Faktencheck der Faktenchecker: Wie Correctiv seine Leser über den Taurus-Mitschnitt desinformiert

Faktencheck der Faktenchecker: Wie Correctiv seine Leser über den Taurus-Mitschnitt desinformiert

Faktencheck der Faktenchecker: Wie Correctiv seine Leser über den Taurus-Mitschnitt desinformiert

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Regelmäßig verschickt die Correctiv-Redaktion einen Newsletter mit dem Titel „Correctiv Spotlight“. Schwerpunkt ist diese Woche, wenig überraschend, die Veröffentlichung des via Webex geführten Gesprächs mehrerer hochrangiger Bundeswehroffiziere und -generäle. Doch unter der Überschrift „Abgehört von Russland“ betreiben die selbst ernannten „unabhängigen Faktenchecker“, die ihre mit Abstand größten Geldzuweisungen vom US-Multimilliardär und eBay-Gründer Pierre Omidyar sowie staatlichen Behörden erhalten, genau das, was sie vorgeben zu bekämpfen: massive Desinformation. Selbst das sogenannte „Havanna-Syndrom“ wird in dem Zusammenhang, trotz offiziellem US-Dementi, Russland zugeschrieben. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Gleich zu Beginn wird dem geneigten Leser erklärt, dass die Thematik „etwas kompliziert sei“ und deswegen eine „Einordnung“ nötig sei. Immerhin verlinkt Correctiv im Gegensatz zu fast allen anderen Medien in Deutschland direkt auf die ursprüngliche Veröffentlichung durch Margarita Simonjan, die Chefredakteurin des staatlich finanzierten Medienunternehmens Rossija Sewodnja. Bei den „Faktencheckern“ aus Essen liest man dazu: „… veröffentlicht von einer Mitarbeiterin des russischen Staatsfunks auf Telegram.“

Damit hört der zumindest noch halbwegs faktenbewährte Teil zu der Thematik aber auch schon auf. Denn direkt im Anschluss heißt es in der „Einordung“ weiter:

„Müssten bei einer Lieferung zusätzlich zu den Raketen deutsche Soldaten vor Ort im Einsatz sein? Diese Aussicht nämlich ist der Grund, warum Bundeskanzler Olaf Scholz gegen die Lieferung ist: Er sagt, auf diese Weise würde Deutschland in den Krieg mit hineingezogen. Die abgehörten Militärs besprachen dagegen in ihrer vermeintlich vertraulichen Runde, das sei nicht der Fall: Man könne ukrainische Soldaten ausbilden, um die Raketen zu steuern. Russland ging es also darum, die Glaubwürdigkeit des Kanzlers und damit der Bundesregierung insgesamt zu beschädigen.“

Hier verkauft Correctiv seine eigenen Leser für dümmer, als sie vermutlich sind, bzw. vertraut darauf, dass wohl kaum jemand der Newsletter-Leser_:innen* sich die Mühe macht, neben der „Einordnung“ durch die Redaktion auch noch das 38-minütige Gespräch in Gänze anzuhören. Denn im Gegensatz zur Darstellung der „Faktenchecker“ ist ein Teil der Brisanz des mitgeschnittenen Gesprächs der Bundeswehr-Vertreter genau der Aspekt, der negiert wird: Wie Bundesregierung und Bundeswehr am besten eine Beteiligung deutscher Soldaten bei Zielplanung und -führung vertuschen könnten – also ziemlich genau das Gegenteil der Correctiv-Darstellung:

Verwiesen sei beispielhaft auf folgende Aussagen im abgehörten Gespräch:

Oberstleutnant Udo Fenske vom Zentrum Luftoperationen (ab Minute 27:22):

„Wir wissen doch alle, dass sie (die Ukrainer) die Brücke rausnehmen wollen. Das ist klar, wir wissen auch, was es letztlich bedeutet. Dann ist die Versorgung gefährdet, die gute Insel da ja das Herzstück, nicht nur militärisch ist sie wichtig, auch politisch. Jetzt nicht mehr ganz so fatal, wo sie ja quasi ihre Landbrücke mehr oder weniger dahin haben. Und da hat man dann eben Angst, wenn der direkte Link unserer Streitkräfte in die Ukraine geht. Und da wär dann halt immer die Frage, kann man den Krieg pullen, dass man unsere Leute abstellt zur MBDA – dass nur ‘ne direct line zwischen der MBDA und der Ukraine ist. Dann ist es weniger schlimm, wie wenn die direct line unserer Luftwaffe zu finden ist.“

„Wenn es nachher um den Einsatz geht, dann wäre tatsächlich die Empfehlung, dass wenigstens die ersten Missionsunterstützungen durch uns erfolgen werden, da die Planung doch sehr komplex ist. (…) Also wäre eine mögliche Variante, planungstechnisch zu unterstützen. Das kann man theoretisch sogar aus Büchel machen, mit einer sicheren Leitung in die Ukraine rüber, den Datenfile rübertransferieren, und dann wäre er verfügbar und man könnte es gemeinsam planen.

Darauf erwidert Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz:

„Sekunde, ich hak da jetzt mal ein, Herr Fenske. Wenn man jetzt politisch Sorge hätte, dass diese Line von Büchel direkt nach Ukraine eine zu direkte Beteiligung ist, im Grunde alles, könnte man dann auch sagen: Ok, das Datenfile wird bei MBDA gemacht, und wir schicken unsere ein zwei Experts nach Schrobenhausen. Ist zwar totaler Schwachsinn, aber jetzt mal so gesehen, aber politisch jetzt halt vielleicht was anderes, wenn der Datenfile von der Industrie kommt, wird er … der kommt ja bei uns nicht aus dem Verband.“

Zum einen wird also eine direkte Datenlieferung durch die Luftwaffe aus Büchel und eine indirekte Datenlieferung durch den Hersteller der Taurus-Raketen in Schrobenhausen durch dort eingeschleuste Luftwaffenexperten angedacht. Beides wäre eine direkte Beteiligung von Soldaten der Bundeswehr. Dazu führt Oberstleutnant Fenske dann weiter aus:

„Die Frage wird sein, wo kommen die Daten her. Jetzt gehe ich einen Schritt zurück. Wenn es um die Zieldaten geht, die idealerweise mit Satellitenbildern kommen, weil dadurch gibt es dann die höchste Präzision, dass wir also unterhalb von drei Metern Genauigkeit haben. Die müssen wir verarbeiten im ersten Set in Büchel. Unabhängig davon würde man aber in irgendeiner Art und Weise, denke ich, mit einem Datentransfer zwischen Büchel und Schrobenhausen was hinbekommen. Oder, was natürlich auch geht, dass man unter Umständen das Datenfile nach Polen schickt und man hat den Handover/Takeover in Polen irgendwo, und es fährt jemand mit dem Auto hin. Und ich denke, da muss man im Detail reingucken, und da wird es auch Lösungsmöglichkeiten geben.“

Erst ganz am Ende werden diese Vertuschungsüberlegungen von Brigadegeneral der Luftwaffe der Bundeswehr Frank Gräfe aus rein opportunistischen Überlegungen („Stell dir mal vor, das kommt an die Presse!“) ad acta gelegt. Das ändert aber nichts daran, dass zumindest für den Einsatz innerhalb der nächsten sechs Monate die Beteiligten keine Möglichkeit sehen, dies ohne direkte Beteiligung hinzubekommen. Entweder direkte Einbindung der Bundeswehr oder als Alternative „die Briten“:

„Oder die andere Option: Wir fragen, ob in dieser Phase, bis die selber komplett ausgebildet sind, fragen wir die Briten, ob sie in dieser Phase übernehmen. Aber ich glaube, ein irgendwie gearteter Versuch einer Zwischenlösung – stell dir mal vor, das kommt an die Presse! Wir haben unsere Leute in Schrobenhausen oder wir fahren irgendwie mit dem Auto durch Polen – sind, glaube ich, beides keine akzeptablen Lösungen.“

Es bleibt festzuhalten: Mit der extrem verkürzten und tendenziösen Darstellung des Inhalts des Mitschnitts durch Correctiv werden die bekannten Fakten dem gewünschten Narrativ folgend gedreht, aber nicht sachlich-objektiv wiedergegeben oder, um im Correctiv-Sprech zu bleiben, „gecheckt“. Doch es wird noch viel wilder, was „Faktentreue“ bzw. Faktenverdrehung angeht. Denn danach geht es in dem Correctiv-Beitrag weiter mit der Unterüberschrift „Warum Russland das Gespräch abhörte und veröffentlichte“.

Hier verkauft Correctiv schon in der Überschrift etwas als eine Tatsachenbehauptung, für das es bislang keinerlei endgültige Belege gibt. Ja, eine russische Journalistin hat das Gespräch veröffentlicht. Ob aber tatsächlich russische Dienste direkt für den Mitschnitt verantwortlich waren, ist eine bisher noch völlig ungeklärte Frage. Es spricht Bände, dass selbst ein eher boulevardesk ausgerichtetes „Nachrichtenmagazin“ wie Focus hier um Welten sauberer arbeitet als die selbst ernannten „Faktenchecker“. In einem Beitrag vom 2. März befragte Focus den Militärexperten Oberst a. D. Ralph Thiele, aktuell Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft, zu der Thematik. Thiele verweist auf die Nachfrage, wer als potenzielle Verdächtige für diese Abhöraktion in Frage kommen, neben Russland auch auf westliche Staaten, insbesondere Großbritannien:

„Grundsätzlich gibt es zwei Verdächtige, die das Gespräch abgehört und in Umlauf gebracht haben könnten. Zum einen die westlichen Staaten. Sie könnten ein Interesse daran haben, das vorsichtige Vorgehen von Bundeskanzler Scholz zu untergraben. Da in der hybriden Kriegsführung – in der zum Beispiel auch die Briten Meister sind – bevorzugt über Dritte agiert wird, ist zunächst nichts so, wie es scheint.“

Vor einer „vorschnellen Bewertung“ sei größte Vorsicht geboten, so Thiele abschließend.

Endgültig die rote Linie zur Verbreitung von Fake News überschreitet Correctiv aber mit dem anschließenden Verweis auf das sogenannte Havanna-Syndrom als „Ergebnisse“ russischer Geheimdienstarbeit:

„In US-Botschaften weltweit, auch in Berlin, gab es in den vergangenen Jahren mysteriöse Vorfälle, zuerst 2016 in Havanna: Mitarbeitende klagten über plötzliche starke Kopfschmerzen oder Schwindel. Die USA und auch Deutschland ermittelten, im Raum stand die Vermutung, dass russische Geheimdienste die Botschaftsmitarbeiter mit elektromagnetischer Strahlung attackiert haben könnten. Warum, und ob das stimmt, ist bis heute nicht klar. In den Ermittlungsbehörden vermutete man, es könne sich um eine reine Machtdemonstration Russlands gehandelt haben.“

Der Correctiv-Newsletter wurde am 4. März 2024 verschickt. Ziemlich genau ein Jahr zuvor, am 1. März 2023, hatte die US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines in einer Pressekonferenz öffentlich erklärt, dass die US-Geheimdienste nach einer umfangreichen Untersuchung es als „höchst unwahrscheinlich“ eingestuft haben, dass ein gegnerischer Staat für die Gesundheitsbeschwerden von US-Diplomaten verantwortlich sei. Ursachen der Symptome seien vielmehr „Vorerkrankungen, gewöhnliche Krankheiten und Umweltfaktoren“ gewesen. Dieser Bericht wurde auch von allen großen westlichen Nachrichtenagenturen verbreitet und von fast allen deutschen Leitmedien aufgegriffen. So konnte man z.B. auf Basis einer AFP-Meldung beim Spiegel am 2. März 2023 lesen:

„US-Geheimdienstkoordinatorin Haines legte nun einen umfassenden Bericht vor, in dem eine ausländische Verantwortung zurückgewiesen wird.“

Es ist folglich auszuschließen, dass in der Correctiv-Redaktion das offizielle US-Dementi in Bezug auf das Havanna-Syndrom und die angebliche Rolle ausländischer Dienste nicht bekannt war. Dass die „Faktenchecker“ trotz mutmaßlich besseren Wissens von „russische Geheimdienste die Botschaftsmitarbeiter mit elektromagnetischer Strahlung attackiert…“ und „In den Ermittlungsbehörden vermutete man, es könne sich um eine reine Machtdemonstration Russlands gehandelt haben“ schreiben, spricht Bände über das „professionelle“ Selbstverständnis in der Correctiv-Redaktion: Meinungsmanipulation statt Faktencheck. Vor diesem Hintergrund wirkt der Abschlusssatz in dem Correctiv-Beitrag unfreiwillig komisch und fällt komplett auf die Autoren selbst zurück:

„Es geht darum, den Westen schwach und angreifbar erscheinen zu lassen, und darum, zu spalten. Um ihr entgegenzuwirken, sind Recherchen – wie die unseres Faktencheck-Teams – wichtig.“

Titelbild: Montage: NDS; Bildquelle: commons.wikimedia.org

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