Der Plattmacher. Wie Karl Lauterbach die Gesundheitsversorgung entsorgt

Der Plattmacher. Wie Karl Lauterbach die Gesundheitsversorgung entsorgt

Der Plattmacher. Wie Karl Lauterbach die Gesundheitsversorgung entsorgt

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Grünes Licht vom Vermittlungsausschuss für das „Transparenzgesetz“, eine Vorstufe der großen „Krankenhausreform“. Im Vorfeld hatten die Länder mächtig gebrüllt, um doch nur als Bettvorleger zu enden. Den klammen Kliniken winkt die Politik mit ungedeckten Schecks und leeren Versprechen. Eine kurzfristige Geldspritze gibt es keine, womit das Standortsterben ungebremst weitergehen wird. Auf den kalten folgt dann irgendwann der systematische Strukturwandel, mit noch mehr Schließungen. Der zuständige Minister hat das schon immer gewusst, so wie alle anderen auch. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten.“

Der Satz von Karl Lauterbach ist bald fünf Jahre alt, und doch kann man gewiss sein, dass sich seine Meinung seither nicht geändert hat, nur sein Amt. Damals war er als SPD-Abgeordneter im Bundestag bestenfalls Vordenker in puncto Gesundheitspolitik, heute ist er exekutierender Bundesminister. Noch etwas ist anders: Vor Corona standen Deutschlands Krankenhäuser nicht gut da, aber um vieles besser als nach Ausbruch und im Gefolge der Pandemie. Seit mehreren Jahren bleiben die Patienten in Scharen fern, dazu kam noch der Energiepreisschock durch den Ukraine-Krieg, weshalb inzwischen fast die ganze Branche Richtung Ruin taumelt. Wer, wie Lauterbach, Gesundheit in Begriffen wie Effizienz, Rentabilität und Rendite denkt, für den ist die Notwendigkeit einer Flurbereinigung ohne Frage dringlicher denn je. Wenn nicht jetzt, wann dann? Allerdings kann er das von Amts wegen nicht mehr herausposaunen.

Aber er kann machen. Bekanntlich ist der Minister drauf und dran, eine „große Gesundheitsreform“ ins Werk zu setzen, wofür es in seinen Worten eine „ganze Batterie von Gesetzen“ braucht. Die dickste Patrone, auch in puncto Wortwucht, ist das geplante „Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz“, mit dem die Finanzierung der Kliniken auf neue Beine gestellt werden soll. Die Fallpauschalen, die vor allem großen und spezialisierten Häusern Gewinne bescheren und den kleinen die Substanz rauben, werden ein Stück weit eingeschränkt und durch ein System von Vorhaltepauschalen ergänzt. Vorsicht Falle: Lauterbach will die Versorgungslandschaft in Leistungsgruppen und sogenannte Level einteilen. Standorte mit den größten Kapazitäten, einem breiten Behandlungsspektrum und höchster technischer Ausstattung (Universitätskliniken – Level-3) führen das Ranking an, gefolgt von mittelgroßen, regionalen Anbietern (Level-2) und kleinen Grundversorgern (Level-1). Die letzte Gruppe soll noch einmal aufgesplittet werden: Level-1n hätten wenigstens eine Notfallversorgung vorzuhalten, Level-1i nicht einmal das. Sie würden nur mehr als „sektorenübergreifende Versorgungszentren“ firmieren, mit überwiegend ambulantem Charakter, ohne durchgehende ärztliche Versorgung und unter pflegerischer statt ärztlicher Leitung stehend.

Rote Zahlen überall

Kritiker wie die vom „Bündnis Klinikrettung“ warnen seit Bekanntwerden der Pläne, damit werde die wohnortnahe Versorgung auf dem Land plattgemacht und speziell die fraglichen 649 Level-1i-Standorte stünden vor einem Tod auf Raten. Das würde auch numerisch passen. Die Zahl stimmt ziemlich genau mit Lauterbachs einstiger Ansage überein, „mindestens jede dritte“ Klinik dichtzumachen. Allerdings legten die Bundesländer ihr Veto ein, wegen der Übergriffigkeit des Bundes in die Krankenhausplanung, die seit jeher ihre Domäne ist – mit schlimmen Folgen: Die eigentlich für Erhalt und Investitionen vorgesehenen Gelder werden seit einer halben Ewigkeit wegen der üblichen „Sparzwänge“ zweckentfremdet, weshalb insbesondere die kommunalen Krankenhäuser gewaltige Defizite aufgetürmt haben. Genau hier liegt der Ausgangspunkt der Misere, die sich mit Corona und Rekordinflation weiter verschärfte, und dafür, dass laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) inzwischen „fast alle Kliniken rote Zahlen“ schreiben.

Jedenfalls lehnten sich die Länder gegen das Regierungsvorhaben auf, mit dem Ergebnis, dass die Level im Sommer 2023 praktisch vom Tisch waren. Das gilt auch für den Typ Level-1i mit einer qua Gesetzentwurf nur noch „informatorischen“ Zuweisung, was heißt, die Umsetzung ist nicht zwingend. Aber damit ist die Kuh nicht vom Eis. Mit einem anderen Gesetzesvorstoß – Stichwort „Batterie“ – hat Lauterbach das Konzept einfach wieder aufgegriffen. Und der Linke-Politiker im Bundestag Ates Gürpinar meint sogar, der Minister habe das Gesetz nur zu dem Zweck „erfunden“, die Level doch noch durchzubringen.

Teures Plagiat

Ist das sogenannte Krankenhaustransparenzgesetz also ein Trojanisches Pferd? Vordergründig zielt es darauf ab, Patienten, Angehörigen und einweisenden Ärzten umfassende Informationen über rund 1.700 Versorger zu verschaffen. Ein planmäßig zum 1. Mai auf Sendung gehender „Klinik-Atlas“ soll mit wenigen Mausklicks ersichtlich machen, welche Leistungen ein Haus erbringt, welche Erfahrungen und Erfolgsquoten es bei bestimmten Behandlungen gibt und mit welchem Personalschlüssel gearbeitet wird. Das klingt gut, gibt es aber schon, etwa das „Deutsche Krankenhaus Verzeichnis“ oder die „Weiße Liste“. Beide Portale leisten genau das, was demnächst ein teures Pendant auf Steuerzahlerkosten abkupfern wird. Der größte deutsche Ärzteverband, der Marburger Bund, findet das befremdlich und monierte schon vor zwei Monaten „unnötige Doppelstrukturen“ und einen „hohen Bürokratieaufwand“. Das Problem bestehe allenfalls darin, dass die bestehenden Angebote „schlichtweg zu wenig bekannt sind“, beklagte Verbandschefin Susanne Johna.

Damit traf sie ins Schwarze. Denn natürlich wird der „Klinik-Atlas“ richtig gepusht werden, damit bald schon ein Jeder weiß, wie er „checken“ kann, wo welche OP durch wie patente Ärzte am besten und sichersten durchgeführt wird. Hier kommen dann auch die Level ins Spiel, die sowohl in besagtem „Transparenzgesetz“ stehen als auch im neu zu schaffenden Verzeichnis abgebildet sein werden. Zum Hintergrund: Lauterbachs ursprüngliches und vorerst geplatztes Vorhaben bestand darin, die staatlichen Mittelzuweisungen nach Level-Zugehörigkeit zu steuern. Wenn eine Level-1-Klinik eine bestimmte Leistung, etwa eine anspruchsvolle Herz-OP, nicht mehr offerieren darf, gehen wichtige, (auch weiterhin) über Fallpauschalen vergütete Einnahmen flöten, was sich allein mit Vorhaltepauschalen nicht wird kompensieren lassen. Früher oder später bricht das dem Betreiber und vielen anderen mehr das Genick.

Bundesländer eingeknickt

Aber wie gesagt: Die Länder sperren sich (noch) gegen diese radikale Gangart, oder zumindest tun sie so. Solange die Kernreform nicht in Kraft ist, verspricht der „Klinik-Atlas“ allerdings denselben Effekt: Patientenströme so umzuleiten, dass immer mehr Häuser pleite gehen, die gewisse Behandlungen zwar ausführen dürfen, aber nicht können, weil die Kundschaft ausbleibt. Klaus Emmerich vom „Bündnis Klinikrettung“ spricht hier von einem „kalten Strukturwandel, der so lange gewollt ist, wie es noch keinen Strukturwandel mit Klinikschließungen per Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz gibt“. Wie er gegenüber den NachDenkSeiten befand, wirkten dabei zwei entscheidende Faktoren. „Die chronische Unterfinanzierung der Versorgungslandschaft und eben die direkte Abstimmung der Patienten anhand eines Transparenzregisters, das ihnen kleine schlechte Krankenhäuser vorgaukelt, die es zu meiden gilt.“

Siehe da: Lauterbachs Kalkül ist aufgegangen. Am Mittwoch in der Vorwoche hat das „Transparenzgesetz“ den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat passiert, womit eine finale Beschlussfassung durch die Länderkammer am 22. März als gesichert gilt. Obwohl damit die Level durch die Hintertür installiert werden und die Länder bis zuletzt mit einem Scheitern gedroht hatten, hoben sie in der Mehrheit die Hand für die nahezu unveränderte Regierungsvorlage. Den Ausschlag gab einmal mehr das liebe Geld. Zu seinem 61. Geburtstag versprach der Minister einen „Transformationsfonds“ in Höhe von 50 Milliarden Euro von 2025 an, gestreckt über zehn Jahre. Gespeist werden soll der je zur Hälfte durch den Bund und die Länder und dazu dienen, den Umbau der Krankenhauslandschaft finanziell zu unterfüttern. Das weckt ungute Erinnerungen an den „Krankenhausstrukturfonds“ (KHSF), mit dessen erster Auflage der Bund allein zwischen 2016 und 2018 insgesamt 34 Klinikschließungen mit jährlich 500 Millionen Euro „gefördert“ hatte.

Insolvenzwelle rollt

Laura Valentukeviciute, Sprecherin vom „Bündnis Klinikrettung“, hält die Einigung für einen „beschämenden Kuhhandel“. Der Widerstand der Länder sei bloß eine „politische Show“ gewesen, sagte sie den NachDenkSeiten. „Der Bund will Kliniken schließen, die Länder haben nichts dagegen. Es geht beiden Seiten nicht um die Bedarfsplanung und nicht um die Menschen, die darunter leiden werden, dass sie vor Ort kein Krankenhaus und keine Notfallversorgung mehr haben werden.“ Lauterbach behauptet freilich das Gegenteil. Mit der Verständigung gebe „es mehr Geld für die Kliniken und eine bessere Übersicht über die Qualität der Häuser“. Und: „Damit kann eine Insolvenzwelle abgewendet werden.“

Allerdings ist die Welle schon längst im Rollen. Laut dem Chef der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, hätten bundesweit seit Ende 2022 mehr als 40 Standorte Zahlungsunfähigkeit angemeldet, allein im Januar seien sechs dazugekommen. Sollte die Politik nicht schnellstens eingreifen, „könnten in diesem Jahr 80 Kliniken pleite gehen“, hatte er vor einer Woche erklärt. Das „Bündnis Klinikrettung“ führt seit mehreren Jahren Buch: 2023 verschwanden 22 Häuser von der Bildfläche, 2022 waren es 15, ein Jahr davor zehn, und im ersten Pandemiejahr gingen in 19 Kliniken die Lichter aus. Für die nähere Zukunft sei mit mindestens 96 weiteren Abwicklungen zu rechnen.

Beitragszahler zahlen Kahlschlag

Für viele davon wird das fürs nächste Jahr avisierte Milliardenpaket zu spät kommen, sofern es überhaupt kommt. Der Bund kann die Länder nicht verpflichten, ihren Beitrag zu leisten, und bisher haben diese ihre Investitionszusagen verlässlich gebrochen. Genauso ungedeckt ist der Scheck des Bundes, wobei Finanzminister Christian Lindner (FDP) fein raus ist. Die 25 Milliarden Euro will Lauterbach nicht aus Steuern mobilisieren, sondern vom Gesundheitsfonds abzweigen. Im Klartext: Für die „Rettung“ der Kliniken – beziehungsweise den Großkahlschlag – sollen die Beitragszahler bluten. Beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mäkelt man deshalb über „Etikettenschwindel“, und aus Sicht des Verbands der Ersatzkassen (VDEK) stehen „zwangsläufig“ Beitragserhöhungen ins Haus.

Selbst die sechs Milliarden Euro an „Liquiditätshilfen“, die auf Basis des „Transparenzgesetzes“ fließen sollen, gibt es in Wirklichkeit nicht extra. Dabei handelt es sich um die Auszahlung der Pflegebudgets der vorangegangenen Jahre, über die sich Krankenhäuser und Kassen noch nicht verständigt hatten. Damit lassen sich also lediglich Rechnungen begleichen, für die die Kliniken schon in Vorleistung gegangen sind. Außerdem deckt die vereinbarte Erhöhung der sogenannten Landesbasisfallwerte – die Grundlage der Fallpauschalen – die erzielten hohen Tarifabschlüsse nicht ab, wodurch sich die Lage vielerorts absehbar zuspitzen wird.

Kontrollierte Sprengung

Auf der DKG-Webseite tickt eine „Defizituhr“, die auf die Marke von 9,3 Milliarden Euro zusteuert. Der Verband hatte vor der Sitzung des Vermittlungsausschusses einen „kurzfristig wirksamen Inflationsausgleich“ gefordert. Den gibt es nicht. „Chance verpasst“, erklärte DKG-Chef Gaß am Donnerstag. Jeden Monat müssten die Kliniken „500 Millionen Euro zuschießen, um die Patientenversorgung in Deutschland aufrechtzuerhalten“. Mit der Einigung sinke der Fehlbetrag auf 490 Millionen Euro, womit die Maßnahmen „praktisch wertlos“ seien, und weiter: „Damit kann kein einziges Insolvenzverfahren gestoppt werden.“

Auftrag erfüllt! Fürs Erste. Über die „große Krankenhausreform“ wird bestimmt noch lange und heftig gestritten. Je länger, desto schlimmer. Und ist die ganze „Batterie“ erst geladen, wird kontrolliert gesprengt, sprich kaputtstrukturiert. Hier der aktuelle Lagebericht der Aktionsgruppe „Schluss mit Kliniksterben in Bayern“ für 2024:

Beschlossene Komplettschließungen: Schongau, Selb.

Drohende Komplettschließungen beziehungsweise Insolvenzen: Mainburg, Kösching, Coburg, Neustadt/Coburg, Lichtenfels.

Drohende Schließungen der Notaufnahme: Wertheim, Oberstdorf.

Beschlossene Schließungen der Notaufnahme: Wegscheid, Tirschenreuth, Kemnath, Alzenau.

Bedrohte Klinikstandorte: Dinkelsbühl, Rothenburg ob der Tauber.

Damit, konstatiert die Initiative, drohten „258.500 Einwohner mehr von einer bedarfsnotwendigen wohnortnahen klinischen Versorgung beziehungsweise Notfallversorgung abgeschnitten“ zu werden. Lauterbach wird‘s verkraften.

Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com

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