Blick nach Tschechien

Blick nach Tschechien

Blick nach Tschechien

Ein Artikel von Frank Blenz

Einerseits wundervoller Lichterglanz, andererseits traurige Adventszeit, düstere Aussichten 2024 und groteske Ehrung für den Präsidenten.
Die Adventszeit in Tschechien fühlt sich wundervoll an bei all dem Lichterglanz, den liebevoll gestalteten Märkten, den feinen Klängen von den Bühnen, der üppigen Pracht an Speisen und Getränken und den intensiven Weihnachtsvorbereitungen, den Bräuchen – und den Karpfen nicht vergessend. Doch die eigentlich schönen Tage unserer Nachbarn sind ebenso wie bei uns voller Sorgen, viele Tschechen machen sich Gedanken um ihr Wohlergehen, das Land ist in einer Notlage, in einer gemachten Krise, von einer reaktionären Politik verschuldet. Wenige profitieren. Eine Wende hin zur Vernunft, zu einer Politik für viele, wenn nicht für alle, eine friedliche, soziale, die Hand reichende ist nicht in Sicht. Geradezu verhöhnend muss den Tschechen das Lob für führende Persönlichkeiten und Verursacher der Krise vorkommen und deren Appelle zur Wehrhaftigkeit. Von Frank Blenz.

Armutsgrenze

Unser Nachbarland Tschechien zu besuchen, das fühlt sich in einigen Lebensbereichen gerade wie Deutschland an: Die Adventszeit wird gefeiert, Menschen kommen zusammen, sie erfreuen sich an den schönen Dingen und schauen doch nachdenklich aus. Ich besuche kleine Städte wie Sokolov, Kraslice oder As – die Orte sind schön herausgeputzt. In Kraslice gleich neben dem deutschen Klingenthal feierten die Bürger auf dem Markt ein Adventsfest mit allem Drum und Dran. Doch schon der Besuch in einem Supermarkt nahe dem Festplatz zeigte mir: Die Menschen sparen, sie überlegen bei ihrem Einkauf. Wie in dem kleinen Grenzstädtchen ist im tschechischen Nachbarland eine Atmosphäre einer sich breitmachenden bleiernen Zeit zu spüren. Das Gefühl ist begründet. Man stelle sich vor, in der Tschechischen Republik leben mittlerweile zwei Millionen Menschen knapp über der Armutsgrenze, und eine Million Menschen harren unterhalb dieser Grenze aus, berichtet aktuell das Europäische Netzwerk zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (EAPN CR). Tschechien hat 10,5 Millionen Einwohner

Von tschechischen Freunden erfahre ich, dass die Armut der Leute auf steigende Preise und eine ziemlich heftige Inflation zurückzuführen sei, die mit über 30 Prozent höher ist als in Deutschland. Alles wird teurer – Essen, Energie, Mieten. Das hat Folgen. In der tschechischen Zeitung Hospodářské noviny ist zu lesen, dass rund 660.000 Menschen in Tschechien von Zwangsvollstreckungen betroffen sind und vier Millionen Zwangsvollstreckungsverfahren laufen. Sie können nicht mehr mithalten im Irrsinn einer entfesselten neoliberalen Zeit, in der das Soziale zurückgedrängt wird. Und noch eine Zahl, die nachdenklich bis wütend stimmt: 1,27 Millionen Menschen laufen Gefahr, ihre Wohnungen zu verlieren. Derweil setzt die Regierung andere Prioritäten, so zum Beispiel in die Modernisierung der Armee.

Kleines Land kauft Kampfjets vom größten Rüstungskonzern der Welt

Einfachen tschechischen Bürgern, die nur noch am Rechnen sind, wie sie den Alltag meistern und ihre Rechnungen (noch) bezahlen können, muss folgendes Handeln wie Hohn vorkommen: Die tschechische Regierung unter Premierminister Petr Fiala (ODS) hat grünes Licht für den Kauf von 24 amerikanischen F-35-Kampfjets gegeben, dies diene der Modernisierung der tschechischen Luftstreitkräfte. Nebenbei: Das Kampfflugzeug wird von Lockheed Martin hergestellt, dem größten Rüstungskonzern der Welt. So sorgt das kleine Tschechien für noch etwas mehr Ertrag für die US-Waffenschmiede, final für den militärisch-industriellen Komplex der USA. Und auch die Belastungen für die tschechische Bevölkerung in Sachen Wehrertüchtigung (was bei uns „Kriegstüchtigkeit“ heißt) sind schon von der tschechischen Regierung ausgerechnet: Der Kauf und Betrieb der F-35-Flotte werde nach Regierungsangaben in den folgenden Gesamtbetriebsjahren etwa 700 Kronen (30 Euro) pro Jahr und Einwohner der Tschechischen Republik kosten. Dem Volk erläutert das dessen Premierminister Fiala so, dass der Kauf der F 35 eine wirtschaftliche und effektive Lösung sei, die Fähigkeiten der Jets den Preis rechtfertigen und die Sicherheit der Tschechischen Republik erheblich verbessert würde.

Mir kommt in den Sinn, dass Tschechien kein Feindesland um sich hat, dass die Armee kaum 30.000 Soldaten hat. Dennoch ist Jubel von hohen Persönlichkeiten zu vernehmen. Der Kommandeur der tschechischen Luftwaffe Petr Čepelka begrüßt die Entscheidung der Regierung und frohlockt ob der nun robusten Kampf- und Verteidigungsfähigkeit Tschechiens.

Einer darf bei dem ganzen Theater auch nicht fehlen: Präsident Petr Pavel, der gern ein „Falke“ genannt wird, ein Begriff, den militärisch begeisterte und Rüstungskonzern-freundliche Politiker in den USA erhalten. Petr Havel freut sich ebenfalls über den Kauf und schwadroniert, dass die F 35 nicht nur Kampfflugzeuge seien. Weitere Worte kommen aus des Präsidenten Mund, als wäre er immer noch NATO-General: ein vielseitiges System, eine breite Palette von Aufgaben wie Aufklärung, Kommunikation und Feuerleitung für Bodentruppen erfüllend. Pavel atmet durch, dass alles im Einklang mit den Zielen vieler NATO-Länder stünde, modernste Technologie für die Verteidigung zu nutzen. Ob sein Volk auch durchatmet? Eher nicht, zunehmend demonstrieren Menschen auf dem Prager Wenzelsplatz und fordern Frieden, Verständigung, eine tschechische Neutralität. (Quelle)

Tschechien – Aufmarschgebiet der US Army

Doch Pavel und seine politische Klasse ficht das nicht an, sie wird stattdessen freuen, dass die militärische Zusammenarbeit mit den USA vorangetrieben wird und Tschechiens Politiker einer Stationierung von US-Streitkräften grünes Licht erteilen.

In der Zwischenzeit wird für das Volk ein wenig Politshow gemacht

Dass Regierung und Präsident sehr wohl die Sorgen ihrer Untergebenen kennen und etwas unternehmen, meint Petr Fiala, der tschechische Ministerpräsident, mit öffentlichkeitswirksamen Auftritten zeigen zu wollen. Angesichts der hohen Lebensmittelpreise (und anderer Kosten) hat der Premier tatsächlich einen Einkaufsausflug nach Deutschland, konkret nach Bayern unternommen. Warum? Fiala wollte sich, Einkaufswagen vor sich herschiebend, selbst ein Bild davon machen, dass die Preise in Deutschland mittlerweile (trotz auch hier existenter Inflation) niedriger als in Tschechien seien – und das, obwohl Deutsche besser verdienen als Tschechen. Der Supermarktbesuch in Waldsassen in der Oberpfalz brachte es für Fiala dann an den Tag: Von ihm dort gekaufte Produkte waren preiswerter als daheim. Identische Artikel in einem tschechischen Supermarkt waren teurer oder wurden bei gleichem Preis in kleineren Packungen verkauft, stellte Fiala fest. Die Trickserei mit den Mogelpackungen ist auch in Deutschland nicht unbekannt. Es sei erwähnt, dass meine tschechischen Freunde herzlich über Fialas Show lachten und versicherten, dass seine Tour rein gar nichts bewirkte außer Klicks auf seinen Internetseiten.

Der Blick nach 2024 – schon gibt es die erste Ehrung für reaktionäre Politik der Eliten

Was kümmern mich des Volkes Sorgen. Politik wird heutzutage so gemacht, dass sie der „Vermachtung“ dienlich ist (Oskar Lafontaine hat dieses Wort bei seiner Grußrede zu 20 Jahre NachDenkSeiten verwendet). So steht der tschechische Präsident Petr Pavel laut der Nachrichten-Webseite Politico auf der Liste der 28 einflussreichsten Persönlichkeiten, die Europa im Jahr 2024 prägen werden. Wie Europa jetzt und somit auch im neuen Jahr „geprägt“ wird, erleben die Tschechen, die Deutschen hautnah. Dass Falken wie Pavel ungeniert die „Richtung“ vorgeben und dafür gelobt werden, zeigt, wie die Militarisierung der Gesellschaft voranschreitet: Vermachtung als Methode, Politik und Interessenswahrung für wenige zu machen. Demokratie ist etwas anderes. Klar beschreibt Politico, was Sache ist:

In seinem Kurzprofil hebt Politico hervor, dass Pavel seine frühere Rolle als Leiter des NATO-Militärausschusses nutzt, um sich für eine wirksamere Unterstützung Kiews einzusetzen. Er ist fest entschlossen, China nicht zu erlauben, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln, und besteht darauf, dass jeder Frieden mit den ukrainischen Bedingungen übereinstimmen muss.

Kurzprofil: Der tschechische Präsident hat keine exekutiven Befugnisse, aber das Staatsoberhaupt spielt eine wichtige symbolische Rolle mit informellem Einfluss und bedeutendem Einfluss auf die Außenpolitik. Der ehemalige NATO-General Petr Pavel hat jeden Zentimeter dieser Macht genutzt, um seine pro-westliche Sache voranzutreiben, seit er Anfang 2023 als Unabhängiger ins Amt kam und versprach, die Polarisierung in einem Land, das entlang kultureller und politischer Linien gespalten ist, zu verringern.

Zwischenfrage: Wie kann ein Präsident, dessen ungeniert vorgetragene politische Ausrichtung einseitig, reaktionär und dominant ist, meinen, sein Heimatland Tschechien zu einen, indem er die „Polarisierung seines Landes, gespalten entlang kultureller und politischer Linien, verringert“? Pavel machte und macht kein Hehl daraus, auf wessen Seite er und dass er für Spaltung und Polarisierung steht:

Als Erzfalke gegenüber Russland und China hat Pavel schon vor seinem Einzug in die Prager Burg den Ton für seine Präsidentschaft angegeben. Nachdem er versprochen hatte, die Beziehungen zu Taiwan zu vertiefen, telefonierte er als erstes gewähltes europäisches Staatsoberhaupt mit der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-wen. Er äußerte auch die Hoffnung, Tsai „in Zukunft persönlich zu treffen“, und legte damit den Grundstein für ein noch nie dagewesenes Treffen zwischen dem Staatsoberhaupt eines EU-Landes und Taiwan.

Pavel hat die Ukraine lautstark unterstützt und sein Wissen über die inneren Abläufe der NATO – er war von 2015 bis 2018 Vorsitzender des Militärausschusses des Bündnisses – genutzt, um für eine wirksamere Unterstützung Kiews und einen nuancierten Ansatz in der Verteidigungspolitik der NATO einzutreten. Er forderte die Erweiterung der NATO und sprach sich dafür aus, alle im Ausland lebenden russischen Staatsbürger von Geheimdiensten ihrer Gastländer überwachen zu lassen. Pavel hat auch davor gewarnt, dass sich Peking als Vermittler zwischen Russland und der Ukraine positioniert – nicht zuletzt, weil China von der Verlängerung des Krieges durch vergünstigte Öl-, Gas- und andere Ressourcen aus Moskau profitiert. Pavel ruft seinerseits zum Frieden in der Ukraine auf – zu ukrainischen Bedingungen.

Tschechien hat also eine wichtige Persönlichkeit an Bord der wichtigen Europäer, die sich gewichtig für die europäischen Interessen, die der Völker, einsetzen. Ironie aus. Nebenbei:

Unter den Politico 28 befinden sich unter anderen der französische Präsident Emmanuel Macron, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde.
Quelle: tschechien.news

Das nächste Jahr 2024 – kann trotz allem ein gutes Jahr werden

Die Tschechen sind ein Volk, welches sich das Treiben ihrer Eliten auf Dauer nicht bieten lassen wird, ist meine Hoffnung. Mehr als etwas Renitenz, wie der brave Soldat Schwejk sie aufbot, wird sicher nötig sein. Und ja, die gute Nachricht ist, Tschechien nimmt Fahrt auf in Sachen Demonstrationen, kritische Medienberichte, Einsprüche, Widerstände, Opposition. In einem Artikel vom Sommer 2023 nannte ich Gründe der Tschechen, „Nein“ zu sagen.

Statt Spielzeugpanzer Rennautos, statt falscher Freundschaftsbekundungen Mut der Zivilgesellschaft

Die Zeiten sind verstörend. Das Genießen des Sommers wirkt beinahe wie das Betäuben vor dem Eintritt großen Unheils. Episoden wie diese bereiten Sorge: Ein Spielzeugladen in Holešovice, einem Stadtteil von Prag. Eine Mutter, der Sprache nach aus der Ukraine stammend, und ihr kleiner Junge schauen sich im Laden um. Der Sohn will einen Panzer und ein Schießgewehr. Der Panzer ist ein T34, die Waffe eine Spielzeugmaschinengewehr. Die Mutter erfüllt des Sohnes Wunsch. Ich fand die vielen Rennautos schöner.

So, wie friedliche Spielzeuge gebraucht werden, so werden die Tschechen auch auf die Straße gehen müssen für den Frieden im eigenen Land. Bald sollten auf dem Wenzelsplatz mitten in Prag zahlreiche Bürger protestieren und rufen: Nein zu US-Militärbasen in Tschechien! Und weitere Nein-Rufe sind notwendig: Nein zur schlimmen Wirtschaftssituation, zu hohen Preisen, zu ruinöser Energiepolitik (Kauf von teuren Rohstoffen), zu kriegerischer Außenpolitik, zur Militarisierung der Gesellschaft! Die gesamte Gesellschaft ist gefordert, das Parlament, die Medien, diesem Wahnsinn Einhalt zu gebieten.

Titelbild: Sven Hansche/shutterstock.com

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