In Deutschland schwindet die Zahl der Reichen – nicht nennenswert und gewiss nicht nachhaltig. Zumal es immer mehr Superreiche gibt, die mit ihrem ökologischen Fußabdruck den Globus verwüsten. Der neue Bundeskanzler fliegt mit schlechtem Beispiel voran. Ein Einwurf von Ralf Wurzbacher.
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Oh Schreck! In Deutschland machen sich die Millionäre rar. Gerade einmal noch 1,605 Millionen Exemplare ihrer Gattung zählte die Republik im zurückliegenden Jahr. Davor waren es noch 41.000 mehr. So steht es geschrieben im World Wealth Report 2025 der französischen Beratungsfirma Capgemini, der vor einer Woche veröffentlicht wurde. Was ist da bloß los? Beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) fürchtet man das Schlimmste: „Der deutsche Millionär, ein Fall für die Rote Liste gefährdeter Arten?“ Der Medienverbund rechnet vor: Geht es in dem Tempo weiter, wären in 40 Jahren alle weg vom Fenster und kein Zaster mehr da, der sich aus selbigem werfen ließe. „Es ist verdammt ernst“, warnt RND-Reporter Marco Nehmer.
Tatsächlich macht er nur Spaß und recht hat er damit. Der Kapitalismus mag ja so manches erledigen – am Ende mithin die ganze Menschheit –, aber niemals wird er müde, Reiche und Superreiche zu produzieren. Täte er es nicht, ginge ihm die Luft aus und bliebe der Erde wieder Luft zum Atmen. Aber eben das wäre wider seine Natur, die nach schöpferischer Zerstörung strebt, bis zur planetaren Erschöpfung. Dahingehend läuft alles nach Plan. Denn im weltweiten Maßstab zeigen sich die „außerordentlich vermögenden Privatpersonen“, sogenannte High Net Worth Individuals (HNWI), sehr wohl vermehrungsfähig. Global betrachtet gab es von ihnen im Vorjahr 2,6 Prozent mehr als 2023.
Trend zur Zweityacht
Aber die Bedingungen der Fortpflanzung sind nicht überall dieselben, je nach Standort sind sie mal mehr, mal weniger günstig. In Nordamerika zum Beispiel legte die Population um 7,3 Prozent zu, wegen des „günstigen Zinsumfelds und starker Renditen am US-Aktienmarkt“, wie die Forscher konstatieren. Im asiatisch-pazifischen Raum betrug der Zuwachs 2,7 Prozent, wobei Indien und Japan mit einem Plus von jeweils 5,6 Prozent herausstechen. Auf dem Subkontinent schafften es im Jahresvergleich 20.000 mehr Menschen zum Millionär, in Nippon 210.000. Für China dagegen wird ein Rückgang um ein Prozent verzeichnet, für Lateinamerika gar um 8,5 Prozent, was auf die Währungsabwertung und die fiskalische Instabilität zurückzuführen sei. Noch schlechter aus sieht es für Brasilien (minus 13,3 Prozent) und Mexiko (minus 13,5 Prozent), das Schlusslicht im Ranking. Und selbst für die Scheichs im Nahen Osten zeigt der Daumen bei einem Schwund um 2,1 Prozent nach unten.
Der World Wealth Report deckt 71 Länder ab, auf die gemäß Eigendarstellung „mehr als 98 Prozent des globalen Bruttonationaleinkommens und 99 Prozent der weltweiten Börsenkapitalisierung entfallen“. Allein das spricht Bände: Die restlichen rund 120 Staaten der Erde bringen lediglich zwei Prozent der Wertschöpfung auf die Waage. Hier grassieren Hunger und Elend, während Wohlstandsverwöhnte in den kapitalistischen Zentren grübeln, ob sie sich eine Zweit- oder Drittyacht gönnen sollen.
733 Millionen hungern
Nach Zahlen von Oxfam Deutschland steigerte ein durchschnittlicher Milliardär 2024 sein Vermögen um zwei Millionen US-Dollar pro Tag, die Hyperreichen gar um 100 Millionen. Das Gesamtvermögen der knapp 2.800 Milliardäre (2024 kamen 204 hinzu) erhöhte sich in nur einem Jahr von 13 auf 15 Billionen Dollar. Die Zahl der Menschen, die unter der erweiterten Armutsgrenze der Weltbank von 6,85 US-Dollar pro Tag leben, stagniert dagegen seit 1990 und beläuft sich laut Oxfam auf fast 3,6 Milliarden. Weltweit hungern demnach aktuell circa 733 Millionen Menschen – etwa 152 Millionen mehr als 2019. Aber in der BRD greifen „Abstiegsängste“ derer um, die unter die Millionenmarke rutschen könnten. Probleme gibt‘s …
Zumal die Lage nicht so eindeutig ist. Die kleine Delle in der Entwicklung ist nicht nur ein deutsches Phänomen, sondern zeigt sich in ganz Europa. Die fortschreitende Deindustrialisierung durch politisch verordneten Verzicht auf russisches Gas setzt offenbar auch den Eliten zu. Aber das ist Spekulation, genauso wie die These der Studienautoren von Capgemini, der schwächelnde Immobilienmarkt mit zeitweiligem Preisverfall bei Wohn- und Gewerbeobjekten (inzwischen wieder überwunden) hätte hierzulande das Reicherwerden erschwert. Zumal relativiert gehört: Das Gesamtvermögen der deutschen Millionäre hat sich 2024 noch höher aufgetürmt, auf 6,32 Billionen Dollar. Nur verteilt sich der Riesenhaufen auf weniger Schultern.
Kanzler der Absahner
Zudem existieren andere Indikatoren, die am Bild vom „darbenden“ deutschen Millionär kratzen. Wenigstens mittelfristig kommen nämlich immer mehr davon nach. Wie das Statistische Bundesamt am 4. Juni vermeldete, hatten 2021 gut 34.500 aller in Deutschland erfassten Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen Einkünfte von einer Million Euro und mehr. Das waren 5.200 beziehungsweise satte 18 Prozent mehr als im Jahr 2020. Vier Jahre davor waren es noch 22.900 gewesen. Wer jährlich so viel Geld verdient – im Schnitt 2,8 Millionen Euro –, schafft es früher oder später auch in den Kreis derer, die mindestens eine Million Euro oder US-Dollar auf der hohen Kante liegen haben. Capgemini berücksichtigt dabei Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, Beteiligungskapital, Bargeld oder nicht selbst genutzte Immobilien.
Kunstsammlungen und Gebrauchsgüter zählten nicht dazu, „also auch keine fliegenden Gebrauchsgüter“, merkte das RND mit Blickrichtung Friedrich Merz (CDU) an, der ein Privatflugzeug sein Eigen nennt. Mit ihm leistet sich Deutschland bekanntlich einen dieser „High Net Worth Individuals“ als Bundeskanzler – geschätztes Vermögen: zwölf Millionen Euro. Man kann gewiss sein, dass sich der ehemalige BlackRock-Lobbyist für seinesgleichen ins Zeug legen und dafür sorgen wird, dass es den „bedrängten Leistungsträgern“ im Land alsbald wieder besser geht. Staatssozialistische Faxen wie eine Vermögenssteuer oder sonstige Zudringlichkeiten gegenüber den Reichen und Reichsten hat er der mitregierenden SPD jedenfalls erfolgreich ausgeredet. Stattdessen will Merz den sehr verehrten Damen und Herren Quandt, Klatten, Albrecht und Boehringer mit neuen Steuersenkungen noch mehr „Erleichterung“ verschaffen.
Zum Milliardär geboren
Schließlich gilt es, international Anschluss zu finden. Lidl-Chef Dieter Schwarz rangiert als führender deutscher Vertreter mit „nur“ 41 Milliarden US-Dollar „nur“ auf Rang 37 der Forbes-Liste der „Richest People In The World“. Überflieger Elon Musk hat mehr als achtmal so viel gescheffelt, sprich 342 Milliarden US-Dollar. Das muss doch auch in deutschen Landen möglich sein, auf dass die Republik alsbald ihren „schändlichen“ dritten Platz bei der Zahl der Milliardäre (171 laut Forbes) sowie der der Millionäre (World Wealth Report) wird verlassen können. RND-Journalist Nehmer rät zum Beistand: „Zum Beispiel durch einen monatlich abgeführten Solizuschlag aller Fremdwohneigentumsnutzer an ihre gepeinigten Vermieter.“
Das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl. Denn wer sich gefragt haben mag, wie sich die zahlenmäßige Diskrepanz zwischen Einkommensmillionären (34.500) und Millionären (1,6 Millionen) erklärt, sollte wissen: Das meiste Geld am Standort Deutschland, wie überhaupt im Kapitalismus, wird leistungslos gemacht, also durch Zockerei an den Finanzmärkten, Vermietung, Verpachtung und vor allem Erbschaften. Und in dieser Hinsicht steht eine gewaltige Zäsur bevor: Laut World Wealth Report werden bis 2040 allein 83,5 Billionen Dollar interfamiliär den Besitzer wechseln, weil Papa oder Opa einfach die Zeit fehlt, die ganze Kohle noch zu Lebzeiten zu verprassen.
Nonwork-Life-Balance
An diesem Punkt will übrigens Capgemini ins Spiel kommen, als globaler Beraterkonzern mit Jahresumsätzen jenseits von 20 Milliarden Dollar. Die Studie unterstreiche, „dass Vermögensverwaltungsunternehmen ihre Dienstleistungen und Angebote auffrischen und überarbeiten müssen, um die neue Generation der HNWI-Kunden zu erreichen“. Diese seien bereit, „mehr Risiken einzugehen, um ihr Vermögen zu vergrößern, indem sie Kapital in wachstumsstärkere Anlageklassen und Nischenproduktangebote investieren“. Zu den Anforderungen der kommenden Milliardäre und Millionäre gehörten demnach: „Private Equity und Kryptowährungen“ (Ausverkauf der Daseinsvorsorge), „Neue Offshore-Buchungszentren“ (Steuerflucht), „Maßgeschneiderte Dienstleistungen“ (Luxusreisen) sowie „Digitale Interaktionen“ (alles per Smartphone).
Soll heißen: Die Jungen wollen ihre Alten sogar noch in den Schatten stellen – beim Ausbeuten von Mensch und Natur. „Carbon Inequality Kills“ ist eine Oxfam-Studie vom Oktober 2024 überschrieben. „50 der reichsten Menschen der Welt stoßen durch ihre Investitionen, Riesenjachten und Privatjets innerhalb von 90 Minuten mehr CO₂ aus als eine durchschnittliche Person in ihrem ganzen Leben“, heißt es darin. Und bei durchschnittlich 184 Privatjetflügen pro Jahr verursachten sie eine Menge an Klimagasen, für die „ein Mensch aus der weniger wohlhabenden Hälfte der Weltbevölkerung in etwa 2.000 Jahre lang leben müsste“.
Und Friedrich Merz? Der fliegt für sein Leben gern – nur nicht als Regierungschef. Wobei? Danach braucht BlackRock bestimmt Beratung.
Titelbild: Aerial-motion / Shutterstock