Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages spricht kämpferisch vor Demonstranten im Ausland: Da werden Erinnerungen an den Maidan 2014 in der Ukraine wach, als westliche Politiker sogar vor Ort an Demos gegen die Kiewer Regierung teilgenommen hatten – das Ergebnis unter anderem solcher Aufwiegeleien ist der Ukrainekrieg. Die Debatte um das „Agenten-Gesetz“ in Georgien ist zusätzlich von Heuchelei geprägt: Ähnliche Gesetze sind weit verbreitet. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Gespenstische Erinnerungen an 2014 werden wach. Über den aktuellen Auftritt von Michael Roth bei einer Demonstration in Tiflis gegen die georgische Regierung hatte etwa die Berliner Zeitung berichtet. Im folgenden Video ist Roths kurze Rede festgehalten – hier spornt ein Vertreter des deutschen Bundestags in der georgischen Hauptstadt indirekt zum Kampf an:
🟢 The chairman of the foreign affairs committee of the German Bundestag, @MiRo_SPD , addressed the participants of the Tbilisi rally.
❗️Georgians continue to protest against the Russian law that was adopted today. #TbilisiProtests pic.twitter.com/z8alb9QDom
— Aprili.Media (@ApriliMedia) May 14, 2024
Michael Roth ist offensichtlich ergriffen, wie er auf X mitteilt:
Gänsehautmoment.
Leute, schaut auf diese Stadt! Hier schlägt das Herz Europas am lautesten und heftigsten.
🇬🇪🇪🇺🙏🏾 pic.twitter.com/duaRz0c7t2
— Michael Roth – official 🇪🇺🇺🇦🇮🇱🇬🇪 (@MiRo_SPD) May 15, 2024
„Westliche Politiker kommen, um die Situation zu radikalisieren“
Mich erinnert der Auftritt Roths und die ganze emotionale Inszenierung an den Maidan in der Ukraine um 2014, als dort unter anderem sogar der deutsche Außenminister die Proteste besucht und geadelt hatte, wie Medien berichtet hatten. Oder auch an Marieluise Beck, die damals diverse Male bei den Demonstranten in Kiew war. Und natürlich an das internationale Kommen und Gehen von Einflüsterern und Finanziers, das nicht nur hinter den Kulissen stattfand, sondern zusätzlich ganz offen, wie es etwa die US-Politikerin Victoria Nuland praktizierte. Es gibt viele weitere problematische Beispiele.
Dass dieses Aufwiegeln von außen die Ukraine spalten würde und dass diese Entwicklung, wenn sie so weitergetrieben wird, zu genau dem Krieg führen würde, den wir heute erleben, das war bereits 2014 deutlich absehbar, wie viele Zeugnisse belegen, unter anderem diese „Vorhersage des heutigen Ukrainekriegs“ von 2014.
Aber auf die zahlreichen seriösen Warnungen wurde nicht gehört, in der Ukraine wurde sehenden Auges seit 2014 ein Krieg eskaliert – heute wird es verdreht so dargestellt, als hätte „zu wenig Härte“ gegenüber Russland diese Situation herbeigeführt. Die Versuche, nun ähnliche Taktiken in Georgien anzuwenden, sind total verantwortungslos und richten sich gegen die Interessen der Bürger Europas.
Was würden Politiker hierzulande sagen, wenn Proteste gegen ihre Gesetze so eindeutig vom Ausland unterstützt würden und sogar hohe offizielle chinesische oder russische Repräsentanten auf Demos vor dem Reichstag sprechen würden? Laut Thomas Röper sind neben Roth auch etwa die Außenminister Estlands, Lettlands, Litauens und Islands zu einem „Arbeitsbesuch“ nach Georgien gereist, obwohl ihr Besuch bei der Regierungspartei „Georgischer Traum“ (laut Röper) „unerwünscht“ sei. Röper zitiert in diesem Artikel mit Irakli Kadagischwili einen Abgeordneten der georgischen Regierungspartei, der gesagt habe, die Außenminister aus der EU wollten die Situation radikalisieren:
„Es gibt einen kollektiven Angriff auf Georgien als unabhängigen Staat. Westliche Politiker kommen, um die Demonstranten zu unterstützen und die Situation zu radikalisieren.“
Gesetze gegen Einmischung sind verbreitet
Zu dem geplanten Gesetz ist unter anderem Folgendes zu sagen: Das Vorbild sei ein ähnliches Gesetz in Russland, sagen viele Medien. Das mag stimmen, aber das sagt auch, dass es absolut kein Einzelfall ist. So haben sich die Russen bei ihrem Gesetz angeblich explizit auf das Vorbild eines ähnlichen Gesetzes aus den USA berufen: auf den 1938 eingeführten FARA-Act (Foreign Agents Registration Act, Gesetz zur Registrierung ausländischer Agenten). Und auch die EU wehrt sich gegen „verdeckte Einflussnahme aus dem Ausland“, etwa mit diesem „Paket zur Verteidigung der Demokratie“. In der EU sind unbequeme ausländische Medien wie RT bereits gesperrt, es könnten noch weitere dazukommen.
Darüber, dass laut Libération die französische Nationalversammlung für die Einrichtung eines Registers für Vertreter ausländischer Interessen gestimmt hat, berichtet Thomas Röper in diesem Artikel. Nach Angaben von Libération solle das Register nach dem Vorbild des US-Gesetzes FARA über die Registrierung ausländischer Agenten erstellt werden. Der Zeitung zufolge sieht das Projekt Ausnahmen für diplomatisches Personal, Rechtsanwälte, kulturelle Vereinigungen und die Medien vor. Zugleich soll die polizeiliche Überwachung ausgeweitet werden, so Röper. Auch in Kanada wird ein Gesetz über ausländische Agenten diskutiert.
„Schutz“ oder Unterdrückung von Meinungen?
Vor kaum etwas wird hierzulande momentan eindringlicher gewarnt als vor ausländischer Einmischung durch Desinformation. Das wird aktuell vor allem als Propaganda-Hebel gegen Russland und China genutzt – ich denke aber abgesehen von dieser Meinungsmache ist es tatsächlich für jeden Staat wichtig, dass er sich prinzipiell vor Einmischungen schützen kann. Das Recht, sich vor äußeren Einmischungen zu schützen, müsste aber selbstverständlich jedem Land gleichermaßen zugestanden werden.
Wichtig: In der Praxis darf dieser „Schutz“ nicht zur Unterdrückung von Kritik oder von wichtigen Informationen führen – es ist eine Gratwanderung. Das Potenzial für Missbrach ist bei solchen Gesetzen riesig. Die politisch-moralische Beurteilung hängt dann auch von Details in den Formulierungen und von der praktischen Umsetzung der jeweiligen Gesetze im Alltag ab. Im Falle von Deutschland und der EU sollten beim Thema Einmischung auf jeden Fall auch die USA thematisiert werden, weil die EU-Bürger, -Medien und -Politiker von dieser Seite erheblich stärker beeinflusst werden als von anderen Seiten.
Es ist das gute Recht der georgischen Gegner des geplanten Gesetzes, ihren Unmut darüber in Demonstrationen zu äußern. Den innergeorgischen Konflikt aber von außen anzuheizen, wie es Michael Roth und viele andere Stimmen aus dem Westen momentan tun, ist einfach nur verantwortungslos.
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Titelbild: Screenshot Twitter/X, ApriliMedia