Schulen im Visier: „Duck and Cover“ und Militär im Klassenzimmer?

Schulen im Visier: „Duck and Cover“ und Militär im Klassenzimmer?

Schulen im Visier: „Duck and Cover“ und Militär im Klassenzimmer?

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sieht die Schulen in der Verantwortung, junge Menschen auch auf einen Kriegsfall vorzubereiten. Und der Lehrerverband unterstützt das auch noch. Der zunehmenden Tendenz, dass Kinder und Jugendliche direktes Ziel der Meinungsmache für Militarisierung sind, muss entgegengetreten werden. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Ministerin Stark-Watzinger (FDP) sieht die Schulen in der Verantwortung, „junge Menschen auch auf einen Kriegsfall vorzubereiten“, wie Medien berichten. „Von einer Pandemie über Naturkatastrophen bis zum Krieg“ müsse die Gesellschaft in Deutschland auf Krisen vorbereitet sein, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vor einigen Tagen. Zivilschutz gehöre daher auch in die Schulen mit dem Ziel, „unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken“, so die Ministerin.

„Zivilschutz“ klingt schön und möglicherweise nachvollziehbar für manche Bürger. Was den Vorstoß von Stark-Watzinger aber so fragwürdig macht, sind zwei Dinge: Zum einen werden oft problematische Vorhaben mit einem nachvollziehbaren Mantel umhüllt, z.B. die Internet-Überwachung mit einem Kampf gegen Kinderpornographie. Zum anderen besteht der Verdacht, dass in der praktischen Umsetzung (etwa mit Offizieren im Unterricht etc.) die aktuelle, mit Macht vorangetriebene Militarisierung der Gesellschaft auch auf die jungen Menschen übertragen wird und allgemein eine Normalisierung von Krieg und Aufrüstung angestrebt ist.

Warum das Militär zum Leidwesen vieler Kriegstreiber hierzulande (noch) nicht so „normal“ ist wie in anderen Ländern – mit welchen historischen Vorgängen könnte das wohl zu tun haben? Und bedeutet eine Normalisierung etwa der absolut grauenhaften Vorstellung eines Krieges Deutschlands gegen Russland nicht auch eine Art der „Schlussstrich-Debatte“, und wäre dieses Bestreben dementsprechend nicht als rechtsextrem einzuordnen?

Nur die Anderen drillen ihre Kinder

In Ländern wie Großbritannien würden Schul-Übungen für den Katastrophenfall zum Alltag gehören, so Stark-Watzinger. „Davon können wir lernen.“ Meine Assoziationen zu solchen Übungen sind alles andere als positiv: Ich empfinde sie zum einen als eine reine Simulation von Sicherheit, die durch Spiele wie „Duck and Cover“ („Ducken und in Deckung gehen“) erzeugt werden soll. Dazu kommt die Instrumentalisierung von Abenteuerspielen für die Indoktrination von Jugendlichen sowie die fragwürdige moralische Mobilisierung von Menschen, die zu jung sind, um die Folgen abzuschätzen.

In Deutschland wurde eine allzu offensichtliche Militarisierung von Kindern und Jugendlichen bisher eher mit Ländern wie Russland assoziiert: So zeigt das Titelbild dieses Artikels eine Szene aus einer ZDF-Produktion. Zu sehen sind dort laut ZDF russische Kinder, die militärisch gedrillt werden. Sind solche Szenen denn nicht der Alptraum aller Eltern und Pädagogen? Stark-Watzinger würde auf diese Frage vermutlich entgegnen, dass solche Szenen und eine Wandlung von Schulen zu militärischen Drill-Camps selbstverständlich nicht angestrebt seien, schließlich gehe es ihr nur um „Zivilschutz“ und irgendwie um „Demokratie“ – aber wie oben bereits beschrieben, können sich als „begründet“ und zunächst als hinnehmbar dargestellte Handlungen als ein Türöffner erweisen, der mit der Zeit schlimme Entwicklungen nach sich zieht.

Möglicherweise kommt auch irgendwann die Losung: „Wir müssen bereits unsere Kinder drillen, damit sie nicht demnächst in einer Autokratie aufwachen, die bereits ihre Kinder drillt…“ Aber auch wenn im Fall der Militarisierung an unseren Schulen vorerst wohl keine „autokratischen Verhältnisse“ zu erwarten sind, so bin ich doch der Auffassung: Wehret den Anfängen!

Krieg in der Schule? Ja – als Mahnung

Die Forderung, im Unterricht müsse verstärkt der Krieg thematisiert werden, sollte eigentlich genau in die andere Richtung gedeutet werden: Ich hatte als Schüler Unterricht über den Krieg. Und ich hatte (noch?) das Glück, dass es Lehrer gab, die mir die Schrecken eindringlich vermittelt haben – und zusätzlich das Bewusstsein, dass eine Wiederholung (noch dazu zwischen Deutschland und Russland) um alles in der Welt verhindert werden muss. Und dass für dieses wichtige Ziel Kompromisse nötig sind, wozu auch Respekt gegenüber russischen Sicherheitsinteressen zählt.

Das hat sich wohl „zeitengewendet“: Heute ruft die Bundesbildungsministerin die Schulen dazu auf, ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ zu entwickeln. So sollten Jugendoffiziere in die Schulen kommen und berichten, was die Bundeswehr für die Sicherheit der Gesellschaft tue. Die jungen Menschen müssten die Bedrohungen der Freiheit kennen und mit den Gefahren umgehen können, sagte Stark-Watzinger laut Medien. Außerdem hätten die Schulen die Aufgabe, Risiken altersgerecht aufzuzeigen: „Dabei geht es auch darum, Sorgen und Ängsten zu begegnen.“ Mein Verdacht: Hier werden wohl eher Ängste (vor „dem Feind“) erzeugt werden.

Lehrerverband: Jugendoffiziere als „sinnvolle Unterstützung“

Es gibt laut Medienberichten auch Kritik vonseiten einiger Bildungspolitiker in Bund und Ländern am Vorschlag Stark-Watzingers.

Dagegen plädierte die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, die saarländische Bildungsministerin Streichert-Clivot, laut Medien für eine umfassende Vorbereitung von Schülerinnen und Schülern auf mögliche Krisen wie Pandemien und Kriege.

Die Forderung stößt laut Medien auch auf Zustimmung beim Deutschen Lehrerverband. „Der Ukrainekrieg schafft ein neues Bewusstsein für militärische Bedrohung, das auch an Schulen vermittelt werden muss“, sagte Verbandspräsident Stefan Düll der Bild am Sonntag. Jugendoffiziere seien dabei eine „sinnvolle Unterstützung“. Der Unterricht zur „Demokratie- und Friedenserziehung“ könne fächerübergreifend stattfinden, in Wahlunterricht und Projekten, so Düll.

Angesichts dieser Position soll hier auch noch einmal an die fragwürdige Rolle des Lehrerverbandes während der Corona-Politik erinnert werden, die wir damals unter anderem im Artikel Corona: Nehmt die Kinder vor den „Beschützern“ in Schutz thematisiert hatten. Dass die jungen Generationen momentan auch in manchen Medienbeiträgen direktes Ziel von Meinungsmache zur Militarisierung sind, haben wir kürzlich im Artikel „Taurus“: Wie das ZDF auf die Köpfe unserer Kinder zielt beschrieben.

Simulation von Sicherheit: „Duck and Cover“ an den Schulen

Noch im Jahr 2010 hat der Spiegel den „Zivilschutz“ während des Kalten Kriegs folgendermaßen eingeordnet:

Aktentaschen auf dem Kopf, Möbel vor der Tür: Während des Kalten Krieges propagierten Regierungen den Selbstschutz der Bürger beim Atomangriff des Gegners mit absurden und nutzlosen Ratschlägen. Die staatlichen Broschüren blieben über Jahrzehnte gängige Praxis – in der Bevölkerung ernteten sie Hohn und Spott.“

In der Bundesrepublik sei man in Sachen Zivilschutz ebenfalls nicht untätig gewesen, so das Magazin. Ein Beispiel sei die Broschüre mit dem vielversprechenden Namen „Jeder hat eine Chance“ von 1961, herausgegeben vom damaligen Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz. Dort seien die Augenzeugenberichte zweier Japaner angeführt, die jeweils die Atombombenexplosionen von Hiroshima und Nagasaki überlebt hätten. Die beiden Überlebenden seien aufgrund ihres „instinktiv richtigen Verhaltens“, in Deckung zu gehen, gerettet worden, so die Broschüre. Fazit des Spiegel:

Die Behörde verharmloste damit eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte und schürte unrealistische Hoffnungen – Aufklärung sah anders aus.“

In Verbindung mit den momentanen Berichten über „Schutzräume“ etc. erinnern mich die aktuellen Vorstöße unter anderem an die angsteinflößende und gleichzeitig verharmlosende Propaganda, wie sie teils zur Atombombe produziert wurde, etwa zum „Duck and Cover“ in den Schulen im Falle eines Angriffs:

Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.

Titelbild: Screenshot ZDF