In einem „Manifest“ brechen SPD-Mitglieder öffentlich mit der gefährlichen und unsozialen Russland-Politik ihrer Parteiführung. Das ist aus zahlreichen Gründen gut und überfällig – unter vielem anderem, um das irre „Fünf(zig)-Prozent-Ziel“ der radikalen NATO-Militaristen noch zu verhindern. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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In einem wichtigen und überfälligen Schritt fordern etliche prominente SPD-Politiker in einem aktuellen „Manifest“ Gespräche mit Russland und stellen sich damit gegen die Pläne von Regierung und SPD-Spitze, wie etwa der Stern berichtet. Der Text im Wortlaut findet sich unter diesem Link.
In dem Grundsatzpapier unter dem Titel „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ fordern die Sozialdemokraten eine sofortige Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik. So fordern die Verfasser Gespräche mit Russland als Alternative zur Aufrüstung der Bundeswehr, wie sie Verteidigungsminister Boris Pistorius plant. Zudem drängen sie darauf, die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen zu stoppen und erklären das „Fünf-Prozent-Ziel“ der NATO für „irrational“.
Wenn die Waffen schweigen: Gespräche mit Russland
Das Papier stellt sich gegen die Linie von Bundesregierung und SPD-Führung. „In Deutschland und in den meisten europäischen Staaten haben sich Kräfte durchgesetzt, die die Zukunft vor allem in einer militärischen Konfrontationsstrategie und hunderten von Milliarden Euro für Aufrüstung suchen“, heißt es in dem „Manifest“. Und weiter:
„Der Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg wird beschworen, statt notwendige Verteidigungsfähigkeit mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen, um gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen.“
Unterschrieben ist das Papier laut Stern von mehreren Dutzend prominenter Sozialdemokraten, die überwiegend, aber nicht ausschließlich vom „linken“ Flügel stammen. Der frühere Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich ist darunter, der Außenpolitiker Ralf Stegner, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans, sowie weitere Bundestagsabgeordnete, Mandatsträger oder der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel.
Die Unterzeichner fordern mehrere konkrete Maßnahmen, darunter eine Wiederannäherung an Russland. Es brauche „eine Intensivierung der diplomatischen Anstrengungen aller europäischen Staaten“, heißt es. „Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität. Auf dieser Grundlage muss der außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen.“ Zum Charakter der aktuellen Debatte schreiben die Verfasser des Papiers:
„Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme schaffen nicht mehr Sicherheit für Deutschland und Europa, sondern führen zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen NATO und Russland.“
X-Prozent-Ziele sind „irrational“
Die Veröffentlichung des Manifestes erfolgt sehr spät, aber trotzdem zu einem passenden Zeitpunkt: Die SPD richtet Ende Juni einen Bundesparteitag aus, auf dem über eine neue Programmatik nach der schweren Wahlniederlage diskutiert werden soll. Fast zeitgleich findet der NATO-Gipfel statt, auf dem radikale Militaristen Deutschland und andere Länder dazu verpflichten wollen, die Verteidigungsausgaben in gefährlicher und unsozialer Weise hochzuschrauben.
Kritik üben die Verfasser dementsprechend auch an der geplanten massiven Aufstockung der Verteidigungsausgaben. „Für eine auf Jahre festgelegte Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt es keine sicherheitspolitische Begründung. Wir halten es für irrational, eine am BIP orientierte Prozentzahl der Ausgaben für militärische Zwecke festzulegen.“ Gefordert wird in dem „Manifest” laut dem Bericht des Stern zudem ein Stopp der Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland.
Harter Gegenwind der Militaristen ist vorprogrammiert
Es gibt in dem „Manifest“ natürlich einige Formulierungen, die nicht weit genug gehen und die der Findung eines Konsenses geschuldet sind. Die Veröffentlichung dieses Textes ist aber trotzdem eine gute Aktion von SPD-Politikern, die im Gegensatz zu vielen Parteifreunden ihre sozialdemokratischen Wurzeln der Entspannungspolitik noch nicht gekappt haben. Man kann kritisieren, dass das so lange gedauert hat und dass das „Manifest“ wahrscheinlich keine echten Konsequenzen für die Politik der SPD auslöst: Die meisten tonangebenden „Sozialdemokraten“ sind stur auf Kurs einer hochgefährlichen und (wegen der dafür nötigen Sozialkürzungen) zusätzlich als potenziell asozial zu bezeichnenden Kriegs- und Rüstungspolitik.
Die Unterzeichner haben darum aber umso mehr meine Hochachtung, weil sie sich gegen den Militarismus der eigenen Parteiführung sowie gegen eine hasserfüllte Berichterstattung vonseiten der tonangebenden Meinungsmacher in Medien, Politik und staatlich geförderter „Zivilgesellschaft“ stellen.
Der Vorgang illustriert meiner Meinung nach, dass die friedenspolitische Vernunft auch bei der SPD noch nicht gänzlich verloren ist. Das ist auch ein Kontrast etwa zur LINKEN, die sich momentan als besonderer Scharfmacher gegen Russland aufspielen möchte. Dass es so lange gedauert hat, bis sich kritische Sozialdemokraten in dieser deutlichen Weise geäußert haben, macht schmerzhaft deutlich, wie sehr Sahra Wagenknecht und das BSW als konsequente Stimme bei diesem Thema im Bundestag fehlen.
Gegenwind vonseiten militaristischer Journalisten, Politiker oder von scheidenden Geheimdienstchefs sowie vonseiten einer finanziell teils vom Staat abhängigen „Zivilgesellschaft“ gegen das „Manifest“ ist vorprogrammiert. Kritik von dieser Seite ist aber inzwischen eine Auszeichnung und ein Hinweis, dass man den gefährlichen Weg des Irrationalen endlich wieder verlassen hat.
Aktualisierung, 11.6.2025, 11.30h: Es wurde inzwischen eine Petition gestartet, bei der Unterstützer des „Manifestes“ unterzeichnen können. Sie findet sich unter diesem Link.
Titelbild: Lightspring / Shutterstock
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