„Fast 50.000 Männer bei versuchter Ausreise gestoppt“ – diese Nachricht vergraben Medien hierzulande in ihren Newstickern. Dabei offenbart sie etwas Furchtbares: Seit Kriegsbeginn lässt die Ukraine Männer im wehrfähigen Alter zwischen 18 und 60 nicht ausreisen. Wenn ein Land Bürger gegen ihren Willen dazu zwingt, zu töten oder sich töten zu lassen, dann ist das ein Akt der Barbarei. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
„Seit Beginn des Krieges in der Ukraine vor gut drei Jahren haben rund 50.000 Männer im wehrpflichtigen Alter versucht, illegal aus dem Land auszureisen.“ So beginnt eine Newsticker-Meldung der BILD-Zeitung zum Ukraine-Krieg. Eine kleine Überschrift, fünf Zeilen insgesamt. Das war’s. Google News zeigt ein vergleichbares Bild: eine Nachricht, in knapper Form aufgegriffen von ein paar wenigen Medien.
Der Umgang mit dieser Meldung, die auf einen fürchterlichen Abgrund verweist, lässt erahnen, wohin der doch so oft von Medien bemühte moralische Kompass in der Berichterstattung gerutscht ist. 50.000 Männer eines Landes, die sich – vorbildlich – nicht vor den Karren einer Kriegspolitik spannen lassen wollten, wurden an ihrem Vorhaben gehindert. Was das für sie heißt, lässt sich leicht verstehen. Bei Eignung zum „Dienst an der Waffe“ heißt es gegebenenfalls: Ab an die Front! Kämpfen, töten oder sich töten lassen. Am Ende stehen oft schwer traumatisierte oder verstümmelte Soldaten, die als körperliches und/oder seelisches Wrack nach Hause zurückkehren – wenn überhaupt. Am Ende stehen Eltern, die Ehefrau und die Kinder vor einem Grab, in dem nur noch Fetzen liegen, und manchmal nicht einmal das.
Im Internet finden sich immer wieder Videos von Rekrutierungsaktionen in der Ukraine, wo zu sehen ist, wie Männer gegen ihren Willen unter Anwendung massiver Gewalt in Autos gezerrt werden. Oft lassen sich diese Videos nicht verifizieren, aber: Dass Behördenvertreter auf den Straßen aktiv nach Wehrpflichtigen suchen, ist allgemein bekannt.
In der BILD-Meldung heißt es weiter:
„Seit Kriegsbeginn im Februar 2022 seien rund 45.000 Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren vom Grenzschutz gestoppt worden, sagte Behördensprecher Andrij Demtschenko. Weitere 4.000 Männer seien festgenommen worden, als sie versuchten, die Grenze mit gefälschten Dokumenten zu überqueren.“
Wie groß muss der Druck sein, dass Bürger sich gefälschte Dokumente besorgen, um ihr Land verlassen zu können?
Dass die Ukraine auf diese Weise mit Männern umgeht, die sich dem Kriegsdienst entziehen wollen, ist das eine. Das andere ist, wie hierzulande Politiker und Journalisten mit dieser Realität umgehen. Gerade jene, die moralische Gründe ins Feld führen, um die „Unterstützung“ der Ukraine zu rechtfertigen, übergehen diesen Akt der Barbarei mit Nachdruck. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – lautet offensichtlich die Devise.
In gewisser Weise ist das nachzuvollziehen – denn tragfähige Argumente lassen sich auch nicht dafür anführen, Mitmenschen zum Töten im Krieg zu zwingen. Der Respekt vor der Willensfreiheit ist eine zentrale zivilisatorische Errungenschaft. Vor allem, wenn es um etwas so Weitreichendes wie den Tod auf dem Schlachtfeld geht, kann der Wert der Willensfreiheit nicht hoch genug veranschlagt werden.
Wie sieht es aus mit dem Spruch „Kein Mensch ist illegal“? Wenn kein Mensch illegal ist: Wie können dann Männer, die den Dienst an der Waffe ablehnen, wegen einer „illegalen” Ausreise verhaftet werden? Tja, plötzlich ist nur noch ein lautes Schweigen zu vernehmen.
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