Wohin mit Oma?

Wohin mit Oma?

Wohin mit Oma?

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Nachdem die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag mit der Union abgesegnet haben, geht nun bei den Genossen das Rennen um die Posten und Pöstchen in die finale Runde. Parteichef Klingbeil gilt dabei – so heißt es zumindest in den Medien – als gesetzt für das Amt des Finanzministers und Vizekanzlers und er ist es diesen Berichten zufolge auch, der nun den Rest des Teams zusammenstellt. Dabei habe er, so die intimen Kenner der Hauptstadtpresse, jedoch ein großes Problem. Dieses Problem trägt den Namen Saskia Esken. Für die sei ja eigentlich kein Platz mehr in der ersten Reihe, aber um des lieben Friedens willen könne man sie ja mit dem Amt der Entwicklungshilfeministerin abspeisen. Eine absurde Debatte, die kennzeichnend für die Erosion unserer Demokratie ist. Von Jens Berger.

Es fällt einem schwer, etwas Positives über Saskia Esken zu finden. Als mitreißende Rednerin geht sie sicher nicht durch. Und ihre öffentlichen Auftritte in Talkshows sind oft eher zum Fremdschämen. Ihr wird nachgesagt, sie sei prinzipientreu und die SPD-Grundwerte Gerechtigkeit und Chancengleichheit lägen ihr sehr am Herzen. Das mag so sein, doch weiß sie dies zumindest in ihren öffentlichen Auftritten auch sehr gut zu verstecken. Kurzum: Im modernen Politgeschäft, in dem es vor allem um Schlagzeilen, Zustimmungswerte und Prozente und weniger um Inhalte geht, ist Esken sicher fehl am Platze.

Aber man sollte auch nicht vergessen, dass sie immerhin seit 2019 Parteichefin ist. Erst an der Seite von Norbert Walter-Borjans, dann an der Seite von Lars Klingbeil. Ersterer zeichnete sich zumindest noch durch eine überzeugende inhaltliche Linie aus, bei Letzterem muss man sich hingegen schon sehr anstrengen, irgendetwas zu finden, das ihn charakterisieren könnte. Sicher – der Mann ohne Eigenschaften wird von der Presse gerne grund- und anlasslos gefeiert; warum man daraus nun ableitet, er habe wie selbstverständlich das alleinige Recht, die SPD als Vizekanzler und Finanzminister zu vertreten, während seine Co-Chefin am besten vom Hof gejagt werden sollte, erschließt sich jedoch nicht.

Die SPD hat die Wahlen krachend verloren und ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren. Die Verantwortung dafür tragen neben dem glücklosen Spitzenkandidaten Olaf Scholz beide Vorsitzende zusammen. Dass nun Lars Klingbeil als der strahlende Prinz die SPD in der Bundesregierung vertreten soll und die Frage der Anschlussverwendung seiner Co-Chefin Saskia Esken in der Öffentlichkeit so diskutiert wird, als wolle man die renitente Oma ja am liebsten ins Heim abschieben, zeigt einmal mehr, wie sehr die Medien heutzutage Personalfragen mitbestimmen.

Ja, wohin nun mit Oma? Die Hauptstadtpresse ist sich einig, dass doch der Posten der Entwicklungshilfeministerin eigentlich ideal wäre – immerhin ein Kabinettsposten, aber halt auch ein Posten in der zweiten Reihe, bei dem es eigentlich egal ist, ob der oder die Ministerin nun kompetent ist. Und zu sagen hat so eine Entwicklungshilfeministerin ja ohnehin nichts. Es scheint so, als gäbe es das Ministerium ohnehin nur noch, um treue Parteisoldaten aufs Abstellgleis zu schieben. Mit Ausnahme des CSU-Politikers Gerd Müller wurde dieses Ministerium in den letzten Jahrzehnten ohnehin frei von Esprit und Kompetenz geführt.

Aber ist das bei anderen Ministerien so anders? Welche Qualifikation bringt beispielsweise ein Alexander Dobrindt für den Posten des Innenministers mit? Und da wir ja eigentlich bei der SPD sind – welche Qualifikation bringt eigentlich Lars Klingbeil für das Amt des Finanzministers mit? Der Mann hat Soziologie studiert und sich außerhalb der Partei weder beruflich noch fachlich ernsthaft mit Volkswirtschaft oder dem Finanzwesen beschäftigt. Um es klar zu sagen: Die nicht vorhandene Qualifikation von Dobrindt, Klingbeil und anderen ist kein Grund, die Personalie Esken für einen möglichen Posten als Entwicklungshilfeministerin nun zu relativieren. Ein Alleinstellungsmerkmal als falsche Frau auf dem falschen Posten hat sie aber auch nicht.

Das eigentliche Problem geht tiefer. Spitzenpolitiker zeichnen sich durch ihren Ehrgeiz aus. Ehrgeiz wird – warum eigentlich? – ja meist positiv bewertet. Für einen Sportler oder Manager mag das auch so sein. Aber in einer besseren Welt mit einer funktionierenden Demokratie wäre nicht der Ehrgeiz, sondern der Wunsch, unsere Gesellschaft zum Besseren zu verändern, die herausragende Triebfeder eines Politikers. Wenn man dazu noch Talent und Charisma mitbringt, um Wähler und Entscheider von seinen Zielen zu begeistern, ist man richtig in der Politik.

Hat Saskia Esken inhaltliche Ziele und Visionen? Das weiß ich nicht. Was ich aber weiß, ist, dass sie weder Talent noch Charisma hat, um irgendjemanden von irgendetwas zu begeistern. Die gute Frau ist nun 63 Jahre alt, hat sicher mehr als stattliche Altersvorsorgeansprüche erworben und sollte nun in Würde abtreten. Aber wo sind eigentlich die inhaltlichen Ziele und Visionen von Lars Klingbeil? Und hat er Talent und Charisma? Wohl kaum.

So sehr ich die Kritik an Esken verstehen kann, so wenig kann ich verstehen, dass man sich nun mit Verve nur auf sie einschießt. Wenn Oma erst mal weg ist, wird die SPD aller Voraussicht nach von Grund auf „klingbeilisiert“. Wahlverlierer Klingbeil ist der neue starke Mann und bleibt dennoch ein Mann ohne Eigenschaften, der ohne Talent, Charisma und Fortune die Partei zur nächsten historischen Niederlage führen wird. Aber das zählt ja im Moment nicht. Gerade so, als könnte man seinen Orientierungsverlust und seine Visionslosigkeit zusammen mit Oma ins Heim abschieben. Nun wird ein Zimmer frei, aber man weiß nicht, mit was man dieses Zimmer eigentlich füllen soll. Für die dringend benötigte Erneuerung der SPD braucht es mehr. Saskia Esken ist je nach Perspektive besten- oder schlimmstenfalls ein Symptom, aber nicht die Ursache für den andauernden Abstieg der einstigen Volkspartei.

Titelbild: photocosmos1/shutterstock.com

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