Wir wollen ein Volk der schlechten Nachbarn sein

Wir wollen ein Volk der schlechten Nachbarn sein

Wir wollen ein Volk der schlechten Nachbarn sein

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird Deutschland von den Russen wieder als das feindseligste Land angesehen. Mehr als die Hälfte der Befragten ordneten Deutschland in einer Studie des Lewada-Instituts als Land ein, das Russland feindselig gegenübersteht. Damit liegt Deutschland noch vor dem direkten Kriegsgegner Ukraine und vor den USA. Besonders tragisch: Vor dem Ukrainekrieg galt Deutschland der übergroßen Mehrheit der Russen als Freund und noch 2021 lag die Anzahl derer, die Deutschlands Politik gegenüber Russland als feindselig einordneten, bei unter 20 Prozent. So traurig die jüngsten Zahlen sind, so verständlich sind sie. Die Kriegsrhetorik der deutschen Regierung und der deutschen Medien erntet nun, was sie sorgsam gesät hat. Von Jens Berger.

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Spätestens seit der Amtsübernahme von Donald Trump und der daraufhin folgenden Kehrtwende der amerikanischen Russlandpolitik wird Deutschland international als bedeutendster Unterstützer der Ukraine im Krieg gegen Russland gesehen. Vor allem in Russland selbst sieht man den Ukrainekrieg vor allem als Stellvertreterkrieg. So überrascht es auch nicht, dass die USA als Macht hinter der ukrainischen Regierung seit dem Maidan von vielen Russen als der eigentliche Gegner wahrgenommen wurde. Noch im letzten Jahr haben fast drei Viertel aller befragten Russen angegeben, dass die USA feindselig gegenüber Russland seien. Diese Zahl hat sich im ersten Jahr der zweiten Amtszeit Trumps, der sich andeutenden Annährung und der Friedensvermittlung nahezu halbiert. Heute sehen nur noch 40 Prozent der Russen die USA als feindselige Macht.

Quelle: Lewada Institut

Ganz anders verhält es sich mit Deutschland. Bis 2013 galt Deutschland der übergroßen Mehrheit der befragten Russen noch als Freund. 2013 gaben nur drei Prozent der Befragten an, dass Deutschland eine feindselige Macht sei. 2014, im Jahr des Maidan-Putsches, der Krim-Sanktionen und des Beginns des Bürgerkriegs im Donbass, wendete sich das Blatt. Deutschlands offensive antirussische Haltung zeigte die ersten Auswirkungen in den Umfragen. Nun sah mit 18 Prozent fast jeder fünfte befragte Russe Deutschland als feindselige Macht. Nach der Invasion der Ukraine im Jahre 2022, weiteren Sanktionen, weiterer antirussischer Rhetorik und Unterstützung der Ukraine wurde Deutschland bereits von 37 Prozent aller befragten Russen als feindselige Macht angesehen. Dass die immer schrilleren antirussischen Töne in der deutschen Debatte, die nun verabschiedete Hochrüstung und die aktive Blockade der Friedensbemühungen im Ukrainekrieg in Russland nicht ungehört bleiben und das Deutschland-Bild der Russen abermals eintrüben, war vorherzusehen. Heute sieht mehr als jeder zweite Russe in Deutschland eine feindselige Macht. Deutschland ist damit das Land, das von den Russen als das Land wahrgenommen wird, dessen Politik am russlandfeindlichsten ist – noch vor Großbritannien, der Ukraine, den USA und Polen.

Die deutsche Politik erntet nun, was sie in den letzten Jahren sehr aktiv gesät hat, und zerstört die Erfolge einer Außenpolitik, die mit der Ostpolitik der SPD in den 1970ern begann und sich insbesondere in der Politik Helmut Kohls, der wir letztendlich die Wiedervereinigung und den friedlichen Abzug der sowjetischen Truppen aus Ostdeutschland zu verdanken haben, aber auch Gerhard Schröders fortsetzte. Deutschland reißt in wenigen Jahren mit dem Hintern ein, was es zuvor über Jahrzehnte mit den Händen aufgebaut hat. Wollten wir einst unter Willy Brandt ein Volk der guten Nachbarn sein, sind wir nun ein Volk der schlechten Nachbarn.

Um die Bedeutung dieser Politik zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, dass vor gerade einmal 80 Jahren Deutschland in Trümmern lag. Und damit sind nicht nur die Städte gemeint. Deutschland hatte in einer welthistorisch wohl einmaligen Mixtur aus Selbstüberschätzung, Wahn und Hass ganz Europa mit einem Vernichtungskrieg überzogen. 27 Millionen Sowjetbürger starben in diesem Krieg, das angerichtete Leid war unermesslich. Dass Russland den Deutschen diese Verbrechen später vergeben – wenn auch nicht vergessen – hat, ist eine große kulturelle Leistung, auf die man als Deutscher durchaus stolz sein darf. Dass dieses Gedenken nun sehenden Auges mit Füßen getreten wird, dass Deutschland bar jedes Anstandes und jeglicher historischen Verantwortung wieder Russland als Feind definiert, ist eine große Schande, die eigentlich jeden Deutschen fassungslos machen sollte. Haben wir in der Schule denn gar nichts gelernt und gar nichts verstanden?

Aber selbst in diesem tiefen, dunklen Tunnel gibt es noch einen Lichtblick. Egal ob man mit Russen oder Deutschen, die in den letzten Jahren in Russland zu Gast waren, spricht – alle versichern einem, dass die Menschen in Russland sehr wohl zwischen der deutschen Politik und der deutschen Bevölkerung unterscheiden können. Insofern wäre es auch falsch, aufgrund der Umfrageergebnisse zu sagen, Deutschland sei nun der größte Feind Russlands. Nicht die Deutschen, sondern die deutsche Regierung wird als feindselig wahrgenommen. Und am Beispiel USA sieht man ja, dass dieser Eindruck durchaus reversibel ist; auch wenn es in Deutschland derzeit keine Anzeichen gibt, dass man zu einer Entspannungspolitik zurückkehrt und irgendwann wieder ein Volk der guten Nachbarn sein will.

Die Befragung des Lewada-Instituts gibt in diesem Punkt zumindest Hoffnung. 80 Prozent, also vier von fünf Befragten, gaben an, dass sie sich wünschen, dass sich die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen wieder verbessern – der höchste Wert, der in dieser Studienreihe jemals erzielt wurde. Die Russen reichen also die Hand. Was nun noch fehlt, ist jemand in Deutschland, der sie ergreift.

Titelbild: William Potter/shutterstock.com

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