Doppelzüngige US-Politik: Nein zur UN-Mitgliedschaft Palästinas, aber Ja zur Zwei-Staaten-Lösung

Doppelzüngige US-Politik: Nein zur UN-Mitgliedschaft Palästinas, aber Ja zur Zwei-Staaten-Lösung

Doppelzüngige US-Politik: Nein zur UN-Mitgliedschaft Palästinas, aber Ja zur Zwei-Staaten-Lösung

Ein Artikel von Jürgen Hübschen

Am 19. April haben die USA ihr Veto gegen eine UN-Vollmitgliedschaft Palästinas eingelegt und gleichzeitig noch einmal mit Nachdruck eine Zwei-Staaten Lösung gefordert. Wer soll diese Nahost-Politik der USA noch verstehen? Von Jürgen Hübschen.

Kurzer historischer Diskurs

Am 15. November 1988 beschloss der Palästinensische Nationalrat, das legislative Organ der PLO, im Rahmen einer Tagung in Algier die Annahme einer palästinensischen Unabhängigkeitserklärung. In dieser Erklärung, die der damalige Chef der PLO, Yassir Arafat, verlas, heißt es wörtlich:

„In Ausübung der nationalen Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, politische Unabhängigkeit und Souveränität über sein Land proklamiert der Palästinensische Nationalrat im Namen Gottes und im Namen des palästinensischen Volkes die Gründung des Staates Palästina auf seinem palästinensischen Boden mit Jerusalem als Hauptstadt.“

Mittlerweile haben 138 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen Palästina als unabhängigen Staat anerkannt. (In manchen Unterlagen ist von 139 Staaten die Rede.) 138 Staaten, das entspricht 72 Prozent aller Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen und mit insgesamt 5,5 Milliarden Menschen etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung. Dazu gehören u.a. neben den arabischen und südamerikanischen Staaten auch China, Indien, Indonesien, Iran, Russland und Südafrika.

Die Position der 32 NATO- und auch der 27 EU-Staaten zur Anerkennung Palästinas ist uneinheitlich. Die ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten haben Palästina mehrheitlich kurz nach der Unabhängigkeitserklärung anerkannt, während die „alten“ Mitgliedsländer beider Organisationen bis heute davon Abstand genommen haben. Auch der Weltsicherheitsrat vertritt keine einheitliche Position. China und Russland (früher als Sowjetunion) haben Palästina bereits 1988 anerkannt, während Frankreich, Großbritannien und USA eine Anerkennung bislang abgelehnt haben.

Seit dem 29. November 2012 (UN-Resolution 67/19) hat der Staat Palästina den Status eines „Permanent Observer State“ (Ständiger Beobachterstaat) bei den Vereinten Nationen. Dieser Status wurde Palästina am „Internationalen Tag der Solidarität mit der Bevölkerung Palästinas“ zuerkannt. Dieser Tag wurde 1977 zur Erinnerung an das Datum im Jahr 1947 geschaffen, an dem die Vereinten Nationen eine Resolution angenommen und ein Mandat verabschiedet hatten, Palästina in zwei Staaten aufzuteilen, einen jüdischen und einen arabischen.

Durch diese Aufwertung des völkerrechtlichen Status Palästinas erhielten die Palästinenser Zugang zum Internationalen Strafgerichtshof und weiteren Unterorganisationen der UN. Seit 2011 ist der Staat Palästina außerdem Vollmitglied der UNESCO. Ein Antrag der PLO auf Aufnahme des Staates Palästina in die WHO scheiterte 1989, nachdem die USA ankündigten, im Falle der Aufnahme Palästinas die Finanzierung einzustellen. Als „Permanent Observer State“ hat Palästina kein Stimmrecht. Deshalb hatte Palästina bereits 2011 – allerdings erfolglos – die Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen beantragt. Am 2. April 2024 hatte der palästinensische UN-Gesandte Mansur in einem Schreiben an UN-Generalsekretär António Guterres darum gebeten, das Verfahren zur Vollmitgliedschaft der Palästinenser wieder aufzunehmen. Dieser hatte den Antrag gemäß den geltenden Verfahren am 8. April an den Weltsicherheitsrat weitergeleitet.

Verfahren zur Aufnahme eines neuen Mitgliedsstaates in die Vereinten Nationen

Dazu ein paar Erklärungen, wie ein solches Verfahren abläuft: Der Sicherheitsrat entscheidet darüber, ob der Antrag dem „Committee of Admission of New Members“ (Komitee für die Zulassung neuer Mitglieder) vorgelegt wird. Dies ist im konkreten Fall geschehen, und das Komitee hatte am 08. und 11. April 2024 über den Antrag beraten und diesen anschließend dem Weltsicherheitsrat zur Entscheidung vorgelegt. Hätte dieser positiv entschieden, wäre die UN-Generalversammlung zusammengetreten und alle 193 Mitgliedsstaaten hätten über die Mitgliedschaft Palästinas abgestimmt. Bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit wäre Palästina als Vollmitglied aufgenommen worden.

Die Entscheidung des Weltsicherheitsrates über die Vollmitgliedschaft Palästinas

Dazu wird es jetzt nicht kommen, weil die USA durch ihr Veto eine Vollmitgliedschaft Palästinas verhindert haben. Für den von Algerien eingebrachten Resolutionsentwurf hatten neun der nicht ständigen Mitglieder und auch China, Frankreich und Russland als ständige Mitglieder gestimmt. Das nicht ständige Mitglied Schweiz, und das ständige Mitglied Großbritannien hatten sich der Stimme enthalten.

Position der USA

Der Vertreter des ständigen Repräsentanten der USA bei den Vereinten Nationen, Robert Wood, begründete das amerikanische Veto mit den Worten:

Die Mitglieder des Weltsicherheitsrates haben eine besondere Verantwortung, sicherzustellen, dass ihre Entscheidungen den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit fördern und im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen stehen. Der Bericht des Komitees für die Zulassung neuer Mitglieder ließ erkennen, dass es unterschiedliche Meinungen seiner Mitglieder darüber gab, ob der Antragsteller die Kriterien nach Artikel IV der UN-Charta erfüllt habe.

Wir haben die palästinensische Autonomiebehörde lange aufgefordert, die notwendigen Reformen durchzuführen, um zu helfen, die Voraussetzungen für eine Eigenstaatlichkeit zu schaffen, und darauf hingewiesen, dass die Hamas, eine Terrororganisation, aktuell Macht und Einfluss in Gaza ausübt, einem integralen Teil des Staates, der in dieser Resolution angestrebt wird.“

Das sei der Grund für das Veto der USA gewesen, und Wood fügte hinzu:

Die USA unterstützen weiterhin nachdrücklich eine Zwei-Staaten-Lösung. Ihr Abstimmungsverhalten ist keine Opposition gegen einen Palästinenser-Staat, sondern vielmehr die Anerkennung der Tatsache, dass ein Palästinenserstaat nur möglich ist auf der Basis zwischen den beiden Parteien.“

Position Russlands

Der russische Botschafter, Vassily Nebenzia, erklärte, dass es das 5. US-Veto gegen eine UN-Resolution seit den Kämpfen in Gaza sei. Wörtlich sagte er:

Die USA haben einmal mehr gezeigt, was sie wirklich über die Palästinenser denken. Für Washington haben sie kein Recht auf einen eigenen Staat. Sie sind lediglich ein Hindernis auf dem Weg, die Interessen Israels umzusetzen.“

Und er fügte hinzu, dass die absolute Mehrheit der Staatengemeinschaft den Wunsch Palästinas unterstütze, ein vollständiges Mitglied der Vereinten Nationen zu werden.

Das heutige Veto der USA ist der vergebliche Versuch, den unabänderlichen Lauf der Geschichte aufzuhalten.“

Chinas Position

Der chinesische Botschafter, Fu Cong, bestätigte diese Feststellung, indem er sagte:

Die Räder der Geschichte rollen vorwärts und eines Tages werden Palästina und Israel Seite an Seite friedlich leben.“

Im Gegensatz zu den USA vertrat Fu Cong die Meinung, dass eine Vollmitgliedschaft Palästinas bei den Verhandlungen mit Israel über eine Zwei-Staaten-Lösung wirklich helfen würde. Im Verlauf der vergangenen 13 Jahre habe sich die Situation in Palästina verändert, vor allem durch die Ausdehnung der Siedlungen. Deshalb sei es nicht akzeptabel, die Regierungsfähigkeit Palästinas infrage zu stellen. Die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied der Vereinten Nationen sei dringender als je zuvor.

Und der chinesische Botschafter fügte hinzu:

Die Errichtung eines unabhängigen Staates ist ein unveräußerliches Recht, das nicht infrage gestellt werden kann.“

Die Position Palästinas

Das Büro von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilte das Veto der USA:

„Diese aggressive amerikanische Politik gegenüber Palästina, seinem Volk und seinen legitimen Rechten stellt eine eklatante Aggression gegen das Völkerrecht dar und ist eine Ermutigung zur Fortsetzung des völkermörderischen Krieges gegen unser Volk (…), der die Region noch weiter an den Rand des Abgrunds treibt.“

Der palästinensische UN-Gesandte Rijad Mansur erklärte:

Die Ablehnung wird unseren Willen nicht brechen und unsere Entschlossenheit nicht stoppen. Wir werden unsere Bemühungen nicht einstellen. Der Staat Palästina ist unvermeidlich, er ist real.“

Die Position Israels

Israel kritisierte die Tatsache, dass der Sicherheitsrat überhaupt über den „unmoralischen“ Antrag Palästinas beraten habe. Israels UN-Botschafter Gilan Erdan erklärte, dass die Unterstützer des Antrags die Palästinenser ermutigen würden, nicht an den Verhandlungstisch zurückzukehren, und „den Frieden fast unmöglich machen“. Gilad Erdan warf der Autonomiebehörde vor, sie unterstütze ein Terror-Regime, das Terroristen bezahle, „uns abzuschlachten“, und die Palästinenser würden Israel noch nicht einmal als einen jüdischen Staat anerkennen. Außerdem kritisierte Erdan, dass die Hamas überhaupt nicht erwähnt wurde und ergänzte, dass der Abgesandte der Autonomiebehörde höchstens die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung repräsentiere.

Unmittelbar nach der Abstimmung lobte der israelische Außenminister Israel Katz das US-Veto. Eine Anerkennung eines palästinensischen Staates ein halbes Jahr nach dem Massaker vom 7. Oktober wäre eine Belohnung für den Terrorismus der Hamas, schrieb er auf der Plattform X.

Zusammenfassende Bewertung

Auch auf die Gefahr hin, das chinesische Narrativ zu bedienen, wie man heute gern formuliert, stimme ich Boschafter Fu Cong zu, dass eine Aufnahme Palästinas als Vollmitglied in die UN für die Verhandlungen mit Israel hilfreich sein würde. Auf diese Weise würden nämlich Palästina und Israel sozusagen auf Augenhöhe verhandeln, weil am Status eines souveränen Palästinas grundsätzlich nicht mehr gezweifelt werden könnte.

Leider ist es auf Grund des Vetos der USA nicht dazu gekommen, und deswegen wird eine Zwei-Staaten-Lösung immer unwahrscheinlicher. Aus meiner Sicht gab es für das Veto der USA zwei Gründe, nämlich:

Da bereits 138 bzw. 139 Länder Palästina als souveränen Staat anerkannt haben, wäre die erforderliche Mehrheit der UN-Vollversammlung zur Aufnahme Palästinas mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine reine Formsache gewesen und Palästina wäre in naher Zukunft ein Vollmitglied der Vereinten Nationen geworden.

Und der zweite Grund ist der, dass Israel eine Zwei-Staaten-Lösung kategorisch ablehnt.

Washingtons Position ist nicht nur widersprüchlich, sondern auch total unehrlich. Es passt einfach nicht zusammen, die UN-Vollmitgliedschaft Palästinas mit einem Veto zu verhindern und gleichzeitig mantramäßig zu wiederholen, dass man eine Zwei-Staaten-Lösung unterstütze, weil es aus amerikanischer Sicht dazu keine Alternative gebe. Die USA inszenieren seit langem ein doppeltes Spiel. Washington propagiert eine Zwei-Staaten-Lösung in der Gewissheit, dass Israel diese mit Unterstützung der israelischen Lobby in den USA auch weiterhin ablehnt, weist damit jede Schuld von sich, dass dieser Nahostkonflikt nicht gelöst wird und schiebt Israel den Schwarzen Peter zu mit der vollmundigen Erklärung:

Die USA unterstützen weiterhin nachdrücklich eine Zwei-Staaten-Lösung. Ihr Abstimmungsverhalten ist keine Opposition gegen einen Palästinenser-Staat, sondern vielmehr die Anerkennung der Tatsache, dass ein Palästinenserstaat nur möglich ist auf der Basis zwischen den beiden Parteien.“

Die Begründung der USA für ihr Veto, „Die Mitglieder des Weltsicherheitsrates haben eine besondere Verantwortung, sicherzustellen, dass ihre Entscheidungen den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit fördern und im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen stehen“, ist ein Hohn für alle, die sich wirklich um einen Frieden in Nahost bemühen.

Titelbild: Shutterstock / lev radin

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