Großbritannien hat die Reichweitenbeschränkungen für seine der Ukraine gelieferten Storm-Shadow-Raketen aufgehoben. Die USA werden wohl schon bald nachziehen. Russlands Präsident Putin sieht das als direkte Kriegsbeteiligung der NATO-Länder und kündigte bereits Gegenmaßnahmen an. In Deutschland scheint die Gefahr, die durch diese Eskalation ausgeht, noch nicht angekommen zu sein. Dabei wäre es höchste Zeit, jetzt auf die Bremse zu treten. Eine Aufhebung der Reichweitenbeschränkung wäre nämlich in der Tat eine direkte Kriegsbeteiligung mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen. Von Jens Berger.
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Der frisch gewählte britische Premier Keir Starmer hat ein Talent für politische Lügen. Zur Reichweitenerhöhung der von Großbritannien an die Ukraine gelieferten Raketen sagte er gestern: „Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung“, dieses Recht unterstütze Großbritannien voll und ganz und biete in diesem Kontext Ausbildungsmöglichkeiten an. „Aber wir suchen keinen Konflikt mit Russland – das ist nicht im Geringsten unsere Absicht.“
Das ist von vorne bis hinten falsch. Es geht hier nicht um „ukrainische“ Raketen, sondern um britische und amerikanische Raketen. Und es geht um die Zieldaten. Die Ukraine hat nicht die Möglichkeiten, exakte Zieldaten tief in Russland zu ermitteln. Diese Daten kommen von NATO-Staaten, allen voran von den USA, aber auch von Großbritannien. Und es geht um die Frage, wer die britischen und amerikanischen Raketen programmiert. Spätestens seit dem abgehörten Gespräch deutscher Generäle (Taurus-Leaks) wissen wir, dass die Briten die Raketen vor Ort programmieren.
Also wenn’s zum Beispiel darum geht, die Missionsplanung zu machen, ich weiß wie es die Engländer machen, die machen es ja komplett im Reach-Back. Die haben auch paar Leute vor Ort, ähm, das machen sie, die Franzosen nicht. Also, sie „qc-en“ auch die Ukrainer beim Beladen des SCALP, ne, weil Storm Shadow und SCALPS sind rein vom technischen Aspekt relativ ähnlich.
– Auszug aus den Taurus-Leaks, Aussage von Luftwaffengeneral Ingo Gerhartz
Als Reach-Back-Verfahren wird in der militärischen Fachsprache die Einsatzoperation aus dem Heimatland bezeichnet. Bei Marschflugkörpern heißt das, dass die gesamte Programmierung der Einsatz- und Zieldaten nicht vor Ort in der Ukraine, sondern in diesem Falle von den Briten in Großbritannien vorgenommen wird. Zusätzlich unterstützen die Briten – so General Gerhartz – die Ukraine auch noch vor Ort.
Bei den Amerikanern dürfte die Programmierung ähnlich verlaufen. Wir halten fest: Es geht um britische und amerikanische Raketen, für die die Briten und Amerikaner die Zieldaten liefern und die von britischem und amerikanischem Personal programmiert werden. Die Ukraine ist „lediglich“ der Ort des Abschusses und ihr „Abwehrkampf“ die öffentlich vorgetragene Begründung. Wenn wir das beiseitelassen, handelt es sich um britische bzw. amerikanische Angriffe auf russisches Territorium.
Wenn das keine direkte Kriegsbeteiligung ist, was ist soll es dann sein? Und genauso bewertet die russische Führung die angekündigte Reichweitenerhöhung. Großbritannien und die USA spielen mit dem Feuer. Wenn die Bundesregierung tatsächlich eine Eskalation des Krieges verhindern will, muss sie diesen Wahnsinn stoppen und sofort Druck auf ihre „Bündnispartner“ ausüben.
Ergänzung (16. September): Dieser Artikel gibt den Stand vom 13. September 12.00 wieder und bezieht sich dabei auf britische Äußerungen. Im Laufe des Freitags überdachten die Briten offenbar ihre Entscheidung und gaben später bekannt, dass sie sich noch nicht festgelegt haben. An der Bewertung ändert dies freilich nichts.
Titelbild: M.J.J. de Vaan/shutterstock.com