbstachtung zu verlieren, ich würde niemals einen Kollegen canceln, weil er „die falsche Meinung“ hat.

Besonders enttäuschend ist auch, dass Trierer Kollegen uns nicht im mindesten unterstützen. Es erschreckt mich, wie viele Künstlerkollegen wirklich stramm dem Märchen vom bösen Jens und vom bösen Uli auf den Leim gehen. Meist recht uninformiert und auf einige Internetrecherchen beschränkt, werden da zwei Menschen beurteilt, die man nicht mal ansatzweise kennt, ja gar nicht kennen will. Es ist diese ekelhafte Hybris einiger Menschen, die sich der richtigen Meinung wähnen und dabei ohne die geringste Empathie auf dem Leben eines anderen herumtrampeln. So etwas macht mich richtig wütend.

Jens Fischer Rodrian: Es ist ein weiterer Beweis dafür, dass es völlig normal geworden ist, kritische Stimmen mundtot zu machen. Wir kennen das – Daniele Ganser, Roger Waters und viele andere, die wesentlich größere Räume füllen, mussten Ähnliches erleben. Wenn es unterbunden wird, zu hinterfragen und den Finger in die Wunde zu legen, sind wir fern von dem, was ich unter einer gesunden Demokratie verstehe. Da der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die Mainstreampresse ihrer Aufgabe, den Staat unter die Lupe zu nehmen, nur noch sehr selten nachkommen, ist die Kunst umso mehr gefragt, diesen Job zu übernehmen.

In der Lokalzeitung heißt es: „Für die Veranstalterin bedeutet die Distanzierung der Stadt, dass sie die beiden Auftritte ohne Fördergelder der Stadt Trier realisieren muss und auf allen Plakaten nun die Namen der beiden kritisierten Künstler überklebt, sagte sie dem TV.“ Plakate überkleben, um die Namen zu zensieren? Wie ist das zu verstehen? Hat die Stadt Ihnen das als Auflage gemacht?

Joya Ghosh: Nein, nicht direkt, aber, wenn ich einen Vertrag unterschreibe, der die beiden Künstler explizit von der Förderung ausnimmt, dann aber alle längst aufgehängten Plakate die beiden Namen tragen und das Logo der Stadt (das muss drauf abgebildet sein laut Förderrichtlinie), dann haben wir ein Problem. Die Stadt distanziert sich in einer Pressemitteilung, ergo müssen die Plakate geändert werden. Das wurde jedoch nicht vertraglich festgehalten.

Das Festival läuft noch. Am 9. November treten Sie, Herr Rodrian, auf. Was sind Ihre Gedanken?

Jens Fischer Rodrian: Ich hoffe, dass neben den Gästen, die es für gut heißen, dass ich Kritik so äußere, wie ich es tue, auch die kommen, die meine Sicht der Dinge nicht teilen – wenn schon nicht zum Konzert, dann zumindest zu der Diskussion, die im Anschluss stattfinden wird. Ich kann es nicht oft genug sagen. Ich erwarte keine Zustimmung, aber ich verlange einen fairen Diskurs auf Augenhöhe. Meinungsfreiheit hat nur dann Bedeutung, wenn man zugewandt zuhört und auch die Meinung des ganz anders gepolten Gesprächsteilnehmers ernst nimmt und zumindest toleriert. Aber allem voran hoffe ich, dass es friedlich bleiben wird und meine Kritiker die Veranstaltung ohne Störung stattfinden lassen, denn ich bin ja vor allem da, um ein Konzert zu spielen. Danach darf dann gern intensiv diskutiert werden. Wenn es voll wird, freue ich mich umso mehr, da ich die Einnahmen einem palästinensisch-israelischen Friedensprojekt zukommen lassen werde.

Der Auftritt von Jens Fischer Rodrian ist am 9. November, der von Uli Masuth am 2. Dezember, beide um 19:30 Uhr. Weitere Infos hier.
Anmerkung: Marcus Klöckner hat den Fall auf seinem Substack-Kanal kommentiert.

Titelbild: Zenza Flarini / Shutterstock